Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 113. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratung vereinbarungsgemäß fort.
Vereinbarungsgemäß rufe ich auf den Tagesordnungspunkt 10: Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Älter werden in Mecklenburg-Vorpommern“, auf Drucksache 6/5108.
Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Älter werden in Mecklenburg-Vorpommern“ – Drucksache 6/5108 –
Das Wort zur Berichterstattung hat der Vorsitzende der Enquetekommission Herr Abgeordneter Jörg Heydorn.
Ja, auch von mir einen schönen guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Enquetekommission „Älter werden in Mecklenburg-Vorpommern“ legt Ihnen heute ihren Zweiten Zwischenbericht vor. Einen haben wir hier schon mal besprochen und ich würde gern eines, was mir besonders wichtig ist, voranstellen: Es gibt in der Enquetekommission eine Vereinbarung, dass wir die Dinge, die wir machen, nämlich unsere Handlungsempfehlungen zu den Themen, die wir behandeln, im Konsens beschließen wollen. Das ist ein sehr aufwendiges Prozedere, bis man sich da zusammengefunden hat, aber wir haben das bisher hingekriegt. Im Großen und Ganzen haben wir das bisher hingekriegt. Das heißt also, die Ergebnisse, die heute vorgestellt werden, sind im Konsens der demokratischen Fraktionen entstanden.
Jeder für sich hätte wahrscheinlich andere Akzente gesetzt, aber wir haben es geschafft, dabei zusammenzubleiben und unsere Dinge gemeinsam zu machen.
Deswegen möchte ich mich ganz herzlich bedanken bei meinen Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen. Damit meine ich sowohl die Landtagsmitglieder als auch die externen Mitglieder, die in die Enquetekommission gesandt worden sind, und ich möchte mich ganz herzlich bedanken bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariates, die uns bei unserer Arbeit sehr professionell betreuen.
Wir wissen, unsere Kommission ist eingerichtet worden durch Beschluss des Landtages in seiner Sitzung vom 01.02.2012, und der Auftrag ist, einfach formuliert, Handlungsempfehlungen zu finden, wie das Thema „Versorgung und gesellschaftliche Teilhabe unserer älter werdenden Bevölkerung“ vor allem in ländlich peripheren Räumen sichergestellt werden kann. Die Kommission hat ein bisschen Zeit gebraucht, Themen zu finden, die sie
für wichtig hält. Dabei sind dann folgende Themen identifiziert worden: Einmal geht es um das Thema „Wohnen“, es geht um das Thema „Mobilität“, es geht um das Thema „Gesundheit und Pflege“, um das Thema „Bildung und Arbeit“ sowie „Bürgerschaftliches Engagement und Infrastruktur“.
Die Handlungsempfehlungen zum Thema „Wohnen“ haben wir bereits in unserem ersten Zwischenbericht beschlossen und in der Zeit von April 2014 bis November 2015 beschäftigte sich die Kommission in 22 Sitzungen mit den Themen „Mobilität im Alter“ und „Gesundheit und Pflege“.
In ihrer 43. Sitzung am 11.12.2015 hat die Enquetekommission dem Zweiten Zwischenbericht mit den Stimmen der benannten Kommissionsmitglieder von CDU, DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der SPD bei einer Enthaltung ihre Zustimmung erteilt. Das heißt also, auch hier können Sie sehen, die Dinge sind im Konsens gemacht worden.
Ich gehe heute davon aus, dass meine Kolleginnen und Kollegen aus den demokratischen Fraktionen noch näher auf die Themen „Mobilität“ und „Gesundheit und Pflege“ eingehen werden, und habe mir deswegen vorgenommen, noch mal einen aktuellen Anlass aufzugreifen, der das Thema „Demografischer Wandel“ auch in Mecklenburg-Vorpommern betrifft.
Vor einigen Tagen, das werden Sie mitgekriegt haben, ging eine Nachricht auch hier bei uns durch die Medien, dass das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung festgestellt hat, die Abwanderung im Osten ist gestoppt, auch im Osten unserer Bundesrepublik gibt es wieder Zuwanderung. Das ist eine gute Nachricht, das kann man so sagen, aber wenn man sich die Situation differenziert anguckt, dann ist festzustellen, dass die Zuwanderung in den größeren Städten, gerade in den Universitätsstädten stattfindet, dass ländlich periphere Regionen nach wie vor mit Abwanderung und Überalterung zu tun haben und dass es auch schwierig sein wird, quasi andere Perspektiven dort zu etablieren und zu entwickeln und das voranzubringen.
Das heißt, diese Ergebnisse decken sich mit der Arbeit unserer Kommission und damit ist ja die Frage verbunden: Was machen wir denn da? Was machen wir da, wo es nicht zum Selbstläufer zu werden scheint, dass also auch in den neuen Bundesländern Bevölkerungswachstum stattfindet, sondern was tun wir da, wo die Verhältnisse schwieriger sind und wo wir glauben, dass in geeigneter Art und Weise interveniert werden muss?
Wenn man sich die Arbeit in der Kommission anguckt, egal, zu welchem Themenfeld, das wir bis heute behandelt haben, dann gibt es zwei Elemente, die sich überall durchtragen: Das eine ist das Element eines qualifizierten Beratungsangebotes. Also wir haben festgestellt, dass auch in ländlich peripheren Regionen die Entwicklung sehr unterschiedlich verläuft. Es gibt kleine Gemeinwesen, da funktioniert etwas, da macht man im Rahmen der Selbstverantwortung extrem viel, es gibt Leben, es gibt Entwicklung, es gibt Konzepte, wie man dem demografischen Wandel entgegentritt. Und man hat den Eindruck, dass in dem Nachbarort dann scheinbar solche Dinge letztendlich nicht möglich sind.
Wenn man sich die Frage stellt, woran das liegt, dann hat das unseres Erachtens damit zu tun, dass es immer um
Personen geht. Es geht um Leute, die vor Ort sind und die wissen, wie man bestimmte Dinge anpacken muss. Und in anderen Orten scheint das nicht der Fall zu sein. Ich finde, das darf man nicht dem Selbstlauf überlassen, sondern alle, die uns in der Kommission beraten haben, geben so die Empfehlung: Schafft ein Beratungsangebot, wo sich die Leute hinwenden können, wenn Sie einen Bürgerbus machen wollen, wenn es um das Thema „Sammeltaxi“ geht oder „Dorfleben“! Wie viele Fahrer brauche ich für den Bürgerbus? Wie sieht es versicherungsrechtlich aus? Wie kann man das einbinden in Verkehrsstrukturen der ÖPNV-Anbieter? Und so weiter und so fort.
Eine Klammer ist: Richtet ein Beratungsangebot ein, was diese Dinge aufgreift und den Leuten, die ein Interesse daran haben, etwas zu machen, letztendlich in geeigneter Art und Weise weiterhelfen kann!
Und der zweite Aspekt, der sich durchträgt, ist das, was ich unter dem Stichwort „Kümmererstrukturen“ zusammenfassen will,
also auch in kleinen Orten Menschen zu haben, die sich um die Gemeinschaft kümmern, die Dinge initiieren, die Verbindungen haben, die Bestandteil von Netzwerken sind und die örtlichen Belange einbringen, die verzahnt sind mit Professionellen, um auf diese Art und Weise in den Orten so etwas zu etablieren, was in der Fachterminologie heute als sogenannte sorgende Gemeinschaften bezeichnet wird, das heißt also Gemeinschaften, die kleinräumig organisiert sind, die nicht nur mit einem Themenfeld zu tun haben, sondern wo es um alles geht, wo es um das Thema „Gesundheit“ geht, um das Thema „Pflege“, um das Thema „Mobilität“, „Infrastruktur“ und so weiter und so fort, letztendlich also um eine Gemeinschaft, die die Dinge im Rahmen von einem hohen Maß an Selbstverantwortung selbst organisiert und die Dinge gut am Laufen hält.
Wenn man sich anguckt, wie der demografische Wandel bei uns in Mecklenburg-Vorpommern wahrscheinlich weiter verlaufen wird, gibt es zu dem Ansatz der sorgenden Gemeinschaften aus unserer Perspektive auch kaum eine andere Möglichkeit. Wir werden weiter eine starke Zunahme von Pflegebedürftigen haben. Der Anteil der älteren Bevölkerung wird, wenn die Zahlen sich nicht verändern – und die Zahlen werden sich nicht verändern, die sind so –, demnach stark steigen.
Die finanziellen Mittel sind auch begrenzt und deswegen muss man nach Konzepten suchen, wie im Endeffekt solche sorgenden Gemeinschaften entstehen, die kleinräumig dazu imstande sind, Dinge zu übernehmen, die Gemeinschaft zu tragen und für alle weiter am Laufen zu halten.
Mit diesem zweiten Zwischenbericht ist unsere Arbeit nicht abgeschlossen, das heißt, wir haben noch Dinge in der Bearbeitung, die gut vorbereitet sind, also im Schlussspurt geht es jetzt für uns darum, die Themen „Bildung“, „Arbeit“, „bürgerschaftliches Engagement“ und „Infrastruktur“ zu konsentieren und dann rechtzeitig vor Abschluss der Legislaturperiode unseren Endbericht vorzulegen. Das wird passieren, da sind wir auf einem guten Weg, da mache ich mir keine Sorgen.
Abschließend möchte ich beantragen, den Zweiten Zwischenbericht mit der Erörterung heute im Landtag verfahrensmäßig für erledigt zu erklären. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Zweite Zwischenbericht der Enquetekommission „Älter werden in MecklenburgVorpommern“ ist Zeugnis intensiver Arbeit. Die Zahl der Kommissionssitzungen, der Expertenanhörungen, der Workshops und auch der Umfang des heute vorgelegten Berichts sind, um eben diese Arbeit zu würdigen, eher nebensächlich. Entscheidend sind vielmehr inhaltliche Substanz und Tragweite der aus der thematischen Befassung resultierenden Handlungsempfehlungen. Würden diese in den Lebensalltag einfließen, würden sie Realität. Mecklenburg-Vorpommern wäre ein Bundesland, an dem sich andere einmal mehr orientierten, weil es glänzend aus problembeladenen demografischen Herausforderungen zukunftsfeste Perspektiven entwickelt habe.
Dieser Zwischenbericht ist zugleich Zeugnis einer sachlich orientierten gesellschaftlichen gemeinschaftlichen Arbeit jenseits machtpolitischen und parteipolitischen Wetteiferns. Dies hat etwas mit dem Anspruch der in und für die Kommission wirkenden Akteure zu tun, allgemeine gesellschaftliche Interessen in den Mittelpunkt zu stellen, die Lebenssituation der Menschen im Blick zu haben und um tragfähige Lösungsansätze zu ringen. Es hat ein Stück weit wohl auch mit der Art und Weise des souveränen Agierens des Vorsitzenden zu tun, den wir hier im Parlament als ebenso kompetenten wie streitbaren
und bisweilen provokanten Kollegen kennen, der in der Enquetekommission noch dazu alle Qualitäten eines zielorientierten Moderators erkennen lässt, der manch festgefahrene Situation mit unkonventionellen Beiträgen nach vorn konstruktiv auflöst. Es hat in sehr hohem Maße mit dem Fleiß unseres Sekretariats und der wunderbaren kreativen Zusammenarbeit der wissenschaftlichen Referentinnen und Referenten
Alle Medienmacher, die unsere parlamentarische Arbeit begleiten, möchte ich eindringlich bitten, die Arbeit der Enquetekommission mit mehr Aufmerksamkeit zu begleiten.
Nachvollziehbarerweise sind etwa Berichte über akute Entscheidungen zum Verbleib beziehungsweise einer Schließung von Abteilungen an Krankenhausstandorten nicht nur aufsehenerregend, sondern auch von großer Wichtigkeit, keine Frage. Nicht minder spannend jedoch wären Informationen darüber zum Beispiel, wie die Gesundheitsversorgung der Zukunft konzipiert wird. Ich finde, journalistische Klasse beweist sich aus meiner Sicht eben darin, aus vermeintlichen Langweilerthemen Neugier weckende und Bildung fördernde Nachrichten zu fertigen.
In der Enquetekommission findet sich zu Letzterem ein weiteres Betätigungsfeld, beschäftigt sich doch dieses Gremium mit den Zukunftsfragen unseres Landes.
Zwei davon sind Gegenstand des vorliegenden Zwischenberichts, Mobilität einerseits sowieso, Gesundheit und Pflege andererseits. Beide verkörpern ganz verschiedene Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, aber beide gehören zu den Kernthemen der Daseinsvorsorge. Für DIE LINKE ist gelingende Daseinsvorsorge Dreh- und Angelpunkt für selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe. Hinsichtlich der Mobilität ist dies so, weil etwa Mobilitätseinbußen einhergehen mit begrenzter Selbstständigkeit, und immer auch einen Verlust an Lebensqualität bedeuten. Hinsichtlich der Gesundheit ist es so, weil Gesundheit schlichtweg das höchste Gut eines jeden Menschen, quasi die Basis jedweder Lebensqualität ist. Sie zu erhalten und zu fördern, ist eine lebenslange Angelegenheit und Aufgabe für den einzelnen und eine beständige für die Gemeinschaft.
Aus Sicht der LINKEN wurden zum Themenbereich Mobilität wichtige innovative Vorschläge unterbreitet. Diese lassen sich zu drei zentralen Botschaften zusammenfassen. Die erste Botschaft lautet: Lasst uns Mobilität neu denken, lasst uns im öffentlichen Personenverkehr Strukturen, Zuständigkeiten, Abläufe und Finanzen auf neue Art und Weise so zusammenführen, dass wir ein attraktives Angebot für möglichst viele Menschen unterbreiten. Hierzu gehört, integrative öffentliche Verkehrssysteme zu entwickeln. Durch sie gelingt es, Hauptverkehrslinien mit Nebenlinien zu verbinden und zugleich Flächen zu erschließen, sodass sich über das gesamte Land ein umfassendes Netz ausbreitet. Durch sie gelingt es, den Einsatz von Bürgerbussen und Carsharing als alternative Bedienform voranzutreiben. Und zu ihnen gehört die Einrichtung von Mobilitätszentralen. Mobilität neu denken heißt für uns auch, die Rolle der kommunalen Ebene zu stärken, sodass es gelingt, im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer maßgeschneiderte Taktfahrpläne zu kreieren und auch Belange von Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen zu beachten. Nicht zuletzt heißt Mobilität neu denken, Parallelbedienungen auszuschließen und mobile Dienstleistungen der verschiedenen Anbieter miteinander zu vernetzen.
Unsere zweite Botschaft lautet: Lasst uns die Organisation und die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs neu strukturieren! In diesem Zusammenhang wollen wir flächendeckende Verkehrsverbünde einrichten. Hieraus ließen sich nutzbringende Effekte erzielen, etwa dass es möglich wird, zugleich ein Ticket fürs ganze Land schnell und unkompliziert via Mobilitätszentrale zu buchen, oder dass es eine deutlich verbesserte Anbindung an Metropolregionen geben wird. Eine Neustrukturierung und Bündelung von Finanzen würde unter anderem bedeuten, dass es in Fragen der Förderung künftig nur einen Zuwendungsbescheid je Aufgabenträger, also weniger Bürokratie geben wird.
Die dritte Botschaft liegt uns LINKEN ganz besonders am Herzen. Sie lautet: Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr. Damit verbunden ist der Anspruch, perspektivisch alle Neubauten barrierefrei zu gestalten, Haustürbedienung, Halten auf Wunsch und Bedarfshalte zu ermöglichen sowie Haltestellenkataster mit dem Ziel zu erarbeiten, Bedarfe zu erkennen und an künftig notwendigen Haltepunkten Barrieren weitestgehend abzubauen. Eine etwaige Förderung hierfür soll es auch dann geben, wenn die DIN-Norm nicht erreicht werden kann.