Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016

Sehr geehrte Damen und Herren, die vorliegende Strategie ist ein Kompromiss. Meine Fraktion hat einige ihrer Forderungen zurückgestellt, weil beide oder einer der beteiligten Partner diese nicht mittragen konnten. Andere Inhalte von uns wurden übernommen, weil beide oder einer der beteiligten Partner ihre Forderungen zurückgestellt haben. Jeder hat gegeben, jeder hat bekommen. Auch wenn wir zeitweise über einzelne Worte gestritten haben, haben wir uns geeinigt, geeinigt für die Kinder,

geeinigt für die Eltern und geeinigt für die Lehrkräfte, weil wir die Strategie für ein gemeinsames Lernen erarbeiten wollen. Das ist gelungen und ein bisschen stolz können wir darauf sein.

Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion vor allem bei den Mitgliedern der Experten- und Begleitgruppe bedanken, ohne die wir heute nicht mit unserer Strategie im Landtag stehen würden, und selbstverständlich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Schulabteilung im Bildungsministerium, die bis zur letzten Minute die Änderungen eingearbeitet haben, die sich durch die Anhörung ergeben haben. Schrittweise werden wir uns einem landesweiten flächendeckenden und zuverlässigen gemeinsamen Lernen nähern, für das aus meiner Sicht hauptsächlich drei Maßnahmen relevant sind:

Erstens. Es werden alle Lehrkräfte qualifiziert fortgebildet und damit macht das inklusive Lernen vor keiner Schulart halt. Von der Grundschule über das Gymnasium bis zu den beruflichen Schulen erhalten alle zusätzlichen Lehrkräfte und Erzieher eine zusätzliche Förderung für Kinder und Jugendliche mit Lernschwächen oder mit Begabungen.

Hier noch einmal, Frau Berger: Das eine ist die Unterrichtsversorgung für Grund-, Zusatz- und Anrechnungsbedarf, und das andere ist der Paragraf 9 Absatz 6 der Unterrichtsversorgungsverordnung, aus dem ich jetzt zitieren möchte: „Im Rahmen der ,Strategie der Landesregierung zur Umsetzung der Inklusion im Bildungssystem in Mecklenburg-Vorpommern bis zum Jahr 2020‘ werden schrittweise bis 2020 mindestens 240 Stellen bereitgestellt. Davon werden durch den Landeshaushalt spätestens zum Schuljahr 2017/2018 mindestens 100 Stellen für die Umsetzung der Inklusion zur Verfügung gestellt.“ Ende des Zitats.

Es ist also wichtig, erst zu lesen, dann nachzudenken, und anschließend, Frau Berger, eine Pressemitteilung zu verfassen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Rainer Albrecht, SPD: Sehr gut.)

Der zweite Punkt ist der, dass wir zusätzliche Lernangebote für Schülerinnen und Schüler mit starken Verhaltensauffälligkeiten schaffen werden, um sie künftig besser zu fördern. Damit nehmen wir Überforderungen aller Beteiligten zurück und schaffen für sie bessere Lernbedingungen.

Und drittens werden wir an den Regionalen Schulen und Gesamtschulen flexible Bildungsgänge einrichten, weil es immer Kinder und Jugendliche geben wird, die eine zusätzliche spezialisierte Unterstützung benötigen, um dann wieder Fuß zu fassen und anschließend weiter gemeinsam mit den anderen zu lernen.

Sehr geehrte Damen und Herren, unterschiedlicher können bildungspolitische Auffassungen zwischen SPD und CDU sowie LINKE oft gar nicht sein, aber trotz der unterschiedlichen Ansichten haben wir für das gemeinsame Lernen eine gemeinsame Position gefunden. Sie sehen also an unserem Beispiel, dass Inklusion gelingen kann. Wir haben es vorgemacht. Machen Sie mit und stimmen der Unterrichtung zu!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Reinhardt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch der längste Weg endet mit dem letzten Schritt, in unserem Fall heute...

(Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Simone Oldenburg, DIE LINKE: Oh, oh, oh! – Peter Ritter, DIE LINKE: Oh, so philosophisch heute, Herr Kollege! – Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

Ja, man muss auch philosophisch beginnen können.

Nachdem die Debatte gestern Abend im Innenausschuss etwas hitzig war, Herr Ritter, sehe ich, dass die Gemüter sich wieder etwas beruhigt haben. Heute geht ein vierjähriger Diskussionsprozess zu Ende und auch dieser letzte Schritt bedeutet im Fall der Inklusion lediglich den Beginn eines neuen, wahrscheinlich noch viel längeren Weges, auf den wir uns aufmachen. Das bedeutet, dass diese Strategie, so, wie wir sie heute beschließen werden, wovon wir ausgehen, vor Ort mit Leben erfüllt und vor allem in unseren Schulen auch umgesetzt werden muss. Es geht dabei um unsere Kinder, die ihren individuellen Leistungen entsprechend gefördert und in unseren Schulen beschult werden sollen. Inklusion kann da nach unserer Auffassung nur mit Augenmaß erfolgen. Das bedeutet, inklusives Lernen muss Schritt für Schritt umgesetzt werden und muss dabei, so haben es meine Vorredner ja auch schon gesagt, mit allen Beteiligten umgesetzt werden.

Am Beginn, wir haben das heute schon gehört, standen die Beratungen und die Empfehlungen der Expertenkommission. Daraufhin haben wir uns mit vier Fraktionen auf einen Inklusionsfrieden geeinigt und wollten diesen gemeinsam über mehrere Legislaturperioden umsetzen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – auch das haben wir heute schon gehört – hat sich quasi kurz vor Schluss von Bord gestohlen

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Unmöglich! Unmöglich!)

und sich schmollend in die Ecke zurückgezogen.

(Heiterkeit bei Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden sicherlich von Frau Berger heute erneut mehrere Ausreden zu diesem Thema hören. SPD...

(Zuruf von Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ob das eine Auszeichnung ist, Herr Saalfeld, dass man das große Schild,

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das scheint Sie ja in gewisser Weise zu beunruhigen.)

wir sind die letzte wahre Opposition, vor sich her trägt, glaube ich, wird diesem Thema nicht gerecht.

SPD, CDU und LINKE wollen mit dem heutigen Beschluss eine Leitlinie vorgeben, an der sich in den nächs

ten Jahren und auch über den 4. September hinaus alle Akteure ausrichten können.

Was ist der CDU – wir haben ja gehört, es waren Kompromisse, Frau Oldenburg hat es gesagt, wir haben uns öfter in längeren Diskussionen, so würde ich es mal beschreiben, aufeinander zu bewegt und ich habe dann von Frau Oldenburg gelernt, dass wir quasi die erste erfolgreiche Inklusion sind, indem diese drei Fraktionen am Ende einen Kompromiss gefunden haben –, was war nun aber der CDU in diesem Kompromiss wichtig? Ich habe es schon gesagt: die Umsetzung dieses Konzeptes der Inklusion mit Augenmaß und die Umsetzung Schritt für Schritt. Wir werden auch in Zukunft die Landeszentren Hören und Sehen in Neukloster und in Güstrow erhalten und diese Einrichtungen zu Leiteinrichtungen ausbauen, damit die Schulen mit spezifischer Kompetenz vor Ort vernünftig angeleitet werden.

Drittens. Wir werden auch die Gymnasien personell stärken. Die Begabtenförderung ist Bestandteil der Inklusion. Hierzu stellen wir extra 35 Stellen zusätzlich zur Verfügung. Insgesamt, das haben Sie von Frau Oldenburg und auch von Frau...,

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Von Frau Butzki. – Heiterkeit vonseiten der Fraktion der SPD)

Beinahe hätte ich es so gesagt.

... das haben Herr Butzki und Frau Oldenburg auch schon gesagt, werden wir schrittweise 240 Stellen zusätzlich zur Verfügung stellen, um die Inklusion in unseren Schulen zum Erfolg zu bringen. Die CDU-Fraktion ist dazu bereit, auch über den 4. September hinaus diesen gemeinsamen Weg weiterzugehen, und wird heute selbstverständlich dieser Strategie zustimmen. Danach liegt es an uns allen und den Beteiligten vor Ort, dass dieser Weg Schritt für Schritt weitergegangen wird und dass das Ziel im Sinne unserer Kinder erreicht wird.

Deshalb stimmen wir heute mit großer Freude nach vierjähriger Diskussion dieser Strategie der Landesregierung zu und freuen uns gemeinsam mit Ihnen auf die Umsetzung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU und Simone Oldenburg, DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der NPD der Abgeordnete Herr Petereit.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vermutlich haben gerade mal die Mitglieder des Bildungsausschusses die vorliegende Unterrichtung gelesen

(Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Da irren Sie sich aber, Herr Petereit. – Zuruf von Simone Oldenburg, DIE LINKE)

und so wird dem Gros unter Ihnen entgangen sein, dass der Greifswalder Professor Classen ein Gutachten zur Inklusion in Mecklenburg-Vorpommern erstellt hat. Darin bekräftigt er den Standpunkt der NPD, dass die UNBehindertenrechtskonvention lediglich eine möglichst weitreichende, jedoch keine hundertprozentige Inklusion von Schülern mit Behinderung fordert. Das belege bereits der Entstehungskontext. Ebenso legt er dar, dass die

rechtlichen Rahmenbedingungen für die Schulbildung in unserem Bundesland bereits jetzt das geforderte Leitbild des inklusiven Unterrichts verwirklichen, denn grundsätzlich entscheidet der Erziehungsberechtigte, ob ein Kind eine allgemeine Schule oder eine Förderschule besucht. Diese Erkenntnis wischt die Landesregierung mit der Feststellung beiseite, dass dies nicht zwingend heiße, dass keinerlei rechtlicher Anpassungsbedarf bestünde. Was nicht ist, kann ja noch werden, heißt es.

An diesem grundsätzlichen Punkt unterscheiden sich bereits die Auffassungen von Ihnen, den Inklusionsfriedensstiftern, und uns. Statt in jedem Bundesland neben den üblichen Experimenten mit der Schulausbildung nun auch nach Lust und Laune und Parteibuch die Inklusion mal total und mal weniger total zu verwirklichen, sind wir der festen Überzeugung, dass am Förderschulsystem in der bisherigen Form festgehalten werden sollte.

Was allerdings ganz oben auf der Tagesordnung stehen muss, ist nach wie vor die Schaffung eines bundesweit einheitlichen Schulsystems. Denn was Sie bei aller Nächstenliebe um die Diskussion um die gemeinsame Beschulung von behinderten und normalen Schülern verdrängen, ist,

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Alle sind normal, bis auf Sie! – Michael Andrejewski, NPD: Normal ist nicht unbedingt gut. – Zuruf von Stefan Köster, NPD)

dass alle gleichsam benachteiligt werden, wenn sie den Schulstandort aus irgendeinem Grund ändern müssen, und das gerade, weil jedes Bundesland beziehungsweise jede Landesregierung im jetzigen Bildungssystem mehr oder weniger machen kann, was sie will.

In der Vorlage wird ein Bild von der Umsetzung der Inklusion gemalt, was mit der Realität wenig zu tun hat. So wird beispielsweise inklusionsförderlicher Unterricht beschrieben mit klar strukturiertem Unterrichtsprozess, hohem Anteil echter Lernzeit, lernförderlichem Klassenklima, freundlich anerkennendem Lernstil, inhaltlicher Klarheit, sinnstiftender Kommunikation, Methodenvielfalt und Beachtung individueller Ausgangslagen durch Formen von Differenzierung.

In Bremen wurde die inklusive Beschulung bereits vor vier oder sogar vor fast fünf Jahren eingeführt und dort sind die Lehrer und Schüler trotz aller Lobhudelei inzwischen auch in der Realität angekommen. Es ist eine Tatsache, dass ein Lehrer ohne Sonderpädagogen in der Klasse nicht in der Lage ist, sich um die Schüler mit und ohne Förderbedarf zu kümmern.

(Zurufe von Jochen Schulte, SPD, und Peter Ritter, DIE LINKE)

Lehrer sagen dort über den Unterricht in der Inklusionsklasse, dass es sich anfühle, wie, Zitat, „sich 45 Minuten lang … im Schleudergang einer Waschmaschine zu befinden“. Konkret äußerte einer gegenüber der „Zeit“ einen Wunsch, den er seit Jahren mit sich herumtrage, Zitat: „Ich möchte endlich mal wieder dahin kommen, dass mein Unterricht nicht zufällig gut verläuft, sondern weil ich ihn gut geplant habe“.

Trotz aller Hoffnung ist man nun bereit, endlich Auswege zu finden. Das sieht dann so aus, dass für die einzelnen

Unterrichtsfächer Kurse für die unterschiedlichen Leistungsgruppen angeboten werden, also für gute und für leistungsschwache und Inklusionskinder. Und selbst aus den Kursen werden die Inklusionskinder immer wieder herausgenommen für den Einzelunterricht, um noch mal von vorn den Stoff zu vermitteln.

Unterm Strich hat man also nichts gewonnen, im Gegenteil. Auch bei den Schülern sind die Illusionen geplatzt, und zwar auf beiden Seiten. Die einen ärgern sich darüber, dass sie im Stoff aufgrund der Inklusionsschüler zu weit zurückliegen, und fordern die Trennung, zudem habe jedes Lernniveau sowieso sein eigenes Lehrbuch, was auch kein gemeinsames Lernen sei. Und dann sind da noch die anderen, die sich nur mit ebenfalls Leistungsschwachen abgeben, weil sie sich gegenseitig am besten helfen können.

Das sind die Ergebnisse von inklusiver Beschulung, welchen Rechenschaft zu leisten ist. Von daher stehen wir gegen den Zwang zu einer einzigen Schulart, in der alle Kinder, egal ob mit oder ohne Behinderung, unterrichtet werden sollen, und mahnen erneut an, dass bei all Ihrer ideologischen Blindheit die Förderung von normalen Schülern nicht zu kurz kommen darf. – Vielen Dank.