Protokoll der Sitzung vom 20.04.2016

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Kaselitz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Länder und Kommunen stehen derzeit vor der Herausforderung, eine große Zahl geflüchteter Menschen unterzubringen, zu versorgen, zu betreuen und zu integrieren. Dabei stehen oft vor allem Fragen der Unterbringung und der Kostenübernahme im Fokus. Über die Qualität der Unterkünfte und die Wahrung der Rechte von Asylsuchenden wird weit weniger diskutiert.

Der vorliegende Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist der Anlass der heutigen Diskussion zum Thema „Besonderer Schutz für bestimmte Personengruppen in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften in Mecklenburg-Vorpommern“. Ich habe dadurch die Möglichkeit, den verschiedenen Trägern, die mit ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen tagtäglich in den Einrichtungen für geflüchtete Menschen ihre verantwortungsvolle Arbeit bei der Betreuung engagiert leisten, herzlich Dank zu sagen. Sie sind oft die ersten Kontaktpersonen, die Menschen begleiten, die auf so unterschiedliche Weise, aber niemals ohne zwingende Gründe ihre Heimat verlassen haben. Gleichzeitig kann ich darauf verweisen, dass es viele demokratische Kräfte gibt, die sich des Themas annehmen und mit speziellen Forderungen auf Bedürfnisse von Geflüchteten in unserem Land hinweisen. Dazu zähle ich alle demokratischen Parteien, beispielsweise aber auch die Arbeitsgemeinschaft der sozialdemokratischen Frauen oder den Landesfrauenrat.

Grundsätzlich gilt aber, dass jeder Mensch, der in unserem Land lebt, ein Recht auf Schutz seiner Person hat, ihm der Zugang zu Beratungs- und Unterstützungssystemen gewährt wird und ihm entsprechend der persönlichen Lebensumstände eine individuelle Lebensgestaltung möglich ist. Die Besonderheit für die Geflüchteten, die bei uns Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen, ist der Umstand, dass sie für einen gewissen Zeitraum in Gemeinschaftsunterkünften leben. Das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum mit den unterschiedlichsten persönlichen, religiösen und kulturellen Voraussetzungen ist niemals ohne Probleme und Auseinandersetzungen möglich, ganz gleich, woher die Menschen kommen. Regelungen, zum Beispiel im Flüchtlingsaufnahmegesetz oder in der Richtlinie für den Betrieb von Gemeinschaftsunterkünften, und die soziale Betreuung der Bewohner bieten einen bestimmten Rahmen für die Unterkünfte für Geflüchtete.

Gespräche mit Einrichtungsbetreibern, aber auch mit den Menschen, die in den Einrichtungen leben, machen deutlich, dass es nicht ausreicht, für ein Dach über dem Kopf zu sorgen. Es ist wichtig, Unzulänglichkeiten an

zusprechen und nach Lösungen zu suchen. So habe ich junge Frauen gesprochen, die in Rövershagen auf engstem Raum untergebracht waren und sich nach mehreren Wochen ohne Beratung und Begleitung wie abgeschnitten von der Außenwelt und nicht gewollt vorkamen.

In unserer Erstaufnahme in Horst, in Basepohl und in den Gemeinschaftsunterkünften in Friedland und Neubrandenburg konnte ich mich bei Besuchen und nach Gesprächen davon überzeugen, dass es durchaus gute Erfahrungen bei der Berücksichtigung besonderer Bedürfnisse von Geflüchteten gibt. So gibt es in Friedland eine sehr enge Zusammenarbeit der Einrichtungsleiterin mit dem Unterbringungsmanagement des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte. Entsprechend der von ihr gemeldeten freien Kapazitäten werden die Belegungen konkret abgestimmt. So wurde bei einer Kapazität der Einrichtung von 120 Menschen zum Beispiel eine reine Frauenwohngruppe gebildet.

Diese Wohngruppe für Frauen gibt es auch in der Neubrandenburger Gemeinschaftsunterkunft. Hier berichtet der Einrichtungsleiter, der drei Häuser verwaltet und circa 600 Menschen aufnehmen kann, von seinen Bemühungen, Nationalität und Religion bei der Unterbringung zu berücksichtigen. Allein reisende Frauen und Männer bewohnen unterschiedliche Etagen. In seiner Einrichtung gibt es Doppelzimmer zu ebener Erde mit eigenen sanitären Anlagen, die Menschen mit Behinderung, Personen mit gesundheitlichen und speziellen psychischen Problemen vorbehalten sind. Aufgrund aktuell ausreichender Kapazitäten versucht er zum Beispiel auch, Personen, die rauchen, gesondert unterzubringen.

Bei Menschen mit besonders schwerwiegenden psychischen Problemen wird in Abstimmung mit der Ausländerbehörde sehr flexibel reagiert und zum Beispiel eine Möglichkeit der dezentralen Unterbringung organisiert. Für Kinder bis zwölf Jahre steht in Neubrandenburg ein separater Spielraum zur Verfügung. Jugendliche bis 18 nutzen den Jugendraum. Ein Gebetsraum ist eingerichtet. Mehrere Mehrzweckräume können bei Bedarf auch allein nur von Frauen oder Männern genutzt werden. Das Angebot wird aber selten genutzt.

Bei einer Bewertung dieser Tatsachen sollten wir nicht generell von unserem Selbstverständnis als Frauen ausgehen. In Horst wird zum Beispiel von speziellen Zimmern für Menschen mit Behinderung berichtet. Hier wird, wie in den anderen Einrichtungen auch, wenn möglich immer aktuell auf Personen mit besonderen Bedürfnissen reagiert.

Meine Damen und Herren, in keiner der genannten Einrichtungen gibt es Probleme mit verschließbaren Sanitäranlagen, getrennt für Frauen und Männer. In keiner der genannten Einrichtungen ist bisher eine erhöhte Gefahr von Belästigungen, sexuellen Übergriffen oder Diskriminierungen aufgetreten. Das hohe mediale Interesse an problematischen Einzelfällen irgendwo in Deutschland führt aber dazu, dass auch diese Einrichtungen Orte von Negativdiskussionen werden, obwohl die Probleme mit den im Antrag angeführten Personengruppen hier, wie auch an vielen anderen Orten im Land, gar nicht bekannt sind.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein, weil sie ausgeblendet werden.)

Kurz zu den einzelnen Beschlusspunkten im Antrag:

Dass in unserem Land gegen Hass und Gewalt gegen

Flüchtlinge rechtsstaatlich hart durchgegriffen werden muss, ist eine Selbstverständlichkeit.

Die fehlende Privatsphäre in Erstaufnahme- und Ge

meinschaftsunterkünften und die sich daraus ergebenden problematischen Situationen stellt niemand infrage. Die Beispiele haben gezeigt, wie darauf mit dem Einsatz der Menschen vor Ort reagiert werden kann.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind selbstver

ständlich immer bestrebt, gewaltfördernde oder -be- günstigende Konstellationen zu vermeiden.

Allein reisende Frauen, auch mit Kindern, werden in

der Praxis separat untergebracht. Rückzugsmöglichkeiten sind häufig vorhanden.

Alternative Wohnmöglichkeiten für schutzbedürftige

Geflüchtete in Gefährdungslagen konnten bisher bei den genannten Einrichtungen durchaus realisiert werden.

Um Informations- und Hilfsangebote nutzen zu können,

müssen die Betroffenen Kenntnis davon haben. Entsprechende Anlaufstellen sind durchaus vorhanden, aber zum Beispiel über das Willkommensportal des Landes oder eine Vernetzung regionaler Partner ausbaufähig.

Das Landesprogramm Kinderschutz und der Landes

aktionsplan für die Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in MecklenburgVorpommern sind bereits Beispiele, mit denen die Beschäftigten in der Erstaufnahmeeinrichtung und den Gemeinschaftsunterkünften geschult werden können.

Sehr geehrte Abgeordnete, das wichtige Anliegen des Antrages konnte bisher nicht als gemeinsames Vorhaben umgesetzt werden. In einigen Punkten laufen die Forderungen der GRÜNEN den Entscheidungen im Land und vor Ort leider hinterher. Wir werden den Antrag heute ablehnen. Ziel muss es aber sein, in der zukünftigen Arbeit einheitliche Standards zu formulieren und festzuschreiben und weitere Punkte in die Diskussion zu bringen. Dazu zählen unter anderem Gemeinschaftsunterkünfte nur für Frauen und Kinder, Gewährleistung von Sprachmittlungsleistungen, regelmäßige mehrsprachige Informationen der Bewohnerinnen und Bewohner über ihre Rechte, die Vernetzung der Unterkünfte mit dem Hilfesystem gegen geschlechtsspezifische Gewalt, Sensibilisierung des Personals von Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften, Aufnahme von geschlechtsspezifischen Aspekten in die Ausbildung von Betreuungs- und Wachpersonal und die gemischtgeschlechtliche Besetzung des Wachschutzes.

Die EU-Aufnahmerichtlinie enthält Mindestnormen für die Aufnahme von Asylsuchenden in der Europäischen Union und verlangt von den Mitgliedsstaaten unter anderem, geschlechtsspezifische Aspekte bei der Unterbringung zu berücksichtigen. Da haben wir durchaus noch Umsetzungsbedarf.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Es ist alles in Ordnung. Es ist alles in Ordnung, hat der Minister gesagt.)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Ritter.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Frau Kaselitz, ich bin ja froh, dass Sie zumindest am Schluss Ihrer Rede noch Handlungsbedarfe dargestellt haben. Laut dem Innenminister ist aber alles in Ordnung im Land, also offensichtlich gibt es keinen Handlungsbedarf. Der Innenminister hat auch gesagt, kein Mensch würde diesen Antrag brauchen.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Die Frauen schon.)

Ich glaube aber, dass die besonders gefährdeten Flüchtlinge, die besonders gefährdeten Flüchtlinge diesen Antrag brauchen. Vielleicht sind diese ja aus Sicht des Innenministers keine Menschen, aber ich denke schon …

(Unruhe vonseiten der Fraktion der CDU – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Na, na, na! Was soll denn das?! Sind wir jetzt so ein bisschen …, oder was soll das?)

Nö, überhaupt nicht.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Na was soll das?!)

Die Reden, die hier gehalten werden, die spielen irgendwelchen Menschen in die Hände, lieber Wolf-Dieter Ringguth.

(Zurufe von Wolf-Dieter Ringguth, CDU, und Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Also sich hinzustellen und zu behaupten, kein Mensch würde diesen Antrag brauchen, geht einfach an den Realitäten vorbei, weil die besonders gefährdeten Flüchtlinge sind Menschen, Punkt.

(Michael Andrejewski, NPD: Gefährdet durch andere Flüchtlinge.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig dargestellt worden, dass in den vergangenen Monaten viele Menschen in unserem Land Höchstleistungen vollbracht haben bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen.

(Michael Andrejewski, NPD: Und Höchstprofite erzielt.)

Auch in Mecklenburg-Vorpommern ist es maßgeblich den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern zu verdanken, dass die Erstaufnahme und die anfängliche Orientierung der Flüchtlinge im Aufnahmeland so reibungslos funktioniert haben. Es wurden auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter anderem aus Landesbehörden, aus sozialen und medizinischen Einrichtungen, der Bundeswehr und gemeinnützigen Organisationen wie dem DRK eingesetzt, um die Erstaufnahme zu organisieren und zu unterstützen. Ich bin dankbar für den kompetenten und unermüdlichen Einsatz aller Beteiligten. Es

unterscheidet uns in der Tat, auch durch das Agieren des Innenministers, von vielen anderen Bundesländern, dass bei uns nicht Zustände herrschten, dass Flüchtlinge unter freiem Himmel schlafen mussten. Aber diesen eingeschlagenen Weg in dieser Konsequenz, den müssen wir jetzt weiter gemeinsam gehen, denn wir können nicht bei dieser Erstaufnahme, bei der Unterbringung stehen bleiben, sondern es geht jetzt um die Integration der zu uns Geflüchteten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt davon, dass es ohne die Tatkraft und Motivation, die alle diese Helferinnen und Helfer mitbrachten, nicht ganz so gut abgelaufen wäre. Denn mit strukturellen Verbesserungen zur Aufnahme, Unterbringung und Integration von Flüchtlingen, die meine Fraktion seit Jahren hier im Landtag eingefordert hat, wurde erst begonnen, als die Alarmstufe schon rot war.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Antrag enthält mehrere Punkte, die deshalb inhaltlich nachzuvollziehen und zu unterstützen sind. Allerdings wäre es für die bessere Nachvollziehbarkeit durch die Leserinnen und Leser des Antrages günstiger, Feststellungen in den ersten beiden Punkten auch als Feststellungen zu dokumentieren. Aber das ist Nebensache.