Protokoll der Sitzung vom 27.01.2010

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 87. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht sicherlich nicht nur mir so: Ich bin emotional noch immer tief berührt von der Gedenkveranstaltung, die wir am heutigen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus im Festsaal durchgeführt haben. Ich bin emotional auch tief betroffen von dem, was unsere Gastrednerin Frau Professor Anna Hanusová-Flachová als Überlebende des Holocaust gesagt hat.

Ich danke nochmals allen, die an dieser Gedenkveranstaltung teilgenommen und sich dort zu Ehren der Opfer des Nationalsozialismus, der Opfer von Krieg, Gewalt, Terror und Vertreibung von ihren Plätzen erhoben haben. Es ist nicht leicht, danach wieder zum Tagesgeschäft einer Plenarsitzung überzugehen. Deswegen, denke ich, war es richtig und angemessen, der Opfer des Nationalsozialismus am heutigen Tag in einer gesonderten Veranstaltung zu gedenken und nicht nahtlos in eine laufende Plenarsitzung zu den üblichen Debatten überzuleiten.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Sehr richtig.)

Dies bietet zugleich die Möglichkeit, die Gedenkveranstaltung – in Würdigung ihrer besonderen Bedeutung – auch gesondert zu dokumentieren. Nochmals Danke an alle, die der Opfer des Nationalsozialismus gedacht haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Tagesordnung der 87. und 88. Sitzung liegt Ihnen vor. Im Ältestenrat bestand Einvernehmen darüber, den Tagesordnungspunkt 25 mit dem Tagesordnungspunkt 27 zu tauschen. Wird der so geänderten vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 87. und 88. Sitzung gemäß Paragraf 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich es nicht versäumen, unserer Kollegin Ute Schildt ganz herzlich zu ihrem heutigen Geburtstag zu gratulieren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP – Gratulationen)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Fraktion der FDP hat einen Antrag zum Thema „Beteiligungskriterien für Landesbeteiligungen an kulturellen Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern“ vorlegt, der auf Drucksache 5/3216 verteilt wird. Wir werden diese Vorlage, um die die Tagesordnung erweitert werden soll, nach Verteilung an die Mitglieder des Landtages sowie einer angemessenen Zeit für eine Verständigung innerhalb und zwischen den Fraktionen nach dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufen. Ich werde dann das Wort zur Begründung des Dringlichkeitsantrages erteilen sowie die Abstimmung über deren Aufsetzung durchführen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion der SPD hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Blockade der Job-Center-Reform schnellstens been

den – Betreuung der Arbeitslosen aus einer Hand erhalten“ beantragt.

Aktuelle Stunde Blockade der Job-Center-Reform schnellstens beenden – Betreuung der Arbeitslosen aus einer Hand erhalten –

Das Wort hat zunächst für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Schulte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Jetzt als erster Redner zum ersten Tagesordnungspunkt am heutigen Tag in die Parlamentsdebatte einzusteigen, ist vielleicht nicht das Einfachste.

(Udo Pastörs, NPD: Das ist ein schwieriges Unterfangen.)

Ich denke mir, dass auch dieses Thema gerade heutzutage für eine Vielzahl von Menschen insbesondere in unserem Land von Bedeutung ist. Die Aktualität dieses Themas ergibt sich alleine schon oder wird ja durch den Umstand bestätigt, dass am 25. dieses Monats Frau Bundesministerin von der Leyen auch den ersten Entwurf des neuen Gesetzes zur Reform der Job-Center – so will ich es mal sagen – vorgestellt hat, wo natürlich deutlich gemacht wird, welcher zeitliche Druck sich inzwischen hier in Deutschland und damit natürlich auch bei uns in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt angestaut hat.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, alle, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, wissen, dass das Bundesverfassungsgericht Ende 2007 dem bisher noch geltenden Konstrukt der Kommunen und Bundesagentur für Arbeit in den Job-Centern als eine nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes unzulässigen Mischverwaltung den Garaus gemacht und dem Bundesgesetzgeber eine Frist zur Neuregelung bis Ende 2010 gesetzt hat. Hintergrund für diese Entscheidung ist gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ins Stammblatt geschrieben hat, dass die bisherige Form der Zusammenarbeit nicht geeignet wäre, den Betroffenen, das heißt der BA, den Kommunen, aber vor allem natürlich auch den Menschen, die die Arbeit in den Job-Centern in Anspruch nehmen, deutlich zu machen, welcher Verwaltungsträger welche Aufgaben mit welchem Personal, mit welchen Sachmitteln und mit welcher Organisation wahrzunehmen hat.

Seitdem gibt es eine lange Diskussion zwischen allen Beteiligten. Und was ich an dieser Stelle gleich zu Beginn dieser Aktuellen Stunde deutlich machen muss: Es ist, das muss man positiv sehen, eine Diskussion, die nicht parteipolitisch unbedingt begründet ist, sondern sie ist offensichtlich gekennzeichnet vom Bemühen aller Beteiligten, eine Lösung zu finden, die die beste Lösung ist.

(Regine Lück, DIE LINKE: Aber die beste ist die beste. )

Genau, Frau Kollegin Lück.

Ob dann natürlich die Lösung, die tatsächlich am Ende zum Tragen kommen wird, auch wirklich die beste ist, ist die zweite Frage. Und da muss man vielleicht mal an dieser Stelle davon ausgehen, was eigentlich Ziel der damaligen Hartz-IV-Reform bei der Bildung der JobCenter war. Ziel war es, für die Bürger/-innen, die diese Leistungen in Anspruch nehmen müssen, eine gemeinsame Aufgabenwahrnehmung durch die betroffenen Verwaltungsträger zustande zu bringen. Wenn man

dieses als Ausgangspunkt nimmt, dann ist natürlich die erste Frage oder sollte vielleicht die erste Frage sein, wie das tatsächlich erzielt werden kann, dass dieses Ergebnis auch vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils tatsächlich weiter vonstattengeht.

Und da, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, gibt es im Grunde zwei Möglichkeiten. Das sind die Möglichkeiten, die die Diskussionen bestimmen, und das ist auch der Punkt, weswegen wir das heute auf die Tagesordnung gesetzt haben.

Der eine Punkt ist der, wie Frau von der Leyen es jetzt in ihrem Gesetzentwurf vorgeschlagen hat, dass man sagt, man trennt die Aufgaben wieder formal und versucht dann, sie bestmöglich zumindest räumlich unter einem Dach zu erfüllen. Die andere Möglichkeit ist natürlich die, dass man sich überlegt, will man das Grundgesetz an der Stelle so ändern, dass die bisherige Form nicht unbedingt in allen Einzelheiten, aber vom Grundsatz her weiter erhalten bleiben kann. Beide Punkte machen deutlich, dass diese entsprechenden Gesetzesvorhaben schnell gemacht werden müssen. Sowohl eine einfache gesetzliche Regelung als auch eine verfassungsrechtliche Änderung stehen unter Zeitdruck, denn spätestens zum Ende dieses Jahres muss eine Regelung gefunden werden.

Und was meiner Fraktion wichtig ist, ist an dieser Stelle deutlich zu machen, dass es hier nicht um einen Dissens zwischen CDU und SPD in diesem Land geht, sondern – das hat, wenn ich das sagen darf, der Wirtschaftsminister Herr Seidel ja auch deutlich gemacht auf der letzten Ausschusssitzung des Wirtschaftsausschusses –, dass es hier ein Hand in Hand gibt zwischen den Fraktionen der CDU und SPD, zumindest hier im Land, was das Bemühen angeht, eine der bisherigen Arbeit der JobCenter angepasste Lösung zu finden, letztendlich, ich verkürze es mal, eine verfassungskonforme Lösung für die Job-Center zu finden.

Das ist ja auch der Grund gewesen, weswegen die Arbeitsminister noch im Dezember – alle Arbeitsminister aller Länder – erklärt haben, dass sie zwar das damalige Eckpunktepapier der Bundesregierung als Diskussionsgrundlage sehen würden, aber vonseiten der Kolleginnen und Kollegen aus den CDU-regierten Bundesländern deutlich gemacht wurde, dass sie natürlich eine verfassungskonforme Lösung vor dem Hintergrund der jetzt arbeitenden Job-Center durchaus als diskussionswürdig bezeichnen würden.

Und da, sehr geehrte Damen und Herren, kommt natürlich jetzt der Punkt. Wir haben einen Gesetzentwurf von Frau Ministerin von der Leyen, der als bürgerfreundlich überschrieben ist, aber letztendlich deutlich macht, dass hier die Leistungen der bisherigen Verwaltungsträger doch getrennt werden müssen. Das geht auch in der verfassungsrechtlichen Situation, in der wir uns derzeit befinden, gar nicht anders. Nur das Problem an der Sache ist, wir haben dann ein Konstrukt, das die Menschen in unserem Land im Ergebnis wieder in die Situation zurückbringt, die wir vor der Reform hatten.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Richtig.)

Sie haben zwei Verwaltungsträger, die für unterschiedliche Leistungen zuständig sind, und sie müssen sich im Zweifelsfall mit zwei verschiedenen Leistungsträgern, die unterschiedliche Regelungen treffen können, auseinandersetzen.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Richtig.)

Alles das, was mal gemeinsam angestrebt worden ist, kann unter diesen Voraussetzungen nicht erfüllt werden. Und die Überlegungen, die aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales derzeit vorgestellt werden, dass die Bundesagentur für die Kommunen als Träger der Sozialleistungen die Entscheidungen mit trifft, stehen nun wieder in eklatantem Widerspruch zu der damaligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, worin ja deutlich gemacht werden musste, dass unter der geltenden Verfassungslage tatsächlich Entscheidungen von jeder einzelnen Verwaltungsträgereinheit getrennt getroffen werden müssen.

Man muss auch mal das Problem sehen, das sich für die Kommunen dann darstellt. Wenn die BA zukünftig mit Letztentscheidungsrecht gegenüber den Kommunen über gemeinsame Leistungsvoraussetzungen entscheiden soll, nimmt sie – das muss man vielleicht noch mal endgültig prüfen – möglicherweise verfassungswidrig eine Mitentscheidungsbefugnis in einem Bereich in Anspruch, der nach Artikel 83 Grundgesetz den Ländern und den ihnen zugeordneten Kommunen vorbehalten ist.

Die Kommunen selbst werden dann als Leistungsträger nur noch eine eingeschränkte Verwaltungszuständigkeit haben und an die Entscheidungen Dritter gebunden sein. Das ist für die Kommunen letztendlich nicht hinnehmbar. Das ist für die Menschen, die diese Leistungen in Anspruch nehmen müssen, so auch nicht auf Dauer akzeptabel.

Und darum die Bitte – und deswegen heute hier die Aktuelle Stunde – gerade an die Kollegen von der CDUFraktion, so, wie das Herr Minister Seidel in der Vergangenheit deutlich gemacht hat, doch Ihre Bemühungen in Richtung Ihrer Kollegen in der CDU-Bundestagsfraktion, die ja nun alle in den Kommunen verwurzelt sind, so, wie Sie das auch sind, so, wie wir das sind, dahin gehend zu richten, in diesem kurzen Zeitfenster, das wir momentan noch haben, in der Zeit, ich schätze jetzt mal, vielleicht bis Ende Februar, denn mehr Zeit wird tatsächlich nicht sein, sich darüber zu verständigen, ob wir nicht doch noch eine Verfassungsänderung machen wollen, die tatsächlich eine verfassungskonforme Weiterarbeit, übrigens nicht nur der Job-Center, sondern dann auch der Optionskommunen, sicherstellt, ob nicht tatsächlich von Ihnen die Zeit noch so genutzt werden kann, um hier eine Lösung zu finden, die letztendlich allen Betroffenen zugute kommt.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Schön wär’s.)

Und erlauben Sie mir, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, in diesem Zusammenhang aus dem vorliegenden Gesetzentwurf aus dem Hause von Frau von der Leyen zu zitieren unter dem Punkt Bürokratiekosten. Es ist vielleicht nur deswegen auch so deutlich, weil es gerade aus dem eigenen Haus der Ministerin kommt. Dort heißt es: „Es ist jedoch abhängig vom Umfang der Kooperation zwischen dem kommunalen Träger und der Agentur für Arbeit nicht auszuschließen, dass sich der zeitliche Aufwand in einer nicht zu beziffernden Anzahl von Fällen für Bürger erhöht. So kann zum Beispiel trotz der bestehenden Regelung zur Datenübermittlung in einzelnen Fällen nicht ausgeschlossen werden, dass Anträge doppelt gestellt werden müssen.“

Und wenn Sie die „Süddeutsche Zeitung“ vom 23.01. gelesen haben, dort war ein Artikel unter der Über

schrift „Rechnungshof rügt Aufspaltung der Jobcenter“. Darin heißt es dann, dass der Bundesrechnungshof „große Probleme bei der zukünftigen Zusammenarbeit“ der verschiedenen Verwaltungsträger „auf freiwilliger vertraglicher Basis“ sieht. „In dem Schreiben“, da wird der Bundesrechnungshof zitiert, „heißt es: ,Es wird ein aufwändiges, laufendes Management mehrerer hundert Verträge erforderlich.‘ Die Prüfer sehen auch ,erhebliche Risiken im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Leistungen‘.“

Und, meine Damen und Herren, wenn man dieses sieht und wenn man weiß, wie viele Menschen in diesem Land von der Inanspruchnahme dieser Leistungen betroffen sind,

(Udo Pastörs, NPD: Abhängig, abhängig sind.)

dann, denke ich, ist es unsere gemeinsame Verantwortung, auch mit den Kolleginnen und Kollegen im Bund tatsächlich eine Lösung zu finden, die diese Probleme, die heute schon erkennbar sind, tatsächlich vermeidet. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordnete Schulte.

Das Wort hat jetzt der Wirtschaftsminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern Herr Seidel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einmal eine Vorbemerkung machen. Ich halte – und da bin ich, glaube ich, mit Ihnen einer Meinung – die Langzeitarbeitslosigkeit in der Tat für eine Geißel der Gesellschaft. Es geht darum, dass wir genau diese Langzeitarbeitslosigkeit wirkungsvoll bekämpfen müssen, dass wir auch hier neue Arbeitsmarktchancen eröffnen. Das hat nicht nur für die Menschen selbst, für die zuallererst, aber auch für die Gesellschaft eine enorme Bedeutung.

(Regine Lück, DIE LINKE: Aber nur mit konkreten Instrumenten, Herr Minister.)

Insofern sollten wir uns auch dem Thema mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und Verantwortung zuwenden.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ich bin schon mal sehr dankbar, dass die durchaus bestehende Versuchung, jetzt mal so einen Buhmann zu suchen, das ist dann die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, jetzt nicht passiert ist. Man weiß immer nicht, wie ein solches Thema angegangen wird.

(Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

In der Tat müssen wir nach Lösungen suchen, das ist richtig, und ich kann noch mal gerichtet an die SPD sagen: Wenn man was bewegen will, dann scheint mir eins wichtig zu sein im Moment, nämlich dass vonseiten der SPD ein ganz deutliches Signal kommt, dass die bisher limitierte Zahl der Kommunen, die die sogenannte Option wahrnehmen können,