Das Plakat aber blieb. Kurze Zeit später erschien in einem kirchlichen Schaukasten ein Plakat mit der Aufschrift „Bleibet im Lande und wehret Euch täglich“.
Die Leute, die vorübergingen, blieben stehen und kamen ins Gespräch. Als dann vor diesem Schaukasten ein B1000 hielt, zwei Männer in dunkler Kleidung heraussprangen und alles mit schwarzer Farbe zugekleistert hatten, strömten die Menschen hinzu und wollten nun genau wissen, was sie offiziell nicht zu wissen bekommen sollten.
(Udo Pastörs, NPD: Das ist wie mit unserer Propaganda. Da macht ihr das auch so. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)
Diese Sprüche, meine Damen und Herren, lösten in der Stadt Röbel die Debatten aus, die dann im ganzen Land, in der DDR, zu den Demonstrationen und zur friedlichen Revolution des Herbstes 1989 geführt haben. Heute blicken wir auf diese Zeit zurück:
Am 18. März 1990 fand die erste demokratische und zugleich letzte Parlamentswahl in der DDR statt. Am 1. Juli 1990 wurde mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion die D-Mark eingeführt und am 3. Oktober 1990 die Deutsche Einheit in Frieden und Freiheit
Wenn es zwei Männer gibt, die für die vergangenen wechselvollen 60 Jahre in Deutschland und Europa stehen, dann sind es Willy Brandt und Helmut Kohl. Willy Brandt hat mit der von ihm entwickelten und gegen viele Widerstände durchgesetzten Ostpolitik den Grundstein für die Einheit Deutschlands und Europas gelegt.
Wandel durch Annäherung, zwischenstaatliche und zwischenmenschliche Erleichterungen und Grenzen durchlässiger machen, das waren seine Ziele.
Er wusste, dass Diktaturen dann schwächer werden, wenn sie aufgeweicht werden, und zwar von außen und von innen. In einer Diktatur, die sich abschotten kann, wird der Diktator immer stärker. Das mussten wir in den 40 Nachkriegsjahren in verschiedenen Staaten des Warschauer Paktes erleben und müssen es heute beobachten, wenn wir zum Beispiel nach Weißrussland schauen.
Helmut Kohl ist dann im Herbst 1989, als andere Politiker zögerten, zupackend und umsichtig für die Wiedervereinigung Deutschlands eingetreten und hat die Voraussetzungen für die europäische Einigung geschaffen. Ihm ist es zu verdanken, dass völkerrechtlich der Zweite Weltkrieg für beendet erklärt werden konnte
und die Souveränität Deutschlands in seinen Grenzen in Frieden und Freiheit von allen Staaten anerkannt worden ist.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP – Raimund Borrmann, NPD: Das ist falsch. – Michael Andrejewski, NPD: Es gibt keine vollständige Souveränität Deutschlands. Das ist falsch.)
Meine Damen und Herren, vieles ist seit dieser Zeit geschehen. Auch bei uns in Mecklenburg-Vorpommern war der zurückgelegte Weg nicht immer einfach. Die Frage ist aber nicht, ob der Weg einfach war, die Frage ist, ob der zurückgelegte Weg seit 1989 und 1990 erfolgreich war. Ich behaupte – ich hoffe, ich ärgere Sie damit jetzt nicht –, die Deutsche Einheit ist gelungen.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP – Michael Andrejewski, NPD: Ha, ha, ha! – Udo Pastörs, NPD: Da lacht man. Für wen? Für wen ist die gelungen? Das ist die Frage.)
Meine Damen und Herren, schauen wir nach Italien, schauen wir nach Belgien, schauen wir nach Spanien. Separatistische Bewegungen gibt es bei uns nicht. Wir gehören zusammen. Und das ist gut so.
Wenn wir jedoch das Fieberthermometer in die deutsche Gesellschaft halten, stellen wir nicht immer ungetrübte Freude fest. Dieses ist auch nicht unbedingt verwun
derlich, denn viele Menschen haben ihr Lebensschicksal mit den politischen Parolen verglichen, die von einigen Seiten im Jahre 1990 geschwungen wurden. Aber auch hier müssen wir genauer hinsehen. Schauen wir zu unseren Nachbarn, den ehemaligen Bruderstaaten im Warschauer Pakt, dann stellen wir fest, wir hatten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR mit der Deutschen Einheit und der D-Mark unvergleichlich bessere Voraussetzungen als jene. Auffällig ist aber, während die soziale und wirtschaftliche Lage bei uns weitaus besser war als östlich von uns, war die mentale Lage bei uns manchmal nicht besser als bei jenen. Oder mit anderem Blick: Während in der Bundesrepublik Deutschland in den 60er-Jahren von einigen Seiten die Unfähigkeit zu trauern attestiert wurde, gibt es bei uns heute nach meiner Einschätzung eher eine Unfähigkeit zur Freude.
Meine Damen und Herren, wir haben neben der Gestaltung der Deutschen Einheit eine Diktatur in eine Demokratie überführt. Und dass heute von Ihrer Seite, Herr Methling, dazu einiges gesagt wurde, finde ich in Ordnung.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU und FDP – Zurufe von Wolf-Dieter Ringguth, CDU, Jörg Vierkant, CDU, und Peter Ritter, DIE LINKE)
Für viele ist diese Zeit persönlich vielleicht noch sehr nah, um da einigermaßen abgewogen und abgeklärt – das geht vielleicht auch gar nicht – zu diskutieren. Aber wir haben eine Diktatur in eine Demokratie überführt, wir haben aus einer Planwirtschaft eine soziale Marktwirtschaft gemacht und wir haben aus einer technologischen Rückständigkeit, die vielleicht am besten zwischen dem Trabant und dem VW Golf zum Ausdruck kommt, einen rasanten technologischen Aufholprozess gestartet. Für alle diese Leistungen, die auf diesen Feldern erbracht wurden, haben wir zuallererst den Menschen zu danken in Ost und in West,
die auf unterschiedliche Weise diese letzten fast 20 Jahre mit Mut und mit Tatendrang gestaltet haben. Und deswegen ist vielleicht gerade im Jahr vor dem 20. Jahrestag die Frage: Wo liegen denn für uns heute die Aufgaben für die Zukunft? Ich meine, sie liegen genau da, wo sie auch in der Vergangenheit lagen. Ich will drei Punkte nennen:
Erstens. Die Demokratie muss immer wieder neu mit Leben erfüllt und kämpferisch verteidigt werden, heute gegen den Rechtsextremismus, auch hier in diesem Landtag.
Zweitens. Das Soziale in der Marktwirtschaft ist immer wieder in Gefahr. Das mussten wir besonders in den letzten Tagen auf dem Finanzmarkt erleben. Hier muss der demokratische Staat für verlässliche und feste Marktregeln sorgen.
Das gilt insbesondere für die Nutzung der natürlichen Ressourcen unserer Erde, sonst treten tatsächlich die gravierenden Gefahren ein, vor denen von berufener Seite heute gewarnt wird.
Meine Damen und Herren, die Menschen in unserem Lande Mecklenburg-Vorpommern und in den anderen neuen Bundesländern haben viel geschaffen und einen großen Erfahrungsschatz, besonders vor dem Hintergrund der deutschen Diktaturen und ihrer Aufarbeitung. Diesen abzurufen, ist die beste Garantie für einen demokratischen, sozialen und freiheitlichen Weg unseres Landes in die Zukunft in Deutschland und Europa und sollte Gegenstand sein bei den Feiern zum 20. Jahrestag im nächsten Jahr im direkten Gespräch mit denen, die dieses erlebt haben. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde veranlasst uns, zunächst in unsere Vergangenheit zu schauen.
Der Sprecher der „Tagesthemen“ vom 9. November 1989 sagte, ohne dass er offensichtlich seinen eigenen Worten glaubte: „Dieser neunte November ist ein historischer Tag: die DDR hat mitgeteilt, daß ihre Grenzen ab sofort für jedermann geöffnet sind, die Tore in der Mauer stehen weit offen.“
Was war geschehen? Der real existierende Sozialismus war gescheitert. Obgleich er schon lange instabil und wirtschaftlich schwach war, wurde die Kapitulation erst an diesem Tag für die Welt offen sichtbar.
Als ein Mensch, der selbst in der DDR gelebt hat, ist es mir besonders bewusst, was für ein System wir überwunden haben: Der real existierende Sozialismus beobachtete uns, schränkte unsere Bewegungs- und Gedankenfreiheit ein und war ständig darum bemüht, aus uns eine sogenannte sozialistische Persönlichkeit zu formen. Er schreckte bei der Durchsetzung seiner Ziele vor nahezu keiner Repression zurück.
Es ist nur menschlich, dass man erst aus der heutigen Lebenssituation vollständig erkennt, welche deutlichen Mängel teilweise seinerzeit aus Normalität gelebt wurden. Noch heute kann man am Beispiel des sozialistischen Kubas erkennen, wie reale Unfreiheit aussieht. Selbst ausgesuchte Kader einer Fußballmannschaft suchen bei einem Auftritt in den Vereinigten Staaten den Weg in die Freiheit.
Unfreiheit, das war es, was das System der DDR schier unerträglich machte. Dieses System wählte nicht die Besten und Fähigsten in ihre Leitungsfunktionen. Dieses System ließ nur das zu, was seiner Meinung nach der richtigen sozialen Auswahl entsprach und systemkon