Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

(Die Abgeordneten Norbert Baunach, Werner Kuhn und Udo Pastörs werden nachträglich zur Stimmabgabe aufgerufen.)

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir unterbrechen die Sitzung für zwei Minuten.

Unterbrechung: 17.04 Uhr

Wiederbeginn: 17.05 Uhr

Meine Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.

Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. An der Abstimmung haben insgesamt 55 Abgeordnete teilgenommen, mit Ja stimmten 5 Abgeordnete, mit Nein stimmten 50 Abgeordnete. Damit ist der Antrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 5/2622 abgelehnt.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 37: Beratung des Antrages der Fraktion der NPD – Kritik des Bundessozialgerichts aufgreifen – unklare Regelungen im SGB II zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen und zur Übernahme von Wohnkosten endlich reformieren, auf Drucksache 5/2623.

Antrag der Fraktion der NPD: Kritik des Bundessozialgerichts aufgreifen – unklare Regelungen im SGB II zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen und zur Übernahme von Wohnkosten endlich reformieren – Drucksache 5/2623 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Andrejewski für die Fraktion der NPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn sich der Landtag schon mit dem unqualifizierten Gerede der Herren Sarrazin und Missfelder abgibt, warum nicht dann auch ein paar Minuten investieren, um über Äußerungen des Bundessozialgerichtes nachzudenken?

Im Januar dieses Jahres teilte die Pressestelle des Gerichtes mit, dass im Jahre 2008 fast 175.000 neue Hartz-IV-Verfahren bei den Sozialgerichten in der ersten Instanz gezählt wurden. Das war ein Anstieg von 28 Prozent im Vergleich zu 2007. Und über 50 Prozent der Klagen hatten Erfolg. Schon daraus lässt sich ersehen, dass das Gesetz totaler Schrott ist. Der Vorsitzende des Bundessozialgerichtes fügte noch hinzu, dass vor allem die unklaren Regelungen zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen und zur Übernahme von Wohnkosten nachgebessert werden müssten. Dieser nun wirklich qualifizierte und von großer Erfahrung getragene Appell verhallte vollkommen wirkungslos, während sich beispielsweise die Parlamente und Medien mit Begeisterung in jedes Pseudothema verbeißen – auch wenn es keinen interessiert, etwa den Bischof Williamson und seine Geschichtsthesen, ob er widerruft, was der Papst dazu sagt und hin und her –, weit weg von den wahren Sorgen der Menschen, reine Ablenkung.

Die Art und Weise, wie die Behörden mal von Einkommen und mal von Vermögen ausgehen, wie es ihnen gerade passt, ist reine Willkür und dient nur der Bereicherung des Staates, was in der Praxis zur Enteignung von Erben führt, die Hartz-IV-Empfänger sind. Beantragt jemand als Eigentümer eines Hauses Arbeitslosengeld II, so gilt das Haus erst einmal großzügigerweise als Eigentum. Und wenn es angemessen ist, also nicht zu groß ist, muss er es auch nicht verkaufen und für seinen Lebensunterhalt einsetzen. Etwas anderes dürfte auch nicht gelten, wenn er ein angemessenes Haus erbt, ein angemessen großes Haus. Seine Eltern oder Großeltern haben sich das Häuschen ja mal aufgebaut und erspart, um es an die nächsten Generationen weitergeben zu können. Artikel 6 Grundgesetz: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz“ des Staates, der gerade eben 60 Jahre Grundgesetz und sich selber ausgiebig gefeiert und im Eigenlob gebadet hat. Artikel 6 Grundgesetz!

Was würde es diesem Staat schaden, wenn er den Erben in das Haus seiner Eltern umziehen ließe und dieses als Vermögen anerkennen würde? Pleitegehen würde er dadurch nicht. Die Kosten der Unterkunft wären bei einem kleinen Haus auch nicht größer als die einer einigermaßen geräumigen Mietwohnung. Aber nein, das geerbte Elternhaus wird als Einkommen gewertet. Das ginge vielleicht sogar noch an, wenn sich die Sozialbürokratie an ihre eigene Zuflusstheorie halten würde, die sie immer so gerne zitiert, wenn es ihr in den Kram passt. Danach wird Einkommen in dem Monat angerechnet, in dem es zufließt, also für den Empfänger verfügbar wird. Danach ist es Vermögen nach der Logik des Gesetzes. Weil das aber am Abkassieren hindert, hat man sich den Trick ausgedacht, das Erbe als Einkommen einfach über einen längeren Zeitraum zu verteilen, bis zu zwölf Monaten. Man tut so, als ob der Betreffende jeden Monat von Neuem erben und ihm ständig neues Geld zufließen würde.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Ja. – Udo Pastörs, NPD: Schöne Schweinerei!)

Es nützt dem Harz-IV-Empfänger auch nichts, wenn er für einen begrenzten Zeitraum aus den Leistungen aussteigt. Das müsste doch gehen nach der Logik dieses Gesetzes. Er erbt im Februar, teilt dem Amt mit, dass er sofort auf Leistungen für diesen Monat und vielleicht noch für den nächsten verzichtet, und ist ein freier Mann. Eine Zeit lang lebt er von seinem Schonvermögen, falls er noch etwas sein Eigen nennt. Und als Nicht

leistungsbezieher dürfte ihm die Arbeitsgemeinschaft ja wohl nichts mehr zu sagen haben. Dann im April, sagen wir mal, zieht er in sein Elternhaus und stellt einen neuen Antrag als Eigentümer einer angemessenen Unterkunft. Dann müsste es Vermögen sein. Aber mit List und Tücke wird ihm dieser Weg versperrt.

Er wird einfach weiter zwangsweise als Leistungsempfänger und Untertan der Behörde geführt. Selbst wenn er Arbeit bekommt, sagen wir, er behält diese sechs Monate, sobald er sich wieder bei der Behörde meldet, teilt diese ihm mit, dass er wegen des geerbten Hauses, was man ja weiß, man hat ja noch die Akte, seit sechs Monaten als einkommensstark gewertet wird und das auch für weitere sechs Monate der Fall sein wird, er also keine Leistungen erhält. Er bleibt im Visier der Bürokraten. „Wer einmal aus dem Blechnapf fraß“, das ist ein bekannter Buchtitel, wer einmal Leistungen aus Arbeitslosengeld II beantragt und damit viele Grundrechte an der Garderobe abgibt, der bleibt unfrei und ein an die Scholle gebundener Leibeigener der Behörde, solange es dieser passt, ob er will oder nicht.

Was können die Eltern nun machen, wenn sie ihr elementares Menschenrecht wahrnehmen wollen, ihrem Sohn ihr Häuschen zu vererben, auch wenn der als Hartz-IVEmpfänger nur ein Bürger dritter Klasse ist? Sie müssen am besten gleich einen Fachanwalt für Erbrecht aufsuchen oder anrufen, weil das nämlich nur noch mit komplizierten erbrechtlichen Modellen möglich ist, die sich in den vergangenen Jahren ein paar Spezialisten ausgedacht haben. Zum einen könnten die Eltern ihren Arbeitslosengeld II beziehenden Sohn als Vorerben einsetzen, und zwar als sogenannten nichtbefreiten Vorerben. Der ist verpflichtet, die Substanz des Erbes für einen Nacherben zu erhalten und darf keine Entscheidungen treffen, die den Wert des Erbes vermindern. Es ist ihm also untersagt, das Haus oder Grundstück etwa ganz oder teilweise zu verkaufen, womit die Arbeitsgemeinschaft es auch nicht als Einkommen ansehen kann. Oder die Eltern setzen einen Testamentsvollstrecker ein, der ihren Willen auszuführen hat. Sie können anordnen, dass die Behörde, die Sozialleistungen ausreicht, nicht durch Nachlassmittel entlastet werden darf. Das nennt sich dann Behindertentestament, das entwickelt worden ist, um eine generelle Erbung von Sozialleistungsbeziehern zu verhindern. Was ist das für ein Staat, in dem solche Verrenkungen notwendig sind, um ein bescheidenes Familienvermögen, ein Häuschen, zu erhalten?

Noch viel schlimmer als die Gesetzeslage ist natürlich wieder die Praxis der Behörden, das was wirklich im Alltag geschieht. Entgegen den Vorschriften werden da gerne schon mal die Leistungen sofort eingestellt, sobald das Amt nur hört, der Hartz-IV-Empfänger habe etwa irgendetwas geerbt, noch bevor der überhaupt eine Chance hatte, das zu verwerten. Eigentlich sind die Behörden verpflichtet, ihm die Zeit zu geben, zumindest einen marktüblichen Preis zu erzielen, wenn er schon verkaufen muss. Und bis dahin ist er bedürftig. Das wird aber häufig einfach nicht beachtet.

Das Bundessozialgericht hat sich auch darüber beschwert, dass die Arbeitsgemeinschaften höchstrichterliche Urteile des Öfteren einfach ignorieren. Sie hoffen auf die Unwissenheit der Leistungsbezieher und setzen auf Einschüchterung. Wer Hartz IV bezieht, lebt in einer kapitalistischen DDR, Druck, Bespitzelungen, Rechtlosigkeit, aber keinerlei soziale Sicherheit – eine sehr ungünstige Mischung. Das ist das wahre Ergebnis der Wiedervereinigung.

Sollte sich jemand darüber wundern, dass der 3. Oktober kein allgemeines Volksfest ist in Deutschland

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

wie etwa der 4. Juli in den Vereinigten Staaten von Amerika, sondern dass es immer noch gerade mal nur für eine zentrale Feier reicht, zu der man sicherheitshalber alle Linientreuen aus ganz Deutschland ankarrt zur Auffüllung der Reihen, das ist die Ursache. Bald feiern vielleicht nur noch die Reichen den Grundgesetzgeburtstag, unter Polizeischutz. Ich sage nur, denken Sie an das vierzigjährige DDR-Jubiläum. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD – Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Tegtmeier für die Fraktion der SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das SGB II ist schon öfter Gegenstand der Diskussionen hier im Plenum gewesen. Die Umsetzung des SGB II weist vielerlei Mängel auf, über die wir uns auch schon oft unterhalten haben.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Das ist ja was ganz Neues. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Aus Sicht der Sozialverbände wie auch von den Sozialgerichten

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Das ist alte Bundes-SPD.)

spielt die ausreichende Begründung der Bescheide auf Leistungen eine große Rolle. Die Widersprüche werden zu langfristig bearbeitet, die Sachbearbeiter werden nur sehr zeitfern

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

erreicht von dem Betroffenen, die Anrechnung von Einkommen, das Betroffene noch nicht haben, ist ebenso ein häufiger Streitpunkt, Verrechnung von Mietkautionen mit der Regelleistung und Anrechnung von Verschulden auf andere Haushaltsmitglieder ebenso.

Schwierig ist es, bundeseinheitliche Regelungen, die mit Ermessensspielräumen ausgestattet sind, vor Ort in allen Behörden gleichermaßen anzuwenden. Die Anrechnung von Vermögen und die Beispiele dazu sprechen eine eindeutige Sprache. Noch schwieriger ist es allerdings dann, wenn die kommunale Ebene gar zuständig ist für Bereiche. Außer Nationskommunen sind die Zuständigkeiten für zu erbringende Leistungen nach dem SGB II auf die Arbeitsagentur und die kommunale Ebene verteilt. Der kommunale Träger ist zuständig für die Leistungen für Unterkunft und Heizung,

(Udo Pastörs, NPD: Das wissen wir doch, Frau Tegtmeier. Reden Sie mal zur Sache!)

Kinderbetreuung, Schuldner- und Suchtberatung, psychologische Betreuung und besondere einmalige Bedarfe wie die Erstausstattung für Bekleidung oder Wohnung. Alle übrigen Leistungen werden von der Agentur für Arbeit erbracht.

Träger der Kosten der Unterkunft sind also die Kommunen, die Kreise und kreisfreien Städte. Sie bestimmen, welche Kosten angemessen sind, und setzen entsprechende Richtlinien fest. Als Richtwerte für angemessenen Wohnraum werden circa 45 bis 50 Quadratmeter für eine Person, für zwei Personen circa 60 Quadratmeter und zwei Wohnräume und so weiter angesetzt. Es gibt aber auch kommunale Träger, die gar nicht mal die Wohnfläche als Kriterium der Angemessenheit ansetzen, sondern hier Höchstmieten oder Quadratmeterpreise bestimmen. Für alle Fälle gilt jedoch, dass Leistungen für die Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendung erbracht werden müssen, soweit diese genau diesen erlassenen Richtlinien entsprechen, also als angemessen erachtet werden. Wohnungsbeschaffungskosten sowie Mietkaution und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den kommunalen Träger übernommen werden.

Nach neuer Rechtsprechung müssen auch die Kosten für erforderliche Renovierungsmaßnahmen übernommen werden. Aber für alle Leistungen, die von der kommunalen Ebene erbracht werden, ist erst einmal zu sagen, dass sie genau dort richtig angesiedelt sind, weil hier individuell beziehungsweise ortsspezifisch entschieden werden muss. Eine Regelung für alle, die dann bundesweit zu überhaupt keinen Klagen führt, kann es hier überhaupt nicht geben, es sei denn, dass man für viele Menschen erhebliche Verschlechterungen riskiert.

Viele Vorgänge werden jedoch einfach nicht unanfechtbar abgearbeitet. Die eingangs ausgeführte Mängelliste macht dies sehr deutlich. Daran wird allerdings auch deutlich, dass eben nicht unbedingt die gesetzlichen Regelungen dies allein verschulden, sondern der Ermessensspielraum, den die Agierenden vor Ort hier für sich ableiten und dabei in vielen Fällen ganz einfach auch brauchen. Der Anstieg von Klagen bei den Sozialgerichten ist nicht von der Hand zu weisen, natürlich nicht, denn die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.

Aber, sehr geehrte Damen und Herren, Sozialgerichte entscheiden bürgerfreundlicher als andere Gerichte. Das ist auch gut so. Und wenn Klagen zum Erfolg führen, ermuntert dies auch Menschen zu klagen, die dies sonst nicht tun würden.

(Udo Pastörs, NPD: Was ist das für ein Gesetz, wo man erst klagen muss, um zu seinem Recht zu kommen?)

Dort, wo das Bundessozialgericht dem Bundesgesetzgeber etwas ins Stammbuch schreibt, handelt dieser, wenn auch mitunter nicht so, wie wir uns das wünschen würden. Und wenn Urteile gesprochen werden, die die Landes- oder Kommunalebene tangieren, so wird dies auf Landes- und Kommunalebene ebenfalls berücksichtigt.

Was nun den Antrag der NPD-Fraktion angeht,

(Udo Pastörs, NPD: Na endlich!)

dazu kann ich nur sagen, das blinde Huhn hat hier kein Korn gefunden.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Erstaunlich ist, dass die NPD, ausgerechnet die NPD, sich hier als Retter der Hartz-Gesetze aufschwingt

(Udo Pastörs, NPD: Nicht der Hartz-Gesetze.)

und unsere Landesregierung auffordert, sich dafür im Bund einzusetzen, die vom Bundessozialgericht geforderte Reform des SGB II durchzuführen.

(Stefan Köster, NPD: Was reden Sie da?)