Protokoll der Sitzung vom 24.09.2009

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Rühs von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen ist ein Problem, das immer mehr um sich greift. Inzwischen sind etwa 20 Prozent der Kinder in der Bundesrepublik Deutschland übergewichtig. Jedes fünfte Kind und sogar jeder dritte Jugendliche haben im

Gesundheitsland Mecklenburg-Vorpommern Übergewicht. Bei Schuleingangsuntersuchungen hat sich die Zahl übergewichtiger Kinder in den vergangenen 10 bis 15 Jahren verdreifacht.

Mecklenburg-Vorpommern nimmt im nationalen Ver gleich unter den Schulanfängern inzwischen eine unrühmliche Spitzenposition ein. Der kontinuierlich steigende Anteil übergewichtiger Kinder und Jugendlicher in allen Industrieländern sowie die generelle Zunahme des Ausmaßes der Fettleibigkeit entwickeln sich zu einem der größten Probleme der Wohlstandsgesellschaft. Falsche Ernährung und Bewegungsmangel lösen eine ganze Lawine an Folgeerscheinungen aus, die von schweren frühzeitigen gesundheitlichen Störungen bis hin zu ernsthaften psychischen Erkrankungen reichen: Herz- und Kreislauferkrankungen, Diabetes und Bluthochdruck. Ganz besonders kritisch ist die rapide Zunahme von Diabetes Typ II schon bei Jugendlichen.

Immer mehr Kinder haben auch aufgrund von Übergewicht beim Schuleintritt bereits motorische Defizite und Koordinationsstörungen, zudem droht schwerer seelischer Schaden. Studien besagen, dass fettleibige Kinder unter demselben Psychostress stehen wie krebskranke Kinder während ihrer Behandlungsphase. Der Haltungs- und Bewegungsapparat wird überstrapaziert und so können schon früh Schäden an Gelenken auftreten, auch soziale Probleme, zum Beispiel bei Berufs- und Partnerwahl. Die gesundheitlichen Risiken von Übergewicht und Fettleibigkeit sind wissenschaftlich gut belegt. Da immer mehr junge Menschen unter Alterskrankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Beschwerden leiden, spielt auch die Kostenbelastung in der Krankenversorgung und Rehabilitation eine erhebliche Rolle. Daher gilt: Rechtzeitig eingreifen, um die Spirale des Gewichts nicht weiter nach oben, sondern nach unten zu bewegen! Gefordert wird somit ein umfassendes Präventionsprogramm, das in den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen verankert ist, also kita- und schulbasiert ausgerichtet ist.

Neben den Kindern und Jugendlichen müssen aber vor allem die Eltern übergewichtiger Kinder möglichst frühzeitig verstehen und begreifen lernen, dass Übergewicht ein gesundheitliches Risiko darstellt, das nur mit einer umfassenden Therapie in den Griff zu bekommen ist. Langfristigen Erfolg verspricht zudem nur ein Konzept, das neben umfangreichem Wissen über die Ernährung auch eine Sport- und Bewegungstherapie sowie eine Verhaltenstherapie beinhaltet. Die fettarme Ernährung und die Steigerung der körperlichen Aktivität sind wichtige Säulen bei der Behandlung des Übergewichts. In der Verhaltenstherapie lernen die Kinder, ein Problembewusstsein zu schaffen, ihre Motivation zu steigern und die neu erlernten Verhaltensweisen zu festigen. Darüber hinaus wird die Selbstkontrolle geschult und Strategien gegen einen Rückfall werden erarbeitet.

Mit unserem Antrag wollen wir die Landesregierung auffordern, im Kampf gegen zunehmendes Übergewicht und Fettleibigkeit bei unseren Kindern und Jugendlichen in Mecklenburg-Vorpommern die bereits etablierten kita- und schulbasierten Präventionsprogramme für eine gesunde Ernährung und mehr Bewegung weiter zu optimieren.

(Udo Pastörs, NPD: Man muss bei den Eltern ansetzen.)

Ziel hierbei ist der flächendeckende Ausbau und die Etablierung von vernetzen Strukturen unter Einbezie

hung von Kindern und Jugendlichen, Eltern, Pädagogen, Kinder- und Jugendärzten sowie der für Bildung und Gesundheit zuständigen Behörden zur Vermittlung eines gesunden Ernährungs- und Bewegungsverhaltens. Insbesondere gilt es, wie bereits kurz dargestellt, das Problembewusstsein zu verschärfen und neue Wege einer umfassenden Vermittlung von Informationen für die Eltern zum gewünschten Ernährungs- und Bewegungsverhalten sowie eines gesunden Lebensstils zu beschreiten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU)

Danke schön, Herr Rühs.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Ministerin für Soziales und Gesundheit Frau Schwesig.

Kommen Sie gleich nach vorn, Herr Grabow! Wir verstehen uns so gut.

(Ralf Grabow, FDP: Ja.)

Genau.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich zunächst versuchen, ein wenig der Panikmache entgegenzuwirken, wie sie einem zu diesem Thema gelegentlich entgegenschlägt, wenn man die Zahlen sieht. Insgesamt sind Kinder und Jugendliche in Deutschland nicht unfit. Das hat zuletzt die Studie zur gesundheitlichen Situation von Kindern und Jugendlichen gezeigt, in der sich das Robert Koch-Institut den Altersstufen 0 bis 17 widmet. Dieser gute Befund gilt auch für Mecklenburg-Vorpommern. Die Säuglingssterblichkeit ist gesunken, zahlreiche Infektionskrankheiten werden erfolgreich eingedämmt und die Zahngesundheit hat sich verbessert.

Aber wir dürfen die Lage natürlich nicht schönfärben. In Deutschland haben etwa 15 Prozent der Kinder Übergewicht, sechs Prozent leiden unter Fettleibigkeit, was Mediziner Adipositas nennen. Die Einschulungsuntersuchungen zeigen für Mecklenburg-Vorpommern zwar einen kontinuierlichen Rückgang der Zahl übergewichtiger und fettleibiger Kinder, aber wir dürfen in unseren Bemühungen nicht nachlassen, denn es sind immer noch viel zu viel. Dabei müssen wir sehen, dass die Chancen auf ein von Krankheit unbelastetes Leben nicht gleich verteilt sind. Für Kinder aus Familien mit geringem Einkommen und auch mit geringer Bildung ist das Risiko höher, krank zu werden. Sie sind auch häufiger von Übergewicht und Adipositas betroffen. Diese Kinder haben möglicherweise ihr Leben lang mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Das Problem kann zum Beispiel Diabetes heißen. In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl dieser Erkrankung rapide angestiegen.

Herr Professor Rosenbrock, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, hat gerade erst wieder darauf hingewiesen, dass Übergewicht, insbesondere Adipositas, oft als psychosoziale Belastung empfunden wird. Häufig geht diese Selbstbeobachtung einher mit sozialer Diskriminierung. Deshalb müssen wir Eltern und Kinder für einen gesunden und aktiven Lebensstil begeistern. Dazu

gehören eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegung und die Fähigkeit zur Bewältigung von Stress. Wissen ist hierfür eine wichtige Voraussetzung. Wir alle kennen allerdings auch den beschwerlichen Weg vom Wissen über das Wollen zum Handeln.

Übergewicht und Adipositas sind äußerst komplexe Phänomene, unter anderem werden sie durch übermäßigen Medienkonsum begünstigt. Schnell beginnt sich eine verhängnisvolle Spirale zu drehen. Kinder mit Übergewicht bewegen sich weniger,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

verlieren den Kontakt zu Gleichaltrigen und flüchten in mediale Scheinwelten, was ihre Lage nicht bessert. Wir dürfen aber auch die Essstörungen nicht vergessen, die zur Fehl- und Mangelernährung führen. Unter Jugendlichen haben sie leider eine traurige Bedeutung erlangt.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Zum Beispiel aufgrund von Armut.)

Dabei kann es genauso schädlich sein, das Thema Essen ständig anzusprechen, wie es falsch ist, ein unerreichbares Schönheitsideal zu propagieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, Sie sehen, komplexe Prozesse erfordern komplexe Strategien. Mit dem Landesaktionsplan für Gesundheitsförderung und Prävention haben wir eine solche Strategie erarbeitet. Dazu haben die Ressorts der Landesregierung und weitere Partner beigetragen. Wir mussten insbesondere zwei Fragen beantworten:

Wie erreichen wir die Zielgruppe der Eltern und Kinder?

Und: Wie können wir vor allem deren Eigenverantwortung stärken?

Erreichen können wir junge Frauen und Männer besonders gut, wenn sie auf der Schwelle zur Elternschaft stehen. Die vielen Kontakte von Schwangeren und ihren Partnern zum Gesundheitswesen bieten die Chance, Einfluss zu nehmen. Deshalb haben …

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Borchardt?

Selbstverständlich.

Bitte, Frau Borchardt.

Sie haben in den letzten Minuten dargestellt, was Sie bislang schon alles getan beziehungsweise vorhaben. Bedarf es dann dieses Antrages der Koalition?

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Natürlich.)

Ich hätte die Bitte, dass ich erst noch ausführen darf, dann sehen Sie, dass dieser Antrag der Koalition eine sehr gute Unterstützung für die Arbeit der Landesregierung ist.

(Udo Pastörs, NPD: Gucken Sie sich selber an, dann sehen Sie, wie nützlich und notwendig das ist!)

Die zweite Frage: Es wird immer in der Empfehlung von einem umfangreichen Konzept gesprochen. Wird dieses Konzept dann auch Bestandteil des Doppelhaushalts sein?

(Udo Pastörs, NPD: Frau Ministerin, helfen Sie ihr!)

Wir haben den Landesaktionsplan zur Gesundheitsförderung und mehrere Maßnahmen zur Gesundheitsförderung. Ich würde gerne in meiner Rede noch darauf eingehen, was uns da vorschwebt. Zum Beispiel im Rahmen der KiföG-Novellierung haben wir schon unter Rot-Rot angefangen, das Thema Gesundheit in den Vordergrund zu rücken, und würden es gerne verstärken. Ich glaube, wenn ich mit meiner Rede fertig bin, dann habe ich Ihre Fragen sehr gut beantwortet.

Na, gucken wir mal.

Frau Ministerin, ich muss Sie doch noch einmal unterbrechen.

Herr Pastörs, ich erteile Ihnen ein Ordnungsruf für die persönliche Beleidigung.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das ist der vierte, das ist der vierte. Raus mit ihm! – Ilka Lochner-Borst, CDU: Der vierte Ordnungsruf.)

Bitte, Frau Ministerin.

Wir müssen in dieser Frage insbesondere zwei Fragen beantworten:

Wie erreichen wir die Zielgruppe der Kinder und Eltern?

Und: Wie können wir deren Eigenverantwortung stärken?

Erreichen können wir junge Frauen und Männer besonders gut, wenn sie auf der Schwelle zur Elternschaft stehen. Die vielen Kontakte von Schwangeren und ihren Partnern zum Gesundheitswesen bieten die Chance, Einfluss zu nehmen.

(Vizepräsident Andreas Bluhm übernimmt den Vorsitz.)

Deshalb haben wir im Ministerium eine Arbeitsgruppe „Gesundheit für Mutter und Kind“ gegründet. Ziel der Arbeitsgruppe ist es, Schwangere zu begleiten und zu unterstützen. Dabei greifen wir auf das Know-how von Frauenärzten, Hebammen und Beratungsstellen zurück. Bisher standen in diesen Gesprächen die Themen „Alkohol und Rauchen“ im Mittelpunkt. Ich nehme die Anregungen der Regierungsfraktionen gern auf, auch die Ernährung stärker in das Blickfeld zu rücken. – Insofern, Frau Borchardt, sehen Sie, der Antrag kann auch mal zusätzlichen Schwung in unsere Bemühungen bringen. – Dafür gibt es auch gute Argumente. Das Essverhalten wird in der frühen Kindheit geprägt. Wissenschaftler sagen, dass dies möglicherweise sogar schon vor der Geburt passiert. Ausgewogene, vielseitige Ernährung in der Schwangerschaft und langes Stillen schaffen also eine gute Grundlage für die Entwicklung des Kindes. Später erreichen wir die Kinder und ihre Eltern in den Kitas und in den Schulen.