(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Was? Frau Borchardt? Herr Borchert. – Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE, FDP und NPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Erwartung eines sicherlich richtig schönen Sommerfestes hier im Landtag bei dem herrlichen Wetter möchte ich meinen geplanten Redebeitrag an dieser Stelle mal beiseitelegen
und für die Koalitionsfraktionen lediglich die Überweisung in den Finanzausschuss beantragen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Andreas Bluhm, DIE LINKE: Na, können Sie mir das mit der Kirchensteuer mal erläutern?!)
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 5/1570 zur Beratung an den Finanzausschuss zu überweisen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Danke. Die Gegenprobe. – Danke. Enthaltungen? – Damit ist dieser Überweisungsvorschlag bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE, der SPD, der CDU, der FDP und Ablehnung der Fraktion der NPD überwiesen.
Meine Damen und Herren, vereinbarungsgemäß rufe ich den Tagesordnungspunkt 39 auf: Beratung des Antrages der Fraktion der NPD – SGB II ändern und bei angemessenem Hausrat die bisherigen Lebensverhältnisse berücksichtigen, Drucksache 5/1584.
Antrag der Fraktion der NPD: SGB II ändern und bei angemessenem Hausrat die bisherigen Lebensverhältnisse berücksichtigen – Drucksache 5/1584 –
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Einstimmung zum Landtagssommerfest, von dem ich verspreche, nicht zu kommen.
Aber freuen Sie sich nicht zu früh! Udo Pastörs kommt und Stefan Köster hat auch gesagt, er kommt. Aber zu viel wollen wir Ihnen nicht zumuten.
Die sogenannten Hartz-IV-Reformen sind nicht nur an sich unsinnig, sondern auch dermaßen widersprüchlich, dass gar kein durchdachtes Konzept dahinterstecken kann, vermutlich noch nicht einmal ein bösartiges. Sie sind reines Chaos.
Einerseits werden die Bezieher von Grundsicherung nach SGB II massiv benachteiligt, weil ihnen ein wesentlich geringeres Schonvermögen als den Beziehern von Arbeitslosengeld II zugebilligt wird, ohne dass es dafür auch nur den geringsten nachvollziehbaren Grund gäbe. Andererseits werden sie bezüglich der Hausratsgegenstände, die sie nicht für ihren Lebensunterhalt versilbern müssen und stattdessen behalten dürfen, deutlich besser behandelt, ebenfalls ohne Grund und Sinn und Verstand. Bei ihnen sind die bisherigen Lebensverhältnisse zu berücksichtigen. Im Sinne der früheren Auslegung der Arbeitslosenhilfeverordnung werden auch beispielsweise wertvollere Möbelstücke und Teppiche als geschützt angesehen, gemäß der Üblichkeit in vergleichbaren Bevölkerungskreisen. Verlangt wird lediglich, dass sich die Hilfesuchenden von besonders wertvollen Möbeln trennen und bei luxuriöser Einrichtung den Umstieg auf angemessene Gegenstände vollziehen, wie es im Amtsdeutsch heißt.
Das lässt sich gerade noch vertreten, aber den arbeitsfähigen Hilfesuchenden ergeht es wesentlich übler. Für sie gelten die günstigeren Bestimmungen der alten Sozialhilfe nicht, ein weiterer Beweis für die Haltlosigkeit der Behauptung, die Umstellung auf Arbeitslosengeld II hätte für die Betroffenen Verbesserungen herbeigeführt. Verwiesen wird dabei immer auf die paar Euro Rentenanspruch, die Langzeitarbeitslose pro Jahr erwerben, und den höheren Regelsatz. Bezahlt wird das aber nicht nur mit dem Wegfall von einmaligen Zuwendungen für besonderen Bedarf – es ist anzusparen –, sondern auch damit, dass bei Angemessenheit des Hausrats allein die Lebensumstände während des Bezugs von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschlaggebend sind. Diese Lebensumstände werden davon bestimmt, dass Alleinstehende von einem Regelsatz in Höhe von ab Juli dieses Jahres 351 Euro zu leben haben, etwas mehr als die jüngste Gehaltserhöhung der Minister der Landesregierung und etwa das Dreifache der anstehenden Diätenerhöhungen und weit unter zehn Prozent der jetzigen Diäten – zur Verdeutlichung.
Was der Langzeitarbeitslose an Hausrat behalten darf, leitet sich davon ab, was man sich von diesem Betrag leisten kann, also von etwa 11,60 Euro pro Tag. Unter Hausrat werden dabei alle Sachen verstanden, die der Hauswirtschaft und dem familiären Zusammenleben dienen, neben der Wohnungseinrichtung, beispielsweise Möbel, Teppiche, Bilder, sind das auch Bücher, Rundfunk- und Fernsehgeräte, aber auch Lebensmittel, sogar Brennstoffvorräte und Haushaltswäsche. Was ist davon mit dem langzeitarbeitslosen Dasein nicht zu vereinbaren? Braucht ein Langzeitarbeitsloser überhaupt eigene Bücher? Kann er nicht in die öffentliche Bibliothek gehen? Und wenn ja, wie viele Bücher und welche Bücher darf er haben? Sind zwei Anzüge, 4 Bettbezüge zu viel? Und was sind das für unangemessene Lebensmittel, die er sofort versilbern muss? Vielleicht eine Flasche zu teueren Wein, den er irgendwann einmal zum Geburtstag geschenkt bekommen hat? Und zu voll soll der Öltank offenbar auch nicht sein.
Als Hartz IV im Jahre 2005 startete, herrschte auf diesem Gebiet völlige Rechtsunsicherheit. Jede Behörde entwickelte ihren eigenen Begriff von Angemessenheit, denn der ist nicht allgemein verbindlich geregelt, sondern leitet sich von Beliebigkeitsentscheidungen im jeweiligen Einzelfall ab. So entstanden in Deutschland für Langzeitarbeitslose zahlreiche unterschiedliche Rechts- und manchmal auch Willkürzonen. Was man von der Haushaltswäsche veräußern musste, um sich vom Erlös angemessenen Ersatz zu verschaffen und die Differenz für den Lebensunterhalt einzusetzen, das hing davon ab, wo man wohnte und wem man ausgeliefert war.
Im Wesentlichen ist das heute auch noch so. Zwar gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Urteilen von Sozialgerichten aller Instanzen, aber erstens widersprechen die einander häufig und zweitens kümmern sich viele Sozialbehörden einfach nicht um die Rechtslage. Sie setzen darauf, dass die Bürger es nicht wagen, sich zu wehren. Und gerade jetzt, wo sich dennoch immer mehr Betroffene vor die Sozialgerichte trauen und nicht selten auch gewinnen, zu 40 Prozent etwa, würgt der Parteienstaat diese Entwicklung wieder ab, indem er Gerichtsgebühren an den Sozialgerichten einführen und überdies den Zugang zur Prozesskostenhilfe wesentlich erschweren will.
Der schlimmste Aspekt dieser Hausratsbegrenzungsregelung ist aber das umfassende Überwachungssystem und der totale Verlust der Privatsphäre für die Leistungsbezieher. Viele Sozialbehörden unterhalten sogenannte Sozialermittlungsdienste, deren Aufgabe natürlich auch die von Hausratsdetektiven ist. Die dürfen sich mehr leisten als Polizisten bei einer Hausdurchsuchung. Wer ihnen nämlich die Durchstöberung der Wohnung auf der Suche nach für Arbeitslose verbotenen, weil nicht ausreichend billigen Gegenständen verwehrt, dem können Sie mangelnde Mitwirkung vorwerfen, was dann sofort ein Vorwand ist zur Kürzung oder gar Streichung von Leistungen. Damit kann nicht einmal die Polizei drohen. Das sorgt für ein Klima allgemeiner Einschüchterung.
Die Behörde kann es auch vom Wohlverhalten des Einzelnen abhängig machen, ob er seinen Ansprüchen nun nachgeht oder nicht, ob sie einen bestimmten Teil des Hausrats als unangemessen einstuft und ob sie die Verwertung für im Einzelfall unwirtschaftlich hält oder von einer besonderen Härte für den Betroffenen ausgeht. Das sind alles Gummiparagrafen. Das Grundübel ist der Begriff „Lebensumstände“ während des Bezugs von Grundsicherung, zu denen ein bestimmter Hausrat passt, ein Erwerbsloseneinheitshausrat, so, als ob wir in einem
altindischen Kastensystem leben würden, wo jeder Kaste ein bestimmter Lebensstil auferlegt wird, oder wie im Mittelalter, als den höheren Ständen gewisse Kleidungsstücke vorbehalten waren, und wer es wagte, die zu tragen, und nicht dazugehörte, wurde bestraft.
Wie wäre es denn in Zukunft mit staatlichen Warnhinweisen auf Waren, die als Haushaltsgegenstände benutzt werden können: „Achtung, für Langzeitarbeitslose unangemessen!“, in grellen Farben und nicht abwaschbar, um den Hausratsdetektiven der Behörden die Arbeit zu erleichtern, oder Pflichterkennungsplaketten für Langzeitarbeitslose, damit Verkäufer in Möbelgeschäften sie sofort erkennen, denn es könnte sich ja einer, der noch Schonvermögen hat, etwas Unangemessenes kaufen. Und das darf nicht sein im neuen Klassenstaat.
Dass man keine Luxusgegenstände, ausgesprochene Luxusgegenstände zu Hause herumstehen hat, während man Grundsicherung bezieht, wird jeder einsehen. Aber ein spezieller Hausratsstandard für Langzeitarbeitslose, dafür sollte sich sogar dieser Parteienstaat zu schade sein. Herr Glawe hat letztens wohl gesagt im Zusammenhang mit diesem Hartz-IV-Tribunal, dass Hartz IV auch eine Brücke zurück ins Leben sei. Man muss sich nur fragen, was für ein Leben. – Danke.
Und, Herr Andrejewski, ich will ja nichts sagen, aber ich glaube, das, was Sie heute gesagt haben, das haben wir auch schon fünf Mal gehört,
(Raimund Borrmann, NPD: Ihr kennt euch ja nicht aus im realen Leben. – Irene Müller, DIE LINKE: Schreien Sie doch nicht so!)
Ein bisschen, muss ich sagen, habe ich Verständnisprobleme, wenn ich Ihren Antrag lese. Erstens ist er sehr kurz. Da ist, was Sie jetzt vorgetragen haben, nicht richtig was drin.
Zweitens habe ich Ihnen eben erklärt – ich glaube, Sie sind Jurist, oder Sie sagen, dass Sie Jurist sind,
(Volker Schlotmann, SPD: Das glaubt der nur. Das glaubt der nur. – Dr. Armin Jäger, CDU: Oh ja, das glaubt er.)
Sie müssen es wissen –, dass Sie das SGB II hier nicht ändern können. Wenn ich manche Äußerungen aus Ihrer Fraktion höre in Richtung von Menschen mit Behinderung, Frauen oder die in Ihrer Rede verwandten Plaketten, ich meine, das zeigt teilweise dann schon in der Rede, woher sie stammen.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP – Zuruf von Raimund Borrmann, NPD)
Auch das muss ich Ihnen leider ins Stammbuch schreiben: Es gibt schon Initiativen des Landtages, es gibt auch beschlossene. Die Landesregierung ist schon aufgefordert, in einigen Sachen aktiv zu werden. Das hätten Sie auch schon irgendwann einmal mitkriegen müssen, dass wir das Thema hier schon hatten.