Protokoll der Sitzung vom 05.04.2006

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Dr. Armin Jäger, CDU: Und nicht vorher aussteigen und sagen, ich mache nicht mehr mit. – Zurufe von Heike Polzin, SPD, und Dr. Ulrich Born, CDU)

Das hat ja auch niemand behauptet.

Ich hoffe, dass die jetzt geplanten Anhörungen zum Gesetzverfahren in den Bundestagsausschüssen gemeinsam mit dem Bundesrat durchgeführt werden. Das ist ja auch ein Novum in der Bundesrepublik Deutschland, dass diese Gremien zusammen anhören. Das zeigt natürlich, dass alle diese Reform wollen. Insofern hoffe ich, dass es das Ergebnis dieser Anhörungen sein wird, dass auch in Zukunft das Prinzip der Solidarität und nicht das Prinzip des Wettbewerbs zwischen den Ländern der richtige Weg bleiben wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Gesetzpaket besteht aus über 40 Verfassungs- und Gesetzesänderungen. Einige meiner Vorredner haben auf den einen oder anderen Änderungsantrag schon hingewiesen. Ich möchte das nicht noch weiter vertiefen, sondern einfach noch einmal zwei Aspekte ansprechen, die mir im Moment ein paar Sorgen bereiten. Zum einen, das haben meine Vorredner angesprochen, ist angedacht, dass mehr Gesetzgebungskompetenzen auf die Landtage heruntergegeben werden sollen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das haben wir immer gefordert.)

Was wir auch immer gefordert haben, das ist richtig.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Und jetzt ist er dagegen. – Dr. Ulrich Born, CDU: Ja.)

Er ist nicht dagegen, Herr Jäger. Ich weiß nicht, woher Sie das nehmen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ja, weil er sich daneben stellt. – Dr. Armin Jäger, CDU: Und nun ist er dagegen. – Zurufe von Harry Glawe, CDU, und Renate Holznagel, CDU)

Ich hoffe, dass es so kommt. Wir gehen davon aus, dass es so sein wird.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Die anderen sollen es machen. – Andreas Bluhm, Die Linkspartei.PDS: Was?! Was?!)

Das heißt für uns, meine Herren der CDU und natürlich auch die anderen Kollegen, dass wir in Zukunft als Landtag mehr Verantwortung haben.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Dank der anderen 15 Bundesländer, weil sie dafür stimmen.)

Bleiben Sie mal ganz ruhig, Herr Dr. Born!

(Dr. Armin Jäger, CDU: Wir sind ja ganz ruhig.)

Und diese Verantwortung, hoffe ich, wird in Zukunft auch dem Wahlvolk, also unseren Wählern, mehr bewusst.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Na, Herr Ringstorff ist ja nicht so bedeutend, dass die anderen sich davon abhalten lassen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schon sehr eigenartig, wenn man sich die Wahlbeteiligung

ansieht, insbesondere die Landtagswahlen. Dort ist vor circa zehn Tagen das Rekordtief erreicht worden, indem in Sachsen-Anhalt nur 45 Prozent der Wähler zur Wahl gegangen sind. Das sind minus 11,5 Prozent! In BadenWürttemberg...

(Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS: Das sollte uns doch zu denken geben.)

Ja, das ist richtig, Herr Koplin.

In Baden-Württemberg sind es 10 Prozent weniger, dort sind 52 Prozent der Wähler zur Wahl gegangen. Das ist aus meiner Sicht ein ganz alarmierendes Zeichen. Ich hoffe, dass das Wahlvolk diese Verantwortung, die die Landtage in Zukunft mehr bekommen, auch erkennen wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es erscheint immer mehr paradox zu sein, denn je tiefer die Wahlebene in der föderalistischen Pyramide angesiedelt ist – und damit eigentlich immer näher an den direkten Einflussnahmen des Wählers –, desto schwerer ist es offenbar, dem Urnengänger die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen. Ich glaube, meine Damen, meine Herren, hier müssen wir als etablierte Parteien und auch als Abgeordnete in Zukunft einfach noch mehr und auch eine bessere Lobbyarbeit für unseren Landtag machen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir, noch einen zweiten Aspekt zu nennen, der, wie ich finde, in der gegenwärtigen Debatte der Föderalismusreform kaum wahrgenommen wird – das ist sehr bedauerlich –, und zwar den europapolitischen Aspekt. Dieser ist, wie gesagt, im Moment so ein bisschen in den Hintergrund dieser Debatte geraten. Unter dem Aspekt, dass der Artikel 23 Absatz 6 des Grundgesetzes geändert werden soll und somit die Europafähigkeit des Grundgesetzes verbessert werden kann, kann ich nur sagen, das ist eine richtige, eine folgerichtige Entscheidung. Hier geht es insbesondere um die Verhandlungsfähigkeit im Europäischen Rat. Es soll geregelt werden, wie sich die Länder an bestimmten Verhandlungen auf EU-Ebene beteiligen. Ich glaube, das macht Sinn, denn hier geht es insbesondere um solche Kompetenzen wie Bildung, Kultur und Rundfunk. Das sind aus meiner Sicht ganz klassische Länderzuständigkeiten. Ich glaube, da sind wir auf einem guten Weg.

In diesem Zusammenhang, meine sehr verehrten Damen und Herren, finde ich es auch gut, dass der Artikel 52 a Absatz 3 insofern geändert werden soll, dass die Europakammer des Bundesrates eine schlagkräftigere und flexiblere Institution werden soll. Das heißt, dass in Zukunft bei eiligen Vorlagen Beschlüsse auch im schriftlichen Umfrageverfahren gefasst werden können. Das ist ein riesiger Fortschritt. In der Vergangenheit war es so, dass die Kammer eher ein stumpfes Schwert war, da für die Einberufung, für die Zusammensetzung und Beschlussfassung dieselben Regeln galten wie für den Bundesrat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr gut für die Bundesländer und auch für unser Land finde ich die Verpflichtung der Bundesregierung, in einer Bund-Länder-Vereinbarung künftig die Vorfeldinformationen – wenn ich das einmal so bezeichnen darf – zu stärken und sich stärker, als es bisher der Fall war, mit den Ländern abzustimmen. Und das ist auch ein Ergebnis aus dem Koalitionsvertrag, der jetzt in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Gramkow, Sorgen bereitet mir auch in diesem Zu

sammenhang, Sie haben darauf hingewiesen, das geplante Gesetz zur Aufteilung der Sanktionszahlungen bei Verstößen gegen den EU-Stabilitätspakt. Hier soll geregelt werden, wie die Kosten zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden. Der Anteil des Bundes soll 65 Prozent betragen und der Anteil der Länder 35 Prozent. Und wenn man bedenkt, dass Länder, die einen ausgeglichenen oder positiven Finanzsaldo aufweisen, nicht in die Pflicht genommen werden sollen, dann schwant mir hier Schlimmes für unser Land. Darum kann ich die Bundesregierung nur auffordern, eine solide Finanzpolitik in Angriff zu nehmen und nicht länger über die Aufteilung bei Sanktionen zu diskutieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Föderalismusreform in Deutschland scheint unaufhaltsam. Das ist gut so, denn gerade bei der Europapolitik müssen Bundesrat, Bundesregierung und die Bundesländer an einem Strang ziehen, und da lassen Sie uns in der Zukunft ganz kräftig gemeinsam mitziehen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS, und Gabriele Meˇsˇt’an, Die Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Müller.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Brodkorb von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Herr Dr. Born, ich erlaube mir noch einmal, das Wort zu ergreifen, weil man aufgrund Ihrer Rede durchaus den Eindruck gewinnen konnte, als ob die CDU-Fraktion für die Verteidigung des Föderalismus stehen würde und als ob die regierungstragenden Fraktionen und der Ministerpräsident nach einem Zentralstaat rufen würden.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, das klang so. Ja, richtig.)

Gut, wenn das Ihre Position ist, dann möchte ich in der Tat den Versuch machen, aus dem Bereich Bildung an einem einzigen Beispiel aufzuzeigen, was die Überzeugung der beiden Koalitionsfraktionen und auch des Ministerpräsidenten ist. Es geht nicht um ein Auseinanderdividieren von zentralstaatlichen und föderalen Kompetenzen, sondern es geht gerade um eine sachgerechte Verknüpfung beider.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Dr. Armin Jäger, CDU: Und was sagt uns das?)

Das meines Erachtens einleuchtende Beispiel dafür ist das Thema Abitur. Ob Sie in Bayern eins und eins zusammenrechnen oder in Mecklenburg-Vorpommern, es kommt immer zwei heraus. Das heißt,...

(Beifall und Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS: Sollte zumindest.)

Daran ändert auch der Föderalismus nichts.

(Zurufe von Egbert Liskow, CDU, und Barbara Borchardt, Die Linkspartei.PDS)

Das heißt, es spricht sehr viel dafür, bei Bildungsabschlüssen wie dem Abitur zu zentralen Standards zu kommen,

(Heike Polzin, SPD: Genau, genau. – Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, ja.)

einfach deshalb, weil Wahrheit und Wissen nicht von den Ländergrenzen abhängig sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Und zweitens würden sie für die Kinder und Jugendlichen dieses Landes einen großen Schritt erreichen, weil sie sich nicht mehr die Frage stellen müssen, ob ihr Abitur beispielsweise in Bayern anerkannt wird. Wenn alle Jugendlichen dieser Bundesrepublik Deutschland dasselbe Kernabitur schreiben, dann wird es auch in allen Ländern anerkannt sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Dr. Armin Jäger, CDU: Dann müssen wir aber auch die Schulstruktur wie in Bayern haben. – Zuruf von Frank Ronald Lohse, SPD)

Das würde ich für die Kinder und Jugendlichen dieses Landes gut finden. Damit hätten wir die zentralstaatliche Funktion definiert im Bereich Abitur/Bildung. Was wäre jetzt die Aufgabe der Länder? Auch das ist relativ einfach zu erklären. Das Ziel sollte durch nationale Bildungsstandards zentral bestimmt werden. Der Weg dorthin, mit welchem Schulsystem, mit welcher Lehrerausbildung, mit welchen Qualitätsstandards, ist Aufgabe der einzelnen Länder und dort können Sie meines Erachtens auch gut und gern in Wettbewerb zueinander treten,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Genau da liegt das Problem.)

wer das beste Schulsystem hat. Letztlich müssen sich bei einem nationalen Bildungsstandard alle Länder an demselben Maßstab messen, nämlich einem Zentralabitur, und insofern wäre das auch vergleichbar. Also, meine Damen und Herren, ich denke, dass es an diesem Beispiel besonders deutlich wird, wie sinnvoll man zentralstaatliche und föderale Strukturen miteinander kombinieren kann, und zwar zum Wohle der Menschen in diesem Land. Und deswegen denke ich, dass der Ministerpräsident gut daran tut, weiterhin für entsprechende Änderungen auf Bundesebene einzutreten.

Und, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, ich kann mir eine Abschlussbemerkung nicht verkneifen. Wenn ich die letzten Jahre aufmerksam gewesen bin, dann haben Sie sehr häufig dem Ministerpräsidenten dieses Landes vorgeworfen, dass er nicht laut genug in der Öffentlichkeit Partei ergreift für die Interessen dieses Landes. Jetzt, wo er es tut, verlangen Sie das Gegenteil von ihm.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Ja, so ist das eben. – Zuruf von Andreas Bluhm, Die Linkspartei.PDS)