Protokoll der Sitzung vom 27.01.2016

… wir kommen also zu der Feststellung, zu der grundlegenden Feststellung, wenn es um diesen Antrag geht, dass Sie in einem konkreten Bereich der Politik, im Bereich Servicecenter/Callcenter, Missstände aufrufen. Zu Recht! Zu Recht rufen Sie die auf. Sie stellen aber damit fest, dass hier in diesem gesellschaftlichen, politischen Bereich das Funktionsprinzip des Zusammenwirkens von Arbeitgeberseite und Arbeitnehmerseite nicht funktioniert. Und was machen Sie? Sie sagen, daraus leite ich ab, ich muss politisch – möglicherweise als Gesetzgeber oder hier als Landtag –, ich muss agieren und dort eingreifen, und wir sollen dann über die möglichen Maßnahmen diskutieren, die Sie hier vorschlagen.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Und das Mindestlohngesetz war was?)

Ich sage Ihnen, bevor Sie Schritt zwei machen, müssen wir ausführlich – und das ist dann auch mehr, als zum Thema zu sprechen –, müssen wir ausführlich diskutieren über das Ob, über Schritt eins, ob wir da eingreifen sollten. Da sage ich noch mal, wenn das Politikfeld Wirtschaft ist, dann sage ich, ja, da muss die Politik Rahmenbedingungen schaffen und eingreifen. Wenn die Wirtschaft aber weiter untersetzt wird in Metall-, in Elektrobereiche, Dienstleistungen – Sie wollen dort eingreifen –, und wenn Sie den Metallbereich oder den Elektrobereich weiter untersetzen in einzelne Branchen, in einzelne Betriebe, und wollen da politisch hineinregieren, dann, glaube ich, ist das die falsche Lösung, und deswegen brauchen wir uns hier nicht mit dem Wie zu befassen.

Was es bringt, wenn sich Politik einmischt – Sie haben es ja sogar bestritten und angedeutet, was ist, wenn Politik sich einmischt und neue Rahmenbedingungen setzt, weil der gesellschaftliche Trend vielleicht so ist –, da nehme ich ein ganz praktisches Beispiel, nämlich das Mindestlohngesetz, das Mindestlohngesetz, in die Diskussion gekommen in Wahlkampfzeiten vor 2013 und natürlich schon vorher.

(Heiterkeit bei Martina Tegtmeier, SPD: Und Frau Merkel hat es eingeführt. – Zuruf von Henning Foerster, DIE LINKE)

Wie war die Situation in der Servicecenter- und Callcenterbranche vor 2013? Die Arbeitgeberseite hat sich auf den Weg gemacht, einen tariffähigen Arbeitgeberverband zu gründen, den Sie hier fordern. Das war konkretes Handeln im Bereich der Wirtschaft, um ein Zusammenspiel der Kräfte Arbeitnehmer/Arbeitgeber am Arbeitsmarkt herzustellen.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Das haben sie abgeblasen inzwischen.)

2011 haben die sich auf den Weg gemacht, Kommissionen eingerichtet und, und, und, haben daran gearbeitet. Dann kam der Wahlkampf, dann kam die Gesetzgebung ab 2013. Was haben die Arbeitgeberverbände oder die Vereinigung gemacht? Das haben Sie ja richtigerweise dargestellt: Die haben sich im Februar 2013 zurückgezogen und haben gesagt, okay, die Politik mischt sich in diesen Bereich ein. Selbstverständlich meine ich jetzt konkret die Lohnhöhe und nicht andere Punkte, die Sie auch aufgezählt haben. Die Arbeitgeberseite hat gesagt, okay, wenn die Politik das regelt, nämlich einen Mindestlohn, dann nehmen wir uns zurück und werden so einen Verband, der für Tarifverhandlungen zuständig ist, nicht mehr bilden.

Dann passierte noch Folgendes im Gesetzgebungsverfahren: Diese Verbände haben es ausdrücklich begrüßt, dass das Mindestlohngesetz kommt, dass der Mindestlohn eingeführt wird. Und weil Sie ja immer so getan haben, damit wird alles geregelt,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hat keiner gesagt!)

andere haben schon immer gesagt, alle haben schon immer gesagt, liebe Gewerkschaften, denkt daran, wenn sich die Politik gesetzlich hier einmischt und etwas regelt, dann wird möglicherweise auch der Einfluss von Gewerkschaften zurückgehen.

(Wolfgang Waldmüller, CDU: So ist es.)

Das ist jetzt nicht meine Meinung, ich sage Ihnen nur, wie die politische Diskussion damals war. Jetzt haben wir den Mindestlohn, und nun stellen Sie fest, der Mindestlohn hat doch nicht alles geregelt,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hat er doch gesagt!)

und kommen mit der nächsten Forderung. Sie rufen nach einer staatlichen Maßnahme, dass hier erneut eingegriffen werden muss. Da sage ich Ihnen, wenn Sie über Callcenter/Servicecenter sprechen, das machen wir heute, nächste Woche können wir aber auch über den Pflegebereich sprechen, über konkrete Bereiche,

(Zuruf von Henning Foerster, DIE LINKE)

und so können wir nacheinander eine Branche herausgreifen, kritisieren die Zustände und sagen, wir wollen das hier lösen. Da, glaube ich, perspektivisch, nicht perspektivisch – das nehme ich hiermit zurück –, sondern zum jetzigen Zeitpunkt ist es nicht die richtige Stelle, wo wir über politische Maßnahmen nachdenken sollten und uns über konkrete Beschlüsse direkt einmischen sollten. Wir müssen im öffentlichen Bereich Diskussionen führen, die müssen die Gewerkschaften führen. Sie müssen – auch die Politik muss das sagen, das sage ich ebenfalls sehr deutlich – auch im Interesse der Politik sagen, dass wir ein gesellschaftliches Zusammenleben haben, und deshalb, das habe ich immer gesagt, brauchen wir im Arbeitsprozess funktionierende Arbeitgeberverbände und funktionierende Arbeitnehmerverbände.

Und wenn die Arbeitgeberseite jetzt noch nicht so weit ist in dieser konkreten Branche und sagt, wir stellen uns auf als funktionierender Tarifpartner, dann kann doch zum jetzigen Zeitpunkt, Herr Foerster, nicht sofort der Schrei nach der Lösung innerhalb der Politik sein, sondern das ist doch ein Prozess – der Mindestlohn wurde eingeführt, wir haben Gewerkschaften und wir haben Betriebsräte –, der sich entwickeln muss. Ich warne davor, hier vorschnell einzuschreiten. Ich glaube, dieses Miteinander, das wir alle brauchen im gesellschaftlichen Bereich, daran werden auch die Arbeitgeberverbände interessiert sein und werden sich peu à peu zu Lösungen hin bewegen.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das glauben Sie?!)

Insofern glaube ich, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe, auch wenn ich hier nicht jeden einzel

nen Spiegelstrich diskutiert habe, sehr wohl grundsätzlich zum Thema gesprochen. Aber für mich ist es nicht die Frage des Wie, sondern die Frage des Ob, und das Ob verneine ich zum heutigen Zeitpunkt. Aus diesem Grunde lehnen wir Ihren Antrag ab. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Gajek von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Servicecenter/Callcenter stehen in unserem Bundesland für einen großen Arbeitgeberbereich in der Dienstleistungsbranche und sind insofern strukturell für unseren Arbeitsmarkt wichtig. Ich glaube, das tragen alle so mit.

Aber, Herr Renz, zu Ihrer Argumentation: Es ist schon schwierig, so bestimmte Bereiche zu nehmen.

(Wolfgang Waldmüller, CDU: Für Sie! Für Sie ist es schwierig!)

Wenn Sie jetzt Lehrerinnen und Lehrer in den Kontext werfen und wenn Sie möglicherweise von der Ärztehotline reden,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

wäre es mal interessant, vielleicht kann das Herr Foerster nachher noch ausführen, wie viele von den 70 Callcentern in unserem Land dort Kooperationen haben. Servicecenter …

(Unruhe vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Wie bitte? Keine?

(Helmut Holter, DIE LINKE: Alles gut! Alles gut!)

Keine wahrscheinlich, ne?

Dennoch zählen Servicecenter bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht unbedingt zu den beliebtesten Arbeitgebern, und dafür gibt es Gründe. Herr Foerster hat vorhin schon hingewiesen auf den monatelangen Streik bei Sky. Ich denke, alle oder sehr viele von uns werden mit den Kolleginnen und Kollegen gesprochen haben, denn was bedeutet diese Arbeit, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort leisten. Häufig ist es eine sogenannte Kaltakquise, und die erfordert doch ein hohes Maß an Dienstleistungsbereitschaft und hat, glaube ich, auch eine hohe Frustrationstoleranz. Dieser Job ist nicht einfach so zu machen, er hat ein stundenlanges Arbeiten am Telefon oder am PC zur Folge, und das häufig in Großraumbüros unter Zeitdruck und vor einer hohen Geräuschkulisse. Das kann sehr nervenzehrend sein. Es wird oft in Schichten gearbeitet. Teilzeit ist häufig an der Tagesordnung und es gibt – ein Bereich, den wir hier nicht vernachlässigen dürfen – eben häufig aufstockende Leistungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort arbeiten. Auch Sonntagsarbeit ist die Regel.

Ein Aspekt, den wir hier immer wieder betrachten müssen, ist nämlich auch die Frage der Vergütung. Herr Renz, es ist mitnichten so, dass diskutiert wurde, dass wir uns mit dem Mindestlohn zufriedengeben. Wenn Sie

den Antrag zu Ende gelesen hätten, dann steht im letzten Satz in der Begründung, dass es durchaus um die tarifliche Bindung geht und nicht um den Mindestlohn. Ich denke, die Zahlen sprechen für sich, denn im Schnitt verdienen Callcenteragents monatlich um die 1.220 Euro brutto, Frauen übrigens in dieser überwiegend weiblichen Domäne nach wie vor 35 Euro weniger als Männer. Ich denke, dafür lohnt es sich, hier die Arbeitsbedingungen und die Arbeitssituationen zu verbessern.

Frau Hesse, auch wenn Sie sagen, da ist nicht viel zu tun, denke ich schon, gerade in Bezug auf den Streik, der hier seit Monaten bei Sky läuft, wir haben in Teilen eine nicht so kritische Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern. Es ist immer eine schwierige Abwägung, denn es sind Arbeitgeber, die im Land sind, die man eben auch behalten möchte, und auf der anderen Seite werden dort Arbeitnehmer/-innenrechte manchmal mit Füßen getreten.

Ich denke, dass gerade der erste Punkt ein Prüfauftrag ist, also zumindest habe ich das so gelesen. Was würde es heißen, wenn diese DIN umgesetzt wird? Also von daher können wir dem Antrag so folgen.

Ich denke, gerade die Frage der Gesundheitsrisiken ist wichtig. Wir hatten, glaube ich, vor zwei oder drei Landtagssitzungen auch Anträge zum betrieblichen Gesundheitsmanagement und wie wichtig das ist.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Richtig.)

Aber ich finde, wir müssen doch gerade in dem Bereich gucken, was heißt es insbesondere für Frauen, wenn wir über Vereinbarkeit von Familie und Beruf reden, wenn wir wie hier schon wissen, dass Frauen mit ihrer Arbeit weniger verdienen, dass sie häufig in der Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf gefangen sind und letztendlich möglicherweise noch Aufstockerinnen sind. Ich weiß nicht, ob wir uns vorstellen können, in diesem Bereich hoch engagiert, motiviert und immer gut drauf zu arbeiten, denn das, was in dem Bereich noch gefordert wird, sind häufig Spezialkenntnisse und auch Fremdsprachenkenntnisse.

Also es ist ein hochkomplexer Bereich, und ich denke, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind wir es auch schuldig, uns hiermit zu befassen. Es lapidar damit abzuqualifizieren, ob wir hier demnächst über Pflegerinnen oder Pfleger sprechen – das haben wir schon längst getan! Wir haben über Lehrerinnen und Lehrer gesprochen, wir haben auch über Ärztinnen und Ärzte gesprochen,

(Henning Foerster, DIE LINKE: Über Vergütung in der häuslichen Krankenpflege.)

und ich finde, wenn nicht wir, wer soll sich dann hier dafür einsetzen. Von daher werden wir den Antrag unterstützen. Ich denke, gerade betriebliches Gesundheitsmanagement, Tarifverträge sind für Frauen und Männer wichtig, und natürlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, denn man wird von Worten nicht satt, wir brauchen Taten. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Tegtmeier von der Fraktion der SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Frau Gajek, Herr Foerster wird sich bestimmt gefreut haben, dass Sie den Antrag unterstützen, aber ich glaube, er hat auch überlegt, ob Sie den Antrag gelesen haben. Ich habe es jedenfalls überlegt,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wieso?)

jedenfalls nach Ihren Schlussfolgerungen zum ersten Anstrich, zur Unterstützung oder Umsetzung der DINNorm.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ja, Prüfauftrag.)