Protokoll der Sitzung vom 19.11.2008

Zur Bildung ist besonders bei uns im Land immer aktuell etwas zu diskutieren. Wir haben gegenwärtig die Novelle des Schulgesetzes in den Ausschüssen. Wir werden morgen hier im Parlament über den Bericht der Expertenkommission debattieren. Man sollte also meinen, es gibt genug Aktuelles.

(Harry Glawe, CDU: Richtig. – Michael Roolf, FDP: Richtig, keine Ergebnisse.)

Nun, nach der Eingangsrede von Ihnen, Herr Roolf, ist wohl klar, worum es geht. Es geht um den Bildungsgipfel und eine Reflexion der PISA-Ergebnisse. Den Bildungsgipfel hätten Sie ja nun auch als Thema aufschreiben können, die PISA-Ergebnisse vielleicht auch, aber gut.

(Michael Roolf, FDP: Darum ging es nicht, Herr Bluhm.)

Der Bildungsgipfel, meine sehr verehrten Damen und Herren, aus unserer Sicht – und ich möchte ein Bild benutzen – war und ist kein alpiner Höhepunkt in der bundespolitischen Debatte gewesen, wie die Bezeichnung vermuten lässt. Er ist maximal ein Hügel zwischen den vielen Gipfeln der zurückliegenden Zeit, Finanzgipfel, Autogipfel, und so weiter.

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Und im Gegensatz zu diesen Gipfeln haben sich die Bergwanderer aus dem Bund und den Ländern in diesem Fall nun wirklich nicht verausgabt, weder auf der Strecke und schon gar nicht beim Geld. Die fachlich zuständigen Bildungsminister wurden von der Wanderung ausgeschlossen, sie kennen aber die vielen Verzweigungen der Strecke und hätten vielleicht eine bessere Orientierung geben können, allemal ein vernünftiges Basislager, von dem man hätte losgehen können.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Und Seilschaften.)

Die zentrale Chance des Bundes und der Länder für zentrale Bildungsaufgaben zu vereinen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wurde mit der Föderalismusreform I total verpasst.

(Regine Lück, DIE LINKE: So ist es.)

Aber dieser Weg ist weiterhin durch einen tiefen Graben der bildungspolitischen Selbstbestimmung der Länder und von der Gesamtverantwortung des Bundes bestimmt. Auch vor diesem Bildungsgipfel, meine Damen und Herren von der CDU, haben vor allem Ihre CDUgeführten Länder deutlich erklärt: keine Ein mischung in Länderkompetenzen. Jetzt versucht man das Dilemma mit großen Worten und wenig Taten zu heilen. Ich will zugestehen, dass die Ansatzpunkte für eine Bildungsoffensive richtig sind, aber die zentrale Frage wie immer bei solchen Aufgabenstellungen ist: Woher kommt das Geld? Diese Frage soll eine Strategiegruppe bis 2009 beantworten. Ich denke, wir kennen alle den Spruch: „Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründe ich einen Arbeitskreis.“

Die Vereinbarung über die Verwendung von 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ab 2015 für Bildungsausgaben – und vieles ist eben nicht nur mit mentalen, mit organisatorischen Fragen, mit Weiterbildung zu machen, sondern es ist nötig, Geld in die Hand zu nehmen,

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

und da ist auch richtig, was da vereinbart wurde –, davon 7 Prozent für Bildung und 3 Prozent für Forschung, ist gegenwärtig erst einmal nur eine Absichtserklärung. Im Jahre 2015 gibt es eine neue Bundesregierung und in den Bundesländern sind bis dahin ebenfalls Wahlen. Es bleibt also fraglich, ob sich die neuen Regierungen an das, was jetzt da vereinbart wurde, gebunden fühlen.

Die Notwendigkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, eines nationalen Aktionsplanes für die Bildung ist aus meiner Sicht unbestritten. Die Bildung der Bevölkerung ist eine zutiefst gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie ist es sowohl aus humanistisch-kultureller, sozialer, aber eben auch aus arbeitsmarktpolitischer Sicht. Zukunft durch Bildung ist und bleibt eine zentrale Aufgabenstellung der Gestaltung der Gesellschaft in unserem Land. Sie wurde mit den vorliegenden Ergebnissen des Bildungsgipfels aber nicht annähernd erreicht. Und auch wenn es manche nicht mehr hören mögen: Innerhalb einer Woche schaffen es Bundesregierung und Länder, einen Schirm aufzuspannen, unter dem mehrere 100 Milliarden Euro für die Banken verteilt werden. Die Bildung allerdings bleibt weiter im Regen stehen. Und nun sollen Bund und Länder auch noch für Autokonzerne bürgen, wo das liquide Geld in die USA abgerufen wurde.

Die Geldzuführung im Bereich Bildung scheitert aber regelmäßig auch am haushaltsrechtlichen Charakter der Ausgaben. Sie sind konsumtiv. Versuche meiner Fraktion im Bundestag, auch hier im Land, Bildungsausgaben endlich den Investitionen zuzuordnen, sind bisher gescheitert. Es wird zwar immer erklärt, dass Bildungsinvestitionen Investitionen in die Zukunft sind, aber deshalb bleiben sie nach wie vor dem konsumtiven Bereich zugeordnet. Ich kann allerdings nicht erkennen, dass die Gelder für die Banken investiv Verwendung finden.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die PISAErgebnisse sind für das Land durchaus erfreulich. Der Erhebungszeitraum war das Jahr 2006. Herr Reinhardt ist nun in der misslichen Lage, dass diese Ergebnisse der rot-roten Landesregierungszeit zuzurechnen sind.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ja.)

Wie löst er das Problem? Ich empfehle, dies nachzulesen in der Pressemitteilung. Er erkennt sie an, aber sie wurden trotz der Regierungskonstellation erreicht, nicht wegen ihr. Er verkennt dabei, dass Veränderungen im Bildungssystem lange Zeit brauchen, um ihre Wirkungen zu entfalten, die positiven wie die negativen.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Er verkennt auch, dass die miserablen PISA-Ergebnisse des Jahres 2000 und teilweise 2002 die Auswirkungen von zehn Jahren Schulpolitik von CDU und FDP gewesen sind.

(Michael Roolf, FDP: Na, na, na, na, na! – Zurufe von Barbara Borchardt, DIE LINKE, und Hans Kreher, FDP)

In den Jahren von 1998 bis 2000 war es für uns und die Kolleginnen und Kollegen der SPD schwerlich möglich, diese Verwerfungen nachhaltig zu verändern. Die ersten Erfolge sehen wir erst jetzt.

Ja, auch da gebe ich dem Minister recht, die mangelhafte Lesekompetenz ist weiterhin Anlass zur Sorge und auch das faktisch unveränderte Abhängigkeitsproblem der Leistungen vom sozialen Status der Eltern bleibt eine zentrale Herausforderung. Es ist gut, wenn die Leistungen an den Gymnasien überdurchschnittlich sind. Wir brauchen aber nicht nur die Spitze, wir brauchen auch die Breite. Nur so lassen sich dringend benötigte Reserven für die Ziele der Reduzierung der Abbrecherquote, die Erhöhung der Zahl der Schülerinnen und Schüler mit einem Abschluss überhaupt erreichen.

Wer die Presseerklärung des Bildungsministers vom gestrigen Tag aufmerksam liest, wird schnell feststellen, dass er eine grundlegende Prämisse favorisiert. Vor allem die Einzelschule soll im Rahmen ihrer neuen Selbstständigkeit die Probleme vor Ort lösen. Es heißt in der Presseerklärung, ich zitiere: „Es gibt einen unterschiedlichen Entwicklungsstand der einzelnen Schulen. Um dieser Situation gerecht zu werden, müssen die Schulen unterschiedliche Schwerpunkte in der Unterrichtsentwicklung setzen. Die durch das neue Schulgesetz ermöglichte flexiblere Handhabung der schulischen Rahmenbedingungen ist jetzt unbedingt notwendig.“ Ende des Zitats.

Es bleibt allerdings die Frage, wie diese Rahmenbedingungen konkret ausgestaltet werden und welche Spielräume die Schulen dann haben. Mit Verlaub, meine Damen und Herren aus der Koalition, Herr Minister, aus dem Schulgesetzentwurf geht das nicht hervor. Den Begriff der schülerbezogenen Stundenzuweisungen als Finanzierungsgrundlage selbst gibt es gar nicht im Gesetzentwurf und die Finanzierung wird ohne Nennung von bindend im Gesetz fixierten Grundkriterien völlig über zukünftige Verordnung geregelt.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Es wird sich folglich erst zeigen, ob die Schulen ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt bekommen. Bisher wird das nur behauptet und ich wäre für einen entsprechenden Beweis in den Ausschussberatungen dankbar.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Sie stellen fest, dass Sachsen und Thüringen die freigesetzten Mittel aus der demografischen Entwicklung im Schulsystem belassen haben.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Die Sachsen waren schon immer pfiffig.)

Aber künftig kompensieren wir eigene Bildungsausgaben auch durch ESF-Mittel, bei denen die Lehrkräfte 45 Minuten vergütet bekommen, aber 90 Minuten arbeiten müssen. Mit den ESF-Mitteln wird vorrangig pädagogische Verwaltungsarbeit vergütet. Die Schülerinnen und Schüler partizipieren davon nur mittelbar. Das schließt nämlich die Verwendung der ESF-Mittel vom Grundsatz aus. Die in der Presseerklärung angekündigten Stunden für die Steigerung der Lesekompetenz sind ESF-Mittel, weil die Förderrichtlinien eine solche Förderung zulassen. Das ist gut so, richtig. Aber die folgende Frage ist ungeklärt. Die ESF-Förderung läuft 2013 aus. Was machen wir dann, wenn diese Stunden wieder alleine das Land finanzieren muss?

All das zeigt uns, dass das Bildungssystem in unserem Land keineswegs allein aus eigenen Mitteln ausreichend und anforderungsgerecht finanziert wird, auch in Zukunft nicht. Die so viel gepriesene Selbstständige Schule könnte sich deshalb schnell auch als ein Instrument der Mangelverwaltung herausstellen, nur mit dem kleinen, aber wesentlichen Unterschied, dass die neuen Anforderungen an den Schulleiter oder die Schulleiterin dafür verantwortlich gemacht werden können, das Bildungsministerium erst in zweiter Linie. Es wird, meine sehr verehrten Damen und Herren, so sein müssen, dass das Land auch seine Ressourcen für die Erhöhung der Qualität und Bildung einsetzen muss und dafür die Verantwortung trägt. Die praktische Selbstständige Schule wird als Allheilmittel dafür fast beschworen. Sie wird es nur leisten können, wenn sie ausreichend finanziert ist.

Gestatten Sie mir zum Abschluss ein Zitat zum Bildungsgipfel aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 23. Oktober. Zitat: „Nach dem ersten Pisa-Schock vor sieben Jahren appellierte Angela Merkel, Deutschland brauche einen ,neuen Bildungshunger‘. Nach diesem Gipfel knurrt vielen der Magen. Die Politik muss jetzt die Speisekammer füllen.“ – Danke schön, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Bluhm.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Vierkant für die Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die „Chancen der Bildung heute nutzen“ ist das Thema unserer Aktuellen Stunde. Wie mein Vorredner bereits bemerkte,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Richtig bemerkt.)

ist das Thema nicht neu, aber immer aktuell, und das allerdings zu Recht.

Wir stehen in Deutschland vor der Chance einer grundlegenden Reform unseres Bildungssystems. Wie ist die Situation in Mecklenburg-Vorpommern? Es sind aus meiner Sicht vier markante Punkte anzumerken:

die Europäisierung mit dem Vereinheitlichungsdruck

(Udo Pastörs, NPD: Gleichschaltungsdruck.)

auf Bildung und Erziehung, mit erhöhten beruflichen Mobilitätsanforderungen und mit Normierungsbestrebungen, was Abschlüsse, Zertifikate et cetera betrifft

der demografische Wandel bei uns im Lande

die Technologieentwicklung weltweit und deshalb eben auch bei uns

die Veränderung der Arbeitswelt bei uns

Die große Frage ist: Sind wir bildungspolitisch nun auf dem richtigen Weg in M-V? Die Ergebnisse – und das haben beinahe alle Redner schon ausgeführt – der letzten PISA-Studie sagen, ja, wir sind auf dem richtigen Weg. Unsere Schüler haben in wichtigen Tests gute Ergebnisse erzielt. Sachsen hat unbestritten vor Bayern in der Summe Platz 1 belegt. Aber auch wir, meine Damen und Herren, können stolz auf die Ergebnisse unserer Schüler quer durch alle angetesteten Schularten sein, besonders bei den Gymnasien. Wir liegen im Bereich Mathematik im vorderen Drittel deutschlandweit und in den Naturwissenschaften auch. Bei der letzten Studie lagen wir abgeschlagen hinter fast allen Bundesländern. Also können wir doch feststellen, im MINT-Bereich, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, sind wir sehr gut, bundesweit, und das ohne, wie der Minister bereits bemerkte und mein Kollege Brodkorb ebenfalls, auf PISA zu drillen, wie es andere tun. Die Erfolge resultieren aus dem normalen ganzheitlichen Schulalltag in Bildung und Erziehung, ein Verdienst der Lehrerinnen und Lehrer, der Eltern und Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU)

Und das sollten wir anerkennen und nicht kleinreden, Herr Roolf.