Protokoll der Sitzung vom 28.01.2016

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Wenn ich als Öffentlichkeit keinen Zugriff mehr darauf habe, klare Gesetze habe, dass es unzulässig ist, später auf den Friedhof zu gehen, um meine Wut, die auch zur Trauer gehören kann, an dem Verstorbenen auszulassen, dann muss ich sagen, es ist ein Gedenken im öffentlichen Raum notwendig.

(Vincent Kokert, CDU: Richtig.)

Wir haben eine sehr breite Variation in der Bestattungskultur. Es gibt natürlich auch die Seebestattung. Bei der Seebestattung gibt es keinen Ort, an den ich treten kann, richtig, aber – und das ist der große Unterschied zur privaten Bestattung – es gibt auch niemanden, der sagen kann, dieser Tote ist auf meinem Grundstück und die Exfrau von ihm kommt nicht auf mein Grundstück rauf, weil ich Rechte habe, und deswegen geht es nicht. Dieses Verwehren geht bei der Seebestattung nicht. Es ist für alle entzogen, weil ich ans Meer treten und diesem Toten gedenken kann. Ich möchte keine Privatisierung,

weil ich sehe, die Würde des Menschen, wenn sie über den Tod hinausgeht, lässt sich im privaten Bereich nicht kontrollieren und nicht garantieren. Das ist für mich eines der stärksten Argumente.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Richtig.)

Wenn wir über Geld reden: Klar, die Kommunen hätten ein Problem, wenn 50 Prozent der Leute sagen, ich möchte gerne in meinem Kleingarten beerdigt werden.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Das will ich auch gar nicht bis zu Ende denken.)

Die Kirchgemeinden hätten ein Problem, wenn in Größenordnungen die Friedhöfe nicht mehr finanziert werden.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Das ist doch Quatsch. – Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Umgekehrt gibt es ein Problem bei Menschen, die sagen, ich weiß nicht, wie ich meine Bestattung finanzieren soll. Meine Angehörigen werden mit der Bestattung später noch belastet, das will ich nicht.

Ich will deutlich sagen, all diese finanziellen Argumente dürfen und sollten in der Debatte keine Rolle spielen. Es geht allein um die Frage der Würde des Menschen nach dem Tod. Über die müssen wir diskutieren. Es muss jedem Menschen unserer Gesellschaft möglich sein – und zur Not muss die Gesellschaft dafür sorgen –, dass es eine würdevolle Bestattung gibt. Das haben Sie im Antrag drin mit dem Thema Sterbegeld. Da sind wir sehr beieinander.

Warum ich die Diskussion in einem Ausschuss ablehne und diesem Antrag und auch der Überweisung so nicht zustimmen kann, ist tatsächlich der Teilsatz, dass „der Friedhofszwang aufgehoben oder gelockert werden sollte, um insbesondere die Urne auf privaten Grundstücken beisetzen“

(Peter Ritter, DIE LINKE: Zu prüfen, ob! Zu prüfen, ob!)

„bzw. zumindest befristet in der Häuslichkeit der Hinterbliebenen aufbewahren zu können“. Da habe ich eine ganz klare Haltung.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ja.)

Ich sehe viele Punkte, über die wir reden müssen und reden können, aber aufgrund dieses Punktes, nein. Dieser ist auch in der Öffentlichkeit der heiß diskutierteste Punkt an dieser ganzen Sache.

Das Thema Sargpflicht – die Ministerin hat es klar dargestellt –, das ist kein Problem.

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Wir haben zum Beispiel in Rostock für unterschiedliche Religionsgemeinschaften Abschnitte auf dem großen städtischen Friedhof. Da gibt es einen jüdischen Friedhof zum Beispiel, wo jüdische Bestattungsrituale eingehalten werden können, die mit anderen Friedhofstraditionen nicht vereinbar sind. All das gibt es. Da sind wir völlig beieinander, dass wir dort Möglichkeiten schaffen müssen für andere Religionsgruppen, die diese Möglichkeiten nicht haben.

Aber zur grundsätzlichen Frage, wollen wir einen Friedhofs- beziehungsweise einen Bestattungszwang – so haben Sie es auch gesagt –, gibt es von mir ein Ja. Ich will das. Die Würde des Menschen geht über den Tod hinaus. Die Würde des Menschen ist eine öffentliche Sache und ist nicht ins Private zu verlagern, sprich, jemandem gehört die Urne und der kann letztendlich machen, was er will, aber niemand hat die Möglichkeit, darauf zuzugreifen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU und Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Müller von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war in diesem Jahr nicht zu Gast auf dem Neujahrsempfang des Ministerpräsidenten,

(Udo Pastörs, NPD: Oh!)

weil ich an der Trauerfeier für einen Angehörigen meiner Partnerin teilgenommen habe. Der Verstorbene – nebenbei gesagt Träger des Bundesverdienstkreuzes und anderer hoher Auszeichnungen, weil er sich für das Gemeinwohl verdient gemacht hatte, 86-jährig verstorben – hatte verfügt, dass sein Leichnam nach seinem Tod zu verbrennen und die Asche zu verstreuen ist. Dem ersten Wunsch war leicht nachzukommen. Dem zweiten Wunsch nachzukommen, ist nach unserem Bestattungsgesetz zwar durchaus möglich, aber in der Praxis sieht das schon anders aus: Hier nicht, bei uns nicht, das geht hier nicht. Da fahren Sie mal nach Rostock, da geht so was. Oder wenn man über solche Fragen diskutiert, bekommt man auch die kluge Antwort, dann fahrt doch nach Holland, da geht das alles.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Schön, dass bei uns nicht alles geht.)

Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist vielleicht ein kleiner Blick in die praktische Situation. Wenn etwas, was das Gesetz zulässt, nämlich das Verstreuen der Asche auf besonders gekennzeichneten und hergerichteten Flächen eines Friedhofes, selbst in Stralsund, der viertgrößten Stadt unseres Landes, nicht möglich ist, sondern man erst mit der Leiche verreisen muss, um ein solches Bestattungszeremoniell vorzunehmen, spricht das nicht unbedingt für die Situation in unserem Land.

Das Beispiel, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat mich angeregt, mich sehr mit dieser Materie zu befassen. Das habe ich vorher auch schon getan, aber Sie werden verstehen, dass ein solches praktisches Erleben da natürlich eine besondere Intention erzeugt. Ich habe festgestellt, dass wir eine erhebliche Diskussion, nicht nur angeregt von den LINKEN, in unserem Land zu solchen Fragen, zu dem, was mit unserem Körper nach dem Tod geschieht, haben, dass wir dort über verschiedene Begriffe diskutieren – einige sind hier gefallen, wie „Friedhofszwang“ und viele andere – und dass wir mit dieser Diskussion eigentlich gar nicht am Anfang stehen, sondern wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine Entwicklung auf diesem Feld zu beobachten, die wir sehen müssen.

Wir haben, meine sehr verehrten Damen und Herren – da möchte ich Sie gern anregen, mir ein klein wenig zu folgen –,

nicht nur eine Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben auch eine Situation in europäischen Nachbarländern, und die ist in der ganz überwiegenden Zahl der Mitgliedsländer der Europäischen Union weitaus – ich weiß nicht, ob das Wort das richtige ist, aber ich nehme es jetzt mal – liberaler als in der Bundesrepublik Deutschland.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ja.)

Viele Fragen, die Vincent Kokert oder Johann-Georg Jaeger hier soeben gestellt haben, werden dort in der praktischen Situation seit Jahren und Jahrzehnten beantwortet, weil das, was hier erst in der Diskussion ist, dort erlaubt ist und praktiziert wird.

Wir haben eine Diskussion in diversen Bundesländern, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das Bundesland Bremen ist hier erwähnt worden, ein Bundesland, das sein Bestattungsgesetz geändert hat und neue Vorschriften gemacht hat. Aber ich möchte Bremen gar nicht mal wegen der neuen Vorschriften hier zitieren, sondern wegen eines Gutachtens. Der Bremer Senat hat Professor Dian Schefold gebeten, ein Gutachten über dieses Thema anzufertigen, und der Staatsrechtler hat geschrieben unter einem Titel, wo meines Erachtens schon der Titel uns die Fragestellung aufzeigt. Er hat gegutachtet unter dem Titel „Postmortales Verfügungsrecht über den Körper und Friedhofszwang für Urnen“.

Ja, meine Damen und Herren, wir reden über Menschenwürde. Aber was meinen wir damit im Augenblick konkret? Gehört nicht zur Menschenwürde auch, dass ein Mensch das Recht hat, selbst zu verfügen,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Selbstbestimmt.)

was mit seinem toten Körper nach dem Tod geschieht?

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Oh ja, da müsst ihr mal schön applaudieren. Alles schön beliebig machen, dann passt es! – Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

Ich glaube nicht, lieber Wolf-Dieter Ringguth, dass es eine Beliebigkeit ist, wenn wir von diesem Grundrecht eines Menschen sprechen, dass er über seinen Körper auch nach dem Tod verfügen kann.

Aber, lieber Manfred Dachner, der Zwischenruf ist natürlich berechtigt, auch andere Grundrechte sind eingeschränkt. Auch das Grundrecht der Verfügung über den eigenen Körper nach dem Tod wird natürlich sinnvollerweise eingeschränkt.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja.)

Die Frage, meine sehr verehrten Damen und Herren, die wir hier zu diskutieren haben, ist doch die, wo diese Einschränkung sinnvollerweise einsetzt, was zugelassen wird und was nicht zugelassen wird. Auch wenn ich dieses Rechtsgutachten hier in die Diskussion gebracht habe, bin ich überzeugt, dass dieses nicht primär eine staatsrechtlich zu diskutierende Frage ist, sondern dass dieses eine ethische Frage ist

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig. – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Da sind wir uns einig. An dem Punkt sind wir uns einig.)

und dass diese Frage hochgradig mit weltanschaulichen Überzeugungen und für den, der religiös denkt, natürlich auch mit religiösen Überzeugungen zu tun hat.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Selbstverständlich.)

Und so, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir dieses Thema diskutieren. Wenn wir es so sehen und wenn wir es so diskutieren, dann merken wir sofort, dass dieses ein außerordentlich sensibles und ein außerordentlich schwieriges Thema ist. Denn wenn wir über die Würde des Menschen in dieser Situation, dass er nicht mehr lebt, reden, sollten wir das bitte nicht mit den üblichen platten Parolen machen, sondern dann sollten wir das mit einem gebührenden Respekt vor diesem Thema tun.

Der Deutsche Bundestag hat sich in den letzten Monaten mit der Frage des Sterbens, mit der Hilfe beim Sterben, mit dem Recht und der Pflicht des Arztes, mit den Rechten und den Pflichten des Sterbenden befasst. Ich glaube, das ist in der gleichen Kategorie, wenn auch noch eine Stufe höher als das, was wir hier auf dem Tisch haben. Aber ich finde das, was der Deutsche Bundestag gemacht hat, bemerkenswert und vorbildlich. Es war eine Diskussion, die nicht mehr in den Grenzen von Fraktionen stattgefunden hat, sondern in den Grenzen von Überzeugungen.

(Johann-Georg Jaeger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja. – Vincent Kokert, CDU: Deshalb habe ich das auch angeregt.)

Es war eine Diskussion, die ohne Zwang stattgefunden hat, auch ohne Zeitdruck. Ich glaube, daran sollten wir uns ein Vorbild nehmen und sollten über dieses Thema reden, aber genauso, wie es der Deutsche Bundestag beim Thema Sterbehilfe gemacht hat.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, wo ich hin will. Ich will da hin, dass wir über dieses Thema diskutieren, dass wir über dieses Thema sprechen – nicht allein, sondern mit anderen – und dass wir das dem Thema angemessen behandeln. Zur Angemessenheit würde für mich gehören, dass Impulsgeber nicht einfach eine Fraktion ist, sondern dass es die demokratischen Fraktionen gemeinsam machen.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Schon mal sehr richtig.)