Protokoll der Sitzung vom 03.07.2008

(Ute Schildt, SPD: Genau.)

Und weiter heißt es in diesem Schreiben: „Im Abgleich mit dem Beschluss des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-346/06“ – das ist diese Wohlfahrtsentscheidung – „bitten wir Sie, sich im gesetz geberischen Verfahren von Land und Bund dafür zu verwenden, eine zum europäischen und zum nationalen Personenbeförderungs- und Vergaberecht rechtskonforme Regelung zur Tarifbindung als Vergabekriterium für Verkehrsleistung zu schaffen.“

Meine Damen und Herren, besser als dieser Unternehmensverband hätte meine Fraktion den Sinn und Zweck unserer Anstrengung zur Erreichung eines Landesvergabe- und Tariftreuegesetzes nicht formulieren können.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Sehr richtig.)

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass man weder mir persönlich noch meiner Fraktion ein gespanntes Verhältnis zu den Gewerkschaften nachsagen kann. Im Gegenteil, meine Damen und Herren, für mich sind und bleiben die Gewerkschaften wie auch die Arbeitgeberverbände eine wesentliche Voraussetzung für das weitere Funktionieren einer sozialen Marktwirtschaft.

Aber, meine Damen und Herren, vielleicht ist ja dem einen oder anderen dann doch aufgefallen, die Forderung, die ich zuvor zitiert habe, kam aus dem Bereich der Wirtschaft. Wenn es denn, was ein Vergabe- und Tariftreuegesetz betrifft, eine angebliche Bringschuld der SPD-Fraktion geben sollte, auch das habe ich in der Vergangenheit immer wieder hören müssen, wer hat denn dann – und diese Frage möchte ich an jeden richten, der sich den Schuh selber anzieht – eine Bringschuld gegenüber den betroffenen Unternehmen in diesem Land?

Meine Damen und Herren, hier geht es nicht um eine Bringschuld. Mir geht es auch nicht darum, sich Peinlichkeiten preiszugeben, hier geht es nur darum, bestmöglich den berechtigten Interessen der Menschen in diesem Land zu entsprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Und wenn der niedersächsische CDU-Finanzminister Möllring im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“ vom 04.04.2008 erklärt, dass er durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes – Zitat – „ein sinnvolles Gesetz gefährdet sehe und aufgrund der Entscheidung negative Folgen für einheimische Unternehmer befürchtet, da der kleine Mittelständler, der mit einigen wenigen Arbeitnehmern seinen Betrieb unterhalte, nun hinsichtlich seiner Lohnkosten nicht mehr geschützt sei,“ dann sollten solche Aussagen vielleicht auch hier im Land dem einen oder anderen zu denken geben.

Meine Damen und Herren, Aufgabe dieses Landtages ist es doch nicht nur, Richtlinien der Europäischen Union wie beim Seilbahngesetz umzusetzen oder schwerwiegende Entscheidungen im Hinblick auf den besten Aussichtspunkt auf das Schweriner Schloss zu diskutieren.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Sie sind ja spaßig! – Zuruf von Raimund Borrmann, NPD)

Aufgabe dieses Landes muss es doch sein, im Rahmen seiner Gestaltungskompetenz dafür Sorge zu tragen, die verbleibenden rechtlichen Möglichkeiten, welche die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zum niedersächsischen Tariftreuegesetz noch eröffnet, im Interesse der Vielzahl von kleinen und mittelständischen Unternehmen und deren Beschäftigten auszuloten.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Und, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, da in unserem Land ja noch kein Vergabe- und Tariftreuegesetz existiert, auf die Reaktion des Bauindustrieverbandes Niedersachsen/Bremen zu verweisen, der laut Pressemitteilung vom 09.04.2008 mit Empörung, Herr Roolf, auf die Handlungsempfehlung des FDP-geführten niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr zur Aufhebung von Vergabeverfahren im Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes am 3. April 2008 zur Tariftreueregelung des Landesvergabegesetzes Niedersachsen reagierte.

(Ute Schildt, SPD: Hört, hört! – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

So weit, Herr Kollege, zur angeblichen Nähe der FDP zur Wirtschaft.

(Volker Schlotmann, SPD: Es kommt immer drauf an.)

Meine Damen und Damen, was die SPD-Fraktion erreichen will, lässt sich eigentlich in vier wesentlichen Punkten festhalten:

Erstens. Wir verfolgen das Ziel, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge mittelstandsfreundliche Bedingungen zu schaffen und bei öffentlichen Aufträgen insoweit auf eine möglichst breite Streuung mittelstandsgeeigneter Aufträge hinzuwirken, um mögliche Wettbewerbsnachteile kleiner und mittlerer Unternehmen sowie freier Berufe gegenüber großen Unternehmen auszugleichen und ihnen den Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu erleichtern.

Zweitens. Wir wollen die auftragnehmenden Unternehmen in die Pflicht nehmen, ihren Beschäftigten mindestens die für den Ausführungsort in Mecklenburg-Vorpommern jeweils geltenden branchen- und tätigkeitsspezifischen Mindestentgeltsätze einschließlich der jeweiligen Überstundensätze zu zahlen.

Nach unserer Einschätzung macht der Landesgesetzgeber bei der Ausgestaltung dieser Vorschrift auf der Grundlage von Paragraf 97 Absatz 4 zweiter Halbsatz GWB von der durch die Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge eröffneten Möglichkeit zur Auferlegung von zusätzlichen Verpflichtungen unter anderem im Bereich der Arbeitsbedingungen Gebrauch. Dieses ist nach unserer Auffassung einer der wesentlichen Rückschlüsse aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes. Wir beschränken den sachlichen Geltungsbereich unseres Gesetzentwurfes ausdrücklich auf den Bereich, der nicht bereits durch den Bundesgesetzgeber, zum Beispiel über das Arbeitnehmerentsendegesetz, geregelt wird.

(Ute Schildt, SPD: Richtig.)

Auch das ist eine Konsequenz aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes. Das sind beides Gesichtspunkte, die in der Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums keinerlei rechtliche Auseinandersetzung erfahren haben.

Der Vorschrift des Paragrafen 97 Absatz 4 zweiter Halbsatz GWB, nach der andere oder weitergehende Anforderungen an Auftragnehmer nur gestellt werden dürfen, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist, ist dabei zu entnehmen, dass auch aus Sicht des Bundesgesetzgebers die Regelung solcher Kriterien durch den Landesgesetzgeber grundsätzlich möglich sein soll. Ausweislich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes wurde mit der in Paragraf 97 Absatz 4 zweiter Halbsatz GWB bestimmten Zulässigkeit gerade auch dem Wunsch der Länder nach einer kompetenzrechtlichen Legitimation eigener Tariftreuevorschriften für den Bereich der Auftragsvergabe Rechnung getragen.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Nach Auffassung meiner Fraktion hat es damit eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Klärung dieser Frage gegeben. Sofern Bedenken, was die verfassungsrechtliche Zulässigkeit angeht, bestehen sollten, kann man diese natürlich haben, aber dann muss man sie auch begründen können.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

Das, meine Damen und Herren, erwarten ja schließlich auch die Kritiker einer Tariftreueregelung im Anschluss an die bereits genannte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes von uns.

Drittens. Meine Damen und Herren, wir wollen die Anerkennung und Förderung der beruflichen Erstausbildung durch die Unternehmen als Teil einer Beschäftigungsstrategie. Bei gleichwertigen Angeboten soll das Angebot für den jeweiligen Auftraggeber – die Möglichkeit in der beruflichen Erstausbildung –, engagierte Unternehmen bevorzugt zu berücksichtigen, geschaffen werden. Das kann man in Anspruch nehmen, muss man aber nicht. Ich denke, es gibt eine Vielzahl von kleineren Unternehmen, die deswegen nicht traurig wären, wenn man ihnen diese Möglichkeiten im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe geben würde.

Viertens. Wir wollen eine Regelung gestalten, wonach auf ein Angebot mit einem unangemessen niedrigen Preis der Zuschlag nicht erteilt werden darf. Die Rege

lung dient dabei in erster Linie dem Schutz des Auftraggebers. Der Auftraggeber läuft anderenfalls bei der Zuschlagserteilung auf ein solches Angebot Gefahr, dass der Auftragnehmer in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät und den Auftrag nicht oder nicht ordnungsgemäß beziehungsweise nicht mängelfrei zu Ende führt.

Die von uns angedachte Differenz von zehn Prozent zum nächstplatzierten Bieter ist dabei als Grenzwert bestimmt, der den Auftraggeber zur Prüfung der Angemessenheit des Angebotes verpflichtet. Anders als bei den bereits bestehenden Regelungen soll es im Rahmen der durch den Auftraggeber vorzunehmenden Prüfung zukünftig dem Bieter obliegen, die Ordnungsgemäßheit des Angebotes nachzuweisen. Damit, meine Damen und Herren, nimmt meine Fraktion eine Forderung auf, die immer wieder gerade von den einheimischen Unternehmen aufgestellt wurde.

Meine Damen und Herren, meine Fraktion ist der Auffassung, dass der durch uns erarbeitete Gesetzentwurf den Rahmen der nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes gelassenen Möglichkeiten rechtskonform ausschöpft. Gerade weil wir dieser Auffassung sind, besteht selbstverständlich unsererseits auch die Bereitschaft, die Frage der bestehenden europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen durch einen sachverständigen unabhängigen Gutachter prüfen zu lassen. Dies ist auch kein Zeichen eines grundsätzlichen Zweifels an der fachlichen Kompetenz der in den verschiedenen Ministerien arbeitenden Mitarbeiter. Aber die Komplexität der vorhandenen rechtlichen Fragen und die sich daraus für eine weitere Bearbeitung eines Landesvergabe- und Tariftreuegesetzes ergebenden Auswirkungen machen es aus unserer Sicht erforderlich, einen Sachverständigen, der auch über die Landesgrenzen hinaus über eine entsprechende Reputation verfügt, mit der rechtlichen Erarbeitung des Gutachtens zu beauftragen.

(Gino Leonhard, FDP: Das kennen Sie wohl schon, was?!)

Erlauben Sie mir, dieses abschließend – bevor Sie hier nur noch Lachkrämpfe bekommen – an zwei Beispielen deutlich zu machen:

Erstens, am Berliner Vergabegesetz. Als das betreffende Gesetz in Kraft trat, wurde zunächst durch das Bundeskartellamt die dortige Tariftreueregelung für verfassungswidrig erachtet. Daraufhin wandte sich das Land Berlin an das Kammergericht Berlin. Das ist das dortige Oberlandesgericht. Dieses erklärte die betreffende Regelung erneut für verfassungswidrig, worauf das Land Berlin den Bundesgerichtshof anrief. Auch der folgte der Entscheidung der vorhergehenden Instanzen und Beteiligten und erklärte erneut die Tariftreueregelung für verfassungswidrig. Erst das Bundesverfassungsgericht erklärte in seiner Entscheidung im Jahr 2006 die betreffende Tariftreueregelung nicht nur für verfassungskonform, sondern bescheinigte darüber hinaus dem Landesgesetzgeber ein überragendes Allgemeinwohlinteresse zur Schaffung einer diesbezüglichen Regelung. Das nur zur Komplexität verfassungsrechtlicher Fragen.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Richtig. Und danach haben wir unseren Gesetzentwurf eingebracht.)

Zweitens, meine Damen und Herren, erlaube ich mir, auf eine gutachterliche Stellungnahme des Bremer Hochschulprofessors Wolfgang Däubler zu der Frage von

Tariftreueklauseln nach der Hofert-Entscheidung des EuGH zu verweisen. Ich kann sie jedem gerne geben. Sie ist aber auch im Internet verfügbar, wer sie lesen möchte. Herr Professor Däubler schlägt in seinem Gutachten vor – jetzt bitte ich zuzuhören –, die bestehenden tariftreuerechtlichen Regelungen beizubehalten und dem Europäischen Gerichtshof auf diese Art und Weise die Möglichkeit zum Überdenken seiner Entscheidungsgründe in einem weiteren Verfahren zu geben.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Dermaßen groß sind die europarechtlichen Bedenken. Er ist übrigens nicht der einzige Hochschullehrer in Deutschland, der diese Auffassung vertritt, welche Herr Professor Däubler in seinem Gutachten an der Europarechtskonformität der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur Tariftreuefrage hat. Und er steht, wie gesagt, damit inzwischen durchaus nicht allein. Durch die von Herrn Professor Däubler vorgeschlagene Vorgehensweise, die ist übrigens nicht besonders innovativ, im sogenannten Paletta-Fall, Herr Kollege Jäger wird ihn wahrscheinlich kennen,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

hat es der EuGH immerhin fertiggebracht, innerhalb eines Rechtsstreites bei Vorlage durch zwei Instanzgerichte seine eigene Rechtsprechung fortzuentwickeln, das heißt, im konkreten Fall zu revidieren.

Meine Damen und Herren, man muss nicht so weit gehen wie der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Jan Matzer, der laut FAZ-Net vom 24.07.2007 unter Bezugnahme auf einen anderen Rechtsstreit vor dem Europäischen Gerichtshof erklärt hat, dass der Europäische Gerichtshof allgemeine Rechtsgrundsätze aufgestellt habe, die mehr dem platonischen Rechtssinne als den Gesetzbüchern entstammen würden und sowohl hinsichtlich ihrer Existenz als auch ihres Inhaltes von Unbestimmtheit gekennzeichnet seien. Das ist nicht meine Meinung. Im Zweifelsfall eines solchen Ergebnisses wie in der vorliegenden Frage einer europarechtskonformen Tariftreueregelung dieses nach außen vertreten zu müssen, möchte ich ehrlich gesagt keinem noch so qualifizierten Mitarbeiter eines Ministeriums dieses Landes zumuten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

Danke schön, Herr Schulte.

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der Fraktion der NPD, der Abgeordnete Herr Pastörs.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte bemerkt, dass der Kollege Vierkant eingeschlafen ist.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Ach, der kommt auch noch zu Wort.)

Ich weiß nicht, ob das am Inhalt der Rede meines Vorredners lag.

(Zuruf von Volker Schlotmann, SPD)