Protokoll der Sitzung vom 16.09.2010

Hinter dem Konzept Chipkarte steckt nun alles andere als der Wunsch nach anregungsreichen Bildungsmaßnahmen, alles andere als eine adäquate Umsetzung der Verfassungsgerichtsentscheidung, nämlich allen Kindern den Zugang zu Bildung und damit zu den Bildungseinrichtungen, zu einer aktiven Aneignung von Bildung zu eröffnen, dem kleinen, sehr kleinen Kind, also auch dem Säugling, die haben nämlich die Verfassungsrichter nicht ausgenommen. Und ich finde die Vorstellung sehr spannend, dass ein Säugling dann per Chipkarte Kleinkindbildung erlangt. Aber egal, das können Sie mir nachher alles erklären, wie Sie das sehen.

(Zuruf von Hans Kreher, FDP)

Eine adäquate Umsetzung der Verfassungsgerichtsentscheidung, nämlich allen Kindern den Zugang zu Bildung zu eröffnen, also dem sehr kleinen ebenso wie dem größeren Kind, wird auf diese Weise sicher nicht gelingen.

(Zuruf von Beate Schlupp, CDU)

Frau von der Leyen hat ja kürzlich zugestimmt, dass in ihrem Ressort – und darüber wird ja heute im Bundestag befunden – unten anderem 400 Millionen Euro an Sozialleistungen gekürzt werden, indem Hartz-IV-Leistungsbezieher kein Elterngeld mehr erhalten werden. Sie will jetzt davon 340 Millionen Euro wieder den Hartz-IV-Leistungsbeziehern im Rahmen der Chipkarte zur Verfügung stellen. Ein Großteil dieses Geldes wird wohl erst einmal bei den Herstellern von Karten- und Lesegeräten beziehungsweise …

(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU und FDP – Egbert Liskow, CDU: Die alte Leier. – Hans Kreher, FDP: Keine Ahnung! Keine Ahnung! Keine Ahnung!)

Ja, die FDP will das natürlich unterstützen, dass das freie Unternehmertum gefördert wird. Das ist okay, das können Sie auch gern machen.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Wir sehen jetzt einfach hier eine Umverteilung des Geldes in Richtung derjenigen,

(Zuruf von Hans Kreher, FDP)

die also Hersteller von Karten- und Lesegeräten sind, beziehungsweise auch in Richtung der Kommunen, die natürlich einen erhöhten Verwaltungsaufwand abdecken müssen.

(Zuruf von Beate Schlupp, CDU)

Wir wissen, die Infrastruktur für eine anregungsreiche Freizeitgestaltung, die vielleicht auch per Chipkarte genutzt werden könnte, so, wie es ja einige Kommunen auch anbieten, ist bestenfalls in den kreisfreien Städten unseres Landes vorhanden. Stuttgart ist nicht Anklam, ist nicht Pasewalk.

(Egbert Liskow, CDU: Tolle Erkenntnis!)

Also eine wirkliche Förderung für Kinder aus sozial benachteiligten Familien wird es nur am jeweiligen Kita- oder Schulstandort in enger Kooperation zwischen den Schulen und den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe geben.

(Beate Schlupp, CDU: Und wo bleiben die Eltern, Frau Dr. Linke? Wollen Sie die gleich auch noch abschaffen?)

Dazu bedarf es, meine sehr verehrte Kollegin Schlupp, keiner Chipkarten, dazu bedarf es keiner Gutscheine, dazu bedarf es Lösungen, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes ebenso Rechnung tragen wie den unterschiedlichen Bedarfen der Kinder, die natürlich mithilfe ihrer Eltern umgesetzt werden. Denn die Eltern, und da haben Sie ja völlig recht, Frau Schlupp, die wollen, dass ihre Kinder gute Bildung erhalten. Und die sehen sich beeinträchtigt durch diese geringen und nicht bedarfsgerechten Regelsätze des Bundes.

(Egbert Liskow, CDU: Kennen Sie alle Eltern? – Beate Schlupp, CDU: Wollen Sie das bestimmen?)

Unsere Fraktion ist sehr dafür, dass es hier eine Veränderung gibt. Dazu, wie gesagt, um Kindern den Zugang zu ermöglichen, bedarf es Hilfen, die zielgenau gewährt werden, die den Verwaltungsaufwand so gering wie möglich halten, die an vorhandenen Strukturen und Potenzialen vor Ort anknüpfen, die also den Eltern und ihren Kindern eine echte Hilfe sind.

Eine wirkliche Förderung der Kinder, eine konsequente, kinderfreundliche Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes braucht also neben bedarfsgerechten Regelsätzen ein enges Netz von Kita, Schule und Freizeiteinrichtungen mit gut bezahlten, hoch motivierten Erzieherinnen und Erziehern und Lehrerinnen und Lehrern, die in den Kitas und in den Schulen auch am Nachmittag ihre Schüler fördern mit Nachhilfeunterricht oder in Arbeitsgemeinschaften, die in Jugendzentren den Kindern eine anregungsreiche, strukturierte Freizeitgestaltung ermöglichen,

(Udo Pastörs, NPD: Manche Eltern brauchen das auch.)

bei der sie selbst ihre Talente entdecken und entwickeln können.

(Udo Pastörs, NPD: Schule für Eltern.)

Bildung, Kultur, Lernen ist ein Geben und Nehmen. Das sollen und wollen unsere Kinder von klein auf lernen und später als Erwachsene weitergeben. Kinder verdienen mehr als eine Chipkarte. Ich bitte Sie, stimmen Sie diesem Antrag zu, stimmen Sie dem Antrag meiner Fraktion zu! Die Landesregierung möge sich kurzfristig über die Jugendministerkonferenz, über den Bundesrat für die wortgetreue – und darauf legen wir Wert –, für die wortgetreue Umsetzung der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung einsetzen. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Michael Andrejewski, NPD: Na, machen sie doch!)

Vielen Dank, Frau Dr. Linke.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst die Sozialministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Frau Schwesig.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Sehr geehrte Abgeordnete Frau Linke, ich kann es vorwegnehmen: Die Landesregierung setzt sich und wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass das Bundesverfassungsgerichtsurteil so umgesetzt wird, dass es zu verfassungsgerechten Regelsätzen kommt. Denn es muss unser aller gemeinsames Ziel sein, dass man natürlich in so einer wichtigen Frage „Sicherung des Existenzminimums für Kinder und aber auch für Erwachsene“ nicht noch mal vor dem Verfassungsgericht scheitert. Ich habe auch bisher wahrgenommen, dass es, sage ich mal, eine klare Meinung der demokratischen Fraktionen hier im Landtag ist,

(Egbert Liskow, CDU: Das ist auch im Bund die Meinung.)

denn wir haben ja mehrfach über diese Thema hier im Landtag debattiert. Ich habe es vorhin schon erwähnt, und wir hatten zum Beispiel einen Beschluss auf Antrag der Regierungsfraktionen im Januar 2008, wo die Landesregierung aufgefordert worden ist,

(Irene Müller, DIE LINKE: Auf den gehe ich dann gleich ein.)

mit einer Bundesratsinitiative des Landes dafür zu sorgen, dass die Regelleistungen für Kinder neu berechnet und dem tatsächlichen Bedarf der Kinder und Jugendlichen angepasst werden. Dieser Aufforderung ist die Landesregierung im Bundesrat auch nachgekommen.

Über die Arbeits- und Sozialministerkonferenz haben Herr Erwin Sellering, als damaliger Sozialminister, und ich in der Nachfolge immer wieder gefordert, in einem transparenten Verfahren den tatsächlichen Bedarf von Erwachsenen und Kindern nachvollziehbar und sachgerecht zu ermitteln. Und der Bund ist jetzt spätestens seit dem Verfassungsgerichtsurteil im Februar dieses Jahres in der Pflicht, die Zahlen zu analysieren und den Regelsatz …

(Beate Schlupp, CDU: Liegen die Zahlen denn schon vor?)

Frau Schlupp, lassen Sie mich das doch berichten. Ich kann ehrlich gesagt Ihre Aufregung nicht verstehen. Das, was ich hier vortrage,

(Egbert Liskow, CDU: Das ist doch nur eine Frage. – Beate Schlupp, CDU: Nur eine Frage.)

ist das, was wir umsetzen auf Basis der Beschlüsse, die im Landtag gefasst worden sind, auch mit Zustimmung Ihrer Fraktion. Und bevor Herr Seidel, Herr Bildungsminister Tesch und ich zum Kamingespräch zu Bundesministerin von der Leyen gefahren sind,

(Udo Pastörs, NPD: Kamingespräch!)

um über die einzelnen Themen zu reden, haben wir uns abgestimmt. Ich sehe es nicht so, dass es da so viele Differenzen gibt.

Die Zahlen liegen leider noch nicht vor, weil Frau von der Leyen bisher diese Zahlen noch nicht vorgelegt hat, obwohl alle 16 Bundesländer, also parteiübergreifend, egal welche Farbe die Regierung hat, alle 16 Bundesländer seit Februar mehrfach die Einbindung fordern. Denn das Bundesverfassungsgericht hat ja gesagt, transparente Ermittlung. Und die Transparenz fängt da an, wo man dem Bundesamt für Statistik sagt, was überhaupt das Statistische Bundesamt uns vorlegen soll, welche Einkommensgruppen zum Beispiel. Will man die unteren Einkommensgruppen nehmen? Sollen in den Einkommensgruppen die Aufstocker drin sein? Will man mittlere nehmen? Sollen es Familien sein mit Kindern oder ohne? Das sind alles Einzelfragen, die hat der Bund leider nicht mit uns verabredet.

(Hans Kreher, FDP: Na, da war ja auch keine SPD mit drin. Da waren keine Vorarbeiter.)

Die Sozialministerkonferenz hat 16:0, Herr Kreher, also auch unter FDP-Beteiligung – ich will nur mal sagen, es ist gar kein Parteienstreit zwischen den Ländern dabei –, mehrfach die Einbindung gefordert, die nicht gekommen ist. Und sie kam auch in dem Kamingespräch, denn wir wurden erst ein halbes Jahr danach eingeladen. Erst da hat Frau von der Leyen mit uns gesprochen. Sie hatte die Bundesfamilienministerin nicht dabei, dabei geht es um so viel Familienpolitik, die sich darüber dann auch beschwert hat. Also erst ein halbes Jahr später hat sie mit uns gesprochen, und da gab es die Zahlen auch noch nicht. Und bis heute liegen diese Zahlen nicht vor.

(Hans Kreher, FDP: Die Vorarbeit im Ministerium war auch schlecht.)

Das ist ja mein Werben. Wir brauchen ab 01.01.2011 die klaren Zahlen, ermittelt aus der Einkommensverbraucherstichprobe. So gibt es das Bundesverfassungsgerichtsurteil vor. Zwei Millionen Kinder in Deutschland wissen bis heute nicht, was sie ab 01.01.2011 erwartet.

Ich finde, wir haben vorhin genug über die Chipkarte diskutiert. Deswegen will ich jetzt nicht noch mal groß darauf einsteigen. Selbst Frau von der Leyen hat gesagt, diese Karte wird nicht ab 2011 kommen, wenn, dann kann man mal hier und da ein Modell probieren. Wobei wir uns im Kabinett verabredet haben, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern sich nicht zur Verfügung stellt. Sie hat selber gesagt, dass das höchstens 2012, 2013 kommen wird. Es ist jetzt auch nicht das Thema, die Chipkarte.

Bei der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils, was zum 01.01.2011 erfolgen muss, geht es wirklich erst einmal darum, was diese Stichprobe hergibt. Und da müssen wir uns verständigen, welche Einkommensgruppen sollen da rein. Unsere Position ist zum Beispiel, dass nicht die Aufstocker da hinein dürfen, denn die müssen ja derzeit von den verfassungswidrigen Sätzen leben, sondern dass man die unteren Einkommensgruppen nimmt, die nicht auf diese Sozialleistung angewiesen sind, dass man wirklich in diesen Bezugsgruppen Kinder hat. Um solche Detailfragen geht es dabei.

Wenn diese Zahlen vorliegen, und so hat es ja Frau von der Leyen selber gesagt, müssen wir uns verständigen, wie geht das an die Kinder. Und an dem Punkt gibt es eine Diskussion darüber: Soll alles Geldleistung sein,

inklusive der Bildungs- und Teilhabechancen, oder kann man hier auch auf Sachleistungen gehen? Frau von der Leyen – ich kann es hier berichten, weil es mir doch ein bisschen durcheinander zu gehen scheint – hat ja selbst gesagt, es gibt den Basissatz, also die Regelleistung. Da stellt sie sich vor, dass da zum Beispiel die Mobilität drin ist. Also hat sich der Nahverkehr schon erledigt. Insofern kommen hier ziemlich viele Sachen durcheinander. Das hat sie selber gesagt. Ich habe sie auch gefragt, ob mit der Karte der Zoo gemeint ist. Da hat sie auch Nein gesagt. Also insofern, weiß ich auch nicht so richtig, was auf die Karte soll. Aber sie sagt, der Basissatz, da ist der Grundregelbedarf für Kinder drin inklusive zum Beispiel Mobilität.