Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Liebe Kollegin Lück, ich weiß, dass Tierproduktions- und Bioenergieanlagen häufig, sehr häufig, viel zu häufig, sage ich mal, vor Ort äußerst strittig sind, insbesondere was den letzten Teil anbelangt. Bei Tierproduktionsanlagen kann man sicherlich geteilter Auffassung sein, aber nichtsdestotrotz haben sie auch ein Anrecht darauf, genauso gleichberechtigt behandelt zu werden wie alle anderen Investoren in diesem Land. Da habe ich schon ein Problem mit Ihrer Aussage, wenn Sie sagen, Sie wollen mit dem Antrag oder mit dem Inhalt dieses Antrages solche Vorhaben nicht verhindern oder behindern.
In der Realität passiert genau das, ich werde dazu was sagen. Wir würden bestimmte Prozesse ohne Not unheimlich verzögern. Ich wohne selbst in einem Dorf gegenüber der Milchviehanlage mit 500 Milchrindern. Ich weiß also, was es bedeutet, einer solchen Belastung nicht nur geruchstechnisch, sondern auch akustisch zu unterliegen. Ich gucke jetzt mal in Richtung unserer …
(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Rudolf Borchert, SPD: Fördert die Milchleistung! Macht Powermusik!)
Meine Damen und Herren, der Antragsteller, das ist so meine Wahrnehmung, verfolgt die Absicht: Je klarer die Regelung, desto weniger Streit gibt es. Das ist so die Intention, die habe ich so wahrgenommen.
Aber ob da wirklich die Raumordnung der geeignete Instrumentenkasten ist, diese – Sie haben es selber gesagt – örtlichen Probleme anhand eines neuen Kriterienkatalogs zu lösen, zeigt eine nähere Betrachtung, aus der man dann entweder für Ihren Antrag oder gegen Ihren Antrag sein kann.
Ich will das aus meiner Sicht noch mal darstellen. Die aktuelle Regelung sieht Folgendes vor: Ein Raumordnungsverfahren muss dann durchgeführt werden, wenn bei der Umsetzung eines Vorhabens ein überörtliches Konfliktpotenzial zu erkennen ist, also kein örtliches, sondern ein überörtliches. Sind diese Konflikte nicht zu erwarten, bedarf es keines Raumordnungsverfahrens. Ob ein landesplanerisches Erfordernis zur Durchführung eines Raumordnungsverfahrens besteht, richtet sich nach dem Einzelfall und liegt auch im Ermessen der obersten Landesplanungsbehörde – Frau Lück wies darauf hin –, nämlich bei meinem Ministerium.
Ich kann Ihnen hier sagen, ob Sie das nun glauben oder nicht, das machen wir ja nicht frei Schnauze oder so mal aus dem Hüftgelenk,
sondern da gibt es ganz konkrete Kriterien, an denen auch wir uns ausrichten. Der junge Mann neben Ihnen weiß ja, wovon ich da rede.
Meine Damen und Herren, Prüfgrundlage, ob ein Raumordnungsverfahren durchgeführt werden soll, sind die festgelegten Ziele und Grundsätze der Raumordnung, an deren Aufstellung auch Sie beteiligt waren, wie ich aus vielen Gesprächen in der Vergangenheit weiß. Sie sind, wenn man so will, bereits die Kriterien, nach denen solide beurteilt werden kann, ob ein Raumordnungsverfahren notwendig ist, weil überörtliche Konflikte drohen.
Diese Ziele und Grundsätze sind im Übrigen in einem zu Recht sehr aufwendigen, langwierigen Prozess mit breitester Öffentlichkeitsbeteiligung erarbeitet worden. Das hat auch hier im Land jeder nachvollziehen können, der diesen Prozess begleitete. Sie sind im Übrigen auch unter anderem nach dem Baugesetzbuch oder dem Raumordnungsgesetz rechtlich verbindlich, sie sind also nicht nur im luftleeren Raum, sondern sie sind rechtlich verbindlich.
Ziele der Raumordnung stellen bereits einen Interessenausgleich dar, denn bei jedem regionalen Raumentwicklungsprogramm werden bis zu 5.000 – im Moment laufen ja gerade die zweiten Runden – Einwendungen eingereicht und dann auch anschließend abgewogen, und zwar über die regionalen Planungsverbände. Und das halte ich für ein ganz wichtiges Instrument der kommunalen Selbstverwaltung. Das darf man bei dem ganzen Thema auch nicht ausblenden.
Diese Beurteilungsgrundlage ist wegen der Nachvollziehbarkeit der Ziele und Grundsätze der Raumordnung – sie sind im Übrigen für alle offen einsehbar – einerseits konsequent verbindlich, sie ermöglichen aber auch flexible Reaktionen auf bisher neuartige Raumnutzungen. Dieser Ermessensspielraum bietet die Möglichkeit, dass beispielsweise für Vorhaben Raumordnungsverfahren durchgeführt werden, die nicht in der Raumordnungsverordnung des Bundes aufgeführt sind, also auch diese Flexibilität haben wir schon.
Frau Lück hat auch darauf hingewiesen, wir haben bisher in diesem Land seit 1990, also seit gut 20 Jahren, 176 Raumordnungsverfahren, und zwar in hoher Qualität, durchgeführt. Die bisher in der Praxis bewährten Entscheidungsabläufe sollen nun nach Meinung der Fraktion DIE LINKE in ein enges Kriterienkorsett gedrängt werden. Das ist meine ganz persönliche Einschätzung und auch meine politische Einschätzung.
Wenn wir über diesen Vorschlag diskutieren und ihn nicht gleich vom Tisch wischen wollen, müssen doch die Fragen lauten: Was wird mit solchen Leitlinien besser als bisher? Das ist die spannende Frage für mich. Was wird also besser als bisher? Ich sage das auch: Die Argumente vorhin haben mich noch nicht wirklich überzeugen können.
Ist die Forderung nach einem Kriterienkatalog überhaupt geeignet, die benannten Probleme ernsthaft zu lösen?
Dem würde ich entgegenhalten, dass wir die Raumordnung, so wichtig und geradezu unentbehrlich sie für die Entwicklung des Landes zweifellos ist, als Instrument damit überfordern. Das ist meine Überzeugung, und zwar zutiefst. Die Raumordnung ist eben nicht dazu geeignet und im Übrigen auch nicht dafür gedacht, das muss man wissen, ich sage es noch mal, die örtlichen Interessenkonflikte bei Investitionsvorhaben tatsächlich zu lösen.
Dafür gibt es andere Beurteilungsgrundlagen, auch die haben Sie hier ausgeführt, wie zum Beispiel das BundesImmissionsschutzgesetz, von vielen fast schon gefürchtet als BImSchG, für solche Vorhaben. Man wird keinen raumordnerischen Instrumentenkasten, sprich Kriterienkatalog, zustande bringen, mit dem man wirklich jedes spezifische Einzelvorhaben hinreichend konkret bewerten kann, um über die Beurteilung der überörtlichen Konfliktpotenziale hinaus dann auch noch die örtlichen Interessenkonflikte zu vermeiden. Das sehe ich definitiv nicht.
Zudem steht die Einführung – und das sage ich wirklich mit allem Nachdruck – von immer neuen Kriterienkatalogen völlig im Widerspruch, so habe ich es auch hier immer in den Debatten verstanden, zu unserem gemeinsamen Wollen, doch zu deregulieren, im positiven Sinne. Ich glaube, ich stehe nicht in dem Verdacht, Deregulierung das Wort zu reden, aber Bürokratieabbau. Hier würden wir etwas Gutgemeintes einsetzen, um das Gegenteil zu erreichen. Da kenne ich aus der Vergangenheit die Position der Fraktionen. Das war eigentlich immer unser gemeinsames Ziel und wir würden das hier heute konterkarieren.
Ich glaube auch nicht, dass wir mit einem solchen Verfahren wirklich dem Streit aus dem Weg gehen. Ich glaube
eher, das ist die Erfahrung, da haben wir unterschiedliche Auffassungen, das war auch beim Thema Nachbarschaftsrecht so – das mögen mir alle anwesenden Juristen, das sind ja nicht gerade wenige, verzeihen –, je mehr wir immer enger stricken dieses Netz von Regularien, von juristischen Fäden, also irgendwann haben wir uns dermaßen eingewoben und eingestrickt, dass wir so gut wie gar nicht mehr uns bewegen können, und gestalten noch viel weniger.
Ich bitte um Verständnis dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann diesen Antrag so nicht akzeptieren. – Danke.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Regine Lück, DIE LINKE: Das ist aber enttäuschend, Herr Minister.)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerade in der Entwicklung in den zurückliegenden Jahren hat sich gezeigt, dass die Akzeptanz für Tierproduktions- und Bioenergieanlagen in der Bevölkerung deutlich gesunken ist. Gleiches gilt übrigens auch für Windenergieanlagen, Jachthäfen, Straßenausbau, Kraftwerke, Müllverbrennung, Industrieanlagen, Gentechnik oder auch den Neubau dieses Plenarsaals.
(Rudolf Borchert, SPD: Na, nun mal nicht alles in einen Topf werfen! – Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)
Diesen Nihilismus, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, saugen Sie auf wie ein Schwamm
(Helmut Holter, DIE LINKE: Nun legen Sie mal das weg, was Ihnen aufgeschrieben wurde, und sagen Sie Ihre ehrliche Meinung! – Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)