Protokoll der Sitzung vom 10.05.2007

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Holter von der Linkspartei.PDS.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht um unser Überleben und um das Überleben unserer Nachfahren. Das ist die Frage, die wir uns hier stellen müssen, wenn wir über die Verbrennung von fossilen Brennstoffen sprechen wollen.

Der Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hatte jüngst am 27. April ein 8-Punkte-Programm im Bundestag vorgelegt. Leider hat dieses Programm zwei Haken:

Erstens sind es viele Ankündigungen, aber eine Untersetzung ist bisher ausgeblieben. Sie mag ja noch kommen.

Und zweitens, das ist unsere größte Sorge, befürwortet er den Bau von 30 bis 40 neuen Kohlekraftwerken.

Inzwischen weiß jedes Kind, nicht nur in MecklenburgVorpommern, dass der CO2-Ausstoß reduziert werden muss. Dazu bedarf es eines ganzen Bündels von Maßnahmen. Wir sind der Auffassung, dass Kohlekraftwerke auf alle Fälle nicht dazugehören. Inzwischen sollte jeder wissen, dass bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern – und dabei steht Kohle an erster Stelle – die

größten CO2-Emissionen zu verzeichnen sind. Die Bemühungen, das anfallende CO2 in die Erde zu verpressen, werden, darüber sind sich die Fachleute einig, nicht mehr rechtzeitig von Erfolg gekrönt sein, um die Begrenzung auf zwei Grad Klimaerwärmung zu schaffen. Außerdem weiß noch niemand, was mit dieser tickenden Zeitbombe tatsächlich unter der Erdoberfl äche passiert. Die Zukunft sind erneuerbare Energieträger. Würden die Investitionsmittel, die für den Bau neuer Kohlekraftwerke zur Verfügung gestellt werden, und die Mittel, die für die Erforschung und Klärung der Verpressung von CO2 eingesetzt werden, tatsächlich eingesetzt werden für die Klärung der offenen Fragen, die mit der Speicherung von erneuerbaren Energieträgern zusammenhängen, dann könnten die alten Kohlekraftwerke Schritt für Schritt vom Netz gehen.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: So ist es.)

Und das, glaube ich, ist die Herausforderung der Zeit, hier eine neue Strategie zu verfolgen und damit auch die Frage nach dem Grundsatzproblem zu beantworten, die selbstverständlich mit der Nutzung von Wind- und Solarenergie verbunden ist, weil diskontinuierlich diese Prozesse ablaufen. Aber wir sind der Überzeugung, dass genau diese Probleme lösbar sind. Das muss man aber wollen und auch die Mittel, eine Quelle habe ich genannt, tatsächlich dafür einsetzen wollen. Daran hapert es bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition. Und ich fordere Sie auf, sich der Losung „Global denken, lokal handeln“ anzuschließen, weil das, was mit der Diskussion über ein neues Steinkohlekraftwerk in Lubmin im Zusammenhang steht, nichts mit einer solchen Losung zu tun hat.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Wir können also nicht nur lokale Lösungen in Mecklenburg-Vorpommern mit vielen Argumenten befürworten, aber unsere globale Beantwortung dabei ausblenden. Wenn ich dann in der Zeitung lese, dass Sachverständige ankündigen, dass ab 2015 gar keine Kohlekraftwerke mehr gebaut werden sollen, dann frage ich mich, warum wir sieben Jahre vor 2015 eine solche Investition in Mecklenburg-Vorpommern befürworten wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Die Linkspartei hat in den vergangenen Jahren, eigentlich seit 1990, auf Kreisebene, auf Landesebene, auf Bundesebene sehr aufmerksam und intensiv die Veränderungen in Lubmin begleitet, auch befördert, um diesen Standort der Energiewerke Nord tatsächlich zu einem Industrie- und Energiestandort auszubauen. Das ist gelungen. Es ist bekannt, dass viele ansiedlungswillige Unternehmen vorhanden sind. Und es ist tatsächlich ein Beitrag, mit dem man einer strukturschwachen Region hilft, sich zu entwickeln. Da gibt es auch gar keinen Dissens zwischen allen Beteiligten. Die Frage ist aber, ob die Landespolitik ein solches Konzept der Nachhaltigkeit verfolgt, mit dem sie tatsächlich die Einheit von wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Entwicklung umsetzen will. Ich habe so das Gefühl, dass immer das herausgepickt wird, was gerade richtig ist, um eine Nachhaltigkeitsstrategie zu begründen. Wir sind der Auffassung, es geht nur in dieser Dreidimensionalität: wirtschaftliche Entwicklung, ökologische Entwicklung, soziale Entwicklung. Hier hat nichts Priorität, sondern alles ist gleichrangig.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Das, glaube ich, kann nur neuer Politikstil sein. Das sollte uns auch in Mecklenburg-Vorpommern auszeichnen. Deswegen beziehen wir ganz bewusst heute im Landtag Stellung zu einem Einzelvorhaben am Standort Lubmin. Herr Roolf ist nicht da, aber ich bin immer dafür, vor Ort zu fahren. Herr Roolf hat vorgeschlagen, wir wollen mit dem Wirtschaftsausschuss nach Lubmin fahren. Da komme ich gern wieder mit. Der Arbeitskreis „Nachhaltige Entwicklung“, dem ich vorstehe, war am 19. Februar in Lubmin und wir haben uns sehr wohl davon überzeugt, was in der jüngeren Zeit, aber auch in der Vergangenheit in Lubmin an positiver Entwicklung vorangeschritten ist und welche Probleme mit dem Standort ganz konkret verbunden sind.

Natürlich haben wir die Weltneuheit, dass es eine Technologie gibt, die den Rückbau eines ehemaligen Kernkraftwerkes mit modernen Mitteln befördert, und inzwischen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit diese Technologien auch zum Einsatz kommen. Über die Ansiedlungserfolge habe ich schon kurz gesprochen. Ich will das hier im Einzelnen gar nicht weiter ausführen.

Nun höre ich Argumente aus der Region, es geht um Arbeitsplätze, auf der einen Seite in der Bauphase, auf der anderen Seite für den Betrieb dieses neuen Steinkohlekraftwerkes. Ich will mich an einer Diskussion über Arbeitsplätze beim Bau und bei der Betreibung des Steinkohlekraftwerkes oder des Tourismus – welches hat denn nun mehr Wert – überhaupt nicht beteiligen. Das halte ich für eine falsche Diskussion. Und deswegen müssen wir ausgehen von der Nachhaltigkeitsstrategie auf eine Vereinbarkeit von Tourismus Seebad Lubmin mit der industriellen und auch energetischen Entwicklung dieses Standortes.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Alle Wirtschaftsminister, ob Herr Ebnet oder Herr Seidel, haben immer wieder betont, es sei falsch, in der Region nur auf den Tourismus zu setzen. Das ist übrigens inzwischen eine Binsenweisheit. Da sind wir uns sicherlich auch alle einig. Aber dieses Steinkohlekraftwerk hat mit Nachhaltigkeit nichts zu tun und eines sollten wir in Mecklenburg-Vorpommern nicht tun – die Linkspartei tut es nicht –, die Warnung des EU-Kommissars, des Umweltkommissars Dimas ausschlagen. Wir sollten sie sehr wohl berücksichtigen, denn sieben Millionen Tonnen CO2 pro Jahr, die dort ausgestoßen werden, und die Erwärmung des Boddens können doch wirklich hinreichende Gründe sein, um Nein zu diesem Steinkohlekraftwerk zu sagen,

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

denn es geht um das gesamte Ökosystem in dieser Region und darüber hinaus. Ich möchte nicht, dass uns als Menschheit erst wieder Katastrophen, um das mal groß zu formulieren, aufrütteln, um zu sagen, wir brauchen eine energiepolitisch andere Strategie. Herr Sellering, er ist gerade nicht da,

(Minister Henry Tesch: Ich sag ihm das.)

wohnt in Greifswald in unmittelbarer Nähe und er weiß, wie die Ortsgruppen der SPD sich zu diesem Investitionsvorhaben verhalten.

(Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: Er äußert sich ja auch laufend dazu.)

Meine Damen und Herren, liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, es geht nicht um die Frage, dieses oder jenes Steinkohlekraftwerk mit diesen oder jenen Umweltparametern, sondern es geht um die Frage, ein Steinkohlekraftwerk oder kein Steinkohlekraftwerk. Und die Frage ist zu beantworten.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Es ist nicht so, wie Herr Sellering in der Presse verlauten lässt, dass dieses Steinkohlekraftwerk nicht mehr zu verhindern ist. Es gibt gute Gründe, dass eine solche Veränderung möglich ist, denn das Genehmigungsverfahren muss überhaupt erst mal eingeleitet werden. Die Entscheidungen liegen beim zuständigen StAUN hier in Mecklenburg-Vorpommern.

Ich verweise auf das Klimakonzept des Landes und den Aktionsplan „Klimaschutz“ aus dem Jahre 2005. Das war für die Regierung vor dem 7. November 2006 und den Landtag die Handlungsgrundlage. Ich hoffe, dass wir dabei bleiben. In diesen Konzepten ist ganz klar formuliert, dass die Reduzierung der Treibhausgase oberste Priorität für die Landespolitik in Mecklenburg-Vorpommern hat.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Regine Lück, Die Linkspartei.PDS: Genau.)

Diese Losung und diese Aufgabenstellung würde ich ganz gern weiterhin sehen und deswegen sollten wir unseren Beitrag leisten und unsere Vorreiterrolle beim Ausbau und bei der Verwendung der erneuerbaren Energien nicht aufs Spiel setzen, sondern diesen Weg, der 2005 beschrieben wurde, auch weitergehen.

Meine Damen und Herren, es gab die Kinderwoche in der ARD. Und in den „Tagesthemen“ hatte eine 12-jährige Schülerin die Gelegenheit, einen Kommentar zu sprechen. Sie redete zum Klimaschutz. Sie formulierte sinngemäß: Vielen Erwachsenen ist der Klimaschutz egal, weil sie nicht mehr sehr lange auf dieser Erde bleiben werden. Mir ist der Klimaschutz nicht egal, denn ich habe keine andere Erde.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Wir sollten mehr auf die Kinder hören. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Danke, Herr Holter.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Herr Seidel.

(Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: Jetzt spricht endlich mal der zuständige Minister.)

Also keine Sorge, Herr Professor Methling, ich hoffe nicht, dass Sie das noch bereuen werden, was Sie gerade gesagt haben, dass jetzt der zuständige Minister spricht. Ich möchte schon gern zu Beginn meiner Ausführungen, Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, anmerken, dass Sie, die Kollegen der PDS-Fraktion, sich heute früh sehr stark kritisch geäußert haben zu einem Antrag, die maritime Wirtschaft betreffend, im Hinblick auf planwirt

schaftliche Züge und so weiter und so fort. Wissen Sie, wenn man diesen Maßstab an das anlegt, was Sie hier im Antrag geschrieben haben, dann muss ich Ihnen aber entgegenhalten, das ist wirklich Populismus pur.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS)

Sie wissen ganz genau, dass in der Planwirtschaft in der Tat politische Entscheidungen über Genehmigungsverfahren getroffen wurden. Wir sind Gott sei Dank im Rechtsstaat und der entscheidet auf Basis geltenden Rechts. Und ich will versuchen, Ihnen das klarzumachen.

(Helmut Holter, Die Linkspartei.PDS: Aber wir können uns doch politisch positionieren! – Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: Es geht darum, dass ich mein Land unterstütze oder nicht.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will zunächst einmal verdeutlichen, wo wir gegenwärtig stehen, was die Energieproduktion im Land Mecklenburg-Vorpommern betrifft. Im Jahr 2005, wir haben keine aktuelleren Angaben, lag der Anteil erneuerbarer Energien an der Nettostromerzeugung in unserem Land bei 33,8 Prozent. Es dürfte also eher noch etwas mehr sein. Windenergie nimmt dabei den Löwenanteil ein, nämlich 80 Prozent. Biomasse kommt mehr und mehr, ein Beitrag von circa 19 Prozent.

Wir wollen alle, da sind wir uns sicherlich einig, dass die erneuerbaren Energien einen weiter wachsenden Anteil an der Stromversorgung des Landes leisten. Das hat nicht nur den energetischen Grund, sondern natürlich auch den Arbeitsmarktgrund. Wir haben die Hersteller hier im Lande, die weiterhin herausragende Potenziale haben. Ich will nur ein paar Arbeitsplatzzahlen nennen, damit wir wissen, worüber wir reden. Es sind ungefähr 1.000 Arbeitsplätze in der Windkraft, etwa 300 in der Biomassenutzung, 250 in der Solarproduktion und 280 Arbeitsplätze in der Biodieselproduktion. Wir haben viele Arbeitsplätze, die man schlecht zählen kann, im Handwerk, also Installation, Elektroinstallation und Metallbau. Aber noch ist es so, und das wird auch länger so bleiben, dass wir für die Stromversorgung unseres Landes Strom importieren müssen. Dieser Strom kommt bekanntermaßen aus anderen Kraftwerken, zum Beispiel aus Kohlekraftwerken in anderen Bundesländern. Und wir müssen uns, wenn man es genau nimmt, jetzt auch mitverantwortlich fühlen für diese Kraftwerke, wenn man sich dort die CO2-Emission anschaut.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Sicher. – Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: Aber wir haben bald Selbstversorgungsanlagen.)

Der dänische Energiekonzern Dong Energy plant mit einer Investitionssumme von 1,6 Milliarden Euro in Lubmin die Errichtung eines hocheffi zienten Steinkohlekraftwerkes, das 2012 ans Netz gehen soll. Und hier – jetzt hören Sie bitte auch darauf – baut Dong mit einem Wirkungsgrad von 46 Prozent ein hocheffi zientes Werk, das hinsichtlich der Energieausnutzung, man kann das wirklich sagen, weltspitze ist. Man muss im Hinterkopf haben, die Zahlen sind Ihnen sicherlich geläufi g, dass bisherige Kraftwerke bei Wirkungsgraden von 32 bis 36 Prozent liegen. Also wir liegen ungefähr 10 Prozent höher mit dem Wirkungsgrad.

(Rudolf Borchert, SPD: Im Vergleich zu Kohlekraftwerken. – Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren, ich komme darauf.

Nicht nur bei uns, sondern deutschland- und europaweit steigt der Stromverbrauch seit Jahren wieder an. Das hat etwas mit wirtschaftlicher Entwicklung zu tun. Wir müssen sparen, um das gleich zu sagen, keine Frage. Demgegenüber steht der geplante Ausstieg aus der Kernenergie sowie der notwendige Ersatz veralteter konventioneller Kraftwerkstechnik. Um den künftigen Strombedarf sicher decken zu können, werden wir, und das ist unstrittig, in absehbarer Zeit am deutschen Strommix festhalten müssen. Und dazu zählen natürlich auch Kohlekraftwerke, das wissen Sie. Es gibt bei den konventionellen Energien einen Erneuerungsbedarf, daran kommen wir überhaupt nicht vorbei.