Protokoll der Sitzung vom 20.04.2016

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Antrag enthält mehrere Punkte, die deshalb inhaltlich nachzuvollziehen und zu unterstützen sind. Allerdings wäre es für die bessere Nachvollziehbarkeit durch die Leserinnen und Leser des Antrages günstiger, Feststellungen in den ersten beiden Punkten auch als Feststellungen zu dokumentieren. Aber das ist Nebensache.

Zu Punkt 1 haben wir in der Aktuellen Stunde in der Landtagssitzung im März auf Antrag meiner Fraktion eine Debatte zum Thema „Übergriffe auf Flüchtlinge sind eine Schande für das ganze Land“ geführt. Schon damals haben wir deutlich gemacht, dass es besser gewesen wäre, wenn sich der Landtag mit einem Beschluss dazu bekannt hätte, so, wie es jetzt auch in dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht, dass alles gesellschaftlich und rechtsstaatlich Mögliche unternommen wird, um Flüchtlinge vor Anfeindungen und Gewalt wirksam zu schützen.

(Michael Andrejewski, NPD: Auch durch ihresgleichen.)

Das ist leider nicht möglich gewesen und ich hatte die Hoffnung, dass es heute vielleicht möglich wäre, einen solchen Feststellungsteil gemeinsam zu tragen. Aber Frau Gajek hat ja dargestellt, dass ihre Bemühungen, gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen einen solchen Antrag auf den Weg zu bringen, schon im Vorfeld gescheitert sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sollte auch allen bewusst sein, dass in einer Wohnsituation auf engstem Raum mit verschiedenen Nationalitäten und Bevölkerungsgruppen die Gefahr von Belästigungen, häuslicher und sexualisierter Gewalt für Frauen und Kinder, aber auch das Diskriminierungsrisiko und die Gefahr für Menschen mit Behinderung oder je nach sexueller Identität oder Orientierung erhöht sind. Die spezielle Situation von Asylbewerberinnen und Flüchtlingsfrauen in Mecklenburg-Vorpommern wurde, anders als der Innenminister behauptet hat, eben noch nicht untersucht.

(Michael Andrejewski, NPD: Durch wen gefährdet? Gefährdet durch böse Flüchtlinge.)

Es gibt keine speziellen Erkenntnisse über die Situation. Und das ist keine Erkenntnis meiner Fraktion, sondern das geht aus dem Dritten Landesaktionsplan zur Bekämpfung von häuslicher und sexualisierter Gewalt her

vor, der Ende letzter Woche von der Landesregierung vorgelegt worden ist. Vielleicht war ja der Innenminister bei der Vorstellung dieses Landesaktionsplanes nicht dabei.

(Minister Lorenz Caffier: Das ist nicht mein Zuständigkeitsbereich.)

Ach, das ist nicht sein Zuständigkeitsbereich. Aber als Innenminister sitzen Sie doch mit am Kabinettstisch

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber das ist eine Querschnittsaufgabe!)

und das ist die Unterrichtung der Landesregierung, Herr Innenminister!

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Doch, und nicht ’nen Vogel zeigen! – Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Hat er einen Vogel gezeigt?)

In dieser Unterrichtung heißt es, dass es gar nicht bekannt ist, wie die Bedrohungslage im Wohnumfeld tatsächlich aussieht, und dass die Zahl der Übergriffe weitaus höher ist, als vermutet wird. Denn die Frauen hüllen sich in Schweigen und ertragen Dinge, weil sie gar nicht wissen, welche Rechte sie haben

(Michael Andrejewski, NPD: Woher wollen Sie das denn wissen, wenn die sich in Schweigen hüllen?)

und dass ihnen geholfen werden kann oder wo ihnen geholfen werden kann. Das steht in der Unterrichtung der Landesregierung, ist also keine Erfindung von mir.

Weiter heißt es in der Fortschreibung des Landesaktionsplanes auf Drucksache 6/5351: „Zudem werden seitens des Landesamtes für Innere Verwaltung“ …

Aber das ist gar nicht zuständig!

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Er redet trotzdem.)

… „Zudem werden seitens des Landesamtes für Innere Verwaltung und den kommunalen Gebietskörperschaften beim Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für Gewalt gegen Frauen und/oder Kinder bei der Zuweisungsentscheidung die notwendigen Maßnahmen getroffen, um weitere Gewalt zu verhindern.“ Richtig! Richtig! Aber das dürfte doch Normalität und selbstverständlich sein,

(Michael Andrejewski, NPD: Wie wäre es denn mit einer Bestrafung der Gewalttäter?)

dass so etwas passiert und dass das auch vom Landesamt für Innere Verwaltung – ich glaube, da ist der Innenminister zuständig, für dieses Landesamt – begleitet wird.

(Minister Lorenz Caffier: Das passiert ja auch.)

Aber das wäre alles nicht nötig, wenn man sich allein am Grundgesetz orientiert, Artikel 1 und 2, hier nur die Schlagworte: Würde, Schutz, Menschenrechte, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Es wäre also fatal, wenn dies nicht so wäre und die Opfer einfach weiter in

der Gewaltsituation oder Bedrohungskulisse belassen werden würden. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt im Übrigen,

(Michael Andrejewski, NPD: Vielleicht sollte man keine Gewalttäter einreisen lassen.)

das gilt im Übrigen für alle Einwohnerinnen und Einwohner dieses Landes und nicht nur für die Flüchtlinge. Intervention, Hilfe und Schutz müssen allen Opfern von Gewalt zugutekommen. Das Schutz- und Hilfesystem muss hierfür kontinuierlich auf seine Wirksamkeit hin überprüft und weiterentwickelt werden, und, da beißt die Maus keinen Faden ab, es muss mehr Geld für die Arbeit zur Verfügung stehen.

Im Rahmen der Beratungen zum Doppelhaushalt 2016/2017 hat meine Fraktion die Erhöhung der Mittel für eine bessere Ausstattung der Beratungsstellen gegen häusliche und sexualisierte Gewalt beantragt, unabhängig von der nationalen Herkunft der Opfer. Dieser Antrag wurde abgelehnt, und das trotz steigender Bedarfe und einer quantitativen Zunahme, siehe Dunkelfeldstudie, vorgestellt durch das Innenministerium. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da frage ich mich, ob das noch Politik ist, die sich auf die Erfordernisse einstellt und vorausschauend plant. Nein, wie so oft wird abgewartet, bis es knallt,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tja.)

denn abzusehen sind die Bedarfe und die Notwendigkeit, das Hilfesystem finanziell und personell aufzustocken, schon lange.

Auch unser Antrag, die Ansätze für die Beratungsstelle ZORA für die Jahre 2016 und 2017 um jeweils 62.000 Euro zu erhöhen, wurde abgelehnt. Die Beratungsstelle ZORA mit Sitz in Schwerin berät Frauen, die Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel geworden sind. Gerade angesichts der zunehmenden Anzahl von Flüchtlingsfrauen und -mädchen in den vergangenen Monaten ist es dringend erforderlich, personell in diesem Hilfesystem aufzustocken. Eine Stelle bei ZORA allein reicht nicht aus!

Die Liste der Unterlassungen der Landesregierung lässt sich noch weiter fortführen, aber aus Sicht des Innenministers gibt es ja keinen Handlungsbedarf.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nö.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Jahr 2014 startete der Landesfrauenrat Mecklenburg-Vorpommern die Petition „Opferschutz als Pflichtaufgabe“, Opferschutz als Pflichtaufgabe für alle, egal welcher Nationalität oder Herkunft. Das Petitionsziel von mehr als 5.000 Unterschriften wurde am 17. Dezember 2014 erreicht. Am 6. Januar 2015 wurde die Unterschriftensammlung beendet und dem Petitionsausschuss des Landtages zugeführt. Am Freitag soll die Petition im Rahmen der Landtagsdebatte zum Bericht des Petitionsausschusses mit der Empfehlung abgeschlossen werden, nach dem Ende der Haushaltsdebatte möge doch die Landesregierung noch mal prüfen, ob Geld zur Verfügung gestellt werden kann. Na ja!

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hat nichts mit Pflichtaufgaben zu tun.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich müssen die schutzbedürftigen Flüchtlinge, die sich in einer Gefähr

dungslage befinden, wie in Punkt 5 des Antrages gefordert, auf Wunsch anders untergebracht werden. Dafür ist es aber notwendig, dass sich die Betroffenen vertrauensvoll an jemanden wenden können, um zu erfahren, welche konkrete Hilfe es denn überhaupt gibt. Aber ich finde, es lassen sich viele Dinge auch schon im Vorfeld anders planen. Frauen, Kinder und weitere schutzbedürftige Personen können von vornherein von bestimmten Szenarien ferngehalten werden, indem man sie von Anfang an geschützt unterbringt. In einigen Unterkünften in Mecklenburg-Vorpommern werden besonders schutzbedürftige Flüchtlinge wie allein reisende Frauen mit und ohne Kinder ja bereits in separaten Wohnbereichen untergebracht, so zum Beispiel in Stern Buchholz.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ich weiß.)

Das bestreitet niemand. In Basepohl wird besonders Rücksicht auf Flüchtlingsfamilien genommen und es gibt Räume nur für Frauen, wie das Frauencafé. Es stellt sich hier nur die Frage, wie lange noch.

Prävention ist das Stichwort und die kann und sollte durch die Wohnsituation, geschulte Beraterinnen und Berater, Betreuerinnen und Betreuer und umfassende Informationen der Schutzbedürftigen erfolgen. Und so geht es hier eben nicht nur um häusliche und sexualisierte Gewalt gegen Frauen, denn zu den schutzbedürftigen Personen gehören auch die homosexuellen, transsexuellen und intersexuellen Flüchtlinge. Auf Grundlage der Qualifizierungsrichtlinie 2011/95/EU erhält Asyl, wer in seiner Heimat aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder seiner geschlechtlichen Identität verfolgt wird. Wer auf Grundlage dieser Richtlinie Asyl in Deutschland erhält, darf in der Unterbringung nicht wieder Bedrohungen ausgesetzt sein oder verfolgt und stigmatisiert werden.

(Stefan Köster, NPD: Hören Sie doch endlich mal mit Ihrem Heulvortrag auf!)

Der Schutz fängt aber schon bei der Wahrnehmung des Rechts auf Asyl an. Die Umsetzung der EU-Richtlinie gestaltet sich in der Praxis jedoch schwierig. DIE LINKE im Bundestag forderte deshalb bereits im Jahr 2012, dass lesbischen, schwulen, transsexuellen und intersexuellen Flüchtlingen in Deutschland vorbehaltlos ein sicherer Schutz gewährt werden müsse,

(Michael Andrejewski, NPD: Sie müssen also vor anderen Flüchtlingen geschützt werden.)

wenn ihre sexuelle Orientierung oder ihre Geschlechtsidentität im Herkunftsland strafrechtlich kriminalisiert wird. Zum Schutz vor homophoben Übergriffen wurde zum Beispiel in Nürnberg eine Unterkunft für homosexuelle Flüchtlinge eingerichtet.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja.)

Auch in Mecklenburg-Vorpommern ließen sich solche alternativen Wohnmodelle denken.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ja, natürlich.)

Allerdings wird hier die Zahl vermutlich geringer sein und nicht jeder Flüchtling wird sich outen wollen. Es zeigt sich jedoch auch am Beispiel besonders schutzbedürftiger

Flüchtlinge, dass eine zügige dezentrale Unterbringung in Wohnungen in Verbindung mit einer funktionierenden Migrationssozialberatung die beste Möglichkeit ist, um vor Übergriffen im Wohnumfeld geschützt zu sein und ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Das Ministerium für Inneres und Sport hat die kommunalen Körperschaften aufgefordert, verstärkt Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Wohnungen unterzubringen. Das ist zu begrüßen.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)