Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

(Marc Reinhardt, CDU: Machen wir, können wir uns gern drüber unterhalten.)

aber mit solchen – Entschuldigung – inhaltsleeren Zwischenrufen,

(Torsten Renz, CDU: Überhaupt nicht, überhaupt nicht.)

auch noch Bezug nehmend auf meine Vergangenheit, kommen Sie nicht mehr weiter, weil das interessiert hier in diesem Haus keinen Menschen.

(Zurufe von Marc Reinhardt, CDU, und Torsten Renz, CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Gesetzentwurf zu Fragen des Verfassungsschutzes im Jahr 2015 muss sich selbstverständlich messen lassen an den Er- eignissen vor dem 8. November 2011 und mehr noch an den daraufhin gezogenen Schlussfolgerungen, Stichwort „NSU“. Und in der Tat leitet der vorliegende Gesetzentwurf den Regelungsbedarf ausdrücklich aus den Ergebnissen der Bund-Länder-Kommission Rechtsextremismus sowie des NSU-Bundestagsuntersuchungsausschusses ab. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzt sich dieser Gesetzentwurf einen hohen Maßstab, dem er letztlich unter dem Stichwort „NSU“ nicht gerecht wird.

Für uns als Abgeordnete sollten parlamentarische Untersuchungsergebnisse beziehungsweise Empfehlungen

einen besonderen Stellenwert haben. Die Bund-LänderKommission Rechtsextremismus ist auf Beschluss der IMK entstanden und hat ihren Abschlussbericht bereits im April 2013 vorgelegt, begonnen hat sie ihre Arbeit am 6. Februar 2012. Das ist nicht zu kritisieren, aber bevor auch noch irgendein Untersuchungsausschuss nur irgendein Blatt Papier umgedreht hatte, wussten die Sicherheitsbehörden bereits, was zu tun ist, und setzten vor Abschluss jeglicher parlamentarischer Untersuchungsarbeit dieses bereits um, also mehr Informationsaustausch, wir hörten es, frühere und längere Datenspeicherung, Stärkung der Zentralinstanzen, neue Zuständigkeiten, das heißt Stärkung, größere Ressourcen und mehr Befugnisse, allerdings nicht für die parlamentarischen Kontrollgremien.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf will insbesondere Probleme des rechtssicheren Einsatzes von Vertrauensleuten und verdeckten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im Umgang mit personenbezogenen Daten in elektronischen Akten sowie in der Informationsübermittlung lösen. Alternativen zu den vorliegenden Regelungen seien nicht ersichtlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Ersten Lesung, also der Grundsatzdebatte zum Gesetzentwurf, möchte ich mich daher auch auf die V-Leute-Problematik konzentrieren – das wird nicht überraschen –, und zwar erstens aus grundsätzlichen Gründen und zweitens aus Gründen unseres Parlamentsverständnisses.

Der Innenminister hat es hier richtig dargestellt, meine Partei, meine Fraktion und ich persönlich sind davon überzeugt, dass der Einsatz von sogenannten V-Leuten der Geheimdienste eine der zentralen Ursachen für das komplette Versagen dieser Behörden im Kontext des NSUKomplexes darstellt, im Kontext des NSU-Komplexes. In keinem der parlamentarisch untersuchten Fälle zum Einsatz von V-Leuten war der Nutzen durch ihren Einsatz in der Neonaziszene größer als der Schaden, den sie verursacht haben.

Die bekanntlich kritische Position der LINKEN gegenüber Geheimdiensten im Allgemeinen und Verfassungsschutzbehörden im Besonderen war nach Auffliegen des NSU im Begriff, Allgemeingut zu werden, denn der Verfassungsschutz stand nach dem NSU-Skandal vor einem Scherbengericht, es steht aber zu befürchten, auch vor

dem Hintergrund des vorliegenden Gesetzentwurfes, dass der Hauptversager der Gewinner sein wird.

Die Zukunft des Verfassungsschutzes und seines VLeute-Systems wird bundesweit und über Parteigrenzen hinweg diskutiert. Hier stellt sich für mich die zentrale Frage: Was fehlt der Bundesrepublik von heute, wenn man ihr den Verfassungsschutz von gestern, den Verfassungsschutz des Kalten Krieges als Kind nimmt? Nicht sehr viel. Um die Spionageabwehr dürfte sich der BND bemühen, Terrorismusbekämpfung sollte eine Polizeiaufgabe sein und die Gewalt als Grenze politischer Legalität beschäftigt den polizeilichen Staatsschutz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer dennoch meint, im V-Leute-Dunst insgesamt ein wenig mehr Nutzen als Schaden zu erkennen, der führe sich die unübersehbaren Gefahren vor Augen, von denen das erneute NPDVerbotsverfahren durch nachrichtendienstliches Agieren bedroht ist. Das Bundesverfassungsgericht jedenfalls hat in Richtung V-Leute-Praxis einen deutlichen Warnschuss abgegeben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die zweite Grundsatzkritik an dem vorliegenden Gesetzentwurf re- sultiert aus meinem Parlamentsverständnis, aus unserem Selbstverständnis. Für mich ist nicht der NSU-Skandal an sich, sondern die Routine des Verfassungsschutzes und die Selbstverständlichkeit des V-Leute-Systems das eigentlich Gefährliche. Auch deshalb hat sich meine Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern politisch und konzeptionell starkgemacht für eine parlamentarische Untersuchung der NSU-Vorgänge in unserem Bundesland. Eine Untersuchungsnotwendigkeit wurde bekanntlich außerhalb meiner Fraktion verneint. Ein Ergebnis dieser Ablehnung liegt uns möglicherweise heute vor.

Meine Damen und Herren, dieser Landtag ist einen anderen Weg gegangen. Er hat den Innenminister berichten lassen, berichten erstens über NSU-Bezüge in Mecklenburg-Vorpommern, und berichten zweitens gemeinsam mit dem Justizministerium zur Umsetzung der Empfehlungen des Bundestags-PUA in unserem Land. Im Ergebnis hat sich bekanntlich unser Innenausschuss – die demokratischen Fraktionen im Innenausschuss – darauf verständigt, die zuständigen Mitglieder des Bundestages hier vor Ort in Schwerin konkret zu befragen. Den Fragenkatalog haben die demokratischen Fraktionen gemeinsam erarbeitet und die öffentliche Anhörung soll am 03.11. dieses Jahres stattfinden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dabei wird auch das V-Leute-System zur Sprache kommen. Es hat eben mehr als ein Geschmäckle, wenn die Landesregierung meint, für ihren Gesetzentwurf sei dieser Termin unerheblich, und darum gebeten wird, wir mögen jetzt mal ziemlich zügig beraten und diesen Gesetzentwurf verabschieden. Vor dem 03.11. und vor der Auswertung dieser Gesprächsrunde mit den Vertretern des Bundestags-PUA wird es von meiner Fraktion aus guten Gründen keine Bereitschaft geben, abschließend zu diesem Gesetzentwurf zu beraten.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das muss auch nicht sein.)

In einem weiteren Punkt ist bereits heute grundsätzliche Kritik an diesem Gesetzentwurf zu üben. Er beruft sich,

das habe ich eingangs erwähnt, auf die Empfehlungen des Bundestags-NSU-PUA. Der Gesetzentwurf beruft sich ausdrücklich auf diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Dieser Parlamentarische Untersuchungsausschuss, und das war beachtlich, hat alle Entscheidungen und Festlegungen einstimmig getroffen, bis auf einen Punkt. Und gerade der betrifft sicherlich die strittigsten Regelungen des vorliegenden Gesetzentwurfes.

Ich zitiere aus den Bundestagsempfehlungen, Abschlussbericht, Seite 865: „Nach den Feststellungen des Ausschusses bestanden im Untersuchungszeitraum schwere Mängel bei der Gewinnung und Führung von Quellen sowie der Verwertung der durch sie gewonnenen Informationen. Über Schlussfolgerungen und Empfehlungen hinsichtlich des weiteren Einsatzes von V-Leuten herrscht unter den Fraktionen kein Konsens.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Innenminister, da frage ich mich, wie Sie den Einsatz von VLeuten, mehr noch, nämlich den Einsatz von Straftätern beim Verfassungsschutz,

(Udo Pastörs, NPD: Das haben die schön im Griff.)

wie Sie es in dem neuen Paragrafen 10a des Entwurfes mit den Empfehlungen des Bundestags-PUA legitimieren können. Es gibt dazu keine Empfehlung des Bundestagsuntersuchungsausschusses. Hier streuen Sie der interessierten Öffentlichkeit Sand in die Augen, und das ist ein grober Fehler.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade in parlamentarisch nur schwer kontrollierbaren Bereichen muss bereits gesetzlich und damit öffentlich ausgeschlossen werden, dass der Zweck alle Mittel heiligt. Und der Gesetzentwurf wird auch dadurch nicht besser, wenn man zugeben müsste, dass die jetzt geplante Neuregelung bisher gar nicht geregelt, aber gängige Praxis war.

Der Gesetzentwurf enthält aus unserer Sicht viele Mängel und wir sollten uns ausreichend Zeit nehmen, diesen Gesetzentwurf zu beraten und schließlich auch mit den Fachleuten auf der Bundesebene hier zu möglicherweise gemeinsamen Entscheidungen zu kommen, aber das vereinbarte Verfahren, welches wir hier getroffen haben, sollte die Grundlage unserer Arbeit sein, und nicht eine Bitte nach Eile seitens des Innenministers. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Silkeit.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist nicht das erste Mal, dass wir über die Folgen und Erkenntnisse um die Terrorgruppe NSU debattieren, und es ist auch nicht das erste Mal, dass ich Ihnen meine Position verdeutliche. Der Innenminister, sein Ministerium und dort ganz besonders die Abteilung 5 haben es sich mit dem Thema NSU niemals leicht gemacht und meines Erachtens daraus auch die richtigen Lehren gezogen, mal ganz davon abgesehen, dass hier immer wieder auf den Bund abgestellt wird, vieles auf andere Länder zielt und gar nicht auf Mecklenburg-Vorpommern.

Die CDU-Fraktion hat von Anfang an immer wieder darauf verwiesen, dass eine Anpassung des Landesverfassungsschutzgesetzes nur dann Sinn macht, wenn alle Bundesländer und der Bund im Verbund an einem Strang ziehen und ähnliche Regelungen erlassen. Erst im November letzten Jahres in der Aktuellen Stunde zu den Lehren aus dem NSU hat mein PGF dafür plädiert, bei einem so wichtigen Thema Sorgfalt – „absolute Sorgfalt“, so Wolf-Dieter Ringguth – walten zu lassen, um nicht erneut Fehler zu begehen. Das Grundproblem der mangelhaften Kommunikation zwischen Bund und Ländern und den Ländern untereinander kann nur verbessert werden, wenn die Lösung in allen Ländern möglichst einheitlich erfolgt.

Des Weiteren warnte Wolf-Dieter Ringguth damals vor einem Alleingang. Es wäre nach seinen Worten der absolut falsche Weg. Die Lösung kann nur in einer verbesserten Zusammenarbeit liegen, die von allen Ebenen gleichermaßen mitgetragen wird. Und genau diesem Erfordernis trägt der vorliegende Gesetzentwurf Rechnung, indem die Landesregierung sich an dem im Bundestag beschlossenen Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes orientiert.

Aus den Taten des NSU haben wir schmerzhaft lernen müssen, dass die Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes nicht immer hervorragend funktioniert hat.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Welche Folgen dies haben könnte, das hatte bis dahin niemand bundesweit auch nur ahnen können. Eine wichtige Erkenntnis aus den Vorfällen zum NSU ist aber, es bedarf einer besseren Zusammenarbeit und einer besseren Kommunikation zwischen dem Verfassungsschutz der Länder untereinander, aber zugleich auch mit dem Bundesverfassungsschutz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vieles hat sich in den letzten Jahren in unserer Sicherheitsarchitektur verändert, ja, verbessert, wenn ich beispielsweise an das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus denke. Damit haben wir eine wichtige Plattform für den Austausch von Informationen zwischen den verschiedenen Sicherheitsbehörden bekommen. Und auch der vorliegende Gesetzentwurf wird ein weiterer Schritt der Verbesserung sein, ein Schritt in die richtige Richtung.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erfolgt beispielsweise die Neuregelung des Einsatzes von V-Leuten. Meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen. Wichtige Fragen werden beantwortet: Wer kommt als VMann grundsätzlich in Betracht? Was darf ein V-Mann im Einsatz und was nicht? Erstmals werden diese Regelungen für die Auswahl von V-Leuten gesetzlich festgelegt.

(Zuruf von David Petereit, NPD)

Es werden klare Ausschlusskriterien festgelegt. Minderjährige Personen im Aussteigerprogramm, Parlamentarier oder Personen, die von der Vergütung, die sie als VLeute erhalten, finanziell abhängig sind, kommen nicht mehr in Betracht.

(David Petereit, NPD: Das steht da drin auch nicht.)

Weiterhin gibt es ganz klare Regelungen, wann eine Verpflichtung als V-Mann ausgeschlossen ist. Vorstrafen sind dort ganz deutlich zu nennen.

Sie wissen so gut wie ich, der Extremismus nimmt in allen Bereichen zu – und gerade die Mitglieder der PKK dürften ein Lied davon singen können, Kollege Ritter – von links, von rechts und von islamistischer Seite,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ich darf gar nicht singen. Unterstellen Sie mir nicht so was!)

das nicht nur bundesweit, sondern auch hier in Mecklenburg-Vorpommern. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht für 2014 zeigt, welche vielfältigen Gefährdungen für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bestehen. Die zugrundeliegenden Erkenntnisse konnten oft nur unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erkannt werden.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Wir brauchen einen leistungsfähigen, qualitativ hochwertigen Verfassungsschutz. Das habe ich immer wieder erklärt, und dazu stehe ich auch.

(Udo Pastörs, NPD: Gucken Sie sich mal die Typen an, die da rumlaufen!)

Die Abteilung 5 macht eine hervorragende Arbeit

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

und ich habe absolutes Vertrauen in diese Arbeit.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Vorsichtig!)