Protokoll der Sitzung vom 17.12.2015

Herr Heydorn hat das so freundlich angekündigt, ich würde gern noch ein paar Takte zum Thema Pflegekammer sagen. Das ist ja ein Themenbereich, den wir im Parlament und im Sozialausschuss schon sehr lange diskutieren und wo wir immer schon gesagt haben, da gibt es eine Menge abzuwägen. Vor allen Dingen gilt es da aber diejenigen direkt zu beteiligen, die das in unserem Land ganz unmittelbar betrifft, und das sind die Pflegekräfte selber. Genau dieser Ansatz ist nun im Rahmen der Befragung des Sozialministeriums geschehen. Und ich danke an dieser Stelle, auch seitens unserer Fraktion,

noch mal Ministerin Hesse und dem gesamten Haus dafür, dass das nun in der Form durchgeführt wurde.

Die Erhebung ist nicht auf blauen Dunst, wie das von einigen Gegnern einer Kammer und vielleicht auch Gegnern des Ergebnisses der Befragung so behauptet wird, sondern diese Erhebung ist im Rahmen eines validen Verfahrens durchgeführt worden, und zwar, anders als von Frau Stramm hier dargestellt, mit vorheriger schriftlicher Information über die Idee, den Zweck und den Gegenstand und vor allen Dingen auch über die Zuständigkeit und die Nichtzuständigkeit einer Pflegekammer. Ich empfehle Ihnen einfach mal, auf die Internetseite zu gehen, wo dieser Fragebogen und die Informationen abrufbar sind. Wenn Sie das nicht tun, dann kann ich Ihnen nicht helfen. Aber ich bitte Sie wenigstens, das hier nicht verfälscht darzustellen.

(Zuruf von Karen Stramm, DIE LINKE)

Passend – in Anführungsstrichen – zur heutigen Debatte im Landtag sind in der Presse, in der SVZ und in der OZ, gestern und heute zwei Artikel zur Pflegekammer erschienen, in denen, und da bin ich dicht bei Frau Gajek, interessanterweise kaum einer zu Wort kommt, außer dem Arbeitgeberverband privater Pflegeanbieter, dem bpa. Der hat schon mal im Vorhinein Raum bekommen, um lang und breit zu Wort zu kommen und diese Befragung zur Pflegekammer in ein negatives Licht zu rücken. Der „Ostsee-Zeitung“ muss man zugutehalten, dass sie an der Stelle wenigstens noch mal den Pflegeberufsverband zitiert hat.

Auf der anderen Seite ist das auch gar nicht so schlecht, dass in der Presse der Arbeitgeberlobbyverband der Pflege so zu Wort kommt, weil nämlich genau die Tatsache, dass einzig und allein die Arbeitgeber im Vorfeld einer Landtagsdebatte über Arbeitnehmerbelange die Seiten füllen, um eine Kammer schlechtzureden, in meinen Augen belegt, dass sich an der Stelle etwas drehen muss. Wo waren denn die Seiten in der Presse im Vorhinein, wo die Belange und die Sicht der Pflegekräfte auf ihren Berufsstand dargestellt wurden? Fehlanzeige, die gab es nicht. Die Kritik des bpa, das möchte ich an der Stelle auch noch mal klarstellen, läuft meines Erachtens auf einem wirklich unterirdischen Niveau. Wenn schon gerechnet wird, dann müsste bitte auch richtig gerechnet werden und dann müssten bitte auch statistische Gegebenheiten berücksichtigt werden. Gegebenenfalls hilft da mal ein neuer Taschenrechner. Es ist bald Weihnachten.

Noch mal zur Menge der Befragten, Frau Stramm hat das angesprochen: Die Rücklaufquote der Befragten bei der Grundgesamtheit von 29.500, die war gut. Wissen Sie, wie viele Leute befragt werden, wenn bundesweite Erhebungen, zum Beispiel zum Thema „Abgabe von Stimmen bei einer Wahl“ erhoben werden? Ein Millionenpublikum: 1.024, 1.024! Hier liegen jetzt 752 auswertbare Bögen vor bei einer Grundgesamtheit von 29.500, und Sie rechnen wild rum, dass am Ende noch 1,5 Prozent rauskommen. Sie müssen sich mal mit statistischen Methoden beschäftigen.

(Zuruf von Karen Stramm, DIE LINKE)

Wenn Sie jeden Einzelnen der 29.500 befragen, um ein Ergebnis zu kriegen, okay, aber so kann man da nicht rangehen. Und wenn man das benutzt, um Politik zu machen gegen das Ergebnis, was rausgekommen ist,

dann, finde ich, kann man das an der Stelle mal klar ansprechen. Viele Pflegekräfte – und ich muss tatsächlich sagen, mehr, als ich erwartet habe nach der vorherigen Presse – haben den Bogen nämlich ausgefüllt und eine große Zahl, 73 Prozent, das ist angesprochen worden, hat der Kammer zugestimmt, weitere 11 Prozent sind noch unentschlossen.

(Zuruf von Karen Stramm, DIE LINKE)

73 Prozent der befragten Pflegenden haben das gesagt – nicht zu verwechseln mit den Arbeitgebern, nicht zu verwechseln mit anderen Interessengruppen. Die sind natürlich gegen eine Kammer, weil sie möglicherweise befürchten, dass sich etwas im Kräfteverhältnis dreht. Damit sind wir, glaube ich, auch beim Diskussionskern angelangt. Seit Jahrzehnten wird darüber gesprochen, wie man der Pflege zu mehr Anerkennung, zu mehr Arbeitsteilung auf Augenhöhe und zu besseren Arbeitsbedingungen insgesamt verhelfen kann.

Während die übrigen Akteure in der Branche allesamt gut organisiert und schlagkräftig aufgestellt sind, trifft das auf Pflegekräfte in der Regel leider nicht zu. Krankenhäuser und Krankenhausgesellschaft, Krankenkassen und deren Verbände – anwesend –, Ärzteschaft, Kassenärztliche Vereinigungen, Arbeitgeberverbände, LIGA, bpa und so weiter sind allesamt bestens aufgestellt, wenn es darum geht, ihre Situation positiv zu beeinflussen, meine Damen und Herren. Dagegen spricht ja vom Prinzip her auch nichts, wenn diejenigen – und das ist meine Forderung –, die früh, spät oder nachts die meiste und die menschlich intensive Arbeit am Patienten und am Pflegebedürftigen verrichten, gleichzeitig auf Augenhöhe einbezogen und nicht bloß als Erfüllungsgehilfen angesehen werden. Dafür setzen wir uns ein, meine Damen und Herren. In diesem Lichte führe ich auch die Debatte um die Einführung einer Pflegekammer.

Dass bei den Rahmenbedingungen für diese rund 30.000 Pflegekräfte in M-V bezüglich der Kammer noch nicht genug passiert ist, das ist meines Erachtens nur zum geringsten Teil ein Versäumnis der Politik. Wir haben ein Gesundheitssystem, das maßgeblich durch Selbstverwaltung und Kooperationen von Leistungserbringern und Kostenträgern geprägt ist. Daher war es auch richtig abzuwarten, ob sich die Pflege beispielsweise durch einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad oder durch extrem starke Berufsverbände eine Stimme verschafft, die im Konzert der mächtigen anderen Akteure auch wirklich Bestand hat und gehört wird. Wenn diese ideale Vorstellung einer, sagen wir mal, Parität auch in der Meinungshoheit, in der Selbstverwaltung tatsächlich eingetreten wäre, dann bräuchten wir heute in der Tat auch nicht über eine Pflegekammer zu sprechen.

Leider haben sich diese Erwartungen aber nicht in gewünschtem Umfang bewahrheitet. Und wenn sich Frau Stramm in der SVZ zitieren lässt: „Ich zweifle an, dass wir eine weitere Gruppe von Lobbyisten brauchen, nur weil die Politik die Probleme eines Berufsstandes nicht lösen kann“, dann muss ich sagen, Sie kapitulieren. Sie kapitulieren!

(Karen Stramm, DIE LINKE: Ja.)

Wir stehen auch unter diesen schwierigen Bedingungen weiterhin an der Seite der Pflegekräfte.

(Karen Stramm, DIE LINKE: Oh!)

Sie haben auch schon in der Debatte um die häusliche Krankenpflege gezeigt,

(Zuruf von Karen Stramm, DIE LINKE)

dass Sie Ihren sozialpolitischen Kompass völlig verloren haben. Aber das so einfach abzutun, wird der Sache nicht gerecht. An der Stelle reicht es eben nicht, immer nur zu wiederholen, was gerade nicht geht. und auch im 20. Jahr der Debatte zu sagen, was so alles ganz kompliziert ist. Im Gegenteil: Ich bin der Auffassung, da muss am Ende das bewirkt werden, was von den Pflegekräften, zumindest bei uns im Land, offensichtlich gewünscht ist und bei Fragen der Aus-, Fort- und Weiterbildung, bei der Ausgestaltung einer Berufsordnung, beim Selbstverständnis der Pflege und auch mit Blick auf Qualitätsstandards einen positiven Beitrag zur Gesamtentwicklung leistet.

Im Sinne der Theorie des Zweitbesten löst eine Kammer ganz sicher nicht ein für alle Mal sämtliche Probleme im Bereich der Pflege, das hat auch keiner behauptet. Ich stimme Ministerin Hesse in vollem Umfang zu: Eine Kammer allein kann nicht die Antwort auf die Herausforderungen der kommenden Jahre sein, aber eine Kammer wäre ein sehr konkreter Schritt und ein ganz deutliches Zeichen. Am Ende muss eine Kammer – das gilt es jetzt zu prüfen – natürlich liefern, sie muss die Erwartungen erfüllen, das ist klar. Durch eine Kammer kann aber Pflegeexpertise stärker und vor allen Dingen auch auf Augenhöhe institutionalisiert in die Gestaltung des Gesundheits- und Pflegewesens einbezogen werden. Eine Kammer kann das Ende der Regulierung des Berufsstandes durch Fachfremde quasi über die Köpfe der beruflich Pflegenden hinweg bedeuten.

Um dieses gewünschte Ziel tatsächlich zu erreichen, gilt es, weiterhin einiges abzuwägen, was die Struktur und einiges mehr betrifft. Das wird nun geschehen. Übers Knie brechen werden wir diese Entscheidung definitiv nicht, da bin ich voll bei Ministerin Hesse. Aber der einzuschlagende Weg für mehr Anerkennung der Pflegekompetenz, für bessere Arbeitsbedingungen und für eine langfristige Fachkräftesicherung ist durch den in meinen Augen guten Sozialbericht deutlich sichtbar geworden. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Danke, Herr Barlen.

Ich schließe die Aussprache.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 16: Aussprache gemäß § 43 Ziffer 2 unserer Geschäftsordnung zum Thema „Sicherstellung einer gut erreichbaren, qualitativ hochwertigen und patientengerechten Krankenhausversorgung in Mecklenburg-Vorpommern“. Die Aussprache erfolgt auf Antrag der Fraktion DIE LINKE.

Aussprache gemäß § 43 Ziffer 2 GO LT zum Thema Sicherstellung einer gut erreichbaren, qualitativ hochwertigen und patientengerechten Kranken- hausversorgung in Mecklenburg-Vorpommern

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe

und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Stramm von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Unser Gesundheitssystem ist krank. Wir haben einfach nicht genug Fachkräfte. Das wird durch den Vergleich mit anderen Bundesländern überdeckt. Danach steht Mecklenburg-Vorpommern zurzeit noch ganz gut da. Doch weniger schlecht als andere zu sein, ist noch lange nicht gut. In den Krankenhäusern Mecklenburg-Vorpommerns fehlen mindestens 1.700 Pflegekräfte, Herr Barlen will das mit der Schaffung einer Pflegekammer lösen. Deshalb forderte DIE LINKE in der Oktoberlandtagssitzung die Wiedereinführung eines gesetzlich vorgegebenen Personalschlüssels für die Krankenhäuser. Dieser Antrag wurde von der Koalition bekanntlich abgelehnt.

Aber auch Sie, meine Damen und Herren, können die Tatsachen nicht leugnen. Zu den Tatsachen gehört, dass auch Fachärzte fehlen. An den 37 Kliniken in Mecklenburg-Vorpommern sind offiziell 180 Arztstellen nicht besetzt. Wahrscheinlich ist diese Zahl noch höher. In den Kliniken fehlen Mediziner für Inneres, für Anästhesie, für Neurologie, für Rheuma und für viele andere Fachbereiche. Durch den ambulanten Bereich kann dieser Mangel nicht ausgeglichen werden. Wir können „ambulant vor stationär“ fordern, aber das bleibt folgenlos, solange wir nicht über die entsprechenden Kapazitäten verfügen. Auch im ambulanten Bereich fehlen Ärzte. Allein bei den Hausärzten schlossen in den letzten Jahren über 160 Praxen. Für sie konnte ganz einfach kein Nachfolger gefunden werden. Wir haben also bereits eine Unterversorgung, insbesondere in den ländlichen, stadtfernen Regionen.

So saß ich am 12. Dezember in der Samstagssprechstunde meiner Hausärztin. Ein circa 85-jähriger Herr mit Lodenmantel, Stock und Hut kam herein, ging auf die Ärztin zu und überreichte ihr einen Strauß Rosen. Er sagte: „Ich gratuliere zum Tag des Gesundheitswesens. Für jede Kollegin ist eine Rose. Der Kaffee aus Nicaragua ist für die Pause. Ich hoffe, dass sie ihn trotz Antikorruptionsgesetz annehmen dürfen. Ich wünsche euch viel Gesundheit, denn wer soll mich betreuen, wenn es Sie nicht mehr gibt.“ Zitatende.

Wir haben nicht nur zu wenige Fachkräfte. Ihre Verteilung über das Land ist auch unterschiedlich. Das ist mit einem Netz vergleichbar. Wir haben Knoten, dicke Knoten an den Universitätsstandorten und Löcher. Wenn Fachabteilungen schließen oder kleine Krankenhäuser ganz aufgeben, werden die Löcher größer.

(Minister Harry Glawe: Welches Krankenhaus hat aufgegeben? Sagen Sie mal, welches!)

Wenn! Wenn!

Einen kleinen Moment bitte!

(Minister Harry Glawe: Das ist völlig falsch, völlig falsch. – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Da hat er recht. Das geht völlig unter hier.)

Herr Glawe! Herr Glawe, bitte! Das geht nicht! Sie sitzen hier oben und ich bitte Sie, nach unten zu gehen, dann

können Sie das als Abgeordneter gerne sagen, aber nicht von hier oben.

(Minister Harry Glawe: Das geht völlig unter hier.)

Herr Glawe!

(Minister Harry Glawe: Ja, aber man muss schon bei der Wahrheit bleiben. Das ist vielleicht ein Zirkus hier.)

Darf ich jetzt meine Rede fortsetzen?

Ja, gleich. Jetzt bin ich soweit.

Weil Sie nichts gesagt haben.

Jetzt können Sie.

Darf ich?

Sie können. Ich bin ein bisschen verschnupft heute, aber nur in der Nase. Also, Frau Stramm, bitte, Sie können.

(Torsten Renz, CDU: So, also welches Krankenhaus hat nun dichtgemacht in Mecklenburg-Vorpommern?)