Protokoll der Sitzung vom 06.03.2009

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 65. Sitzung des Landtages. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratung vereinbarungsgemäß fort.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 30: Beratung des Antrages der Fraktionen der CDU und SPD – Die Europafähigkeit unserer Schulen stärken und ausbauen, auf Drucksache 5/2253.

Antrag der Fraktionen der CDU und SPD: Die Europafähigkeit unserer Schulen stärken und ausbauen – Drucksache 5/2253 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Kuhn für die Fraktion der CDU.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Wer, wenn nicht Herr Kuhn?)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die „Europa fähig keit der Schulen in Mecklenburg-Vorpommern“ als Thema zur frühen Stunde hier im Parlament zu nehmen, denke ich, ist richtig gewählt, nicht nur, weil wir ein Jahr der Wahlen zum Europäischen Parlament haben, sondern am kommenden Montag, am 9. März, ist auch Europa projekttag in vielen Schulen MecklenburgVorpommerns. Und da geht es letztendlich – ich denke, Sie werden sich dort auch als gefragte Redner beteiligen – um die Vermittlung des europäischen Gedankens der friedlichen Zusammenarbeit und des friedlichen Zusammenlebens so unterschiedlicher Völker auf einem Kontinent.

Als Victor Hugo gerade einmal vor 160 Jahren seine Eröffnungsrede zum Pariser Friedenskongress im August 1849 hielt, ging er noch davon aus, dass bis zur europäischen Einigung nicht nur Generationen vergehen werden, sondern man war dort auf Hunderte von Jahren, auf 400 Jahre, eingestellt. Er hat damals Folgendes formuliert: „Ein Tag wird kommen, wo die Waffen Euch aus den Händen fallen werden … Ein Tag wird kommen, wo Ihr … all Ihr Nationen des Kontinents ohne die besonderen Eigenheiten Eurer ruhmreichen Individualität einzubüßen, Euch eng zu einer höheren Gemeinschaft zusammenschließen und die große europäische Bruderschaft begründen werdet“.

(Udo Pastörs, NPD: Schön wär’s. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Ich glaube schon, dass wir hier sehr, sehr weit gekommen sind. Wir können uns darüber freuen und auch stolz sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir leben heute in Frieden, Sicherheit, Stabilität und in einer Europäischen Union,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

die letztendlich zwei Weltkriege im letzten Jahrhundert ertragen musste,

(Zurufe von Michael Andrejewski, NPD, und Udo Pastörs, NPD)

und deren Folge, die Teilung unseres Kontinents, mussten wir alle gemeinsam bitter durchleben.

Wir sind dazu verpflichtet, ihnen ihre eigene kulturelle Verwurzelung zu geben, damit sie als weltoffene deutsche Europäerinnen und Europäer die kulturellen und sprachlichen Besonderheiten der anderen Nationen respektieren und verstehen können.

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, in unseren 31 Europaschulen wird dazu schon ein wesentlicher Beitrag geleistet. Die Lehrerinnen und Lehrer vermitteln dort ihren Schülerinnen und Schülern nicht nur europäische Gedanken, sie sorgen auch dafür, dass interkulturelle und sprachliche Kompetenzen befördert werden – meine Kollegin Ilka Lochner-Borst wird dazu in ihrer Rede noch ausführen –, sie vermitteln europäische Geschichte und machen den europäischen Integrationsprozess verständlich. Das wollen wir unterstützen und weiterhin ausbauen. Es ist sicher nicht nur notwendig, dass wir das in unseren Schulen tun, sondern das muss einen breiten gesellschaftlichen Konsens finden.

Wenn Sie verfolgt haben, wie interessant die Preisverleihung an die Umweltsenatorin der Freien und Hansestadt Hamburg gestern verlaufen ist, Hamburg wurde „Grüne Stadt Europas“, dann muss ich sagen, auch bei den Beamten in Brüssel ist das eine oder andere Mal sicher eine Geschichtsstunde notwendig, sonst wäre es ihnen nicht passiert, dass sie vor dem ganz wichtigen staatsmännischen Akt beim Hissen der Fahnen die DDR-Fahne gehisst hätten. Das haben sie wahrscheinlich in irgendeiner Weise im Keller verwechselt. Ich denke, es war der EU-Kommissarin natürlich sehr peinlich.

(Zurufe von Barbara Borchardt, DIE LINKE, und Peter Ritter, DIE LINKE)

Deshalb sage ich: Beschäftigt euch mit eurer Gegenwartsgeschichte, erzählt euch eure Geschichten

(Peter Ritter, DIE LINKE: Dann wird alles gut. Alles wird gut.)

und dann versteht ihr eure Geschichte! – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU)

Vielen Dank, Herr Kuhn.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst in Vertretung des Bildungsministers die Sozialministerin Frau Schwesig.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Sehr geehrter Herr Kuhn, es freut mich, dass wir an den Gleichen denken, wenn zu Europa zitiert wird, an Victor Hugo. Er schrieb 1850, Sie haben ihn zitiert, ich zitiere eine andere Stelle: „Der Tag wird kommen, an dem du, Frankreich … du, Italien, du, England und du, Deutschland, all ihr Völker dieses Erdteils, zu einer höheren Einheit verschmelzen werdet, ohne eure verschiedenen Vorzüge und eure ruhmreiche Einzigartigkeit einzubüßen“.

(Udo Pastörs, NPD: Schön wär’s.)

Ich weiß, Herr Pastörs, dass es Ihnen nicht passt.

Aber heute, fast 160 Jahre später, leben wir in einem europäischen Staatenverbund, bestehend aus 27 Mitgliedsländern.

(Stefan Köster, NPD: Wo das Kapital regiert.)

Sie alle bringen ihre eigene Kultur, ihre eigene Geschichte und ihre eigene Sprache ein.

(Udo Pastörs, NPD: Das wäre schön.)

Die Bewahrung aller Sprachen und jeder Kultur sowie die Erinnerung an die Vergangenheit

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

sind eng mit dem Gedanken eines Europas des Friedens, der Universalität und des Wohlstandes verbunden.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Zurzeit tragen 24 Schulen unseres Landes den Titel „Europaschule“.

(Udo Pastörs, NPD: Das war in der DDR auch so. Bloß der Name und nichts dahinter.)

Dies sind allgemeinbildende und berufliche Schulen, die ihr schulisches Profil europaorientiert ausrichten. Der Titel „Europaschule“ wird verliehen, wenn eine Schule bestimmte Kriterien nachweist. So orientieren sich Europaschulen unter anderem an Grundsätzen wie der Integration europäischer Themen in allen Unterrichtsfächern, der Entwicklung und Förderung der interkulturellen Kompetenz, der Erziehung zur Mehrsprachigkeit, der Pflege von Auslandskontakten und Schulpartnerschaften sowie der Berufsorientierung auf das euro päische Ausland. Schulen, die sich ein Profil als Europaschule erarbeitet haben, bieten den Schülerinnen und Schülern hervorragende Entwicklungschancen für die spätere Berufs- und Studienwahl. Sie vermitteln interkulturelle und sprachliche Kompetenzen und fördern Kenntnisse über die europäische Geschichte sowie den europäischen Integrationsprozess. Derzeit wird länderübergreifend an einem Kriterienkatalog gearbeitet, der bundesweit für Schulen, die den Titel „Europaschule“ beantragen, gelten soll. Dadurch wird die deutschlandweite Vergleichbarkeit der Arbeit dieser Schulen gewährleistet sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Europaschulen sind Schulen mit einem besonderen Profil, aber die Erschließung der europäischen Dimension in Unterricht und Erziehung ist Aufgabe jeder Schule. Aus diesem Grund ist die interkulturelle und Europaerziehung in Paragraf 5 des neuen Schulgesetzes fest verankert. Die Umsetzung dieses Paragrafen wird dadurch gestützt, dass in den gegenwärtig zu erarbeitenden Rahmenplänen unter der Überschrift „Demokratisches handeln“ Folgendes formuliert ist: „Die Schülerinnen und Schüler lernen ihre schulische und außerschulische Lebenswelt an demokratischen Werten zu orientieren. Die Globalisierung verändert einerseits die Erwartungen an die Heranwachsenden und beeinflusst andererseits ihr Lebensumfeld sowie ihre beruflichen Chancen in vielfältiger Weise. Die Schülerinnen und Schüler verstehen zunehmend, dass in vielen Bereichen unseres Lebens europäische Bezüge wirksam werden, und entwickeln Respekt und Interesse an der Vielfalt der Sprachen und Kulturen in Europa. Sie entwickeln ein Bewusstsein europäischer Zusammengehörigkeit und nehmen die Merkmale und

Zeugnisse einer gemeinsamen europäischen Kultur in ihrer Vielfalt wahr.“

Es sind vor allem Fächer wie Geschichte, Arbeit, Wirtschaft und Technik, Sozialkunde, Deutsch oder Geografie in der Pflicht, die Vermittlung von Europakenntnissen und die Entwicklung des europäischen Bewusstseins unserer Schülerinnen und Schüler zu fördern. Für die Erschließung der kulturellen Welt Europas haben die Sprachen eine zentrale Bedeutung.

Johann Wolfgang von Goethe sagte einmal: „Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen“. In der Bildungspolitik betrachten wir den muttersprachlichen und den fremdsprachlichen Unterricht als eine Einheit. Der Deutschunterricht hat die besondere Verpflichtung und Möglichkeit, die Beziehung zwischen der deutschen Sprache und Literatur und dem Umfeld der europäischen Sprachen und Literaturen aufzuzeigen. Der Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen ist heute eine Grundvoraussetzung dafür, dass europäische Bürgerinnen und Bürger die sich eröffnenden beruflichen und persönlichen Chancen wirklich nutzen können.

Im Weißbuch der Europäischen Kommission „Lehren und Lernen – Auf dem Weg zur kommunikativen Gesellschaft“ wird diese bildungspolitische Priorität in folgenden Zielsetzungen zusammengefasst:

Unterricht in mindestens zwei Fremdsprachen für alle Jugendlichen

Förderung innovativer Methoden des Fremdsprachenerwerbs

Verbreitung der täglichen Benutzung der europäischen Fremdsprachen auf allen Ebenen der Schule

Sensibilisierung für die Gemeinschaftssprachen und ihr frühzeitiges Erlernen sowie für die Kultur der anderen Mitgliedsstaaten

Die gewünschte Sprachenvielfalt stellt für Europa eine Herausforderung dar. Jede Sprache ist das Ergebnis einer besonderen historischen Erfahrung und jede Sprache ist Trägerin eines kulturellen Erbes, einer besonderen Ausdrucksfähigkeit und einer kulturellen Identität. Keine ist austauschbar, keine ist verzichtbar und keine ist überflüssig.