Protokoll der Sitzung vom 15.09.2010

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

für ein friedliches Europa einsetzt.

(Irene Müller, DIE LINKE: Mit Kriegseinsätzen, toll!)

Wir müssen uns genau an dieser Stelle die Veränderungen der letzten 20 Jahre vor Augen führen. Wir können auch ganz einfache Beispiele der Tagesgeschichte heranziehen. Nehmen wir doch das Thema Sarrazin. Ein Mann wie Herr Sarrazin, wenn er überhaupt die Möglichkeit gehabt hätte, ein Buch zu schreiben in der DDR, wäre für die Äußerung seiner persönlichen Auffassung eingesperrt worden.

(Udo Pastörs, NPD: Hier wird er nur rausgeschmissen. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Heute – in einer Demokratie – haben wir die Möglichkeit, dass die Menschen selber entscheiden, ob sie so ein Buch kaufen. Und wir haben demokratische Parteien

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

wie die Sozialdemokratie, die in der Lage ist, sich in einem demokratischen Prozess nicht mit dem Wegsperren eines anderen Meinungsbildes, sondern in einem demokratischen Prozess damit auseinanderzusetzen.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Reine Hypothese. – Irene Müller, DIE LINKE: Ich dachte schon, die FDP will ihn aufnehmen.)

Wir haben aber auch erkennen müssen, dass ganz bestimmte Dinge, die wir aus unserer Biografie der DDRGeschichte mitgenommen haben, sich anders entwickelt haben, als wir es uns eigentlich 1989/1990 vorgestellt haben. Und da, meine Damen und Herren, bin ich beim Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“.

Das Wichtigste für uns alle ist es, dass wir die Familie als Kern unseres Lebens hier in Mecklenburg-Vorpommern und auch in der Bundesrepublik Deutschland sehen. All unsere Anstrengungen müssen darauf abzielen, dass wir Familienleben in allen Bereichen so ermöglichen, dass jeder individuell nach seinen Möglichkeiten und nach seinen Vorstellungen sein Leben gestalten kann.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

Ich selber habe es aus meiner eigenen Biografie heraus nicht bedauert, dass ich bis 1990 sehr viel Zeit mit meinen Kindern verbringen konnte. Ich habe in der DDR die Möglichkeit gehabt, mich ganz individuell persönlich um die Kinder zu kümmern. Ich habe mich 1990 entschieden, Unternehmer zu werden. Ich habe selber entschieden, einen anderen, einen neuen, einen veränderten Lebensweg zu gehen.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Im Nachhinein bedauere ich es sehr, dass ich in den ersten Jahren viel Zeit womöglich für die Familie in einem anderen Bereich dazugewonnen habe, aber auch viel Zeit für meine Kinder verloren habe. Und wenn wir das als unseren Ansatz nehmen, dass wir den Menschen die Möglichkeit geben wollen, frei über ihre Biografie zu entscheiden, dass wir ihnen die Möglichkeit geben wollen, durch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sich ihren Kindern zuzuwenden, dann bekommen wir im Dialog in den Familien eine gerechte Gesellschaft hier in Mecklenburg-Vorpommern etabliert, dauerhaft und mit einer großen Zufriedenheit. Mit Ängsteschüren, den Menschen einreden, sie seien nur Bürger zweiter Klasse,

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

sie seien ein geklonter Nachbau eines Westbürgers, kommen wir an diesem Thema kein Stück weiter. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Roolf.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Timm für die Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „20 Jahre Einigkeit und Recht und Freiheit in Mecklenburg-Vorpommern – Selbstbewusst die Vergangenheit sehen und die Zukunft gestalten“ – Vergangenheit: Wo kommen wir her? Wie habe ich es erlebt? Freiheit, heißt es im Titel der „Aktuellen Stunde“. Freiheit wäre für mich jetzt auch, diesen Vortrag auf Plattdeutsch zu halten.

(Udo Pastörs, NPD: Das wäre ja mal schön. – Zuruf von Michael Roolf, FDP)

Das mache ich heute nicht, weil mir das Thema viel zu wichtig ist, um sicher zu sein, dass das, was ich sage, alle verstehen.

Am 20. Oktober 1945 wurden meine Mutter und ich aus dem Flüchtlingslager Büdelsdorf bei Rendsburg nach 222 Tagen Flucht von Hinterpommern nach Vorpommern über Dänemark, Schleswig-Holstein, Mecklenburg nach Klein Behnkenhagen in Vorpommern vertrieben. Einigkeit und Recht und Freiheit waren für uns damals ganz weit. Wir sangen nun: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“. Die Zukunft war dann zunächst einmal die DDR, in der ich den real existierenden Sozialismus früh spüren durfte. In meinen vielen Beurteilungen aus Schule, Ausbildung, Studium heißt es immer wieder: „Timm wird eine gute Ausbildung bestätigt. Er ist gründlich und zielstrebig. Er beteiligt sich sehr rege an Diskussionen, hat aber ein sehr stark entwickeltes Selbstbewusstsein.“

(Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

„Timm konnte schon zwei Jahre nach seinem Ingenieurexamen mit schwierigsten Aufgaben betraut werden. Gesellschaftlich blieb er aber hinter den Erwartungen der damals führenden Partei zurück. Timm ist als Bauleiter hervorragend, aber auch zu eigenmächtig.“

(Irene Müller, DIE LINKE: Das ist schlecht.)

Selbstständig nannte man das manchmal auch.

„Er fasst hervorragend auf und ist oft selbstbewusst und selbstständig. Er setzt sein fachliches Wissen nicht in

gleichem Maße in seiner Beteiligung am gesellschaftlichen Leben“ – darunter verstanden wir sozialistisches Leben – „ein. Timm beurteilt Fragen der Erziehung der Kinder, seiner Kinder, sehr kritisch. Timm leitet aber mit Konsequenz, er ist verantwortungsbewusst, termingetreu und liefert Qualität und Zielstrebigkeit, hohe Einsatzbereitschaft und Selbstbewusstsein, genießt Achtung und Anerkennung.“

(Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

„Seine Parteilosigkeit lässt die Heranbildung von Nachwuchskadern nur ungenügend zu“, weil sie nicht sozialistisch sortiert war.

(allgemeine Unruhe)

Liebe Kollegen, und genau das wollte ich nicht, nicht im Sinne der Partei, der SED.

Zum 80. Geburtstag meines Vaters, der seit 1985 im Westen lebte, durfte ich 1987 nach Valmünster in Schleswig-Holstein fahren. Damit fertigzuwerden, war nicht einfach. Die Rückfahrt und die Grenzkontrolle waren die schlimmste Erniedrigung, die ich in meinem Leben ertragen musste.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Die drei Begriffe „Einigkeit und Recht und Freiheit“ hatten eine ganz neue Dimension in mir erzeugt. Für mich stellte sich immer öfter die Frage: Wie lange noch?

1989 war auch für mich das Jahr des Aufbruchs. Ich war damals im Hauptprojektamt auf Rügen und stand einem technischen Ingenieurkollektiv der sozialistischen Arbeit von 60 Mitarbeitern vor.

(Dr. Marianne Linke, DIE LINKE: Ui!)

Einige meiner Mitarbeiter und ich selbst nahmen an der ersten Friedensandacht in der Bergener Marienkirche am 30. Oktober teil. Ich konnte von meinem Platz aus in den vorderen Linksreihen den Kirchenraum sehr gut beobachten, wer in die Kirche kam, wie man sich umschaute. Wer ist denn noch hier? Ist mein Nachbar auch gekommen? Wie hat sich wer beim Gebet verhalten? Wie sind die sehr behutsamen und einfühlsamen Worte der Pastorin aufgenommen worden? Einige Kirchenbesucher meldeten sich zu Wort. Missstände wurden angeprangert, Funktionäre des Kreises in die Kritik genommen. Man machte sich Luft, teils unsicher und unbeholfen, teils gekonnt, teils provozierend. Dazu immer wieder die Ermahnung der Pastorin, nicht zu verletzen, nicht zu beschuldigen, nicht zu provozieren.

Auch ich habe mich an diesem Abend zu Wort gemeldet und mit kräftiger Stimme zur Situation gesprochen und die Besucher ermuntert, sich einzumischen, ihre Meinung zu sagen und sich in die Protestbewegung mit einzubringen.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Am nächsten Tag hat mich der Bergener Superintendent angerufen und gefragt, ob ich das Vorbereitungskomitee für die Montagsandachten verstärken könnte. Das wollte ich und sagte zu. Jetzt konnte ich anfangen, politisch zu gestalten, jeden Donnerstag, jeden Montag, jeden Tag. Diese Zeit damals ging rasend schnell vorbei. Bei uns auf Rügen gründeten sich im November/Dezember 1989 das Neue Forum, die SPD und der Demokratische Aufbruch.

(Udo Pastörs, NPD: Die sind alle ausgebotet worden.)

Zu den Gründungsmitgliedern des Demokratischen Aufbruchs gehörten Günter Lau und ich als Vertreter der Insel Rügen. Wir hatten im Januar 1990 rund 250 Mitglieder auf Rügen.

Für die Wahl zur ersten freien Volkskammer der DDR im März 1990 entstand aus CDU, DSU und DA das Wahlbündnis „Allianz für Deutschland“. Am 14. Oktober 1990 folgten die Landtagswahlen, am 2. Dezember 1990 die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen. Heute – 20 Jahre später – sieht, wer mit of fenen Augen durch unser Land geht, dass aus der grauen DDR blühende Landschaften geworden sind,

(Michael Andrejewski, NPD: Ohne Menschen.)

dass auch gebückte Menschen aufrechte und selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger wurden. In 20 Jahren haben wir in Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam viel erreicht.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Natürlich gibt es noch viele Probleme, auch diese sind lösbar. Vergangenheit bewältigen, Zukunft mit allen Menschen sozial, ökologisch und ökonomisch gestalten – lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten!

(Michael Andrejewski, NPD: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.)