Protokoll der Sitzung vom 31.01.2007

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es vergeht wohl kein Tag in Deutschland, an dem die Europapolitik nicht im Zusammenhang mit der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte steht. Das ist gut so. Ich würde mir nur wünschen, dass es nicht nur von einer EU-Ratspräsidentschaft abhängig ist, sondern dass wir gemeinsam dafür Sorge tragen, dass das, was in der Europäischen Union geschieht, immer im Fokus der Öffentlichkeit steht.

Auch wir haben uns entschlossen, dieses Ereignis zum Anlass zu nehmen, um das Thema Europapolitik in diesem Hohen Hause auf die Tagesordnung setzen zu lassen. Und ich freue mich darüber, dass auch die Koalitionsfraktionen unserer Initiative gefolgt sind, dieses Thema ebenfalls auf die Tagesordnung zu setzen.

(Beifall Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS)

Allerdings bin ich etwas enttäuscht darüber, dass es uns eben nicht gelungen ist, trotz der sicherlich unterschiedlichen Auffassungen zu dem einen oder anderen Thema einen gemeinsamen Entschließungsantrag einzubringen. Das hat uns hier im Hohen Hause immer ausgezeichnet, dass wir uns gerade zu Europafragen gemeinsam verständigen trotz unserer Unterschiede.

(Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS: Das ist der neue Umgang.)

Die Deutsche Ratspräsidentschaft ist aber nicht allein der Grund, der uns Anlass gibt, uns diesem Thema zu widmen. Nein, genauso wichtig ist aus meiner Sicht das bevorstehende Jubiläum im März 2007. Ich spreche vom 50. Jahrestag des Abschlusses der Verträge von Rom. Am 25. März 1956 unterzeichneten die sechs Gründungsmitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande das entsprechende Gründungsdokument. Sie strebten damals im Rahmen der EWG vor allem eine Zollunion an. Vereinbart wurde das Ziel zur Schaffung eines integrierten Wirtschaftsraumes mit Freizügigkeit für Waren und Dienstleistungen, Personen und Kapital. Darüber hinaus waren im Vertrag eine gemeinsame Handels-, Wettbewerbs-, Verkehrs- und Agrarpolitik vereinbart. Zur gleichen Zeit wurde der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomenergiegemeinschaft Euratom geschlossen, der die Regeln bezüglich einer gemeinsamen Erforschung und zivilen Nutzung der Kernenergie festschrieb. Gründe genug, aus diesem Anlass das Erreichte zu analysieren, aber nicht nur das. Wichtiger ist es, einen Blick nach vorn, die Festlegung neuer Ziele, die Benennung von Problemen und die Festschreibung von Lösungsansätzen zu fi nden.

Bei allen Erfolgen, die die Europäische Union vorzuweisen hat, gibt es auch Misserfolge beziehungsweise Defi zite, die nicht zu ignorieren sind. Ausdruck dafür ist aus unserer Sicht auch das anspruchsvolle Programm der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Zu den Erfol

gen zählt selbstverständlich die Stärkung des Friedens in Eu ropa. Wir dürfen aber nicht ausblenden, dass es in Europa auch in den letzten Jahren einen Krieg gab. Ich denke dabei an den Krieg in Jugoslawien. Es ist gelungen, vor allem durch einen realistischen, politischen Interessenausgleich zwischen den Mitgliedsstaaten, den Frieden in Europa zu stärken.

Diesen erfolgreichen Weg fortzuführen, gerade auch angesichts der Entwicklung in der Welt, stellt an die Ratspräsidentschaft Deutschland hohe Anforderungen. Die Europäische Union – und das haben wir zur Kenntnis zu nehmen – ist den Bürgerinnen und Bürgern dennoch sehr fremd. Folgt man den Umfragen, so verbinden die Bürgerinnen und Bürger mehr Ängste als Chancen mit der weiteren Entwicklung der Europäischen Union. Und hier, meine Damen und Herren, tragen wir gemeinsam eine Verantwortung. Mit Europa verbinden viele Bürokratie, Sozialabbau, Demokratieverlust, Abbau von Standards, um nur einiges zu nennen.

Um es gleich vorwegzusagen, das liegt nicht allein an der Debatte zur europäischen Verfassung in einem klaren Nein meiner Partei zum vorliegenden Entwurf. Nein, es sind die Erfahrungen der Einzelnen mit der Entwicklung in der Europäischen Union. Ja, die Politik der Europäischen Union hat eben Auswirkungen auf das Leben in unserem Bundesland. Aber auch das ist eine Tatsache, diese Politik kommt nicht so dahergeweht. Nein, sie wird auch mit Zustimmung von Politikerinnen und Politikern der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich beeinfl usst in den unterschiedlichen Strukturen, in denen sie vertreten sind. Und ich denke, auch da haben wir gemeinsam eine Verantwortung deutlich zu machen, was denn besprochen und festgelegt wurde. Wenn eben der Fischereiverband unseres Landes die Fangquoten der EU kritisiert, dann gehört es auch zur Wahrheit dazu zu sagen, was wir in diesem Prozess versucht haben zu verändern, beziehungsweise wozu wir gestanden haben, ähnlich jetzt in der Auseinandersetzung zum CO2. Nur dann, wenn wir das deutlich machen, wie wir auf die Entscheidung der EU gewirkt haben, wie wir dort in den Entscheidungen mit verankert waren, glauben wir, dass wir in der nächsten Zeit auch Vertrauen gewinnen.

Gleiches gilt auch für andere Politikbereiche. Dabei denke ich zum Beispiel an die bevorstehende Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinien in unserem Bundesland. Fest steht für meine Fraktion, dass die von der EU-Kommission verabschiedete Dienstleistungsrichtlinie mehr Fragen als Antworten mit sich bringt. Diese betreffen auch wieder Lebensbereiche der Menschen.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Was wird zum Beispiel mit den Bereichen der Daseinsvorsorge, mit den Arbeits- und Umweltstandards, den Anforderungen an die Qualifi kation in bestimmten Dienstleistungsberufen, um nur einiges zu nennen? Es ist auch zu kritisieren, dass europäische Gesetze zunehmend in Bereiche des kommunalen Lebens eingreifen. Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Aufnahme der Kompetenzregelung im Verfassungsvertrag. Die Kommunen sehen in diesem Zusammenhang nicht zu Unrecht die EU als bürokratische Zentralregierung. Wir brauchen einen besseren Schutz der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Von Vertretern des Städte- und Gemeindetages ist oft zu hören, dass die kommunale Selbstverwaltung in Brüssel vielfach unbekannt ist und deshalb nicht als wichtig gilt. Diese Debatte habe ich als ehemaliges stellvertretendes Mitglied im ADR oft mit angehört. Ja, auch die kommunalen Vertreterinnen und Vertreter haben darauf hingewiesen, dass die kommunale Selbstverwaltung durch die Europäische Kommission nicht beachtet wird. Es gab Debatten in Bezug auf das Subsidiaritätsprinzip. Die Leistungen der lokalen Ebene, wie Energie, Wasserversorgung, Personennahverkehr oder Krankenhaus, müssen am Gemeinwohl orientiert bleiben und dürften nicht allein nach Marktgesichtspunkten ausgerichtet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS und Udo Pastörs, NPD)

Auch das sind eindeutige Standpunkte, die wir zu beachten haben. Deshalb brauchen wir weiterhin kommunale Unternehmen. Die europäischen Liberalisierungsbemühungen lassen sich nicht mit dem Ziel der Kommunen, einer möglichst effektiven Erfüllung der Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger in Einklang bringen.

Meine Damen und Herren, zum Verfassungsvertrag wurde bereits einiges gesagt. Dennoch auch von mir ein paar Anmerkungen: Wir haben nicht einmal ein klares Ja zu einer europäischen Verfassung gesagt. Der vorliegende Entwurf entspricht leider nicht unseren Vorstellungen, und nicht nur das. Wenn wir der Debatte, die in der letzten Zeit aufgekommen ist, folgen können, dann haben auch andere politische Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen und Verbänden, aber auch von Parteien ganz berechtigte Kritik an dem vorliegenden Verfassungsvertrag, und die, glaube ich, sollten wir ernst nehmen. Da geht es um soziale, steuerliche, ökologische Mindeststandards, die einfach in einen europäischen Verfassungsvertrag gehören.

Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Forderung des Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei im Europäischen Parlament, Martin Schulz, wonach die Gesetzgebung auch die Sozialfolgen stets abschätzen und berücksichtigen muss.

(Beifall Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS)

Es darf zum Beispiel in der EU keinen Wettbewerb um die niedrigsten Löhne geben. Welche dramatischen Folgen dies hat, spüren die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon heute vor allem im Bau- und im Dienstleistungsgewerbe. Damit erst gar kein Missverständnis aufkommt, ich meine damit nicht nur die sogenannten typischen Mindestlohnjobs.

Meine Damen und Herren, nur wenn es der Politik gelingt, die EU als Sozial- und Wertegemeinschaft und nicht nur als Wirtschaftsgemeinschaft zu gestalten, werden sich die Menschen mehr mit der EU identifi zieren. Es gibt keinen Grund, sich vor mehr Demokratie und Transparenz zu fürchten. Wir brauchen eine öffentliche Debatte zu den Inhalten der Verfassung nicht zu scheuen. Im Gegenteil, die Debatte ist erforderlich, wenn der europäische Gedanke, die europäische Integration mehr sein soll als nur ein bloßes Lippenbekenntnis. Manchmal ist es eben besser, weniger, dafür aber Wesentliches zu Papier zu bringen. Der Verfassungsvertrag mit seinen vier Teilen und einem Umfang von über 400 Seiten ist einfach nicht durchschaubar. Man benötigt nicht nur viel Phantasie, sich vorzustellen, dass selbst ausgewiesene Kenner der

Materie am Umfang komplexer Regelwerke verzweifeln könnten. Erst recht gilt es dann für die Bürgerinnen und Bürger.

Umfang und Komplexität sind es auch, die es uns zusätzlich erschweren, die Europäische Union den Bürgerinnen und Bürgern näherzubringen. Dabei würde es bereits genügen, wenn sich die Mitgliedsstaaten auf die Prinzipien ihres Zusammenwirkens verständigen. Unser Grundgesetz könnte dazu ein Vorbild sein. Es ist zu hoffen, dass die selbst verordnete Denkpause zum weiteren Umgang mit dem Verfassungsvertrag dazu beitragen wird, die Sorgen und Bedenken der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen und die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Ein „Weiter so“ auf der Grundlage des vorliegenden Entwurfs wäre der falsche Weg.

Meine Damen und Herren, wir sollten uns in diesen Diskussionsprozess einbringen. Lassen Sie uns gemeinsam die Vorteile und Chancen der Europäischen Gemeinschaft mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutieren! Lassen Sie uns aber auch die Sorgen, Ängste und Bedenken ernst nehmen und gemeinsam dafür Sorge tragen, dass auf Bundesebene und europäischer Ebene entsprechende Konsequenzen gezogen werden! Denn eines steht für mich fest: Wenn es uns gemeinsam nicht gelingt, die Menschen für den europäischen Gedanken zu gewinnen, dann werden wir gemeinsam die bevorstehenden Aufgaben nicht lösen.

Meine Damen und Herren, zum Abschluss ein paar Gedanken zum vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen: Ich bedauere sehr, dass es uns nicht gelungen ist, einen gemeinsamen Entschließungsantrag mit der FDP vorzulegen. Initiativen aus unserer Fraktion wurden insbesondere durch die CDU-Fraktion nicht aufgegriffen. Das ist zu bedauern. Bei Achtung unterschiedlicher Positionen zu bestimmten Fragen waren wir uns doch im Kern immer einig. Die Entwicklung der Europäischen Union bietet Chancen, die wir im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes auch nutzen sollten. Wir sollten gemeinsam überlegen, wie wir diesen Grundgedanken mit Leben erfüllen können. Die festgeschriebenen Maßnahmen in Ihrem Antrag sind aus meiner Sicht zu wenig und unkonkret. Nutzen wir die Chance, im Ausschuss über konkrete Maßnahmen zu diskutieren! Für meine Fraktion beantrage ich die Überweisung in den Europa- und Rechtsausschuss. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Borchardt.

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 5/197 abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 5/197 bei Zustimmung der Mitglieder der NPD-Fraktion und Gegenstimmen aller anderen Parlamentarier abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und CDU auf Drucksache 5/163. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –

Damit ist der Antrag der Fraktionen der SPD und CDU auf Drucksache 5/163 bei Zustimmung der Fraktionen der SPD und CDU sowie Gegenstimmen der Fraktionen der Linkspartei.PDS, FDP und NPD angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS auf Drucksache 5/152. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS auf Drucksache 5/152 bei Zustimmung der Fraktion der Linkspartei.PDS, Gegenstimmen der Fraktionen der SPD, CDU, FDP, NPD und einer Stimmenthaltung aus der Fraktion der SPD abgelehnt.

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU und Linkspartei.PDS – Zuruf von Gabriele Měšťan, Die Linkspartei.PDS)

Ich höre jetzt gerade, dass es hier den Antrag auf Überweisung gegeben hat. Das ist mir so nicht übermittelt worden. Das ist hier auf dem Zettel zunächst vermerkt gewesen, dann wieder durchgestrichen worden. Gut, dann muss ich das korrigieren.

(Gabriele Měšťan, Die Linkspartei.PDS: Ja, sie ist als Präsidentin für die Abstimmung zuständig.)

Wir müssen also zunächst über diesen Überweisungsantrag abstimmen und können dann erst in der Sache abstimmen. Also dann wiederholen wir an der Stelle noch einmal die Abstimmung.

(Heike Polzin, SPD: Genau, das ist der beste Weg.)

Wer dem hier mündlich vorgetragenen Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS auf Überweisung der Drucksache 5/152 …

Herr Kreher, bitte.

Ich möchte erst einmal wissen, ob es um beide Anträge geht oder nur um die Überweisung der Anträge.

Nein, es geht nur um den Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS. Die erste Abstimmung war korrekt.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Es ist in der Debatte mündlich von Frau Borchardt beantragt worden, den Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS an den Rechts- und Europaausschuss zu überweisen. Diese Abstimmung müssen wir jetzt noch einmal wiederholen, weil sie der Abstimmung in der Sache vorangeht.

Also noch einmal: Wer der Überweisung des Antrages der Linkspartei.PDS auf Drucksache 5/152 in den genannten Ausschuss zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Damit ist dem Antrag auf Überweisung des Antrages der Fraktion der Linkspartei.PDS auf Drucksache 5/152 bei Zustimmung der Fraktion der Linkspartei.PDS, Gegenstimmen der Fraktionen der SPD, CDU, NPD,

(Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: Es gab von der FDP auch Zustimmungen. – Zuruf von Gabriele Měšťan, Die Linkspartei.PDS)

zwei Zustimmungen aus der Fraktion der FDP

(Heiterkeit bei Dr. Armin Jäger, CDU, und Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS – Dr. Armin Jäger, CDU: Knapp, ne?)

und Enthaltungen von drei Abgeordneten der Fraktion der FDP abgelehnt.