Protokoll der Sitzung vom 29.04.2010

Der Artikel 2 Absatz 2 der schleswig-holsteinischen Landes verfassung lautet, und ich zitiere: „Das Volk bekundet seinen Willen durch Wahlen und Abstimmungen. Es handelt durch seine gewählten Vertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie durch Abstimmungen.“

Und weiter heißt es in Artikel 3 Absatz 1: „Die Wahlen zu den Volksvertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden und die Abstimmungen sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim.“ Ende des Zitats.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Sind eben nicht frei.)

Und jetzt kommt’s: Im Gegensatz dazu steht in unserer Landesverfassung im Artikel 3 Absatz 3, ich zitiere: „Die Wahlen zu den Volksvertretungen im Lande, in den Gemeinden“ – und das können dann so ganz kleine Inselgemeinden wie zum Beispiel Hiddensee sein, es kann aber auch eine große kreisfreie Stadt wie Rostock sein,

(Zuruf von Toralf Schnur, FDP)

es könnte auch so was sein – „und Kreisen“, und das ist eben der zweite wichtige Begriff, „sind allgemein, un mittelbar, frei, gleich und geheim.“ Ende des Zitats.

So, was heißt denn das? Das heißt, dass der Unterschied eigentlich in einem einzigen Wort liegt. Während die schleswig-holsteinische Verfassung eben davon ausgeht, dass sie von Gemeindeverbänden spricht, ist bei uns von Kreisen die Rede. Das ist der entscheidende Unterschied, so nüchtern muss man sich das einfach angucken.

(Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

Nun hat ja das Gericht in Schleswig seitenlang – das ist ja mal ein Vergnügen für einen Ingenieur, so eine Begründung eines Gerichtsurteils in Gänze zu lesen – aus geführt, was Gemeindeverbände sind, und hat ganz klar gesagt, dass Ämter Gemeindeverbände sind. Aber das ist es eben, es ist müßig, darüber nachzudenken, ob unsere Ämter nun nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts nicht auch Gemeindeverbände sind. Und warum? Es kommt darauf gar nicht an, meine Damen und Herren, denn selbst, wenn es so wäre, unsere Landesverfassung sieht eben keine unmittelbaren Wahlen in Gemeindeverbänden vor. Das ist nun mal so eindeutig. Und Artikel 3 Absatz 3, ich habe es schon mal gesagt, der Landesverfassung spricht nur von Gemeinden und Kreisen und eben nicht von Gemeindeverbänden. Ämter sind damit von uns – von uns als Gesetzgeber, in diesem Falle ja sogar als Verfassungsgeber – eben ausdrücklich herausgenommen worden. Deswegen, meine Damen und Herren von der LINKEN, ist schon aus einem zugegeben sehr formalen Grund Ihr ganzer Antrag nichts wert.

(Zuruf von Toralf Schnur, FDP)

Zu den anderen Dingen hat mein Kollege Müller so ausdrücklich gesprochen, aber mir war auch noch mal wichtig, dass ich über die Gemeinden und insbesondere über Hiddensee gesprochen habe. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Danke schön, Herr Ringguth.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Andrejewski von der Fraktion der NPD.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag dürfte wohl wirklich überflüssig sein. Selbst ich würde der Landesregierung noch so viel rudimentäre Restvernunft einräumen, dass sie nun nach dem Urteil des Landesverfassungsgerichtes von Schleswig-Holstein wenigstens vorsichtshalber das in Angriff nehmen dürfte und auch schon in Angriff genommen hat zum Teil, was in diesem Antrag gefordert wird.

Auch wenn die Landesregierung bisher in noch so vielen Bereichen herumgetrödelt hat – und so auch hier in diesem Bereich –, wird sie sich trotz aller Lippenbekenntnisse, das Urteil sei auf Mecklenburg-Vorpommern nun gar nicht anzuwenden und was ganz anderes, die tatsächliche Lage in den Ämtern ansehen müssen und auch die Amtsordnung, die Landesverfassung. Sie hat ja schon Fachjuristen in die Enquetekommission vorgeladen. Sie tut das aus Eigeninteresse, sie riskiert sonst, dass ihr die Kommunalreform wieder um die Ohren fliegen könnte, diesmal zur Abwechslung in Form der Funktionalreform. Das Ganze sollte ja die große, zukunftsweisende Leistung dieser Regierung darstellen, das Jahrhundertprojekt und auch die Erfolgsstory, mit der man im Landtag gern punkten wollte.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Zwar wird daraus wohl nichts mehr werden, dafür gibt es viel zu viele, die von diesem Vorhaben überwiegend Nachteile zu erwarten haben, darunter vor allem die Kommunen, denen die Schulden ihrer heutigen Landkreise aufgesattelt werden sollen, und jene Städte, die ihren Status als Kreisstadt verlieren werden, aber ein weiteres Scheitern vor dem Landesverfassungsgericht wäre nun wirklich der Super-GAU.

Sehr seltsam ist allerdings, dass eine Evaluierung der Amtsordnung und vor allen Dingen des tatsächlichen Aufgabenbestandes der Ämter überhaupt notwendig sein soll. Mecklenburg-Vorpommern ist doch schließlich nicht das Russische Reich. Dass der Zar nicht so genau wusste, was genau in dem entferntesten Verwaltungsbezirk in Sibirien vorging, das mag ja noch verständlich sein, angesichts der damaligen Nachrichtentechnik vor allem, aber dass die Regierung eines kleinen Bundeslandes mit noch nicht einmal zwei Millionen Einwohnern nicht aktuell weiß, was in den Ämtern vorgeht, welche Selbstverwaltungsaufgaben auf welches Amt nun übertragen worden sind und wer auf dieser kommunalen Ebene für wen was macht und wofür verantwortlich ist, und daher eine Umfrage unter den Ämtern starten muss, das lässt sich wirklich nicht mehr erklären.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Da werden Fragebögen an die Bürgermeister und Amtsvorsteher verteilt. Immerhin lauteten die Fragen nicht: Existiert Ihr Amt überhaupt noch? Kennen Sie noch andere Ämter in Ihrer Nähe? Haben Sie vielleicht irgendwelche Aufgaben übernommen, von denen wir nichts wissen? Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag?

Aber offenbar verfügen wir in Mecklenburg-Vorpommern über keine zusammenhängende Landesverwaltung. Man stelle sich eine Privatfirma in einem solchen Zustand vor. Die Zentrale hat keine Ahnung, was in den Zweigwerken vorgeht. Vielleicht haben einige ja schon geschlossen und andere produzieren mittlerweile was ganz anderes.

Um das herauszukriegen, findet alle Jubeljahre mal eine Fragebogenaktion statt. Was für ein Glück, dass Bundesländer sich nicht in der Konkurrenz am Markt behaupten müssen, sonst würde hier schon längst ein Konkurs richter sitzen oder ein Insolvenzverwalter und kein Ministerpräsident mehr. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Professor Methling von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich bin seit knapp einem Jahr Mitglied der Enquetekommission und denke, dass ich mich in allen Sitzungen sowohl aktiv als auch konstruktiv eingebracht habe.

(Heinz Müller, SPD: Richtig.)

Deswegen, Herr Müller, ist Ihre Wertung unserer Arbeit in dieser Kommission alles andere als zielorientiert, wenn ich das mal sagen darf,

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

es sei denn, Sie haben das Ziel, uns zu diskreditieren. Ich finde das wenig kollegial, was Sie hier vorgetragen haben, weil völlig unzutreffend.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Genau, genau.)

Und das war auch in der letzten Sitzung so und in den Sitzungen davor. Deswegen würde ich darum bitten, dass Sie in dieser Frage auch fair bewerten. Unterschiedliche Standpunkte kann man haben.

(Udo Pastörs, NPD: Fleißiger Professor.)

Es ist schon erstaunlich für mich, an diesem Punkt, an diesem Gegenstand zu erleben – oder eigentlich nicht erstaunlich, zumindest bemerkenswert –, welche Spannbreite es gibt an Wahrnehmungen zu ein und demselben Punkt, zu ein und demselben glaubwürdigen Gutachter, Fachkollegen, die wir angehört haben.

(Udo Pastörs, NPD: Die leben davon.)

Man nennt das wohl auch selektive Wahrnehmung, was wir hier praktizieren.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Wir haben ganz andere Wahrnehmungen, als Sie sie haben, und die sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Ich glaube, Sie dürfen es sich nicht so einfach machen, dass Sie das, was wir hier beantragen, vom Tisch wischen. So hat beispielsweise am Ende der letzten Sitzung der Enquetekommission der Landrat a. D. Wolfhard Molkentin – geschäftsordnungsmäßig etwas unglücklich, weil nachträglich – ein Wortprotokoll beantragt, mit der Begründung, dass die von Herrn Methling gestellte Frage beziehungsweise deren Beantwortung erhebliche Bedeutung für das Land Mecklenburg-Vorpommern habe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Meine Frage lautete sinngemäß, ob eine Verfassungswidrigkeit unserer Amtsordnung bereits da raus resultieren könnte, dass eine Überbordung unserer Ämter mit gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben theoretisch möglich ist.

Meine Damen und Herren, auch wenn der vorliegende Antrag heute keine Mehrheit finden sollte, ich habe zumindest Ihre Vorträge so gewertet, bleibt das Problem bestehen, nämlich die Unwissenheit beziehungsweise Ungewissheit des Gesetzgebers in einer zentralen kommunal rechtlichen Frage. Ich darf die Koalitions fraktionen daran erinnern, dass sie beabsichtigen, Sie haben auch darüber gesprochen, in Kürze unsere Kommunalverfassung umfassend zu novellieren. Wir sollten hierbei einen legislativen Blindflug zumindest zu diesem Thema vermeiden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich drei Anmerkungen zu der zentralen Frage der beiden Debatten in der Enquetekommission, ob beziehungsweise wann unsere Gemeinden durch unbegrenzte Aufgabenübertragungen zu leeren Hüllen geworden sind beziehungsweise werden könnten, machen. Unser Antrag bezieht sich auf die Aufgabenübertragung, nicht auf die Legitimierung der Amtsausschüsse. Das will ich hier noch mal sehr deutlich sagen. Das war auch nicht der zentrale Punkt unserer Debatte.

Erstens. Das Innenministerium führt aus, dass es für die Aufgabenübertragung Grenzen geben müsste, man aber gegenwärtig keine belastbaren Daten zum tatsächlichen Stand der Aufgabenübertragung hätte. Die derzeitige Umfrage bei den Ämtern hätte einen langen Vorbereitungsvorlauf gehabt und sei ohne Kenntnis des Urteils in Schleswig-Holstein entstanden.

(Vizepräsidentin Renate Holznagel übernimmt den Vorsitz.)

Das ist wohl so von der Genese her, allerdings als die Umfrage tatsächlich gestartet wurde, gab es dieses Urteil schon und es gab auch schon Bewertungen. Glücker weise, so das Ministerium, sei in der Umfrage auch ein bisschen zu Aufgaben abgefragt worden.

Meine Damen und Herren! Lieber Herr Innenminister! Souveränes Agieren sieht anders aus und Rechtssicherheit ist so ganz bestimmt nicht zu garantieren. Auf die Ämterumfrage komme ich später zurück. Wenn aber das Innenministerium im Ergebnis einer Untersuchung der Gemeinden unter 500 Einwohnern feststellt, dass der Umfang der selbst wahrgenommenen Aufgaben deren Wunsch nach Aufrechterhaltung der Selbstständigkeit in keiner Weise rechtfertigt, dann, Herr Minister, ist das sicher kein gerichtsfester Befund, aber ein Alarmzeichen für den Grad der Übertragung von Aufgaben.

(Zuruf von Gino Leonhard, FDP)

Und die Kollegen Ringguth und Heinz Müller, die ich durchaus schätze aus unseren Debatten in der Enquetekommission, haben doch mit konkreten praktischen Beispielen verdeutlicht, dass die Entwicklung längst in Richtung leere Hülle gelaufen ist. Wir brauchen an dieser Stelle schnellstmöglich belastbare Daten als verlässliche Entscheidungsgrundlage.

Zweitens, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben sich die beiden Rechtsprofessoren Dombert und Ewer explizit zu den Auswirkungen des Urteils in Schleswig-Holstein auf Mecklenburg-Vorpommern geäußert. Ihre für uns vielleicht überraschend übereinstimmende Feststellung lässt sich aus meiner Sicht wie folgt zusammenfassen: Für die Beurteilung der Rechtslage und der rechtlichen Auswirkung des Urteils spielt der tatsächliche, der empirische Befund zum Umfang der Aufgabenübertragung die zentrale Rolle.

Dieser Befund und damit die Beurteilungskriterien fehlen in Mecklenburg-Vorpommern. Hier sei die entsprechende Erkenntnis „erst möglich, wenn es zu spät ist“, so wörtlich einer der beiden Herren. In MecklenburgVorpommern müsse unverzüglich eine rechtliche Sperre gegen die unbegrenzte Aufgabenübertragung geschaffen werden und nicht erst überlegt werden, wenn das Kind in den Brunnen gefallen sei.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)