Westberliner waren direkt hinter der Mauer zu sehen, sie konnten sich ihr ungehindert nähern. Es sah so aus, als sollten die Westberliner vor uns geschützt werden und
nicht wir vor ihnen. In meinem Innersten stellte ich mir die bohrende Frage: Warum werden wir belogen? Warum dürfen wir nicht darüber reden? Hier liegt der Grundstein meines Zweifels am System. Später beim Studium der Philosophie versuchte ich derartige Grenzerfahrungen in Begriffe zu fassen.
(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Aha! – Reinhard Dankert, SPD: Sie zweifeln ja nur noch am System.)
Offensichtlich ist eine unmittelbare Wahrnehmung, die auch alle anderen wahrnehmen können. Offenkundig ist eine Anschauung, die über eine Kette von Kundigen vermittelt wird, nicht aber selbst wahrgenommen werden kann. „Offensichtlich“ bietet die Möglichkeit einer Selbsterfahrung, sie ist für alle selbst erfahrbar.
Offenkundig kann nur eine Fremderfahrung sein, sie ist nicht mehr für alle erfahrbar. Das Problem, das sich hier stellt, ist erstens die Kette der Vermittlung, die Kunde, die Art, in der wir zu den Ereignissen gelangen,
zweitens aber auch die ursprüngliche Quelle, aus der heraus die Kunde ihren Weg im Laufe der Geschichte sich bahnt.
Wie sieht es heute mit der Vermittlungskette der Offenkundigkeit aus? Im Gegensatz zur DDR werden wir mit einer Fülle von Daten über Presse, Funk und Fernsehen und Weltnetz geradezu überschüttet. Das Problem ist oft nicht mehr, wie wir die Grenze überschreiten können, um an andernorts frei verfügbare Informationen zu kommen. Heute ist das kein Problem. Auch verbotene Bücher sind irgendwie erreichbar. Ein weltoffenes System hat nun einmal nicht die Macht, andernorts offen Verfügbares hinter Schloss und Riegel zu halten.
Herr Abgeordneter Borrmann, ich bitte Sie, kurz innezuhalten, und bitte Sie, sich zum Thema zu äußern. Sie sind in Ihrem Beitrag bisher nicht zum Thema gekommen. Ich erteile Ihnen einen Sachruf.
Wer eine begründbare Erkenntnis gewinnen will, hat zunächst den Datenmüll zu beseitigen und zu ergründen, wie die Kunde durch die Kette der Vermittlung auf uns gekommen ist. Wer wahrhaftige Erkenntnis gewinnen will, muss jedoch auch zur Kenntnis gelangen, aus welcher Quelle sich diese Kunde speist, und hier liegt ein entscheidender Unterschied zu verbotenen Medien.
1. Verbotene Bücher sind oft in mehreren Exemplaren vorhanden und vervielfältigbar, und dieses Kopieren ist in den allermeisten Fällen staatlich hoheitlichen Zugriffen verwehrt.
2. Dokumente in Archiven sind fast ausnahmslos nur noch als Unikate, als Einzelexemplare verfügbar und stehen bis auf wenige Sonderfälle
unter hoheitlicher Verfügbarkeit. Archivdokumente sind aber im Gegensatz zu indizierten Medien historische Quellen, das heißt selbst nicht Vermittler von historischen Ereignissen, sondern der Ausgangspunkt dieser Vermittlung. Ihr originärer, nicht abgeleiteter Wahrheitswert macht sie zu besonderen,
(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Sie haben eine große Distanz zum Thema, aber nicht zum Neonazismus.)
ja, einzigartigen Zeugnissen menschlicher Geschichtsschreibung, auf der alle weiteren Interpretationen unbeachtet ihrer weltanschaulichen Bandbreite fußen.
Genau hier setzt die Forderung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands an. Nach Ende des Krieges plünderten die Alliierten 1945 Deutschland. Archivbestände aller Art wurden in die USA, nach Großbritannien, Frankreich und in die Sowjetunion verbracht, wo sie bis heute unzugänglich und teilweise streng bewacht dem Zugriff deutscher und internationaler Historiker entzogen sind. Dabei muss beachtet werden:
1. Bei der Beschlagnahme und dem Abtransport erfolgte keine Registrierung der Archive. Bis heute ist den deutschen Dienststellen nicht abschließend bekannt, welche Bestände mit welchen Dokumenten wohin gelangten. Daher kann auch nicht gesagt werden, welche erbeuteten deutschen Quellen von Gegnern des deutschen Reiches vor der Öffentlichkeit verborgen gehalten werden, sodass außer den Regierungsstellen dieser Länder niemand von ihrer Existenz etwas wissen kann.
2. Uns Deutschen hat man nicht nur Archivdokumente gestohlen. Zum Beutegut gehören auch Stempel, Schreibmaschinen, Papier, kurz alles, was Geschichtsfälscher benötigen, um selbst Dokumente mit belastendem Inhalt gegen Deutschland herzustellen.
3. Statt die gestohlenen Bestände zurückzugeben, werden den deutschen Behörden Mikrofichekopien ausgehändigt, bei denen niemand feststellen kann, ob sie vollständig sind und ob und wie sie gefälscht wurden.
4. Es werden der Öffentlichkeit bekannte, Deutschland betreffende Dokumentensammlungen von fremden Mächten weiter als streng geheim unter Verschluss gehalten und diese Veröffentlichung erscheint auch in Zukunft fraglich. Wer hat ein Interesse, über 60 Jahre nach Kriegsende historische Quellen geheim zu halten? Warum geschieht das?
5. Die deutschen Dienststellen – namentlich die Bundesregierung und die Landesregierung – unternehmen nichts, um diesen unhaltbaren, skandalösen Zustand zu beenden, die Beutearchive zurückzufordern und damit deutsche Interessen wahrzunehmen, wie das das Grundgesetz und die Landesverfassung gebieten.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich danke zunächst dafür, dass ich hier für die demokratischen Fraktionen des Hauses reden darf. Sie werden aber nicht von mir verlangen, dass ich auf diesen Versuch einer erkenntnistheoretischen Semantikvorlesung meines Vorredners eingehen werde.
Ich werde versuchen, Ausführungen zu dem zu machen, was hier im Antrag in schriftlicher Form vorliegt, und möchte beginnen mit einem Zitat aus einem Brief. Am 18.10.2007 versuchten zwei Neonazis
und Mitglieder des Sächsischen Landtages, sich über das Internet Zimmer im Dresdner Holiday Inn Hotel zu reservieren, und hatten bereits 100 Euro Anzahlung geleistet.
Doch Johannes H. Lohmeyer, der Hotelmanager, wusste schnell, mit wem er es zu tun hatte. Sofort und höchst verärgert schrieb er den beiden folgende Absage: „Sehr geehrter Herr Apfel, sehr geehrter Herr Delle, wir erhielten heute Ihre über www.hotel.de getätigte Reservierung für den 7. November 2007 und sind einigermaßen erstaunt, dass Sie ausgerechnet ein amerikanisches Hotelunternehmen mit ausländisch klingendem Namen bevorzugen.“
„Da Sie in unserem Hause nicht willkommen sind und ich es auch meinen Mitarbeitern nicht zumuten kann, Sie zu begrüßen und zu bedienen, haben wir hotel.de gebeten, die Buchung zu stornieren.“
(Udo Pastörs, NPD: Das ist Demokratie. Wunderbar! – Rudolf Borchert, SPD, und Reinhard Dankert, SPD: Das ist Zivilcourage. – Heinz Müller, SPD: Sehr sympathisch. – Zuruf von Andreas Bluhm, DIE LINKE)
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP – Udo Pastörs, NPD: Das können Sie ja gerne tun.)
Zunächst möchte ich der Frage nachgehen: Kann bei den Nazis überhaupt einer mit Quellen umgehen? Versucht hat es Raimund Borrmann,
der am DDR’schen Marx-Engels-Verschnitt geschult ist. Er redete etwa vor einem Jahr in der 29. Sitzung am 15. November zum „UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“. Er zitierte – gestatten Sie mir dieses Beispiel als Umgang mit Quellen – Johann Gottlieb Fichte „Über die Bestimmung des Gelehrten“. Unser selbsternannter Möchtegernphilosoph will Fichtes Schrift in Anspruch nehmen für folgende Schlussfolgerung seiner Rede. Ich zitiere Borrmann: „Insofern sind auch die Kulturen verschiedener Völker … nicht einfach und unmittelbar miteinander zu vermischen, wie die Anbeter einer multikulturellen Gesellschaft unkritisch annahmen.“ Zitatende.