Protokoll der Sitzung vom 18.10.2007

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

„Voice of the blood“, „Stimme des Blutes“...

Herr Borrmann, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf, weil Sie zum wiederholten Male die Würde dieses Hohen Hauses verletzen, indem Sie hier keine korrekte Anrede verwenden.

(Toralf Schnur, FDP: So ist es richtig.)

Ich mache Sie darauf aufmerksam, sollten Sie jetzt noch einmal gegen diese Regelung verstoßen, dass ich dann

den entsprechenden Paragrafen in der Geschäftsordnung anwende, weil ich das für eine gröbliche Verletzung der Würde des Hauses halte.

(Toralf Schnur, FDP: Es ist doch ohnehin der dritte. – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

„Stimme des Blutes“ lautet der Titel einer Musik-CD mit Kompositionen Hildegard von Bingens. Blut. Über Jahrtausende hat kaum ein Gegenstand, kaum ein Begriff wie dieser eine solch wichtige Bedeutung im Leben der menschlichen Zivilisation …

Herr Borrmann, ich erteile Ihnen gemäß

(Stefan Köster, NPD: 99.)

Paragraf 99 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung wegen gröblicher Verletzung der Ordnung,

(Michael Andrejewski, NPD: Einen Rausschmiss.)

oder ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich Sie wegen Paragraf 99 Absatz 1 der Geschäftsordnung von der heutigen Sitzung ausschließe. Bitte verlassen Sie den Saal.

(Michael Andrejewski, NPD: Eine Begründung, gibt es die? – Udo Pastörs, NPD: Was war denn? – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Ich unterbreche die Sitzung und berufe den Ältestenrat ein.

Unterbrechung: 17.56 Uhr

Wiederbeginn: 18.18 Uhr

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.

Gemäß Paragraf 99 Absatz 1 der Geschäftsordnung habe ich den Abgeordneten Herrn Borrmann, Fraktion der NPD, wegen gröblicher Verletzung der Ordnung aus der Sitzung ausgeschlossen. Inwieweit das Verhalten und die Äußerungen von Herrn Borrmann weitere Konsequenzen haben, wird gegenwärtig geprüft und gesondert bekannt gegeben.

Ich darf Ihnen mitteilen, dass die Fraktion der NPD eine Auszeit von 30 Minuten beantragt hat. Ich unterbreche die Sitzung zu diesem Zweck.

Unterbrechung: 18.19 Uhr

Wiederbeginn: 18.49 Uhr

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung zum Tagesordnungspunkt 27: Beratung des Antrages der Fraktion der NPD – Opfer des DDR-Unrechtsregimes aufklären – Licht in die dunkle Vergangenheit bringen, Drucksache 5/915, fort.

Da der Abgeordnete Borrmann von der heutigen Sitzung ausgeschlossen ist, frage ich: Wer wird die Begründung des Antrages vornehmen? – Dann hat Herr Köster das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die NPD-Landtagsfraktion wird, weil sie die

Rechte des vom Volke gewählten Abgeordneten hier im Hause stark beschnitten …

(Der Abgeordnete Köster spricht bei abgeschaltetem Mikrofon weiter.)

Herr Abgeordneter Köster, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie während eines Tagesordnungspunktes im Anschluss an eine Ordnungsmaßnahme hier keine Möglichkeit haben, die Entscheidung des Präsidiums zu kommentieren beziehungsweise auch nicht den Sachverhalt zu kommentieren haben, weswegen ein Abgeordneter diese Ordnungsmaßnahme erhalten hat.

Dann will ich mich dafür entschuldigen.

Die NPD-Landtagsfraktion wird, weil Meinungsfreiheit hier im Hause nicht möglich ist, den Antrag zurückziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD – Michael Andrejewski, NPD: Vorläufi g.)

Ich stelle damit fest, dass der Antrag der NPD-Fraktion auf Drucksache 5/915 zurückgezogen wurde.

Ich mache Herrn Köster darauf aufmerksam, dass die von ihm gewählte Begründung eine Unterstellung in Bezug auf die parlamentarische Demokratie in MecklenburgVorpommern ist. Ich weise dies auf das Entschiedenste zurück.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 28: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Entschließung „Grünbuch – Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Keine Aufweichung des Kündigungsschutzes“, Drucksache 5/911.

Antrag der Fraktion DIE LINKE: Entschließung „Grünbuch – Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Keine Aufweichung des Kündigungsschutzes“ – Drucksache 5/911 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Borchardt von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im November 2006 hat die Europäische Kommission das Grünbuch „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ veröffentlicht. Mit diesem Grünbuch will die Kommission eine öffentliche Debatte über die Erforderlichkeit und über Möglichkeiten der Weiterentwicklung des Arbeitsrechts anstoßen.

Nach dem Konsultationsverfahren, zu dem insgesamt 450 Stellungnahmen eingereicht wurden, hat sich das Europäische Parlament mit einer entsprechenden Entschließung zum Grünbuch verständigt. Grund genug, so meinen wir, uns auch im Landtag Mecklenburg-Vorpommern mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, denn bekanntermaßen kommen nach dem Grünbuch ein Blaubuch, Weißbuch und dann konkrete Entscheidungen, an die sich alle Länder zu halten haben. In diesem konkreten Fall will sich die Kommission in der nächsten Woche noch einmal verständigen. Und es ist wohl angedacht, einzelne Regelungen wie die Arbeit an der Arbeitszeitrichtlinie, die Leiharbeitsrichtlinie und eventuell die Entsenderichtlinie weiter konkret zu untersetzen.

So weit, so gut, könnte man sagen, dann werden wir mal abwarten, was weiter auf uns zukommt. Und da sagen wir ganz klar: Gerade das sollten wir nicht. Denn wie immer, wenn die Kommission ein Thema konkret anpackt, werden in nächster Zeit Entscheidungen getroffen, die auch in unserem Land umzusetzen sind. Und wie wir gestern gehört haben und unter Beweis gestellt wurde, wenn die abschließenden Ergebnisse auf dem Tisch liegen, die aus Brüssel kommen, wird auf Brüssel gezeigt. Deshalb, meine Damen und Herren, die Entscheidungen in Brüssel werden langfristig vorbereitet, wir sollten uns frühzeitig einmischen.

Zum konkreten Sachverhalt: Die Europäische Kommission hat in Bezug auf den Zweck dieses Grünbuches Folgendes geschrieben. Ich zitiere: „Mit dem“ vorliegenden „Grünbuch“ soll „eine Debatte darüber“ angestoßen werden, wie weit „ein reaktionsfähiger Rechtsrahmen benötigt wird, um die Fähigkeit der Arbeitnehmer zu unterstützen, Veränderungen zu akzeptieren und zu bewältigen, unabhängig davon, ob sie einen unbefristeten Arbeitsvertrag oder einen befristeten Nichtstandardvertrag haben“.

Auch hier könnte man sagen, so weit, so gut, wenn man sich oberfl ächlich damit befasst. Beim genaueren Hinsehen wird man feststellen: Gegenstand ist nichts weniger als die Veränderung des Arbeits- und Tarifrechtes, bei dem das zu erreichende Ergebnis bereits vorbestimmt ist, wie zum Beispiel die Beratung des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister am 09.10.2007 deutlich beweist. Es wird festgestellt zu den Schlussfolgerungen zu Flexicurity, ich zitiere: „Darin wird wieder einmal die Behauptung aufgestellt, ein höheres Maß an Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt trage zu mehr Beschäftigung bei. Regierung und Sozialpartner und jeder Einzelne seien dafür verantwortlich, sich mit den notwendigen Qualifi kationen auszustatten, um in der globalisierten Wirtschaft bestehen zu können. Aktive Arbeitsmarktpolitik sei zwar wichtig, dürfe aber nicht zu höheren Staatsausgaben führen, um die Haushaltsdisziplin nicht zu gefährden.“

Ich bin dem Europäischen Parlament sehr dankbar, dass in seiner Entschließung eine Klarstellung erfolgte. Wir legen auch Wert darauf, dass die Entschließung im Konsens aller demokratischen Fraktionen getragen werden kann. Deswegen haben wir uns in unserem Antrag vornehmlich auf die Entschließung des Europäischen Parlamentes vom Juli dieses Jahres bezogen und erwarten, dass auch der Landtag diese unterstützt und im Wesentlichen beitritt. Selbstredend werden nicht alle Positionen, die in der Entschließung des Europäischen Parlaments enthalten sind, von allen hiesigen demokratischen Fraktionen getragen. Auch meine Fraktion beurteilt manche Punkte kritisch. Ich betone jedoch, dass wir die Ihnen vorliegenden Aussagen aus Sicht aller anderen demokratischen Fraktionen in diesem hohen Hause für besonders unterstützenswert halten.

Meine Damen und Herren, ich möchte auf einige Punkte eingehen. Das Europäische Parlament und im Übrigen auch die Bundesregierung haben klargestellt, dass das Arbeitsrecht ein Arbeitnehmerschutzrecht ist, welches die Aufgabe hat, die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Ausgestaltung der Arbeitsvertragsbeziehung auszugleichen. Grundgedanke des Arbeitsrechts muss es demnach sein, einen fairen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern herbeizuführen. Die EU-Kommission geht davon aus, dass eine Flexibilisierung der Beschäftigungsformen aufgrund des verschärften globalen

Wettbewerbs geboten sei und dass die gegenwärtig im Arbeitsrecht der Mitgliedsstaaten verankerten Flexibilisierungsmöglichkeiten dazu nicht ausreichend seien.

Die Kommission greift dabei auf das Konzept der Flexicurity zurück. Vereinfacht ausgedrückt meint Flexicurity die Balance von Flexibilität und Sicherheit. Auf den europäischen Arbeitsmärkten soll sich also größere Flexibilität mit größtmöglicher Sicherheit für alle verbinden, so der fromme Wunsch der Kommission. An dieser Stelle kann ich nur sagen, vielleicht sollte die Kommission in Bezug auf Flexicurity mehr an eine Fortentwicklung für notwendige Weiterbildungsstrategien denken.

Das Europäische Parlament vertritt „die Auffassung, dass das europäische Arbeitsrecht unbefristete Arbeitsverträge als generelle Form des Arbeitsverhältnisses anerkennen sollte, in denen ein angemessener Sozial- und Gesundheitsschutz vorgesehen sowie die Achtung der Grundrechte gewährleistet ist.“

Die Europäische Kommission hingegen hält die üblichen unbefristeten Arbeitsverträge für überholt. Mit dieser Aussage hat sich das Europäische Parlament in keiner Weise einverstanden erklärt. Diese Feststellung ist von besonderer Bedeutung, zu Recht, denn neue Formen von Nichtstandard-Arbeitverträgen, von denen viele prekärer Natur sind, nehmen in besorgniserregendem Ausmaß von Jahr zu Jahr zu. Dies betrifft insbesondere Teilzeitverträge, befristete Arbeitsverträge und vor allem Zeitarbeitsverträge, also Leiharbeit.

Meine Damen und Herren, bereits in dem im Jahr 2003 vorgelegten Bericht der Taskforce „Beschäftigung“ wurde festgestellt, dass bald ein doppelter Arbeitsmarkt entstehen könnte, auf dem sogenannte Insider mit fester Beschäftigung Outsidern gegenüberstehen, zu denen die Arbeitslosen, aber auch die Menschen in prekären und illegalen Beschäftigungsverhältnissen gehören. Arbeits- und Sozialschutzrecht gelten für die Letzteren nur eingeschränkt oder gar überhaupt nicht. Spätestens vier Jahre nach diesem Bericht müssen wir konstatieren, es gibt sie bereits, die Outsider, und ihre Zahl nimmt trotz des gesamtwirtschaftlichen Aufschwungs zu. Immer mehr arbeitende Menschen müssen ergänzende Leistungen des Staates in Anspruch nehmen, um über die Runden zu kommen.

Es ist von zentraler Bedeutung, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in prekären Beschäftigungsverhältnissen grundsätzlich die gleichen Rechte haben wie die sogenannten normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und deswegen muss uns auch klar sein, verteidigen wir den unbefristeten, und ich füge hinzu, auskömmlichen Vollzeitarbeitsvertrag nicht als EU-weite Norm, werden weitere sozial- und arbeitsrechtliche Einschnitte kommen. Dann wird sich die EU weiter von einem europäischen Sozialmodell entfernen. Daher brauchen wir dringend Mindestrechte etwa im Bereich Gesundheitsschutz, Arbeits- und Ruhezeitregelung oder Fortbildung.

Meine Damen und Herren, ich möchte auf ein Zweites eingehen. Die bestehenden Rechtsverhältnisse der Europäischen Union zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter haben ihr Ziel nicht erreicht. Nach wie vor sind es die Frauen, die für gleiche Arbeit weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen erhalten. Nach wie vor sind es die Frauen, die in erster Linie von Teilzeitarbeit betroffen sind. Nach wie vor sind es überwiegend Frauen, die keine andere Wahl haben, irreguläre Arbeitsbeschäftigungsbedingungen akzeptieren müssen. Naturgemäß sind es die

Frauen, die sich in einer dreifachen Bedrängnis befi nden, nämlich sich stärker am Arbeitsmarkt zu beteiligen, Kinder zu gebären und Nebenbetreuungsaufgaben in den Familien zu übernehmen. Und in der Regel sind es die Frauen, die Kompromisse schließen müssen. Es wird also höchste Zeit, dass die seit Ewigkeiten bestehenden Ungleichbehandlungen enden.