Protokoll der Sitzung vom 16.09.2010

Die Krankenkassen sollen also zukünftig Zusatzbeiträge erheben können, die der Höhe nach nicht mehr begrenzt werden. Hinzu kommt, dass der allgemeine Beitrag zum 1. Januar 2011 ohnehin schon auf 15,5 Prozent des Bruttomonatseinkommens steigen soll. Arbeitnehmer müssen dann 8,2 Prozent des Gehaltes abführen und die Arbeitgeber 7,3 Prozent, wobei – das kommt auch noch hinzu – der Arbeitgeberanteil bei diesem Prozentsatz dann festgeschrieben werden soll. Das bedeutet also, dass die Arbeitnehmerbeiträge durchaus steigen können, während der Arbeitgeberbeitragssatz unverändert bleiben soll.

Das ist die Sozialpolitik nach FDP-Manier. Die FDP verkündet stolz, dass die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten entkoppelt werden. Steht nicht unter anderem im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien, dass krisenbedingte Einnahmeausfälle nicht alleine dem Versicherten aufgebürgt werden dürfen sowie Beitrag und Leistung in einem adäquaten Verhältnis stehen müssen? Und Ihre Gesundheitspolitik ist doch eine Krise am laufenden Band.

(Angelika Peters, SPD: Wo ist denn die FDP überhaupt?)

Wie sieht aber die Wirklichkeit aus? „Koalition gibt Kassen Lizenz zum Abkassieren“, schrieb beispielsweise „Der Spiegel“ am 6. Juli.

Mit unserem Antrag „Ausbeutung des Volkes beenden“ haben wir von der NPD-Fraktion Ihnen bereits im April aufgezeigt, welche notwendigen Schritte im Gesundheitswesen einzuleiten sind, damit das Gesundheitssystem sozial gerecht ausgerichtet ist. In diesem Zusammenhang wurde in den letzten Monaten deutlich, dass auch Sie nicht mehr an einem grundlegenden Systemwechsel im Gesundheitsbereich vorbeikommen. Sie haben unsere Sozialversicherungssysteme in nur 60 Jahren zugrunde gerichtet, indem Sie unter anderem Beitragsgelder zweckentfremdet haben.

Aber betrachten wir uns einmal einige Krankheiten des Gesundheitswesens: So sind die Medikamente in Deutschland teils mehr als 500 Prozent, also mehr als das Fünffache teurer als in anderen europäischen Ländern. Vor dem Hintergrund, dass die Krankenkassen im Jahre 2009 mehr als 32 Milliarden Euro für Arzneien aufgewendet haben, ist Gesundheitspolitik der rot-schwarzen und der schwarz-gelben Bundesregierung ein absoluter Skandal.

Die Hilflosigkeit und offensichtliche Hörigkeit der politischen Klasse gegen die Lobbyverbände im Gesundheitswesen ist zugleich ein Beleg für den Chaosbetrieb Bundestag. Dass die schwarz-gelbe Koalition bei der Ausgestaltung des Sparpakets für die Pharmahersteller offenkundig von der Pharmaindustrie abgeschrie

ben hat, ist doch nur die Spitze des Eisberges. Unser Land benötigt dringend einen radikalen Wechsel in der Gesundheitspolitik. Erst wenn der Mensch und die Gesunderhaltung sowie die Gesundung im Mittelpunkt aller Handlungen steht sowie der Einfluss beziehungsweise die beherrschende Stellung der Lobbyverbände stark zurückgedrängt beziehungsweise beendet wird, kann wieder von einer Gesundheitspolitik zum Wohle der Versicherten gesprochen werden. Erst dann ist soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen möglich.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Koplin von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Um auf den letzten Redebeitrag einzugehen, will ich schon sagen, dass, wenn von „Volkskörper“ die Rede ist, es mir kalt den Rücken herunterläuft,

(Stefan Köster, NPD: Beim Spitzel kann ich es mir auch denken. – Zurufe von Michael Andrejewski, NPD, und Udo Pastörs, NPD)

denn diese Philosophie des Volkskörpers ist ja eine Philosophie der Vermassung, der Nivellierung von Individualität, und wir stehen für Selbstbestimmung, Individualität und Freiheit, Herr Köster.

(Stefan Köster, NPD: Individualität, Sie reden von Individualität, als Spitzel! Sie haben andere Menschen ausgehorcht und an die Staatssicherheit weitergegeben.)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte gerne anknüpfen an den Beitrag von Frau Dr. Linke

(Unruhe bei Barbara Borchardt, DIE LINKE, und Stefan Köster, NPD – Glocke des Vizepräsidenten)

und Sie wissen aus diesem Redebeitrag, aber nicht erst seit heute, dass DIE LINKE für ein solidarisches Gesundheitssystem steht, für ein sozial gerechtes Gesundheitssystem und für eine zuzahlungsfreie, qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung.

Der Weg, den die Bundesregierung geht, beziehungsweise Herr Grabow gehen will, ist genau gegenteilig. Vor einigen Tagen hat Professor Dr. Wasem einen Vortrag gehalten in Groß Breesen vor dem Serahner Kreis –

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Herr Glawe und Herr Rose, wir haben gehofft, Sie kommen noch dazu – und er hat sehr interessant ausgeführt, dass die Politik der FDP oder, besser gesagt, die Politik des FDP-geführten Gesundheitsministeriums eine, so wörtlich, „systemsprengende Kraft“ hat.

Im Juni, Herr Grabow, sind ja die Eckpunkte zu diesem Gesetzentwurf bereits veröffentlicht worden und es ist Augenauswischerei zu meinen, wenn der Gesetzentwurf beschlossen ist, werden wir mal sehen, was dann geschehen ist. Das ist, denke ich, überhaupt nicht angebracht, denn mit den Eckpunkten ist konzipiert worden, was sich jetzt im Entwurf wiederfindet, ist also eine Linie geführt worden. Und die zentralen Ziele, die in dieser Linienführung enthalten sind, allein die werden ja nicht einmal realisiert. Das ist absehbar. Ich werde das an drei Punkten beweisen:

Erstens sagen die Koalitionäre auf Bundesebene, wir werden die Ausgaben stabilisieren. Ist dem so? Nein, antworten wir seitens der LINKEN. Denn die dem Bundesministerium vorliegenden Zahlen besagen – ich habe die, wer da Einsicht nehmen möchte, am Platz, ist ganz interessant –, die Ausgaben werden in diesem Jahr voraussichtlich 173,4 Milliarden Euro betragen, 2015 207,9 Milliarden Euro und im Jahr 2020 sage und schreibe 253 Milliarden Euro. Also von Ausgabenstabilisierung kann da nicht die Rede sein. Das ist auch nicht der Punkt, davon mal abgesehen.

Zweitens. Wir werden, sagen die Koalitionäre auf Bundesebene, die Finanzierungsgrundlagen stärken. Die dem Bundesministerium vorliegenden Zahlen besagen, die Deckungslücke zwischen den besagten Ausgaben und den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds wird sich aber weiter vergrößern. 2010 ist von einer Deckungslücke von 3,1 Milliarden Euro auszugehen, 2015 von 18,6 Milliarden Euro und 2020 von 45,4 Milliarden Euro.

Drittens. Wir werden den Sozialausgleich gerecht gestalten, sagen die Koalitionäre in Berlin. Und um die Deckungslücke zu schließen, wollen sie den Beitragssatz anheben und den Zusatzbeitrag ausdehnen. Bezogen auf jeden Versicherten im Land, in der Bundesrepublik, beträgt er bereits jetzt – und wir wissen, nicht alle Kassen erheben diesen Zusatzbeitrag – 5 Euro. Er wird voraussichtlich 2015 nach vorliegenden Schätzungen, und die sind sehr solide und sehr belastbar, 30,3 Euro betragen und 2020 73,80 Euro.

Das heißt, Herr Rühs, aus einer kleinen Kopfpauschale – oder Zusatzbeitrag korrekterweise – wird ein großer Zusatzbeitrag, so groß, dass Herr Grabow sagt, man solle erst mal sehen, wie der Sozialausgleich dann funktioniert, und solle das würdigen. Dieser Sozialausgleich, der da angeschoben werden soll, den die Arbeitgeber und die Rentenversicherung dann letztendlich zu bewerkstelligen haben, der wiederum ist so bürokratisch monströs, dass er letztendlich keine Effekte zeigen wird.

Eine Deckelung der Zusatzbeiträge bei zwei Prozent wird es nicht bringen. Jetzt ist es doch schon so, dass wir es mit einer Entsolidarisierung per Gesetz zu tun haben. Wer bis zu 3.750 Euro brutto hat, zahlt 7,9 Prozent Beitrag zurzeit, wer 7.000 Euro brutto hat, nur 4,1 Prozent und wer 10.000 Euro hat, 2,9 Prozent. Also die, die viel haben, werden durch die jetzige Systematik und auch zukünftig belohnt.

Was sind die Alternativen aus Sicht der LINKEN?

1. Wir wollen eine solidarische Bürgerversicherung, in der alle Mitglied werden, auch Politikerinnen und Politiker,

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Beamte, Selbstständige und bisher Privatversicherte, Herr Glawe.

2. Wir wollen, dass alle nach ihrer Leistungsfähigkeit in diese solidarische Bürgerversicherung einzahlen. Die Solidarität darf nicht weiter bei einem Einkommen von derzeit 3.750 Euro haltmachen. Damit würde jeder Mensch prozentual das Gleiche einzahlen. Das ist, meinen wir, gerecht.

3. In die solidarische Bürgerversicherung werden alle Einkommensarten einbezogen – Löhne, Gehälter, Einkommen von Selbstständigen, Honorare, Mieten,

Pachten, Kapitalerträge. Damit wird die Finanzierung des Gesundheitswesens an die Entwicklung der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung gekoppelt und nicht allein an die Lohnsummenentwicklung.

4. In der solidarischen Bürgerversicherung wird die paritätische Finanzierung wieder hergestellt. Die sogenannten Arbeitgeber tragen die Hälfte des Krankenversicherungsbeitrages und die Beschäftigten die andere Hälfte.

5. Die solidarische Bürgerversicherung wird fl ankiert von Gesundheitsförderung und Prävention, was als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden wird.

6. Eine solidarische Bürgerversicherung wird ohne Praxisgebühr, Zuzahlung für Krankenhausaufenthalte, Arzneimittel und Therapien auskommen. So entfällt die Gefahr, dass viele, vor allem Geringverdienerinnen und Geringverdiener, notwendige Inanspruchnahmen medizinischer Leistungen hinauszögern.

7. Mit einer solidarischen Bürgerversicherung wird es eine qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung auf der Basis einer Positivliste in Verbindung mit einer Kosten-Nutzen-Bewertung geben, die verbindlich ist. So wird sichergestellt, dass nur Präparate verordnet werden, die nach aktuellem Stand des Wissens sinnvoll sind.

Das sind unsere Alternativen, die wollte ich Ihnen gern ans Herz legen. Der Antrag enthebt sich nicht seiner selbst, wenn die Ministerin sagt, also wir machen das, aus zwei Gründen, Frau Ministerin, denn es geht nicht, Sie können aus diesem Antrag und der Begründung nicht entnehmen, dass wir Ihre Arbeit oder die Arbeit der Landesregierung kritisieren und meinen, Sie hätten nichts getan. Auf bundespolitischer Ebene und landespolitischer Ebene wird sehr wohl verfolgt, was getan wird und was nicht. Der erste Punkt unseres Antrages zielt auf eine Positionierung des Landtages ab, der zweite Punkt ist eine Willensbekundung und beides liegt in der Souveränität des Parlaments. Und wer Demokratie ernst nimmt, der muss selbstverständlich das Parlament – also wir uns selber – ernst nehmen. Bitte stimmen Sie diesem Antrag zu. – Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist doch ein Witz, Herr Koplin.)

Um das Wort hat jetzt noch einmal gebeten der Abgeordnete Herr Heydorn von der Fraktion der SPD. Herr Heydorn, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Mein Beitrag war eigentlich gar nicht vorgesehen, aber ich musste hier Ausführungen zur Kenntnis nehmen, die doch einige Fragen aufwerfen.

Ich habe sowohl von dem Redner der FDP als auch von dem Redner der CDU vernommen, dass bisher nur ein Referentenentwurf vorliegt und man sich Mühe gibt, das alles besonders runterzukochen, zu sagen, ja, das ist ja alles noch nicht entschieden und es kann ja noch ganz anders kommen. Es ist ja immer so, dass bis zuletzt noch gearbeitet wird. Aber es wäre spannend gewesen zu erfahren, welchen Einfluss Sie darauf nehmen, dass noch was verändert wird, dass es zu mehr sozialer Gerechtigkeit auch im Gesundheitswesen kommt oder zumindest es so weit dabei bleibt. Solche Ausführungen haben Sie nicht gemacht und damit kann man ja

eigentlich davon ausgehen, dass das, was auf der Bundesebene jetzt vorgesehen ist, zumindest von CDU und FDP, in diesem Hause so mitgetragen wird, und es wäre doch schön gewesen, wenn Sie sich dazu auch bekannt hätten.

Und eins ist auch noch klarzustellen: Ich kann mich an die FDP noch gut erinnern vor der letzten Bundestagswahl, da haben sie zur Gesundheitspolitik gesagt, der Gesundheitsfonds, das ist das Erste, was wir abwickeln.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Das war ein derartig kardinaler Fehler, so ein Mist muss weg. Das waren die Ausführungen der FDP. Heute ist der Gesundheitsfonds zum Kernstück der FDP-Gesundheitspolitik geworden.

(Heinz Müller, SPD: Schau an! – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Schau! Schau!)

Insofern verstehe ich Herrn Grabow überhaupt nicht, was er an der Stelle kritisiert.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist offensichtlich an Herrn Grabow vorbeigelaufen.)

Auch dazu wäre ja vielleicht noch mal ein Hinweis erforderlich,

(Zuruf von Ralf Grabow, FDP)