Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema Whistleblowing beginnt vielversprechend. Der Landtag wird aufgefordert, sich der Auffassung der Justizministerkonferenz anzuschließen, dass „die bestehenden Möglichkeiten zum Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern einer Überprüfung bedürfen“. So weit, so gut. Da stimme ich mit Ihnen, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, absolut überein. Das ist aber auch nicht überraschend, denn deswegen habe ich am Zustandekommen dieses einstimmigen Beschlusses der Justizministerkonferenz mitgewirkt und ihm eben auch zugestimmt.
Die Bedeutung des Whistleblowing hat in letzter Zeit national wie international – und das nicht nur durch Edward Snowden – erheblich zugenommen. Eine umfassende Prüfung der Auswirkungen und möglicher gesetzgeberischer Forderungen steht jedoch bislang aus. Deswegen hat sich die Justizministerkonferenz des Themas angenommen. Im Ergebnis der Beratungen wurde die Bundesregierung gebeten zu prüfen, ob eine gesetzliche Regelung zum besseren Schutz von Whistleblowern nö- tig ist. Bisher gibt es nämlich nur vereinzelte gesetzliche Vorschriften und Einzelfallentscheidungen der Gerichte. Das haben Sie sehr richtig gesagt, Frau Borchardt.
Diese Prüfung muss jedoch von der Bundesregierung insgesamt und nicht etwa nur von dem Bundesjustizminister allein vorgenommen werden. Das ergibt sich aus der Vielschichtigkeit der Fragestellungen. Von Whistleblowing sind häufig mehrere und vor allem auch sich teilweise überschneidende Rechtsgebiete betroffen. Das sind beispielsweise das Arbeitsrecht und das Gesellschaftsrecht sowie das Steuerrecht, aber auch das Medienrecht oder das Beamtenrecht. Es muss also erst einmal geklärt werden, wo konkrete Probleme oder auch Missstände vorhanden sind, für die das geltende Recht keine angemessene Lösung hat. Erst dann kann beurteilt werden, ob dies eine gesetzgeberische Reaktion erfordert, und danach, wie diese aussehen könnte.
Die Landesregierung wird selbstverständlich ihren Teil dazu beitragen, für einen angemessenen Schutz von Whistleblowern zu sorgen. Sie wird sowohl die Prüfung als
auch etwaige Gesetzgebungsvorhaben konstruktiv begleiten und unterstützen, wenn nötig aber auch kritisch.
Allein bis hierhin geht aber die Übereinstimmung mit Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, denn schauen wir uns Punkt II Ihres Beschlussvorschlages an: Sie möchten, dass der Landtag die Landesregierung auffordert, den an die Bundesregierung gerichteten Beschluss der Justizministerkonferenz zügig umzusetzen. Ich frage Sie: Wie soll das denn gehen? Das zeugt von einem tief greifenden Missverständnis der Rollenverteilung, meine Damen und Herren. Die Bundesregierung ist am Zug, nicht die Landesregierung. Der Vorsitzende der Justizministerkonferenz – Ihr Parteifreund, mein brandenburgischer Kollege Ludwig – übermittelt den Konferenzbeschluss an die Bundesregierung und dann beginnt die von mir beschriebene Prüfung, die ebenso wie ein mögliches sich daran anschließendes Gesetzgebungsvorhaben sehr konstruktiv begleitet wird.
Selbst umsetzen können wir den Beschluss der Justizministerkonferenz allerdings nicht. Ebenso wenig macht es irgendeinen Sinn, heute einen Vorratsbeschluss zu fassen, sich gegebenenfalls auf Bundesebene für den Erlass eines entsprechenden Gesetzes einzusetzen, bevor das Ergebnis der erbetenen Prüfung überhaupt vorliegt und bevor überhaupt klar ist, wie gesetzgeberische Folgerungen aussehen könnten. Damit, meine Damen und Herren, wird es Sie im Ergebnis nicht überraschen, dass dieser Antrag aus meiner Sicht – bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung im Ausgangspunkt – abzulehnen ist. – Ich danke Ihnen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir hörten es, entscheidende Hinweise zu Gammelfleischskandalen, Notständen in Pflegeheimen oder Bestechungsvorwürfen bei Großunternehmen stammen häufig von couragierten Mitarbeitern aus den betroffenen Unternehmen. Viele Beispiele im Lebensmittel-, Gesundheits-, aber auch Finanzbereich zeigen, dass Hinweisgeber ein hohes Risiko eingehen, wenn sie über Missstände im Betrieb informieren.
Sehr geehrte Damen und Herren, der deutsche Whistleblower-Schutz beschränkt sich auf vereinzelte Vorschriften und Einzelfallentscheidungen von Gerichten. Während in anderen Ländern Hinweisgeber, sogenannte Whistleblower, durch Gesetze geschützt sind, gehen sie in Deutschland ein hohes Risiko ein. Bisher muss die Preisgabe eines Missstandes durch die Rechtsprechung im Einzelfall geprüft werden. Das führt zu Rechtsuntersicherheiten für den Einzelnen. Viele Missstände können aber ohne Hinweisgeber, also allein durch die Behörden, kaum ermittelt werden. Wir brauchen auch in Zukunft Menschen, die den Behörden Hinweise geben. In vielen Fällen können nämlich nur Insider Licht in das Dunkel bringen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hatte daher bereits in der 17. Wahlperiode den Entwurf eines Gesetzes zum
Schutz von Hinweisgebern in den Bundestag eingebracht. Dieser wurde jedoch im Juni 2013 vom Bundestag abgelehnt.
Ich darf an dieser Stelle daran erinnern, dass das Beamtenstatusgesetz eine Durchbrechung des Verschwiegenheitsgrundsatzes enthält. Demzufolge dürfen Beamte neben den Katalogstraftaten des Paragrafen 138 StGB, die die Anzeigepflicht regeln, auch Korruptionsstraftaten nach den Paragrafen 331 bis 337 StGB direkt bei der Staatsanwaltschaft anzeigen.
Sehr geehrte Damen und Herren, der Schutz von Arbeitnehmern, die durch ihre Hinweise auf Missstände oder gar kriminelle Handlungen ihrer Arbeitgeber Zivilcourage beweisen, ist weiter zu stärken.
Deshalb wurde das Thema in den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD für die 18. Wahlperiode des Bundestages aufgenommen.
(Heiterkeit bei Patrick Dahlemann, SPD: Sehr weise, sehr weise. – Heiterkeit und Zuruf von Manfred Dachner, SPD)
Dort heißt es zum Informantenschutz im Arbeitsverhältnis, dass beim Hinweisgeberschutz geprüft wird, ob die internationalen Vorgaben hinreichend umgesetzt sind.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, auch die Justizministerkonferenz hat auf ihrer Tagung Anfang Juni 2016 zum Tagesordnungspunkt „Gesetzliche Regelung des Schutzes von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern“ einen Beschluss gefasst, wonach die bestehenden Möglichkeiten zum Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern einer Überprüfung bedürfen:
„Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung von frühzeitigen Hinweisen auf Missstände in Unternehmen, Behörden und Organisationen und im Hinblick auf internationale Vorgaben bitten die … Justizminister die Bundesregierung um Prüfung, ob der Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern einer gesetzlichen Regelung bedarf.“
Sehr geehrte Damen und Herren, der vorliegende Antrag enthält zwar keine neuen Aspekte, er ist aber geeignet, dem Beschluss der Justizministerkonferenz, den wir als SPD-Fraktion ausdrücklich begrüßen,
Leider kann selbst die Tatsache, dass die CDU die Justizministerin unseres Landes stellt, die CDU-Fraktion nicht dazu bewegen, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen.
Die SPD-Fraktion ist daher leider gehalten, den Antrag aus Koalitionsgründen abzulehnen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In der vergangenen Woche wurde Antoine Deltour in Luxemburg für zwölf Monate auf Bewährung verurteilt und erhielt zusätzlich eine Geldstrafe. Sie haben es sicherlich in den Nachrichten verfolgt. Ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC, der gemeinsam mit Antoine Deltour eine Vielzahl von Dokumenten von PwC veröffentlicht hatte, wurde zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Die beiden Männer haben einen der größten Steuerskandale Europas öffentlich gemacht und aufgezeigt, wie namhafte Unternehmen durch moralisch fragwürdige Steuermodelle, die von PwC erarbeitet und betreut wurden, Steuerzahlungen in Milliardenhöhe vermieden haben.
Warum wurden diese beiden Männer nun durch ein Gericht verurteilt, obwohl sie doch eigentlich einen Dienst für die europäische Gesellschaft und den europäischen Steuerzahler geleistet haben? Meine sehr geehrten Damen und Herren, weil es in Europa keinen umfassenden Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern gibt, und auch in Deutschland fehlt bisher ein entsprechendes Gesetz, um Menschen wie Antoine Deltour vor Sanktionen zu bewahren.
Die ständige Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister hat somit mit ihrem Beschluss auf der Frühjahrskonferenz 2016 den Finger in die Wunde gelegt. Seit Jahren wird in Deutschland auf verschiedenen Ebenen über dringend notwendige Schutzmaßnahmen für Whistleblower diskutiert und gestritten. Aber dabei stechen immer wieder zwei Parteien heraus, die offensichtlich kein großes Interesse daran zeigen, die rechtliche Position von den Menschen zu stärken, die durch ihr mutiges Handeln im Sinne der Gemeinschaft Missstände, Verbrechen und Schäden öffentlich bekannt machen.
Genau diesen Menschen verweigern die SPD und die CDU seit Jahren die notwendige Rückendeckung, und es sind vor allem, Frau Drese, auch die Sozialdemokraten, die sich mit ihrem politischen Taktieren in diesem Thema in den vergangenen Jahren unglaubwürdig gemacht haben. Aber bevor ich auf den Zickzackkurs der SPD eingehe, möchte ich darlegen, was aus Sicht der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ganz grundlegend wichtig für den Whistleblower-Schutz in Zukunft ist, und abschließend gehe ich dann auch noch auf den Antrag der Fraktion DIE LINKE ein.
Wenn es ein umfassendes Gesetz zum Schutz von Whistleblowern beziehungsweise Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern geben soll, muss dies natürlich auf Ebene des Bundes erfolgen. Die GRÜNEN-Bundestagsfraktion
hat deshalb im November 2014 einen eigenen Gesetzentwurf zur Förderung von Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern vorgelegt. Ziel der Gesetzesinitiative war es, dass die Bundesregierung endlich ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen solle und einen bundesweit geltenden Rechtsrahmen schafft, der Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern den notwendigen Schutz garantiert. Es ist dabei wichtig zu verstehen, dass Whistleblower nicht nur ehemalige Geheimdienstmitarbeiter wie Edward Snowden sind, nein, es sind auch Altenpfleger/-innen, die über katastrophale Zustände in der Pflege von bedürftigen Menschen nicht schweigen wollen und können, und auch die Fachverkäuferin in einer Bäckerei, die die ausbleibende Bezahlung von Arbeitsstunden aufdeckt, auch diese Personen sind Whistleblower.
Weil gerade in so vielen Lebensbereichen die Notwendigkeit besteht, die Menschen zu schützen, die Ungerechtigkeiten und Missstände aufdecken wollen, hat der Gesetzentwurf der GRÜNEN-Bundestagsfraktion viele Änderungen im Arbeitsrecht, im Strafrecht, aber auch im Bundesbeamtengesetz vorgesehen. Die parlamentarische Initiative wurde, das wissen Sie vielleicht, leider von der Großen Koalition abgelehnt, auch ein entsprechender Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag wurde abgelehnt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade weil diese Thematik so komplex ist, müssen auf Bundesebene endlich verlässliche Rechtsnormen verabschiedet werden. Deutschland hat sich hier schon mehrmals im Rahmen von internationalen Abkommen verpflichtet. Auf dem G20Gipfel in Seoul im November 2010 hat sich die Bundesrepublik in einem gemeinsamen Beschluss mit den anderen Mitgliedsstaaten dazu bekannt, bis 2012 gesetzliche Vorschriften zum Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern zu verabschieden. Ein Jahr später legte die OECD ein Best-Practice-Kompendium zur Umsetzung eben solcher Vorschriften vor, welches von der G20Staatengemeinschaft im November 2011 bestätigt und den Mitgliedsstaaten zur Umsetzung nahegelegt wurde.
Im selben Jahr sprach der Europäische Gerichtshof im Übrigen – der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – ein wegweisendes Urteil. Frau Borchardt hatte es schon vorgestellt, aber ich wiederhole es gerne noch mal: Eine Altenpflegerin aus Berlin hatte zuvor Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber gestellt, da sie erhebliche Mängel bei der Pflege von Menschen befürchtete, und wurde daraufhin entlassen. Die deutschen Gerichte hatten die Kündigung für rechtmäßig erklärt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jedoch sieht hier einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit, da die Altenpflegerin in ihrem Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt werden muss.
Auch der Europarat, in dem Deutschland im Übrigen bekannterweise Mitglied ist, verlangt von seinen Mitgliedern ein Hinweisgeberschutzgesetz. Mit der Ratifizierung der UN-Konvention gegen Korruption im November 2014 hat sich Deutschland ebenfalls dazu verpflichtet, den Schutz von Personen zu gewährleisten, die Angaben über Missstände machen. Es gab also eine Vielzahl von Anlässen und Verpflichtungen auf Bundesebene wie auf internationaler Ebene, aber eben eine Vielzahl von Anlässen, auf Bundesebene endlich tätig zu werden. Selbst die SPD-Bundestagsfraktion hat ja dann im Februar 2012 einen eigenen Gesetzentwurf für ein Hinweisgeber
schutzgesetz vorgelegt, damals aber noch in der Rolle der Oppositionspartei und mit dem politischen Kalkül, von den damaligen Enthüllungen durch Edward Snowden möglicherweise zu profitieren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, da uns das politische Rückgrat der SPD-Fraktion auch in Bürgerrechtsfragen spätestens seit der Vorratsdatenspeicherung in schillernden Farben vorgeführt wurde, schaffte es das Whistleblower-Schutzgesetz natürlich nicht in den Koalitionsvertrag der damaligen oder auch der heutigen Großen Koalition auf Bundesebene. Dieser Zickzackkurs der SPD ist politisches Kalkül gewesen auf dem Rücken derjenigen, die in ihrer gesellschaftlichen Existenz von Sanktionen bedroht sind, weil sie den Mut hatten, Ungerechtigkeiten öffentlich zu machen.
Es bleibt allerdings nicht nur bei der Untätigkeit von SPD und CDU, es ist in diesem Jahr auf europäischer Ebene sogar noch zu einer Verschlechterung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber gekommen. Das muss hier auch mal deutlich gesagt werden. Denn die Große Koalition im Europaparlament hat mit einer europäischen Richtlinie Tür und Tor für die Bestrafung von Whistleblowern geöffnet. Auch Journalistinnen und Journalisten befürchten mit der Verabschiedung der sogenannten Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung erhebliche Einschnitte für ihre Arbeit. Dabei ist die Arbeit der Medien so essenziell für eine funktionierende Demokratie.