Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch wenn unser Signalton hier etwas leise ist, hoffe ich, dass Sie zur Kenntnis genommen haben, dass wir beginnen wollen.
Ich begrüße Sie zur 116. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit großer Bestürzung und Fassungslosigkeit verfolgen wir momentan eine schreckliche Katastrophe verheerenden Ausmaßes, die Japan erschüttert hat und deren weiteres Ausmaß noch nicht absehbar ist. Mehr als 10.000 Tote und Vermisste lösen tiefe Trauer und Betroffenheit aus. Den Menschen in Japan gilt in diesen Tagen unser tiefes Mitgefühl und den Opfern unser aufrichtiges Beileid.
Ich bitte Sie nun, sich zu Ehren der Opfer und zum Gedenken an die Toten von Ihren Plätzen zu einer Schweigeminute zu erheben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die vorläufige Tagesordnung der 116., 117. und 118. Sitzung liegt Ihnen vor. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 116., 117. und 118. Sitzung gemäß Paragraf 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.
Nach Paragraf 4 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung benenne ich für die heutige Sitzung den Abgeordneten Udo Timm sowie für die 116., 117. und 118. den Abgeordneten Matthias Mantei zu stellvertretenden Schriftführern.
Die Fraktion DIE LINKE hat einen Dringlichkeits antrag zum Thema „Unverzüglich und unumkehrbar aus der Atomenergienutzung aussteigen“ vorgelegt, der auf Drucksache 5/4219 verteilt wird. Wir werden diese Vorlage, um die die Tagesordnung erweitert werden soll, nach Verteilung an die Mitglieder des Landtages sowie einer angemessenen Zeit für eine Verständigung innerhalb und zwischen den Fraktionen nach dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufen. Ich werde das Wort zur Begründung dieses Dringlichkeitsantrages erteilen sowie die Abstimmung über dessen Aufsetzung durchführen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion der FDP hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Katastrophe in Japan – Schlussfolgerungen für Mecklenburg-Vorpommern“ beantragt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Freitag vergangener Woche hat sich in Japan die größte Katastrophe in der Geschichte der Menschheit ereignet. Ich bin meinen Kollegen im Landtag sehr dankbar, dass sie uns als FDPFraktion am Montag die Gelegenheit gegeben haben,
das Thema der Aktuellen Stunde in angemessener Art und Weise zu ändern und heute über die Katastrophe in Japan und über die Schlussfolgerungen für Mecklenburg-Vorpommern hier in dieser Aktuellen Stunde reden zu können. Ich halte es auch für einen sehr guten und für einen richtigen Ansatz, dass wir diese Aktuelle Stunde in der Form begonnen haben, wie wir es eben getan haben, nämlich mit einer Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer dort in Japan.
Seit Freitag vergangener Woche gehen Bilder um die Welt, die in uns allen, denke ich, sehr viel verändern. Es sind Bilder, Informationen voller Widersprüchlichkeiten und es sind Bilder, die wir uns, glaube ich, alle vorher so nicht vorgestellt haben. Die Widersprüchlichkeiten, die da lauten, in Japan kämpfen die Menschen um ihre Existenzen, sie suchen nach Familienangehörigen, und in der gleichen Zeit, in der wir hier heute sitzen, sind Techniker in Japan unterwegs in Atomkraftwerken, womöglich unter Einsatz ihres Lebens, um auch dort die Katastrophe, eine mögliche atomare Katastrophe zu verhindern.
Den Japanern gilt unser höchster Respekt. Denjenigen, die heute alles dafür tun, dass eine atomare Katastrophe nicht auf uns zukommt, gilt unsere höchste Anerkennung und umso mehr finde ich es persönlich sehr widersprüchlich, wenn ich am Freitag Menschenketten mit bunten Luftballons in Baden-Württemberg sehe und wenn die Antwort auf die Leistung der Techniker in Japan in der Bundesrepublik Deutschland heute ist, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich Jodtabletten aus den Apotheken holen.
Mit dem Stolz und mit dem Selbstbewusstsein, wie die japanische Bevölkerung mit dieser Katastrophe umgeht, das fordert mir den höchsten Respekt ab. Und diese Katastrophe, meine Damen und Herren, ist für uns nicht der Zeitpunkt, übliche Rituale miteinander auszutauschen. Umso mehr bin ich zutiefst persönlich darüber enttäuscht, dass heute doch ein Dringlichkeitsantrag der Fraktion DIE LINKE uns als Parlament hier ereilt, obwohl ich am Montag selber in persönlichen Gesprächen dafür geworben habe, diese Aktuelle Stunde als angemessenes Signal, als angemessene Plattform der Debatte um dieses Thema zu etablieren.
Wir haben diese Vorgehensweise zur Kenntnis zu nehmen und sie passt dann auch ein Stück weit in unser Bild, was wir dann hier in der Bundesrepublik Deutschland abgeben. Sie passt in die Formulierungen: Die Bürger bei den Landtagswahlen werden jetzt schon das richtige Kreuz an der richtigen Stelle machen und werden die Ereignisse in Japan schon zu einer richtigen Wahlentscheidung machen. Sie passen zu den Forderungen, jetzt sofort, ohne Rücksicht auf jegliche menschliche Vernunft die Kraftwerke abzuschalten
(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Zurufe von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE, und Peter Ritter, DIE LINKE)
die Krisenmanagement zu leisten haben, nämlich die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, wenn denjenigen nicht Krisenmanagement zugestan
den wird, sondern gleich damit argumentiert wird, das sei Hinhalten, das sei Wahlkampf, das sei Taktik. Diese Art von Vorwürfen in solch einer Situation ist deplatziert und unwürdig
Ja, meine Damen und Herren, für uns alle hat sich ein Lebensgefühl verändert. Wir haben ein beklemmendes Lebensgefühl von permanenter Unsicherheit, dass wir wirklich nicht mehr entscheiden können, objektiv entscheiden können, wie wir mit den veränderten Rahmenbedingungen umzugehen haben. Wir haben vor Augen, dass das, was uns vermeintlich immer als 100 Prozent sicher zugestanden worden ist,
(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Stefan Köster, NPD: Sie sind ja ein Schnellmerker.)
dass die Veränderung des Lebensgefühls, die Veränderung unserer Position zu unserem Lebensraum auch zu einer veränderten Betrachtungsweise führt. All die Dinge, die wir zukünftig zu regeln haben, was den Umgang mit Atomenergie anbelangt, haben wir weltweit zu lösen. Wir haben es europäisch zu lösen und ja, wir haben es auch in Mecklenburg-Vorpommern und in Deutschland zu lösen.
Und ich sage an dieser Stelle auch ganz klar und ganz deutlich, wenn das Tempo in Europa, wenn das Tempo in der Welt nicht das Tempo ist, was wir in Deutschland und in Mecklenburg-Vorpommern für richtig erachten, dann sollten wir an dieser Stelle auch unser eigenes Tempo im Umgang mit der Atomenergie finden.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle sind in diesen Tagen in Gedanken bei den Menschen in Japan, die so schwer getroffen sind durch das Erdbeben, durch die Flutwelle und die sich jetzt nach den Explosionen in mehreren Atommeilern einer noch
größeren unsichtbaren Bedrohung ausgesetzt sehen. Es ist eine beispiellose Katastrophe, eine Katastrophe, die schon Zehntausende Opfer gefordert hat und die in dem dicht besiedelten Japan weitere Millionen Menschen bedroht. Allein im Großraum Tokio leben jetzt 35 Millionen in Angst.
Die schreckliche Katastrophe in Japan hat auch bei uns in Mecklenburg-Vorpommern Entsetzen ausgelöst. Auch wir fühlen uns dem japanischen Volk verbunden, das uns in vielfacher Weise nahe ist über Wirtschaftskontakte, wissenschaftliche Kooperationen, Städtepartnerschaften und viele Kontakte mehr. Ich möchte an dieser Stelle auch einmal ein sehr herzliches Dankeschön all denen sagen, die in den letzten Tagen vor Ort geholfen haben. Da sind auch viele aus Deutschland dabei, ganz herzlichen Dank.
Die Menschen in Deutschland und in Mecklenburg-Vorpommern nehmen Anteil, sie leiden mit, sie sorgen sich um das, was noch droht in den Atomkraftwerken, was da über Tage in einem Prozess abläuft, der unabänderlich erscheint. Die Menschen in Deutschland und in Mecklenburg-Vorpommern fragen aber auch, was bedeutet das für uns, was bedeutet das für unsere Sicherheit, für unsere Zukunft. Das können wir niemandem verbieten, im Gegenteil, da müssen wir Antworten geben. Dafür haben die Menschen uns gewählt, auch hier in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, dass wir nicht bei Sorgen und Betroffenheit stehen bleiben, sondern dass wir Konsequenzen ziehen, die richtigen Konsequenzen, und zwar rasch.
Die wichtigste Frage, die die Menschen bewegt, ist: Kann das auch bei uns passieren? Sind unsere Kernkraftwerke sicherer, sind unsere Kernkraftwerke sicher? Uns ist ja immer vorgerechnet worden, die Wahrscheinlichkeit eines solchen Unfalls sei so gering, dass er sich einmal in hunderttausend Jahren ereignen könne. Nun haben wir schon in einem einzigen Menschenleben drei solcher Störfälle erlebt. Die Berechnungen stimmen alle, aber sie beruhen eben auf bestimmten Annahmen, in Japan zum Beispiel darauf, dass Erdbeben nicht über eine bestimmte Stärke hinausgehen.
Atomkraftwerke bergen ein furchtbares Gefährdungspotenzial. Deshalb besteht inzwischen Einigkeit, wenigstens in diesem Punkt besteht in Deutschland Einigkeit, dass Atomkraft allenfalls eine Brücke sein kann zu anderen Energieformen, zu den erneuerbaren Energien. Warum dann aber diese fatale Fehlentscheidung, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern?