Mit der Ablehnung unseres folgerichtigen Antrages zur Einrichtung einer Enquetekommission wurde die Chance vertan, eine Bildungsreform auf den Weg zu bringen, die wirklich breiter gesellschaftlicher Konsens ist, die die an Schule Beteiligten im Vorfeld mit einbezieht und – weil parteiübergreifend erarbeitet – langfristigen Bestand haben kann.
Der Landeselternrat hat aus seinen Ansichten zu einem wirklichen längeren gemeinsamen Lernen nie einen Hehl gemacht.
weil er den Aktionismus von SPD und PDS offenbar nicht unterstützt. Die Kampagne des Landeselternrates zeugt von großer gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, meine Damen und Herren,
denn der Landeselternrat hat anders als Sie eine Folgenabschätzung vorgenommen, die Gegenstand der andauernden Kritik ist, denn es sind Kinder und Eltern, die unmittelbar von diesem Gesetz betroffen sind, und deren Sorgen sollten wir, sollten Sie ernst nehmen. Es geht nicht um das Durchsetzen politischer Ideen, sondern um die beste Bildung für unsere Kinder.
Für diese Sorge müssen nun die demokratisch gewählten Vertreter des Landeselternrates harsche Kritik von Mitgliedern der SPD-Fraktion über sich ergehen lassen.
Das ist starker Tobak im Streit um ein so wichtiges Gesetz. Dass erhebliche Zweifel daran bestehen, ob sich die geplanten Änderungen in Klasse 5 und 6 und später in 7 und 8 ohne nennenswerte Investitionen in Unterstützungssysteme wirklich so positiv auf Lernergebnisse, sozialen Ausgleich, Motivation und Lernbereitschaft, Schulklima oder Disziplin auswirken, ist doch nicht verwunderlich und schon gar nicht geeignet, die Kritiker zu maßregeln oder ihnen gar mit Liebesentzug zu drohen.
Eine Folgenabschätzung fehlt ganz. Es ist völlig unklar, wie sich die Regelungen zur schulartunabhängigen Orientierungsstufe – so nennt sie sich ja – auf die einzelnen Schulstandorte auswirken, auf die Aufnahmekapazitäten der Schulen, auf die Ausstattung und die folgenden Klassenbildungen. Die Folgekostenabschätzung für die Schulträger und die Träger der Schulentwicklungsplanung soll erst im Jahr 2008 im Rahmen der nachgeordneten Konnexität geklärt werden, für meine Begriffe zu spät. Im Innenausschuss haben wir dieser Regelung nur zugestimmt, um in der Beschlussempfehlung die Konnexität als Fakt überhaupt zu verankern.
Meine Damen und Herren, an demographischen Entwicklungen kommen wir nicht vorbei. Sie sind zu betrachten, wenn man einigermaßen zukunftssichere Standorte etablieren will. Dieser Aufgabe hat sich auch die CDU gestellt und im Herbst 2004 nach einer Fachkonferenz unter Beteiligung von Fachleuten aus Schule, Schulaufsicht und Schulträgern eigene Strukturvorschläge erarbeitet. Unterschiedliche Stadt-Land-Behandlung, Leistungsorientierung und die Bewahrung von Bewährtem prägen die Vorschläge. Wir haben jedoch nicht das ganze Schulsystem auf den Kopf gestellt, sondern die erst 2002 von Ihnen etablierte Zweigliedrigkeit fortgeschrieben und so eine Konstante in der Bildungspolitik dargestellt. Sie jedoch nehmen die sinkenden Schülerzahlen zum Anlass, ohne Not das ganze System aus den Angeln zu heben, und bedienen sich der fragwürdigsten Argumente. Dass mit schieren Behauptungen – das Konzept zum längeren gemeinsamen Lernen ist voll davon – die Menschen nicht überzeugt werden können, sollte Sie nicht böse machen, sondern nach einem Weg suchen lassen, wie Sie diese Menschen mitnehmen können.
Dabei geht es nicht an, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Um die Anerkennung des Abiturs muss ich mich vorher kümmern. Die Lehrer müssen vorher fit gemacht werden für die Mammutaufgabe der Binnendifferenzierung.
Bezogen auf Finnland mahnt daher die Vorsitzende des Landeselternrates heute in der SVZ zu Recht an, ich zitiere:
„Aber das hat sich nach langer Vorbereitung in Jahrzehnten entwickelt. Und wir bilden uns ein, das in einem halben Jährchen zu planen, auf unsere Situation zuzuschneiden und noch die richtige Lösung zu finden. Ich halte das für hochgefährlich.“
Und noch ein Beispiel: Der Lehrereinsatz in den Klassen 5 und 6 soll laut Konzept schon jetzt festgelegt werden, um die Kollegen entsprechend schulen zu können. Der Minister sprach vorhin von einer Konstante von etwa drei Kollegen, die den Kernbereich darstellen sollen. Mir ist keine Schule bekannt, die das jetzt schon leisten kann. Der Einsatz in Schulen, in Klassen, in Unterrichtsfächern und der Umfang des Einsatzes für jeden einzelnen Kollegen stehen doch immer erst kurz vor Beginn des Schuljahres fest. Viele Antworten gibt das Konzept nicht her, wirft dafür aber viele neue Fragen auf. Die Schulleiter müssen jetzt handeln, wollen sie die Kollegen entsprechend vorbereitet in die Orientierungsstufe schicken.
Meine Damen und Herren, die Kritik Ihrer und unserer zahllosen Veranstaltungen kann nicht an Ihnen vorbeigehen. Herr Kollege Bluhm, Sie haben auf einer Veranstaltung in der Schweriner Lindgren-Schule Diskussionsbereitschaft signalisiert und schlagen jetzt doch schon Pflöcke ein. Oktroyierte Strukturen, Inhaltsverordnungen werden scheitern, wenn sie nicht praxistauglich sind. Den Makel der Unausgegorenheit können auch noch so schöne Broschüren nicht vertuschen. Eine Verschiebung des In-Kraft-Tretens um ein Jahr bedeutet in diesem Fall leider keine ausreichende Vorbereitung. Ich habe versucht, das am Beispiel der Lehrerbildung und des Lehrereinsatzes im nächsten Jahr deutlich zu machen. Das Gesetz mit einem grundlegenden Systemwandel wird mit Macht durchgesetzt. So empfinden es mittlerweile auch die Befürworter eines längeren gemeinsamen Lernens.
Heute um 11 Uhr hat eine Schweriner Elterninitiative rund 800 Unterschriften übergeben. Ich selbst bin gebeten worden, eine Unterschriftenliste aus dem Landkreis Uecker-Randow – das sind rund 540, die in diesem Flächenkreis in weniger als eineinhalb Wochen zusammengetragen wurden – heute an die Präsidentin zu übergeben. Das werde ich im Nachhinein tun. Wenn wir Demokratie wollen, dann dürfen Anordnungen die Diskussion um die bestmöglichen Wege doch nicht ersetzen. Erfahrungen der Modellschulen für selbständige Schule, für Integration werden jetzt erst von Wissenschaftlern zusammengetragen und derzeit gemacht. Warum verzichten Sie auf diese Erfahrungen und diskutieren nicht ergebnisoffen?
Meine Damen und Herren, wir werden diesen Gesetzentwurf aus den genannten Gründen ablehnen und bedauern, dass die guten Ansätze aufgrund mangelnder Vorbereitungszeit und entgegen dem Rat von Fachleuten und betroffenen Eltern und Schülern ihrer Wirkung beraubt werden. Die Legitimation dafür und den vielleicht noch fehlenden Rest Selbstbewusstsein für die heutige Abstimmung Ihres Gesetzeswerkes holen Sie sich mit einer neuerlichen bemerkenswerten Umfrage. Ich gehe davon aus, dass Frau Polzin darauf nachher noch eingehen wird. „Bemerkenswert“ sage ich deshalb, weil Sie es diesmal vermieden haben, die Altersstruktur der Befragten wie in der ersten Umfrage darzustellen. Zur Erinnerung: 63 Prozent der 18- bis 24-Jährigen war mit der Möglichkeit unterschiedlicher Bildungsgänge nach Klasse 4 zufrieden oder sehr zufrieden, also die Jahrgänge, die das System durchlaufen haben. Bemerkenswert ist die Umfrage auch deshalb, weil wieder einmal das so genannte längere gemeinsame Lernen zum Gegenstand der Fragen gemacht wurde. Ehrlicherweise hätten Sie nach einer an der Regionalen Schule angesiedelten Orientierungsstufe fragen müssen, die wohl in den wenigsten Fällen die Kin
Im Landkreis Uecker-Randow beispielsweise stehen 13 Grundschulen 8 Regionale Schulen gegenüber, von denen 2 nach den neuen Parametern noch auf der Kippe stehen. Nicht nur die künftigen Gymnasiasten haben mehrere Brüche zu verkraften, sondern auch die in der Regionalschule verbleibenden Schüler, wenn nach den Schulabgängen der Gymnasiasten die Klassen 6 neu zusammengesetzt werden, um die nötigen Klassenstärken zu erreichen.
Ein dritter bemerkenswerter Fakt lässt mich doch stutzig werden: In Ihrer Befragung machen Sie Ausführungen zur Sicherung von Schulstandorten. 119 statt nur 75 könnten nach Ihren Angaben dank Orientierungsstufe erhalten werden. Schaut man jedoch in die heute zur Abstimmung stehende Beschlussempfehlung, tauchen unter dem Buchstaben „D. Kosten“ die gleichen Einspareffekte auf wie im ursprünglichen Entwurf vom November des letzten Jahres:
223 Stellen bei den Grundschulen, 110 Stellen bei den Regionalen Schulen und 51 Stellen aus den Anrechnungsstunden für Schulleiter und Stellvertreter. Aber zumindest Letztere müssten weniger Einsparpotential bringen, denn weniger Schulschließungen bedeuten doch wohl mehr Schulleitungen als ursprünglich angenommen.
Interessanterweise taucht auch noch immer die Zahl 49 Stellen mehr im Jahr 2008/09 für die Ganztagsschulbetreuung auf. Anders als im ursprünglichen Entwurf ist in der Beschlussempfehlung aber nicht mehr von einer Erhöhung des Ganztagsschulfaktors von 0,06 auf 0,1 Stunden die Rede, die diese Stellenzahl rechnerisch ergibt, sondern von der Annahme, dass sich die Anzahl der an Ganztagsschulangeboten teilnehmenden Schüler erhöht. Der Minister hatte das vorhin auch noch einmal ausgeführt. In Ihrer neuen Broschüre jedoch verweisen Sie unter der Überschrift „Ausbau der Ganztagsschulen“ auf die Erhöhung des Faktors. Was, meine Damen und Herren, stimmt denn nun?
Und da wir schon einmal bei der Broschüre sind, mit der Sie Ihre bildungspolitischen Vorhaben erläutern, komme ich nicht umhin, hier noch einmal festzustellen, dass Sie zwar viele Zahlen und Faktenmaterial zum finnischen Schulsystem zusammengetragen haben über Bildungsausgaben, Schüler-Lehrer-Relationen, Lehrergehälter oder Unterrichtsstunden im Vergleich zu Deutschland und folgerichtig den Schluss gezogen haben, Zitat: „Bei einem nüchternen Blick auf die Fakten wird klar, dass es nicht eine alleinige Ursache für den finnischen Erfolg im Bereich Bildung gibt. Vielmehr handelt es sich um ein vielfältiges Ursachenbündel, bei dem verschiedene Maßnahmen wirkungsvoll ineinander greifen. Im Zentrum des finnischen Systems steht eine Kultur des Lernens, die auf individuelle Bedürfnisse Rücksicht nimmt.“
und begnügen sich mit der Folgerung: „Integrierte Systeme sind gerade keine Gleichmacherei, sondern zielen darauf ab, allen Menschen vergleichbare Lebenschancen durch differenzierte und individuelle Angebote zu gewährleisten.“
An dieser Stelle, meine Damen und Herren, wäre der Vergleich mit dem finnischen System aber interessant gewesen. Man sucht ihn vergeblich. Vielleicht, weil sich mit dem integrierten System und vier zusätzlichen Förderstunden pro Woche, die der Minister in seinem Konzept zur Orientierungsstufe anbietet, der Wunsch – vielleicht von Ihnen, Frau Polzin – nach 42,1 Prozent vom finnischen System schon erschöpft. Selbst der Greifswalder Erziehungswissenschaftler Professor Prüß führte in seiner schriftlichen Stellungnahme aus, dass das bloße Aufsetzen von Förderstunden als Rahmenbedingungen für notwendige individuelle Förderung nicht ausreicht.
Meine Damen und Herren, der Erfolg des PISA-Klassenbesten Finnland lässt sich nicht allein mit dem gemeinsamen Unterricht bis Klasse 9 erklären. Das hohe gesellschaftliche Ansehen von Lehrern, die strenge Auswahl im Hinblick auf persönliche Eignung vor dem Studium, ein engmaschiges Netz von greifbarem, also an der Schule greifbarem Unterstützungspersonal von der Psychologin über die Kuratorin für soziale Problemfälle, Assistenten, Förderlehrer bis hin zur Krankenschwester oder sogar Schulköchen oder die viel höhere Lernmotivation und -bereitschaft, aber auch die konsequente inhaltliche Weiterentwicklung und Arbeit an der Qualitätsentwicklung der Schule bei über Jahrzehnte konstanten Strukturen, um nur einige Beispiele dieses Ursachenbündels, wie Sie es bezeichnen, zu nennen, tragen zum Erfolg der finnischen Schüler in internationalen Vergleichstests bei.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Wolfgang Riemann, CDU: So ist es. Das ist eine PISA-Mogelpackung. – Rainer Prachtl, CDU: Genau das ist es. – Dr. Ulrich Born, CDU: Richtig.)
Nun ist sicher auch in Finnland nicht alles Gold, was glänzt, und nicht alles lässt sich übertragen. Der Verband „Bildung und Erziehung Mecklenburg-Vorpommern“ führt dies in seinem „Report“, Heft 40, von 2005 dezidiert und nüchtern aus. Aber er geht einen Schritt weiter. Zur so genannten Risikogruppe – und die meinen Sie ja wohl, wenn Sie von Kindern aus sozial schwächer gestellten oder bildungsfernen Haushalten sprechen – sagt er: „Keine finnische Klassenlehrerin begreift, dass von ihrer deutschen Kollegin erwartet wird, dem Problem schlicht durch ,binnendifferenzierten Unterricht’ beizukommen. Dass das im Rahmen des Klassenverbandes, noch dazu ohne Spezialkompetenz in Diagnostik und Methodik (!), nicht geht, versteht sich in Finnland von selbst.“ Weiter: „Wer Sozialarbeiterin, Psychologin, Klassenlehrerin und Speziallehrerin in einer Person sein soll, kann keines davon so sein, dass das Resultat die Bedürfnisse der Schüler und der Gesellschaft befriedigt.“
Aber so wird die Wirklichkeit wohl aussehen. Wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinander klaffen, möchte ich an weiteren Beispielen verdeutlichen.
Ein weiteres großes Problem, das angegangen werden müsste, aber sich nicht im Gesetz findet, ist das Lehrerpersonalkonzept. Das Schulgesetz bietet dafür keine
Lösung. Warum aber fehlt der Mut, hier noch einmal Gespräche aufzunehmen? Stattdessen hören wir – und das Lehrerpersonalkonzept ist als Hemmschuh Nummer eins für Entwicklung von Schule ja mittlerweile geoutet worden – vom Minister Timm im Rahmen des Verwaltungsmodernisierungsgesetzes, dass sogar das Lehrerpersonalkonzept bis zum Jahr 2015 verlängert werden soll. Ursprünglich sollte es bis 2010 gelten.
Sie wollen Integration, meine Damen und Herren. An der Schweriner Montessori-Schule wird sie seit Jahren für konstant 14 bis 17 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf praktiziert. Mit dem nächsten Schuljahr jedoch fahren Sie die bisher hierfür vorgesehenen Stunden von 54 auf ganze 2 zurück. Die Lehrerstundenzuweisung für jahrgangsübergreifenden Unterricht in Grundschulen wird mit der aktuellen Unterrichtsversorgungsverordnung ebenfalls gekürzt. Damit schränken Sie Möglichkeiten moderner Pädagogik ein.
Das betrifft vor allem auch die Schulen in freier Trägerschaft. In diesem Zusammenhang nehmen Sie bewusst in Kauf, dass verfassungsrechtlich bedenkliche Regelungen für die Schulen in freier Trägerschaft jetzt verabschiedet werden sollen.