Protokoll der Sitzung vom 19.11.2015

Und dann ist es in der Politik natürlich so, der eine ist etwas zögerlicher als der andere, und insofern haben wir uns geeinigt auf einen Prüfauftrag. Das haben wir niedergeschrieben in unserem Antrag, der am 04.11. sozusagen das Licht der Welt erblickt hat. Da kann ich jetzt nur für die CDU-Fraktion sprechen: Wir haben da nicht mit der Emsigkeit unseres Bildungsministers gerechnet,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das hätte ich euch sagen können.)

der das sofort zum Anlass genommen hat, diese Arbeitsaufforderung …

Ja, Sie haben das vielleicht erfahren aus Ihrer alten Zeit,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ja. Ja, haben wir.)

das kann ich nicht abschließend einschätzen.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Ich habe nicht mit der Emsigkeit des Bildungsministers gerechnet, dass er sofort eine Befragung, das ist ja jetzt langsam bekannt geworden, in der Zeit vom 6. bis 13. No- vember durchgeführt hat, mit Ergebnissen, die heute der Öffentlichkeit über die Presse präsentiert werden.

Diese Ergebnisse werden wir sicherlich nachher in der Diskussion im Einzelnen detailliert auswerten. Fakt ist – in Kurzform gesprochen – eine große Zustimmung bei den Fragestellungen, die hier auf den Weg gebracht worden sind, signalisierend, ja, das ist der richtige Weg, vor dem

Hintergrund, auf ein gesundes Maß von zwei Stunden bei Englisch zurückzugehen und dafür effektiv eine Stunde Deutsch obendrauf zu geben in den Klassen 3 und 4.

Die Frage ist natürlich hier an das Hohe Haus – denn dieses Gremium entscheidet über den Fahrplan, wie wir damit umgehen, und kein anderer –: Wie geht das Hohe Haus jetzt mit dieser Tatsache um? Möglicherweise ist damit ein Prüfauftrag erledigt oder muss man so etwas, was man heute über die Presse erfahren hat, vielleicht auch erst mal sacken lassen, andere Argumente hören, vielleicht noch mal abwägen, um dann abschließend, so, wie es der Antrag vorsieht, eine Entscheidung zu treffen.

Vielleicht ist es auch so, dass wir in diesen Denkprozess, diesen Prüfprozess möglicherweise, was ich zum Beispiel empfehlen würde, die Überlegung einbringen, ob es nicht sogar Sinn macht, von der Kontingentstundentafel – die wir heute als aktuelle Arbeitsgrundlage haben, das heißt, in den Klassen 1 und 2 beziehungsweise 3 und 4 gibt es eine Stundenzuweisung in einer komplexen Form –, ob man nicht wieder sagt, dass man auf die alte Stundentafel wieder zurückgeht und das ganz konkret für die Klassen 1, 2, 3 und 4 zuordnet.

Ich glaube, insbesondere, wenn der Vorschlag greift, diese Rochade Englisch/Deutsch vorzunehmen, vor dem Hintergrund, dass die Verordnung dann sowieso angepasst werden muss, dass wir das in unsere Überlegungen mit aufnehmen sollten. Insofern ist für mich persönlich jetzt zu Beginn der Diskussion der Prüfprozess auch nicht ganz abgeschlossen.

Ich möchte also feststellen, wir werden durch Regierungshandeln, was wir zum Ausdruck bringen wollen unter Punkt I, unterstützend eine Stärkung des Deutschunterrichtes erreichen durch diese Verzahnung von Deutsch und Sachkunde. Wir werden explizit durch Punkt II ein weiteres Erhöhen des Deutschunterrichtes um eine Stunde effektiv in Angriff nehmen.

Und ich möchte auch bei der Einbringung die Gelegenheit nutzen, weil es für mich ein Diskussionsprozess ist, die Frage in den Raum zu stellen und anzudiskutieren, inwieweit es Sinn macht, den Unterricht in der Grundschule, der seit mehreren Jahren, ganz konkret seit 2006, bei 94 Wochenstunden von Klasse 1 bis 4 liegt, inwieweit es Sinn macht, diese 94 Stunden anzuheben mit dem Ziel, dann effektiv noch die eine oder andere Deutschstunde zusätzlich in das System zu geben oder möglicherweise auch eine Stunde Mathematik.

Warum sage ich das so deutlich mit den 94 Stunden? Wir wollen uns immer an den führenden Ländern messen. Der Bildungsminister tut das aus meiner Sicht zu Recht sehr häufig von diesem Pult aus. Und da ist insbesondere Bayern zu nennen mit 104 Stunden, also 10 Stunden mehr Unterricht pro Woche, bezogen auf die Grundschulzeit. Ich erspare Ihnen jetzt die Hochrechnung, ansonsten wird Ihnen nämlich schwindelig, wie viele Stunden mehr in Bayern unterrichtet werden als in Mecklenburg-Vorpommern.

(Johann-Georg Jaeger, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Na, dann sagen Sie mal!)

Das Gleiche trifft natürlich auch zu, wenn wir zum Beispiel Thüringen als ostdeutsches Bundesland nehmen mit 100 Stunden oder auch meinetwegen Baden

Württemberg mit 98 Stunden. Das würde nämlich konkret für Mecklenburg-Vorpommern bedeuten,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wir sind nicht in Bayern.)

pro Jahrgang eine Stunde mehr. Dann würden wir auf die 98 kommen.

Jetzt lässt sich von hier vorne klug reden, weil man vielleicht nicht Mitglied des Finanzausschusses ist. Ich habe ganz bewusst diese Diskussion angestoßen, weil ich glaube, wenn wir mehr für unsere Grundschüler erreichen wollen, dann müssen wir uns dieser Diskussion stellen, auch vor dem Hintergrund der Frage, dass diese Tatsache mehr Geld kosten wird. Ich bin bereit, für die CDU-Fraktion diese Diskussion zu führen, genau zu diesem Tagesordnungspunkt. Insofern lade ich Sie recht herzlich ein, sich hier zu beteiligen und mit uns gemeinsam diesen Weg zu gehen, die Deutschkenntnisse unserer Grundschüler in Mecklenburg-Vorpommern zu verbessern. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer …

(Unruhe bei Minister Lorenz Caffier und Torsten Renz, CDU)

Herr Caffier! Herr Caffier!

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Herr Brodkorb. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es lässt sich schwer bestreiten, dass die wichtigsten Dinge, die die Schülerinnen und Schüler in den Schulen zu lernen haben, das Lesen, das Schreiben und das Rechnen sind. Und diese drei Kompetenzen entscheiden auch über den Lernerfolg in vielen anderen Fächern. Wer nicht rechnen kann, hat Schwierigkeiten mit Physik und anderen Fächern, und wer nicht lesen und nicht schreiben kann, mit Fächern, die man nur bestehen kann, wenn man des Lesens und Schreibens kundig ist. Insofern ist das Indas-Zentrum-Rücken dieser Fragen von großer bildungs- und gesellschaftspolitischer Bedeutung.

Wir hatten vor einem Jahr eine etwas, wie ich fand, aufgeregte Diskussion hier im Land über die Rechtschreibleistungen unserer Schülerinnen und Schüler. Es wurden die Ergebnisse eines Testes veröffentlicht, und dieser Test hat deutlich gemacht, dass scheinbar 37 Prozent der Grundschülerinnen und Grundschüler, also jeder Vierte, nicht über die Mindeststandards verfügt,

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: 37 Prozent oder noch mehr.)

die nötig sind, um die Grundschule erfolgreich zu absolvieren. Um es etwas zu präzisieren: Ich meine selbstverständlich vier von zehn Schülern in etwa.

Alle, die sich mit Bildungspolitik beschäftigen, wussten aber und wissen, dass wir in der 3. Klasse die Lernziele der 4. Klasse überprüfen im Fach Deutsch, dasselbe in Mathe und in anderen Jahrgangsstufen auch. Das hört sich ein bisschen komisch an. Warum überprüft man schon in der 3. Klasse die Lernziele der 4. Klasse, denn logischerweise können die Kinder der 3. Klasse die Lernziele der 4. Klasse noch nicht erreicht haben, denn ansonsten wäre die 4. Klasse sinnlos. Ja, das ist eine Entscheidung der Kultusministerkonferenz gewesen auf Vorschlag von Wissenschaftlern und Lehrern. Die Idee war, dass die Lehrer einen Anhaltspunkt bekommen sollen, zu sehen, welche Sachen noch besonders behandelt werden müssen, damit die Schüler am Ende erfolgreich die 4. Klasse absolvieren.

Ich habe damals schon gesagt, denken Sie bitte daran, das ist kein Test, der zeigt, wie gut die Schülerinnen und Schüler am Ende der 4. Klasse sein werden. Dafür haben sie noch ein Jahr Zeit. Das ist nur ein Zwischenschritt hin zur 4. Klasse. Die Abgeordnete Oldenburg hat damals, jedenfalls wenn man der „Ostsee-Zeitung“, wenn ich es recht sehe, Glauben schenken darf, gesagt, ich darf zitieren: „Dass die Grundschüler bis zum Ende der vierten Klasse ihre Wissenslücken schließen“, ist „häufig nicht der Fall“, Zitatende.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Genau.)

Ich war damals schon anderer Meinung und habe, um das überprüfen zu lassen, einen entsprechenden Rechtschreibtest an unseren Schulen in der 4. Jahrgangsstufe durchführen lassen, mit dem Ergebnis, dass – keine große Überraschung – nicht mehr 37 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Mindeststandards der 4. Klasse nicht erreichen, sondern 11. Und 11 Prozent sind etwas weniger als der Bundesdurchschnitt, woraus Sie ableiten können, dass Mecklenburg-Vorpommerns Schülerinnen und Schüler im bundesweiten Vergleich eher im vorderen Feld liegen.

Aber unabhängig davon beklagen viele Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, Unternehmer, also Arbeitgeber, dass doch die Rechtschreibleistungen im Verhältnis zu früheren Zeiten deutlich nachgelassen hätten. Und wenn ich so ab und zu schaue, was in Facebook und an anderen Stellen veröffentlicht wird, dann fällt es schwer, dagegen zu argumentieren.

Deswegen haben sich die Koalitionäre auf fünf Maßnahmen verständigt, die bereits anlaufen und vorbereitet werden:

Erstens ein Elternratgeber für die Einschulung, denn Schülerinnen und Schüler können nicht ohne häusliche Unterstützung das Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Das muss man üben, das muss man wiederholen. Das geht nicht, ohne dass auch die Elternhäuser mitmachen.

Wir führen zweitens einen Grundwortschatz ein, den es vor 25 Jahren schon einmal gegeben hat. Und das ist der wirkliche Treppenwitz der Geschichte, dass in diesem Land ein Grundwortschatz, der verbindlich war für die Grundschule, außer Kraft gesetzt wurde, wahrscheinlich weil er aus der DDR kam, während Länder wie Bayern bis heute einen Grundwortschatz haben. Das war die zweite Maßnahme.

Die dritte Maßnahme ist, dass wir uns entschlossen haben, die Zahl der Deutschstunden deutlich zu erhöhen,

nämlich insgesamt um bis zu vier, und zwar dadurch, dass wir die Zahl der Sachkundestunden reduzieren.

Aber – das ist das Wichtige und das ist auch die vierte Maßnahme – dies wird kombiniert damit, dass wir neue Rahmenpläne bekommen, Rahmenpläne mit klaren Inhalten, klaren Verzahnungen, denn es geht nicht nur um die Zahl der Stunden, die unterrichtet werden, sondern auch um die Frage: Was passiert denn in diesen Stunden?

Insofern, Herr Renz, ergibt sich hier doch schon eine Teilantwort. Ein bloßes Mehr allein reicht nicht, es muss natürlich inhaltlich untersetzt sein. Mir haben viele Grundschullehrer gesagt – mit denen ich das vorher besprochen habe, kann man das denn tun, Deutsch nach oben fahren, wieder in die Nähe dessen, was es früher in der DDR mal gab an Deutschstunden, dafür aber den Sachunterricht begrenzen, kann man das tun oder kann man das nicht –, und auch die Leiterin der Arbeitsgruppe, die diesen Grundwortschatz erarbeiten wird, sagte mir Folgendes: Herr Brodkorb, das ist gar kein Problem. Erstens unterrichten die meisten Deutschlehrer auch Sachkunde, und zweitens können Sie im Deutschunterricht wunderbar Sachtexte behandeln, Sie können Rechtsschreibung und Grammatik an Sachtexten üben, Sie können also im Deutschunterricht das wieder auffangen, was sie scheinbar an Sachunterricht verlieren. Dann werden eben Texte über die Heimat, über die Geografie, über das Wasser, über den Wald behandelt, und Sie haben im Deutschunterricht beides: eine Verbesserung von Rechtschreibung und Grammatik auf der einen Seite und den Sachunterricht auf der anderen.

Ich bin dankbar, dass dieser Vorschlag offenbar auch von der GEW unterstützt wird. Jedenfalls habe ich das heute der Pressemitteilung entnommen, dass sie sagt, das sei ein moderner Ansatz. So viel wollte ich gar nicht erreicht haben.

Und dann der fünfte Schritt: Es geht auch um entsprechende Handreichungen für Lehrerinnen und Lehrer, dass sie am Ende nicht einfach nur die Wörter des Grundwortschatzes auswendig lernen lassen, denn das ist nicht der Sinn der Sache, sondern Regeln vermitteln, wie man beurteilen und erfassen kann, auf welche Art und Weise Wörter geschrieben werden, wie grammatikalische Konstruktionen funktionieren, es geht also nicht nur um Wörter. Es geht am Ende um das Lernen von Regeln.

Herr Renz hat es bereits angesprochen, der Prüfauftrag, über den heute hier befunden wird, der war sehr sicher und verlässlich, weil sich SPD und CDU darauf verständigt hatten. Und ich habe mir die Frage gestellt, wie kann man so etwas eigentlich besser prüfen, nämlich den Vorschlag, ob man auch im Bereich Englisch etwas reduziert, um den Deutschunterricht zu stärken, wie kann man das am besten überprüfen oder besser als dadurch, dass man die Lehrerinnen und Lehrer fragt, die Experten vor Ort. Wir haben eine Umfrage durchgeführt. An dieser Umfrage haben sich 2.084 Lehrkräfte von Grundschulen beteiligt in 224 Grundschulen insgesamt. Es ging im Wesentlichen um drei Fragen und die Ergebnisse möchte ich Ihnen kurz vorstellen.

Das war die erste Frage: Sind Sie grundsätzlich damit einverstanden, die Zahl der Deutschstunden zu erhöhen? Es gibt eine Zustimmungsquote von 96 Prozent. Ich

würde gerne, weil ich sicher bin, dass das in der Diskussion eine Rolle spielen wird, zugestehen, dass man diese Frage hätte präziser formulieren können, denn man kann die Zahl der Deutschstunden ja dadurch erhöhen, dass man Verschiebungen in der Stundentafel vornimmt, oder dadurch, dass man mehr Stunden ins System reingibt. Für Letzteres hat Frau Oldenburg verschiedentlich plädiert.

Aber diese klare Antwort verliert deshalb nicht ihre Bedeutung, weil in dem Begleitschreiben den Lehrern ausdrücklich erklärt wurde, worauf sich die Koalition verständigt hat, nämlich auf eine Verschiebung der Sachkundestunden in den Deutschunterricht. Darüber wurde abgestimmt mit klarem Hinweis auf die Stundentafel einer entsprechenden Tabelle. Es ist also nicht verschwiegen worden, worum es geht. Es stand auch in den Zeitungen.

Im Übrigen, ich glaube, es braucht diese 96 Prozent nicht, denn die anderen Daten sind mit einer so übergroßen Mehrheit versehen, dass ich gar keine Mühe hätte, diese Umfrage noch mal durchzuführen mit einer präziseren Fragestellung. Wie gesagt, das gebe ich zu, das hätte man präziser machen können, Frau Oldenburg. Ich würde jede Wette mit Ihnen eingehen, dass, wenn wir diese Umfrage noch mal durchführen würden, wir ein sehr großes Ergebnis hätten, auch für diese Maßnahme.