Protokoll der Sitzung vom 19.09.2007

So nehme ich hier beispielsweise nur einmal die Zahlen vom April dieses Jahres. Während bundesweit die Kennziffer von 3,9 Millionen Arbeitslosen die Medienlandschaft in Verzückung setzte, bezogen im selben Monat 6,291 Millionen Menschen Arbeitslosengeld. Deutlicher, meine Damen und Herren, kann man eigentlich nicht aufzeigen, wie die Wirklichkeit auf dem Arbeitsmarkt heute aussieht. Die Statistiken werden hier ganz bewusst zurechtgebogen, nur um den Menschen das gewollte Ergebnis präsentieren zu können.

Von denen, die Arbeitslosengeld I oder II beziehen, registriert die Bundesagentur nur 54 Prozent als arbeitslos, meine Damen und Herren. Bekommt eine alleinerziehende Mutter keinen Kindergartenplatz, muss sie sich selbst um ihr Kind kümmern und steht nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. So hat sie zwar Anspruch auf Arbeitslosengeld, ohne jedoch in der Statistik aufzutauchen. Ebenso geht es denjenigen Arbeitslosen, die von ihrem sogenannten Fallmanager – so nennt man diese Herrschaften heute – auf eine Fort- oder Weiterbildung geschickt werden.

Ich werde Ihnen hier aber noch ein paar andere Zahlen nennen, die einen ganz anderen Blick auf den wirtschaftlichen Aufschwung werfen, den Sie so schön beschwören. Die Armut in Deutschland verfestigt sich trotz Ihres Aufschwungs, die Bezieher von Transfereinkommen und Geringverdiener bleiben weiterhin außen vor, Herr Ministerpräsident. Im März 2007 waren 574.000 sozialversicherungspfl ichtig Beschäftigte, davon 470.000 Vollzeitbeschäftigte, auf ergänzende Arbeitslosengeld-IIZahlungen angewiesen. Schöner Aufschwung! Das ist doch der Skandal schlechthin: Menschen, die einen ganzen Tag arbeiten, können von dem, was sie verdienen, nicht leben und müssen zum Staat betteln gehen. Das ist Ihr Aufschwung, Herr Ministerpräsident! Sie bauen hier Luftschlösser und eine beachtliche Anzahl der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern verarmt in Wirklichkeit.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung geht bei den Anlageinvestitionen im kommenden Jahr von circa 4,8 Prozent aus. Noch in diesem Jahr ging man von 6,7 Prozent aus. Den Aufschwung, den Anstieg der Beschäftigung und höhere Masseneinkommen gibt es

bisher nicht. Die Erhöhung des Masseneinkommens und damit ein gesteigerter privater Konsum ist aber Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Aufschwung im Inneren, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Regierung klammert sich lediglich an den Export. Wir haben es gehört, 24 Prozent plus hier in Mecklenburg-Vorpommern. Volkswirtschaftlich betrachtet verdienen wir mit dem Export zwar Devisen, zum Leben benötigen wir aber auch den Binnenmarkt, meine Damen und Herren.

Während das Statistische Bundesamt in Wiesbaden den Anstieg der Binnennachfrage bei 1,7 Prozent für dieses Jahr prognostiziert, liegt der Anstieg beim Export bei rund 7 Prozent. Hier liegt ein Missverhältnis, das vor allem für das Absinken des Realeinkommens mit verantwortlich ist. Durchschnittlich ist dieses nämlich seit 1999 um mehr als 2 Prozent beim Normalbürger gesunken und die Preise entwickelten sich gerade entgegengesetzt. Mit solchen Entwicklungen ist kein Staat zu machen. Eine Gesundung wird es nur dann geben, wenn nicht nur das Vermögens- und Unternehmenseinkommen steigt, sondern die Verteilung auf breite Schichten unserer Bevölkerung, aus der Produktion hinein in Einkommen transformiert werden kann.

Wir brauchen eine Umkehr in der Wirtschaftspolitik …

Herr Pastörs, ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Ich habe es vernommen.

Wir brauchen eine Umkehr in der Wirtschaftspolitik zu einer raumorientierten Volkswirtschaft. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD – Harry Glawe, CDU: Das ist ja doll wieder hier.)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Schulte von der Fraktion der SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon bemerkenswert, was heute im Rahmen der Aktuellen Stunde alles für Äußerungen gekommen sind. Ob es der Kollege Roolf gewesen ist, der sich dahin gehend ausgelassen hat, dass der wirtschaftliche Aufschwung auch in diesem Land nicht stattfi nden würde, bis zu anderen Äußerungen, die ich hier nicht wiederholen will. Ich glaube, bei aller unterschiedlichen Bewertung der Angelegenheiten sollten wir uns über einige Dinge klar sein. Es gibt den wirtschaftlichen Aufschwung in diesem Land und der wirtschaftliche Aufschwung in diesem Land ist in erster Linie das Ergebnis der Schaffenskraft der Menschen in diesem Land und der Unternehmen und Unternehmer in diesem Land. Der zweite Punkt ist, es hat erfolgreiche Rahmenbedingungen in den letzten acht Jahren unter einer SPD-geführten Landesregierung gegeben. Und, Herr Kollege Holter – auch das muss man deutlich dazusagen –, auch Ihre Partei und Ihre Minister haben natürlich ihren Anteil dazu beigetragen. Es gibt absolut keinen Grund, sich von diesem Teil der erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes zu distanzieren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD und Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Das tun wir auch nicht.)

Wir haben in diesem Land eine erfolgreiche Infrastruktur, eine erfolgreiche Investitions- und Ansiedlungspolitik. Und was wichtig ist in diesem Zusammenhang: Wir haben – und es sind gerade immer die Kammern, die das einfordern – eine erfolgreiche Haushaltskonsolidierung in diesem Lande durchgeführt,

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Sehr richtig.)

denn die Sanierung der öffentlichen Haushalte ist eine der Grundvoraussetzungen,

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

die im politischen Geschehen durchgeführt werden kann, damit der wirtschaftliche Aufschwung nicht nur ein Strohfeuer ist, sondern sich möglichst lange verfestigt.

Die Frage, die sich hier stellt, und da komme ich noch einmal auf den Kollegen Roolf zurück, ist tatsächlich: Wie kommt der Aufschwung überall an? Und da müssen wir einfach feststellen – und das ist kein Problem in Mecklenburg-Vorpommern, es ist ein bundesweites Problem –,

(Rudolf Borchert, SPD: Richtig. – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

dass offensichtlich der Aufschwung unterschiedlich bei den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, aber natürlich auch in Mecklenburg-Vorpommern ankommt, und – auch diesem Umstand geschuldet – unterschiedlich wahrgenommen wird. Das ist keine Frage, das muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Die Frage ist nur: Wie geht man damit um?

(Rudolf Borchert, SPD: Richtig.)

Da gibt es, jetzt relativ einfach ausgedrückt, neoliberale Vorstellungen, die sagen, der Markt wird es schon richten und irgendwann ist die Nachfrage so groß, einfach automatisch gekommen, dann werden sich auch bei den weniger sozial Starken die Wahrnehmung und die Einkommensverhältnisse verändern. Und es gibt die andere Aussage, die meint, wir müssen von ordnungspolitischer Seite her stärker eingreifen. Meine Damen und Herren, ich will es hier ganz deutlich sagen: Wahrscheinlich ist weder der eine noch der andere Weg die absolute Wahrheit,

(Udo Pastörs, NPD: Dann sagen Sie uns die Wahrheit!)

sondern hier wird es darauf ankommen, dass dort, wo die ordnungspolitischen Möglichkeiten es erlauben, sich der Staat möglichst weit zurückzieht, aber auf der anderen Seite dort, wo er soziale Verantwortung fordert, auch die entsprechenden Maßnahmen einleitet.

Wir haben – und das muss man auch in diesem Zusammenhang sehen – einige wenige sehr große Unternehmen in diesem Land, die bedauerlicherweise nicht in erster Linie ihren Firmensitz hier in Mecklenburg-Vorpommern haben und deren unternehmerische Entscheidung deswegen nicht unbedingt die Interessen dieses Landes im Vordergrund haben, sondern natürlich ihre betriebswirtschaftlichen Interessen.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: So ist es.)

Die sind sehr stark an dem Umsatz unseres Landes beteiligt und natürlich auch an der entsprechenden wirtschaftlichen Entwicklung, aber wir haben – und das muss

man auch deutlich sehen – eine Vielzahl von kleinen und Kleinstunternehmen und Handwerksbetrieben, die bisher auch nur im begrenzten Maße an dem wirtschaftlichen Aufschwung teilnehmen konnten. Hier müssen wir tatsächlich ansetzen. Das ist die Aufgabe der Politik, hier Verantwortung zu übernehmen, um dort die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern, dass diese Unternehmen auch an dem Aufschwung partizipieren können.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Udo Pastörs, NPD: Wie? Sagen Sie, wie!)

Die Zahl der sozialversicherungspfl ichtigen Arbeitsverhältnisse hat zugenommen. Richtig ist aber auch, dass die Zahl der sozialversicherungspfl ichtigen Arbeitsverhältnisse, deren Inhaber nicht von dem Entgelt leben können, immer noch viel zu hoch ist. Das ist der Punkt, wo wir ansetzen müssen. Es gibt auch innerhalb der Koalitionsfraktionen sicherlich an der einen oder anderen Stelle Dissens, aber das ist natürlich der Punkt, wo wir ansetzen müssen. Gerade wir als Land wie auch als öffentlicher Auftraggeber haben die Verantwortung, in unserem Bereich dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen so viel Geld verdienen, dass sie tatsächlich von ihrem Entgelt leben können.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Das ist übrigens nicht nur eine Forderung von Sozialdemokraten und Gewerkschaften. Ich habe Folgendes dem heutigen „Medienspiegel“ entnommen, das ist aus dem „Nordkurier“: „Elektro-Innungschef begrüßt Mindestlohn“. Es ist auch eine Forderung einer Vielzahl gerade von kleineren Unternehmen,

(Harry Glawe, CDU: Ja, das ist branchenspezifi sch. Das ist doch völlig klar. – Zuruf von Michael Roolf, FDP)

die sich sagen, dass sie in dem Bereich, in dem sie wirtschaften, ihren Beschäftigten tatsächlich auch die Entgelte zahlen wollen, von denen sie leben können,

(Harry Glawe, CDU: Da sind wir völlig einer Meinung. – Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist richtig.)

aber die natürlich davon abhängig sind, dass zum Beispiel die öffentliche Hand entsprechend die Aufträge auch bezahlt.

(Beifall Ute Schildt, SPD, und Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Richtig.)

Man kann nicht von einem Unternehmen verlangen, dass es einen Mindestlohn zahlt, solange sich die öffentliche Hand auf der anderen Seite weigert, das ist vielleicht etwas hart ausgedrückt, aber es ablehnt, die dann tatsächlich erforderlichen Auftragssummen auch auszukehren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Helmut Holter, DIE LINKE: Sehr richtig. – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Deswegen haben wir einen Antrag gestellt.)

Das, meine Damen und Herren, ist tatsächlich eine Maßnahme, die die Politik durchführen kann. Und das ist eine Maßnahme, die vonseiten der SPD in den nächsten vier Jahren in dieser Wahlperiode immer wieder thematisiert und hoffentlich gemeinsam mit unserem Koalitionspartner schnellstmöglich auch umgesetzt werden kann.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Da bin ich aber gespannt. – Rudolf Borchert, SPD: Wir auch. – Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Die Frage, die sich zusätzlich stellt, ist im Endeffekt dann aber noch eine zweite. Wir haben nicht nur den ersten Arbeitsmarkt und da kann ich nur die Auffassung von Herrn Minister Seidel teilen. Es ist natürlich immer besser, und ich glaube, dass der Kollege Holter das nicht anders sieht, die Erwerbslosen zunächst in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln zu können.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Das haben Sie vollkommen richtig verstanden. – Zuruf von Angelika Gramkow, DIE LINKE)

Das ist, glaube ich, überhaupt keine Frage hier zwischen den demokratischen Parteien. Auf den Rest will ich jetzt nicht eingehen. Aber wir müssen uns natürlich auch mit der Frage beschäftigen, wie wir mit denjenigen umgehen, die aufgrund egal welcher sozialen Umstände, persönlichen Demografi en nicht in der Lage sind, in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt zu werden.

(Angelika Gramkow, DIE LINKE: Ja, aber darauf geben Sie keine Antwort.)

Ich sage hier ganz deutlich: Zielrichtung muss es sein, für diesen dann auch sicherlich begrenzten Personenkreis sozialversicherungspfl ichtige Dauerarbeitsverhältnisse zu schaffen.

(Beifall Ute Schildt, SPD, Angelika Gramkow, DIE LINKE, und Regine Lück, DIE LINKE)

Aber jetzt bin ich ganz ehrlich, Frau Gramkow. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie mir jetzt auf die Schnelle sagen können, wie wir das machen sollen.

(Angelika Gramkow, DIE LINKE: Doch.)