Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag, den wir Ihnen vorgelegt haben und den Frau Präsidentin gerade benannt hat, „Einfach wählen gehen – barrierefrei“, verfolgt zwei Ziele. Das erste Ziel besteht darin, Werbung zu machen für eine möglichst hohe Wahlbeteiligung, und das zweite Ziel, aus dem zweiten Punkt hervorgehend, besteht darin, etwas zu tun, in diesem Fall die Landesregierung aufzufordern, für barrierefreies Wählen zu sorgen, im Verbund mit anderen Verantwortlichen selbstverständlich.
Weil es im vorangegangenen Tagesordnungspunkt so gut geklappt hat mit der Abstimmung einzelner Punkte des Beschlussantrages, möchte ich an dieser Stelle für unsere Fraktion beantragen, auch die einzelnen Punkte abzustimmen, also die Ziffern I und II getrennt abzustimmen.
(Torsten Renz, CDU: Weil der zweite so schlecht ist, da sehen Sie ein, dass wir da nicht zustimmen können, ne? Das war der Grund.)
Das würde ich gar nicht so sehen, Herr Renz. Wir werden, denke ich mal, darüber noch die Debatte führen. Sie nehmen ja sozusagen mit ein paar abfälligen Bemerkungen schon die Einschätzung vorweg,
Wir haben heute in einem anderen Zusammenhang, nämlich in der Debatte über die Verfassung des Landes schon auf die tendenziell sinkende Wahlbeteiligung bei den letzten Landtagswahlen hingewiesen. Sie betrug im Jahr 1998 79,4 Prozent, im Jahre 2002 70,6 Prozent und ist im Jahre 2011 auf einen Tiefpunkt von 51,5 Prozent gesunken.
Auch wenn möglicherweise mit der nächsten Landtagswahl eine höhere Wahlbeteiligung verbunden sein könnte, ist dies kein Naturgesetz, sondern eine Frage politischen Geschehens. Die Wahlbeteiligung, wie wir wissen, steht nämlich im engen Zusammenhang mit dem Gefühl, aber nicht nur mit dem Gefühl, sondern auch mit dem Erleben, selbst mitgestalten zu können. Die Wahlbeteiligung steht im engen Zusammenhang damit, mit dem
Gefühl und dem Erleben, dass sich Einmischung für die Einzelnen lohnt. Wir sind der Auffassung, würde Politik mehr im Interesse von Mehrheiten gemacht, würden sich auch mehr an den Wahlen beteiligen. Es gilt aus unserer Sicht die Formel: Je ärmer, desto Nichtwähler.
Diese Formel will ich ganz kurz erläutern. Das Göttinger Institut für Demokratieforschung hat im Mai 2016 eine Studie herausgebracht, wie es sich denn verhält mit dem Zusammenhang zwischen sozialer Situation und Wahlverhalten. Sie kommt zu dem Schluss, ich zitiere: „Je prekärer die Lebensverhältnisse in einem Ortsteil, desto weniger Menschen gehen wählen.“
Das ist aber nicht nur die Einschätzung eines einzelnen Instituts. Auch die Bertelsmann Stiftung hat sich dieser Fragen angenommen und kommt zu der Erkenntnis, vor allem Angehörige sozial benachteiligter und bildungsferner Schichten ziehen sich übermäßig aus dem Politischen zurück und kommen dann, ich zitiere, zu der Erkenntnis: „Soziale Spaltung führt zur demokratischen Spaltung der Gesellschaft.“ Im Übrigen, Merkmale sozialer Spaltung sind nicht allein Fragen der sozialen Situation und der Einkommensverhältnisse, soziale Spaltung speist sich auch aus Abstiegserfahrungen und Abstiegsängsten. Sie speist sich auch aus dem Empfinden, sich abgehängt zu sehen beziehungsweise in einer Region zu leben, die abgehängt wird oder die man als abgehängt betrachtet. All das gilt es zu berücksichtigen, wenn es um ein Werben für eine möglichst hohe Wahlbeteiligung geht.
Im zweiten Teil unseres Antrages – ich habe gerade darauf verwiesen – geht es uns um ein Hinwirken auf barrierefreie Wahlen. Ich brauche nicht zu betonen, dass es für die Durchführung barrierefreier Wahlen eine ganze Reihe von rechtlichen Geboten gibt, allen voran die UN-Behindertenrechtskonvention mit ihrem Prinzip des Dazugehörens. Auch der vom Bundeskabinett am 3. August 2011 beschlossene Erste Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland zur UN-Behindertenrechts- konvention benennt im Artikel 29, der trägt die Überschrift „Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben“, klare Vorschriften. Aus denen will ich ganz kurz etwas zur Kenntnis geben. Also worum geht es dabei? Es geht darum, Wahllokale so auszuwählen und einzurichten, dass allen Wahlberechtigten, insbesondere behinderten Menschen, die Teilnahme an der Wahl erleichtert wird.
Es soll darum gehen, dass sich Wählerinnen und Wähler, die den Stimmzettel nicht kennzeichnen, falten oder in die Wahlurne werfen können, sich der Hilfe einer anderen Person bedienen dürfen,
dass blinde oder sehbehinderte Wählerinnen und Wähler zur Kennzeichnung des Stimmzettels eine Stimmzettelschla…, eine Stimmzettelschablone, Entschuldigung, benutzen können.
(Torsten Renz, CDU: Hilfen im Wahllokal stehen zur Verfügung beziehungsweise es wird eine Telefonnummer angerufen. – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)
Herr Renz, Sie haben nachher immer noch die Möglichkeit, hier vorne ans Podium zu gehen, und ich bitte, von Monologen Abstand zu nehmen.
Das kennt man aus anderen Zusammenhängen. In diesem Fall begehren Sie auf, also offensichtlich ist da ja wohl ins Schwarze getroffen worden.
Also zu den rechtlichen Grundlagen gehören natürlich auch die Paragrafen 8 und 9 des Landes- und Kommunalwahlgesetzes unseres Landes, aus denen sich Fragen der barrierefreien Wahlen begründen.
Warum nun ein Antrag, wo doch die Rechtsvorschriften klar sind und wo Herr Renz schon aus den mittleren, um nicht zu sagen hinteren Reihen bekannt gibt, dass ja alles in Ordnung ist?
(Torsten Renz, CDU: Was soll die Bemerkung mit den hinteren Reihen? Ist nicht jeder Abgeordnete gleichwertig, Herr Koplin? Warum betonen Sie das denn so?)
Ja selbstverständlich, aber wir sitzen in unterschiedlichen Reihen. Herr Renz, warum sind Sie heute so aggro drauf?
Warum? Weil zwischen dem, was an Rechtsvorschriften und Geboten auf Papier fixiert ist, und dem, was Lebenswirklichkeit ist, doch einiges auseinanderfällt. Es gibt vieles, was wunderbar ist und was gut und zu würdigen ist, das ist keine Frage.