Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss einräumen, dass ich heute zu einem Thema spreche, das mich sehr emotional berührt, nicht nur heute, das war von Beginn an so, denn als Mutter einer Tochter kann man vielleicht noch entsprechend mehr nachempfinden, was die Eltern von Carolin zu diesem Zeitpunkt erlitten haben. Ich erinnere mich an das Bild von diesem Mädchen, das ich bis heute nicht aus dem Gedächtnis verloren habe. Auch ich habe mich wie viele gefragt: Was ist los mit diesem Rechtsstaat, in dem so etwas geschehen kann?

Auch ich bin der Auffassung, hier müssen rückhaltlos alle Fragen aufgeklärt werden. Und auch ich würde gern alles dafür tun, mehr Sicherheit zu schaffen. Wozu ich mich nie versteigen würde ist der Satz: Wenn dieser Untersuchungsausschuss stattfindet, können wir dafür sorgen, dass ein Fall Carolin nicht mehr stattfindet. Ich räume ein, dass dieser Satz mir wirklich Angst macht, weil er mich erinnert – er erinnert mich an die kurzen Antworten bestimmter Leute, die Straftaten, die Gefährdung von Menschen ganz einfach beantworten wollen. Ich darf dazu einmal zurückgehen: Es war für mich ein Schlüsselerlebnis, 1999 in meiner Nachbarstadt, eine Vergewaltigung eines jungen Mädchens, die Öffentlichkeit war empört, war entsetzt, hat sich eingemischt. In dem Zusammenhang gab es sofort eine Demonstration, eine angemeldete, und dann rannten sie im Kreis in Neukloster mit Plakaten „Todesstrafe für Sexualstraftäter“. Ich bin da gewesen, weil mir auch manchmal Antworten fehlen, aber was da suggeriert wird, ist so gefährlich! Wir bewegen uns hier auf einem dünnen Eis.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, wir werden dahin geführt.)

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin Lehrerin, wie Sie alle wissen. Ich habe auch mit meinen Jugendlichen solche Themen durch, sehr emotionale Themen, bei denen man menschlich sehr berührt ist und sich ver

zweifelt die Frage stellt, man muss doch etwas tun. Meine Jungen in der 10. Klasse haben zu einem politischen Thema ihr Plakat samt und sonders mit genau den Parolen, von denen ich eben gesprochen habe, „Todesstrafe für Sexualstraftäter“, ausgestaltet. Damit muss ich umgehen. Wie rede ich mit diesen Jugendlichen? Wie mache ich ihnen klar, dass dieser Rechtsstaat andere Mittel hat, die aber so verkürzt nicht sein können, dass wir auf dem Boden des Grundgesetzes miteinander umgehen, damit unsere Jugendlichen gegen das, was hier schief läuft in dieser Gesellschaft, nicht solche kurzen Antworten haben?

Allein daraus würde ich ihnen gerne übermitteln, dass ich beim Thema Carolin persönlich hochgradig betroffen bin. Ich weiß heute noch nicht, wie man helfen kann, aber den Willen, das in unseren Kräften Mögliche zu tun, möchte ich an dieser Stelle deutlich machen. Und insofern war ich an allem, was bisher zur Aufklärung beigetragen hat, sehr interessiert, nicht nur als Politikerin, stellvertretendes Mitglied des Rechtsausschusses, sondern einfach als Mitglied dieser Gesellschaft. In diesem Zusammenhang bin ich vielleicht ein bisschen übersensibel,

(Michael Ankermann, CDU: Ja, genau.)

aber ich würde das gerne zur Warnung hier einmal sagen: Auf diesem dünnen Eis kann man sehr, sehr schnell mit bestimmten verkürzten Zusammenhängen sich genau in diese Sprache begeben, weil die Gefahr in der Öffentlichkeit besteht, wir sehnen uns nach einfachen Antworten und wir nehmen sie an. Wenn die aber dazu führen, dass wir manches in Frage stellen, was nur stattgefunden hat auf den Grundlagen der jetzt gültigen Gesetze, dann bieten wir als Demokraten eine Lücke, die wir uns nicht leisten können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Wissen Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen, wir haben heute beim Tagesordnungspunkt 1 eine sehr würdige Debatte hier geführt und ich glaube, es gab fast keinen im Haus, der sich nicht gewünscht hat, hier auch ein Stück Reife hinzubekommen.

(Zuruf von Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS)

Ich würde wieder darum plädieren, weil das nicht in jeder Phase bei diesem Tagesordnungspunkt so war, dies einfach auch mal für andere Themen vorzunehmen. Und an dieser Stelle kann ich nur für unsere Fraktion sagen: Selbstverständlich, der Untersuchungsausschuss wird auch durch uns mit voller Kraft, mit allem Aufklärungswillen und mit der Aussage unterstützt, gegebenenfalls, falls das Not tut, Konsequenzen zu ziehen. Ich bin davon überzeugt, dass diese Konsequenzen in einer ganzen Fallbreite schon passieren müssen. Denken wir an Therapiearbeit insgesamt. Professor Orlob hat einen beeindruckenden Vortrag gehalten über wissenschaftliche Erkenntnisse gerade im Umgang mit Psychopaten. Ich bin auch davon überzeugt, wir werden am Ende des Untersuchungsauftrages zur Kenntnis bekommen, dass der Mord an Carolin nicht der Staatsanwaltschaft angelastet werden kann, auch nicht indirekt. Eine pauschale Kritik oder gar eine Vorverurteilung der Arbeit ist daher wirklich unangemessen. Und wir alle haben die Presseerklärung des Richterbundes gelesen. Offensichtlich empfinden insgesamt die Betroffenen eine solche Pauschalverurteilung jetzt schon. Durch uns ist die nicht ausgesprochen worden und ich

würde auch wieder mal an Sie appellieren, dass wir damit sehr behutsam umgehen. Es ist schon einiges Porzellan zerschlagen worden auf der Strecke.

Herr Dr. Born, ich habe Ihnen sehr gut zugehört und ich meine, relativ schlüssig war Ihr Vortrag, dass wir rückhaltlos Aufklärung wollen. Nur erschließt sich mir – und ich denke, das ging einigen hier so im Hause – nicht der Zusammenhang, auf der einen Seite Aufklärung zu wollen, Konsequenzen ziehen zu wollen, dieses Rechtssystem verbessern zu wollen, aber dazu unmittelbar und nur und ausschließlich diesen Ausschuss zu brauchen. Herr Ankermann, Sie haben in Ihrem Beitrag keinesfalls dazu beigetragen, dieses Manko zu beseitigen. Im Gegenteil, ich hatte wirklich das Gefühl, dass Sie selbst große Argumentationsmühe haben, das eine, das wir alle wollen, unmittelbar mit diesem Ausschuss in Zusammenhang zu bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Und ich weiß, Herr Ankermann, dass das nicht nur unserer Fraktion so geht. Mir ist, denke ich, auch bekannt – und deshalb würde ich in diesem Zusammenhang nicht sagen, die Opposition, die CDU-Fraktion –, dass auch in Ihrer Fraktion dazu wirkliche Zweifel auftauchen. Und mein Appell kann eigentlich nur dahin gerichtet sein, wenn man denn Aufklärung will, dann sollte man auch jede Information nutzen und nicht suggerieren, irgendwelche unabhängigen Gutachter müssten erst vereidigt werden, damit sie hier die Wahrheit sagen, vorher käme ja noch das eine oder andere in Gang.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Genau das haben Sie uns eben erzählen wollen, Herr Ankermann. Dann habe ich wirklich große Schwierigkeiten, meine Emotionen im Griff zu behalten. Ich gebe mir dennoch Mühe. Für mich ist überhaupt nicht nachvollziehbar, wenn Sie das eine wollen, dass Sie das andere versagen.

Die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses ist Gesetz. Das wissen wir alle. Das ist unser eigenes Gesetz zum PUA gewesen und es hat niemand von uns die Absicht gehabt, da in irgendeiner Weise Spielchen zu treiben. Ich denke, wir haben Sie sogar überrascht, dass wir nicht erst die Möglichkeit nutzen, aufgrund der Unbestimmtheit Ihres Antrages den Umweg über den Rechtsausschuss zu machen. Das hätten wir sehr wohl gekonnt. Wir wollen schnell aufklären. Aber erklären Sie mir bitte mal, gerade die Herren Born und Ankermann, mit welcher Begründung Sie nicht teilnehmen an diesen Informationen, die unabhängige Gutachter dabei bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Da bin ich wirklich sehr gespannt.)

Das eine ist völlig unabhängig vom anderen, das eine beeinträchtigt das andere nicht. Und, Herr Ankermann, auch daran muss ich mich wirklich noch mal festbeißen: Wenn Sie uns hier die Kosten aufrechnen wollen für einen Gutachter, ich will die Kosten für einen Untersuchungsausschuss hierbei überhaupt nicht bewerten,

(Zuruf von Beate Schlupp, CDU)

aber das sind dann ungleich andere, wenn man zu einem Ergebnis kommen will, das wir auf einem anderen Wege gegeben sehen.

(Zurufe von Holger Friedrich, SPD, und Egbert Liskow, CDU)

Wir merken also schon, alle drei Parteien unterscheiden sich überhaupt nicht in ihrem Anspruch und in ihrem Ziel, aber offensichtlich gibt es zwischen einigen Herren und dem Rest des Parlaments so ein gewissen Bauchgefühl, das da sagt: Heiligt jeder Zweck die Mittel? Ich denke Nein.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist ziemlich infam! Das ist ziemlich infam!)

Und im Umgang mit dieser Thematik kann ich nur darum bitten,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Jetzt verlassen Sie aber wirklich den Boden der Gemeinsamkeit. – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist doch die Wahrheit.)

dass wir gemeinsam an einer Aufklärung arbeiten

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist nicht die Wahrheit. – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

und möglichst schnell einen Abschlussbericht vorlegen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Sie wissen doch gar nichts von Wahrheit, gerade Sie nicht. Sie wollen sie doch gar nicht wissen.)

Ich bedanke mich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Danke schön, Frau Polzin.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Dr. Born. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Frau Kollegin Polzin, schauen Sie bitte auf den Antrag, dann sehen Sie, wie viele Unterschriften er trägt,

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

und versuchen Sie nicht, hier durch Spekulationen einer Fraktion, die sich ernsthaft Gedanken macht, wie man einen Sachverhalt richtig aufklären kann, etwas zu unterstellen, wie Sie es eben hier getan haben, was völlig an den Tatsachen vorbei geht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Gabriele Meˇsˇt’an, Die Linkspartei.PDS: Unterstellen Sie aber den anderen nicht das Gegenteil! – Zuruf von Ilka Lochner-Borst, CDU)

Frau Polzin, es geht zwar weder Sie noch den Justizminister etwas an, wie wir intern diskutieren, aber zu Ihrer Beruhigung darf ich Ihnen sagen, dass es gerade die Mitglieder im Rechtsausschuss waren, die am längsten versucht haben, um den Untersuchungsausschuss herumzukommen, und gesagt haben, lasst uns das im Rechtsausschuss versuchen aufzuklären.

(Klaus Mohr, SPD: Das glauben Sie doch wohl selber nicht! Das glauben Sie doch wohl selber nicht! – Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist richtig. – Zurufe von Siegfried Friese, SPD, und Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Aber es ist genau der Minister gewesen, der dies verhindert hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: Genau das ist richtig.)

Es ist genau der Minister gewesen, der dies verhindert hat mit seiner Salamitaktik.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das setzt dem Fass die Krone auf! – Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Und da ich ja vorhin aufgrund der Geschäftsordnung etwas schneller reden musste, sodass das nicht alle mitbekamen: Der Herr Minister gefällt sich ja immer, mit sehr schnellen Vorschlägen zu kommen, wenn ein Problem da ist, und denkt, es merkt keiner, was er ein paar Tage vorher gesagt hat.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Und deshalb zitiere ich das jetzt noch einmal, was der Minister bezeichnenderweise bei der Eröffnung einer sozialtherapeutischen Anstalt gesagt hat. Zitat, wörtlich, und das darf ich, Herr Präsident, weil das öffentliche Äußerungen sind,

(Gabriele Meˇsˇt’an, Die Linkspartei.PDS: Der Präsident hat doch gar nichts gesagt.)