Protokoll der Sitzung vom 06.03.2008

Ja, ja. Sehen Sie, Stephen Hawking.

Zwei Milliarden Euro sollen also eingesetzt werden, 140 Arbeitsplätze werden mindestens geschaffen, das Wirtschaftswachstum gestärkt und das Steueraufkommen erhöht, da bleiben keine Wünsche offen. Um so etwas schlagen sich die Staaten normalerweise. Kein Land dieser Welt würde ein Industrieprojekt, das nur Vorteile hat, samt Beschäftigungsgelegenheiten und riesigen Summen kampfl os ins Ausland abwandern lassen. Aber die dänische Regierung, die immerhin an Dong Energy beteiligt ist, tut gar nichts, außer der Investition hinterherzuwinken, ihr gute Reise zu wünschen und sich öffentlich darüber zu freuen, dass dänische Spitzentechnologien nun auch in Deutschland zum Einsatz kommen. Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum werden in Dänemark offenbar nicht mehr gebraucht. Am Finanzministerium hängt vielleicht ein Schild: „Wegen Wohlstands geschlossen“.

Aber vielleicht sind es ja auch andere Dinge, die man dort nicht haben mag, zehn Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr zum Beispiel. Ursprünglich hat Dong Energy von sieben Millionen Tonnen gesprochen, aber irgendwie hat sich der Wert plötzlich geringfügig um drei Millionen Tonnen erhöht. Quecksilber, Schwermetalle, Dioxine und ähnliche Giftstoffe sind in deutschen Gewässern wohl auch lieber gesehen als in dänischen, die zwar mit der Zeit auch ihren Anteil abbekommen werden, aber eben nicht in dieser Konzentration.

Wie der WWF in einem Gutachten aussagte, würden von dem gesamten in Lubmin geplanten Industriekomplex stündlich 451.000 Kubikmeter Wasser in den Bodden fl ießen, die sieben Grad wärmer wären als das dort vorhandene Wasser. Dass das ohne Auswirkungen auf die Ökologie der Ostsee bleibt, wird wohl niemand behaupten wollen. Selbst die von Dong Energy eingeräumten Zahlen – 1,1 Tonnen Quecksilber im Jahr, 750 Tonnen

Staub je 750.000 Tonnen Stick- und Schwefeldioxide – würden die Bezeichnung „Giftschleuder“ schon rechtfertigen. Aber angesichts der wundersam angestiegenen und offi ziell angegebenen CO2-Werte ist durchaus damit zu rechnen, dass sich auch manch andere Zahl plötzlich und unerwartet erhöhen könnte.

Zudem sind die Tourismuszentren in Dänemark wohl heilfroh, dass ihnen folgende optische Attraktion erspart bleibt: Ein nachts hell erleuchteter Megaindustriepark mit einem 110 Meter hohen Schornstein und einem 85 Meter hohen Kesselhaus, und das ganz in der Nähe eines Seebades mitten im Urlaubergebiet am Rande eines Vogelschutzgebietes. Da werden sich die Vögel aber freuen, das ist artgerechte Haltung.

Wirtschaftsminister Seidel wies darauf hin, dass der Tourismus nur zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmache und man deshalb auch Industrie benötige. Das ist zwar richtig, aber nicht, wenn diese Industrie den Tourismus killt.

Nun könnte man sagen, die wirtschaftliche Lage in Mecklenburg-Vorpommern ist so verzweifelt, dass wir alles nehmen müssen und wenn es noch so umweltschädlich ist. Oder wie Angela Merkel es ausdrückte, Zitat, „Nordkurier“, 19.11.2007: „Wenn das Kraftwerk in Bayern, in Baden-Württemberg, im Ruhrgebiet oder sonstwo gebaut wird, wird der Erde genau so viel Schaden angetan wie in Lubmin, nur dann sind die Arbeitsplätze woanders.“ Es soll aber nach Lubmin und nicht nach Kopenhagen oder München, und zwar deswegen, weil MecklenburgVorpommern zu den Schwachen gehört in einer globalisierten Welt, in der der wirtschaftlich Starke sich die beste, sauberste und verträglichste Industrie greift und den Schwachen die Dreckschleudern aufzwingt, mit dem Argument: Du nimmst das oder gar nichts! Die Dänen sind da nicht die Einzigen und deutsche Konzerne sind keinen Deut besser. Sie sind zwar alle gegen Ausländerfeindlichkeit und für Multikulti, aber das hindert sie in keiner Weise am Müllexport in die Dritte Welt.

Der Elektroschrott wird über den Hamburger Hafen angeblich ohne Wissen der Politiker nach Afrika oder auch in die arme Region Chinas gebracht und dort gibt es dann auch Seidels und Ringstorffs, die verkünden: Die Massen von alten Computern seien doch ein toller wirtschaftlicher Urknall. Und es gibt Merkels, die sagen: Gut, der Erde wird Schaden angetan, aber die Arbeitsplätze bleiben hier, für eine Arbeit, bei der die Menschen ungeschützt giftigen und krebserregenden Substanzen preisgegeben sind, während sie versuchen, mit Säuren Edelmetalle aus dem Schrott zu gewinnen. Wobei sie sich vielleicht fragen, warum die Deutschen das nicht selber machen, wenn alles so ungefährlich ist und so viel Wirtschaftswachstum bringt, so, wie sich die Menschen in Lubmin und Umgebung vielleicht fragen,

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Sind Sie nun gegen das Steinkohlekraftwerk oder gegen das ausländische Steinkohlekraftwerk?)

warum die dänische Regierung so furchtbar großzügig zu ihnen ist. Ganz egal, welche Heuschrecke das ist und welche Nationalität sie hat. Nebenbei gehen illegale deutsche Müllexporte auch nach Polen,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das Kohlekraftwerk ist viel gesünder, Herr Andrejewski.)

was dem Thema der Aktuellen Stunde von gestern, „Deutsch-Polnisches Zusammenleben vorurteilsfrei

gestalten“, eine ganz eigene Note gibt. Wir leben in einer strengen sozial-darwinistischen Welt, die wie eine Nahrungskette organisiert ist. Auch wenn sich der führende Verein westliche Wertegemeinschaft nennt, ganz oben sind die Länder und Regionen, die von Drecksarbeit und Dreckschleudern profi tieren, sich selber aber diese vom Leibe halten. Es läuft beispielsweise so: Japan hegt und pfl egt die eigenen Wälder und verwüstet dafür die in Indonesien für seinen Holzbedarf. Ganz unten sind die Regionen, die Müll importieren müssen, nur eine Stufe höher steht Mecklenburg-Vorpommern.

Hier soll nicht nur die Dreckschleuder in Lubmin entstehen, sondern dank dem russischen Konzern Gasprom, der auch nur das Beste für uns will, der größte Gasspeicher Europas und die größten Schweinefarmen, die ihre Betreiber in den heimischen Niederlanden nie genehmigt bekämen, und die größten Windparks, die auch Tourismuskiller sind in der Dimension, Versuchsfelder für Gen-Kartoffeln und, wie bei Gadebusch geplant, riesige Legehennenbatterien, die man im Westen auch nicht mehr genehmigt bekommt, alles, was andere nicht haben wollen.

(Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Aber attraktive saubere Technologie, wie das DVD-Werk in Dassow, das kann sich hier nicht halten. Da werden die Maschinen schon sonst wohin abtransportiert und zum Ausgleich bekommt Mecklenburg-Vorpommern sicher bald eine neue Dreckschleuder. Wir sagen nicht, dass Mecklenburg-Vorpommern völlig frei sein soll von unattraktiver Industrie. So lange nicht alles sauber produziert werden kann, muss eben jeder sein Teil tragen. Aber wir lehnen es ab, dass alle Dreckschleudern der Welt hier konzentriert werden.

Dassow weg und Lubmin her, dieses Prinzip greifen wir an. Schade übrigens, dass weder Landtag noch Volk gegen dieses Vorhaben allzu viel ausrichten können und zu bestimmen haben. Die gerade laufende Volksinitiative kann nur erreichen, dass der Landtag sich mit ihr befasst. Der Landtag hat nicht viel zu entscheiden, es entscheiden die zuständigen Behörden nach den einschlägigen Gesetzen und anschließend, aufgrund von Beschwerden, die Gerichte. Das hat einen positiven Aspekt, wenn die Angelegenheit in der Hand von Richtern statt von Politikern liegt, weil Richter in der Regel qualifi zierter sind. Aber andererseits ist es doch traurig, dass ein Gremium wie der Landtag eine so wesentliche Frage nicht selbst bestimmen kann. Er kann nur noch Stellung dazu nehmen,

(Reinhard Dankert, SPD: Sie müssen nicht von sich auf andere schließen.)

er kann Dong Energy nur noch seine Meinung sagen, anstatt Dong Energy aus der Hand zu fressen. Und Ersteres sollte er tun. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Er hat gar nicht zu seinem Antrag gesprochen.)

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Herr Müller von der SPD.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der geplante Bau eines Steinkohlekraftwerks in Lubmin gehört zu den am häufi gsten und bekanntermaßen auch sehr kontrovers diskutierten politischen Themen dieses Landes. Wie bei allen solchen heißen Themen versucht natürlich die NPD, sich an einer solchen Diskussion die Finger zu wärmen und ihr eigenes braunes Süppchen auf dieser Diskussionsfl amme zu kochen. Es hätte mich schon gewundert, wenn Sie nicht zu diesem Thema einen Antrag eingebracht hätten.

(Udo Pastörs, NPD: Weil Sie es nicht tun, Herr Müller. Und das machen wir auch weiterhin.)

Zu anderen relevanten Themen tun Sie es auch. Und so beantragt die NPD hier, dass wir diese Investition in Lubmin zur unerwünschten ausländischen Investition erklären.

(Udo Pastörs, NPD: Richtig. – Reinhard Dankert, SPD: Da geht’s nämlich drum, da wird abgelenkt.)

Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie uns mal dieses komplizierte Thema Punkt für Punkt abschichten. Es wird für dieses Investitionsvorhaben wie für andere Investitionsvorhaben größeren Ausmaßes auch ein Genehmigungsverfahren geben. Der Rechtsstaat, in dem wir leben, gibt für dieses Genehmigungsverfahren die Regeln vor. Im Rahmen dieser Regeln wird dieses Genehmigungsverfahren ablaufen. Das schließt natürlich nicht aus, dass der Landtag, der bekanntlich nach unserer Landesverfassung die Stätte der politischen Willensbildung im Land ist, dieses Thema diskutiert und sich dazu eine Meinung bildet, so, wie es in der Öffentlichkeit auch geschieht.

(Udo Pastörs, NPD: Die aber nichts am Sachverhalt ändern kann.)

In dieser Diskussion, meine Damen und Herren, werden von den Befürwortern wie von den Kritikern eine Reihe von Argumenten aufgeführt. Bei den Argumenten der Befürworter geht es insbesondere um wirtschaftspolitische Argumente und um energiepolitische Aspekte.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: So ist es.)

Energiepolitik wird allerdings auch von den Kritikern dieses Vorhabens ins Feld geführt und dazu ökologische Aspekte. Und dann gibt es eine dritte Variante, die sagt, wir können dieses Kraftwerk, dieses Vorhaben vielleicht modifi zieren, halbieren. Auch hier wird sowohl mit wirtschaftlichen wie mit ökologischen, wie mit energiepolitischen Argumenten gearbeitet. All diesen Argumentationslinien, meine Damen und Herren, ist eines gemeinsam: Die Argumente, die vorgetragen werden, sind rationale Argumente und sie sind ernst zu nehmende Argumente. Und wenn ich die Diskussion richtig wahrnehme, von Ausreißern wollen wir mal absehen, dann ist auch die eine Seite bereit, die Argumente der anderen Seite zu hören und sie ernst zu nehmen.

(Ute Schildt, SPD: Das ist völlig richtig. In einer Demokratie ist das so.)

Was für mich kein ernst zu nehmendes Argument ist, und das sage ich hier in aller Deutlichkeit, ist die Tatsache, dass der Investor kein deutsches Unternehmen ist.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Das ist richtig. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Weder die Argumente für eine solche Investition noch die Argumente gegen ein solches Vorhaben werden stärker, wenn der Investor nicht aus Köln, sondern aus Kopenhagen kommt. Dieses, meine Damen und Herren, ist kein ernst zu nehmendes Argument

(Udo Pastörs, NPD: Das ist sehr ernst zu nehmen aus unserer Sicht.)

und deswegen werden wir uns auf diese Diskussion überhaupt nicht einlassen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und FDP – Udo Pastörs, NPD: Das habe ich mir gedacht.)

Es ist ein billiger Versuch, eine kritische Diskussion umzulenken in ein chauvinistisches, in ein nationalistisches, in ein ausländerfeindliches Fahrwasser, wie wir das bei vielen anderen Themen auch erleben. Diesen Versuch, meine Damen und Herren, werden wir nicht mitmachen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Udo Pastörs, NPD: Wir haben nichts anderes erwartet, Herr Müller.)

Für uns ist es nicht entscheidungserheblich,

(Stefan Köster, NPD: Ausländerfeindlich sind Sie. Sie wollen doch alles gleichschalten.)

wo der Investor sitzt, sondern für uns sind wirtschaftliche, energiepolitische und ökologische Aspekte ausschlaggebend. Anhand dieser Aspekte werden wir die Diskussion führen und anhand dieser Aspekte bilden wir uns eine Meinung.

Wir erleben von Ihnen, meine Herren von der NPD, tagtäglich, dass für Sie Menschen, die keine Deutschen sind, ganz offenkundig weniger wert sind als Deutsche.

(Udo Pastörs, NPD: Blödsinn. Das wissen Sie, dass das nicht stimmt. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Das erleben wir von Ihnen. Wir haben es hier in dieser Woche erlebt, wenn wir über Polen diskutieren, und wir erleben es nahezu täglich in Ihren Argumentationen.

(Udo Pastörs, NPD: Achmadinedschat gefällt mir.)

Wir lehnen eine solche Argumentation ab.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP)

Wir lehnen sie in Bezug auf Menschen ab, wir lehnen sie ab in Bezug auf Kapital, auf Waren, auf Ideen und auf Kultur. Wir wollen kein eingemauertes Deutschland, sondern wir wollen ein Deutschland,