Protokoll der Sitzung vom 15.03.2012

(allgemeine Unruhe – Vincent Kokert, CDU: Wir sind hier nicht im Kinderferienlager.)

Aus den jährlichen Kulturfinanzberichten der statistischen Ämter können wir entnehmen, wie hoch der Pro-KopfAufwand für die Denkmalpflege in den einzelnen Bundesländern ausfällt. Da sah der Bericht von 2008, der die Zahlen von 2005 ausweist, Mecklenburg-Vorpommern als Schlusslicht unter den Flächenländern. Zwei Jahre später zeigt das Land dann aber, es ist noch weniger möglich. Für 2007, die Einnahmen waren gestiegen, die Ausgaben hingegen nicht, stehen wir bei minus 28 Cent pro Einwohner.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ja, wie kommt das denn?)

Eine negative Ausgabensumme, besser lässt sich der Sachverhalt kaum darstellen.

Die Denkmalpflege, die gesamte Landesarchäologie genießt in diesem Land bei dieser Regierung null Stellenwert, eher sogar einen negativen.

(Vincent Kokert, CDU: Sehr richtig.)

Derweil verfallen wertvolle Kulturgüter. Resultat der Untätigkeit: unwiederbringliche Verluste, Werteorientierung vernichtend.

Denjenigen von Ihnen, die nicht erst seit dem vergangenen September dem Landtag angehören, wird das Thema und einiges an unserem Antrag bekannt vorkommen, denn das Problem ist nicht neu und wir sind nicht die Ersten und Einzigen, die darauf hinweisen.

Am 5. Juni 2002 schrieb der damalige Leiter des Landesamtes für Bodendenkmalpflege Friedrich Lüth an das Kultusministerium, und ich zitiere: „Abschließend darf ich Sie an die Dringlichkeit der Angelegenheit erinnern, die Einbäume beginnen zu zerfallen!“ Das war wie gesagt vor fast zehn Jahren. Und was hat sich seitdem in Mecklenburg-Vorpommern im Bereich der Landesarchäologie getan? Die Einbäume sind zerfallen. Das ist die denkbar schlechteste Variante. Wir stellen daher fest, die Dringlichkeit des Handelns besteht weiter.

Vielleicht war und ist das Ministerium ja der Meinung, die Archäologie, die denke ja eher in Jahrhunderten und Jahrtausenden, da habe auch der Begriff „Dringlichkeit“ eine ganz andere Bedeutung als sonst. Ein linguistisch interessant klingender Ansatz, aber leider falsch. Für die Langsamkeit des Handelns gibt es hier keine billige Entschuldigung, denn diese Zeitleiste, Ihre Zeitleiste, ist einfach nur unverantwortlich.

Fünf Jahre nachdem Herr Lüth den Brief an das Kultusministerium schrieb, wurde ein Standortentwicklungskonzept vorgelegt. Dort heißt es: 2013, frühestens, wird das im Konzept vorgesehene neue Depot möglicherweise angefangen zu bauen. 2023 vielleicht, möglicherweise aber auch später, könnte der Bau fertig werden, denn die Bauzeit ist auf 10 Jahre ausgelegt. Sollte das so umgesetzt werden, heißt das, das kulturelle Erbe unseres Landes wird erst über 20 Jahre nach dem Verfall der Stralsunder Einbäume sichere Lagerbedingungen vorfinden. Soll ich lieber fragen, was bis dahin alles noch unwiederbringlich zerstört ist, oder besser, was bis dahin überhaupt noch übrig ist?

Ich sagte soeben, möglicherweise wird 2023 etwas fertig gebaut sein. Sicher sein können wir uns da keineswegs, denn die Landesregierung hält sich ja nicht einmal an die eigenen allzu bescheidenen Vorgaben. Minister Tesch versprach im Mai 2011 hier unter anderem Folgendes: 15 zusätzliche Stellen solle es für die Sicherung und Umlagerung der gefährdeten Funde geben, zwei neue Stellen für die Unterwasserarchäologie sollten geschaffen werden. Der Kernsatz lautete: Es sollte eine Abkehr von alten Provisorien geben. Sechs Monate später gilt das nicht mehr, denn auf unsere Kleine Anfrage im Dezember letzten Jahres teilte uns die Regierung mit: Keine einzige Stelle ist mehr vorgesehen. Bis 2015 sollen vielmehr drei weitere Stellen im Bereich der Bodendenkmalpflege wegfallen. Wir fragen uns: Wie passt das zusammen?

Was das Land wirklich für seine Landesarchäologie ausgibt, habe ich am Anfang meiner Ausführungen gezeigt. Im Prinzip weniger als nichts. Eine Abkehr von allen

Provisorien können Sie so selbstverständlich nicht erreichen. Mit unserem Antrag weisen wir einen Weg, wie eine tatsächliche Abkehr von allen Provisorien aussehen sollte, und zwar schnellstmöglich,

(Dr. Margret Seemann, SPD: Genau, aber ohne anzugeben, wie das finanziert werden soll.)

denn wir wissen, was Dringlichkeit bedeutet. Wir wollen eine adäquate Personalausstattung der Landesarchäologie, wir wollen eine ausreichende finanzielle Ausstattung.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Ja, sagen Sie, wo das Geld herkommt!)

Wir wollen eine gute mediale Auswertung und optimale Präsentation der archäologischen Funde.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Geben Sie die Gegenfinanzierung an!)

Wenn wir nun das Potenzial betrachten, das eine funktionierende, gut ausgestattete Landesarchäologie bietet, dann müssen wir zudem feststellen: Wir verstehen diese Nullausgabenpolitik einfach nicht. Warum behandelt das Land Mecklenburg-Vorpommern sein kulturelles Erbe seit Jahren wie lästigen Ballast? Gibt es in dieser Regierung wirklich niemanden, die oder der erkennt, was zum Beispiel die Vermarktung der Archäologie bringen kann? Die anderen vier neuen Bundesländer haben erkannt, dass eine gut ausgestattete Landesarchäologie zu einer positiven Landesentwicklung beiträgt. Sie geben daher überdurchschnittlich viel Geld für diesen Sektor aus. Nur Mecklenburg-Vorpommern tanzt aus der Reihe.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Sie brauchen nur einmal nach Sachsen-Anhalt zu blicken, um zu sehen, welches Renommee archäologische Funde einem Land bringen können – Stichworte Lutherhaus, fossile Elefantenfunde von Neumark beziehungsweise die Himmelsscheibe von Nebra.

Es ist ja nicht so, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern keine archäologischen Schätze hätten. Ich denke an die Funde entlang der Opal-Trasse. Die kleine, aber feine Ausstellung dazu fand unglaubliches Besucherinteresse und ein Medienecho. Jetzt ist die Ausstellung im Schloss Güstrow geschlossen – Grund: Geldmangel seitens des Ministeriums.

Ich denke an die derzeit laufenden Ausgrabungen auf dem bronzezeitlichen Schlachtfeld im Tollensetal. Diese Fundstelle ist eine archäologische Sensation und es gibt internationale Medienberichte dazu. Was könnte das Land aus dieser Ausgrabung alles machen? Jetzt wird in der Archäologie weiter gekürzt. Das erschwert oder verhindert natürlich auch die Vermarktung archäologischer Highlights. Ich bin ja durchaus dafür, unser Land nach außen realistisch darzustellen. Das heißt aber eben auch, wir sollten die positiven Dinge nicht verschweigen.

Was dem Nichtstun der Regierung aber die Krone aufsetzt: Sie schaffen nicht nur die notwendigen Personalstellen nicht, Sie sorgen vielmehr auch dafür, dass es im Land irgendwann keine Menschen mehr gibt, die sich auf diese Stellen bewerben können. Denn wo soll das wissenschaftliche Personal herkommen? Seit einigen Jahren ist an den Universitäten des Landes keine Immatrikulation im Fach

Ur- und Frühgeschichte mehr möglich. Im Sinne Ihrer Hochschulpolitik ist das leider konsistent. Wer nur auf Masse setzt und vermeintlichen Trends hinterherhechelt, wer mit dem Begriff „Fächerkombination“ nichts anfangen kann, der plant ohne Ur- und Frühgeschichte.

Hier bei der aktuellen Situation der Landesarchäologie sehen Sie nun ganz konkret, wohin die Vernachlässigung kleinerer Fächer, das Zusammenschrumpfen der Fächervielfalt führt. Es gibt am Ende kein Personal mehr, das wissenschaftlich kompetent zum Erhalt der hiesigen archäologischen Kulturgüter beitragen kann. Resultat: Die Kulturgüter verfallen.

Wir möchten daher mit unserem Antrag auch das Übel an den Wurzeln packen. Das Fach Ur- und Frühgeschichte muss wieder als eigenständiger Studiengang an den Universitäten in unserem Land studiert werden können.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ja, genau.)

Das ist im Übrigen das, was explizit in der Zielvereinbarung mit der Universität Greifswald drinsteht. Nur das Land muss seine Universitäten auch in die Lage versetzen, dass sie die Zielvereinbarungen umsetzen können. Das bedeutet auch hier, die Ausstattung muss stimmen, das Studium muss attraktiv sein, es muss die Möglichkeit geben, Fächer sinnvoll zu kombinieren. Für die Ur- und Frühgeschichte bedeutet das, dass Kombinationen mit Geschichte beziehungsweise Ethnologie, das gibt es zurzeit nur in Rostock, Kunstgeschichte, das wiederum gibt es gerade nur in Greifswald, und klassische Archäologie, das wiederum wieder nur in Rostock, möglich sein müssen.

Wer aber vom Studium kleinerer Fächer nichts versteht oder nichts verstehen möchte, treibt den begabten wissenschaftlichen Nachwuchs anderen Bundesländern zu. Auch das möchte unser Antrag verhindern. Wir müssen Wissenschaftler ausbilden, die mit den Besonderheiten unserer Region vertraut sind, um Stellen in unserer Bodendenkmalpflege überhaupt adäquat umsetzen zu können.

Wie Sie sehen, es gibt viele gute Gründe, der Landesarchäologie mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Es gibt viele gute Gründe, die Landesarchäologie finanziell angemessen auszustatten. Lassen Sie uns daher endlich handeln, um das kulturelle Erbe unseres Landes zu retten und vor allem für kommende Generationen zu bewahren!

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Margret Seemann, SPD: Jetzt sagen Sie mir mal die Finanzstelle!)

Frau Berger! Frau Berger, ich muss Sie noch auf etwas hinweisen. Ich möchte darum bitten, dass von der Begrüßung oder Nennung von Besucherinnen und Besuchern Abstand genommen wird. Dies ist kein übliches Verhalten. Das möchte ich so noch mal kundtun.

(Egbert Liskow, CDU: Dafür gibts einen Ordnungsruf. – Heinz Müller, SPD: Nein, Ordnungsruf nicht.)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Reinhardt von der CDU-Fraktion.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Kommt nicht erst der Minister?)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist das erste Mal in dieser Legislaturperiode, dass wir über die Landesarchäologie zu reden haben. Es ist aber nicht das erste Mal, dass wir in diesem Landtag über die archäologischen Sachverhalte reden. Bereits – die GRÜNEN werden das vielleicht mitbekommen haben – in der 5. Wahlperiode

(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das habe ich gesagt. Das haben Sie vielleicht nicht mitbekommen.)

unter dem damaligen zuständigen Minister Henry Tesch

(Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Schlimm genug, dass wir heute immer noch darüber reden müssen.)

wurde durch Einbringung seitens der damaligen Landtagsfraktion der FDP diese landesarchäologische Thematik mehrmals auf die Tagesordnung gesetzt.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Nun sitzt die FDP nicht mehr im Landtag – auch das haben ja alle mitbekommen –,

(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Und was ist passiert? – Zuruf von Heinz Müller, SPD)

also übernimmt, wie es scheint, die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN diesbezüglich ihren Platz. Ist ja auch logisch, sie sitzen ja auch quasi an der gleichen Stelle.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Jahr 2006 wurde damit begonnen, das Standort- und Entwicklungskonzept „Depotneubau“ zu entwickeln, das alle 15 Standorte mit über 500.000 archäologischen Fundstücken im Land berücksichtigt. An allen Standorten wurden die konkreten Bedingungen analysiert, die Fachbedarfe unter Einbeziehung aller Abteilungen detailliert definiert. Auch wurde ein präzises Unterbringungskonzept erarbeitet, welches die erforderlichen Baumaßnahmen, die zeitlichen Abläufe und den Mittelbedarf beinhaltet, die Interimsunterbringung nicht zu vergessen.

Kurzum, die Umsetzung des Konzeptes soll noch in diesem Jahr erfolgen. Der Baubeginn mit den Werkstätten und den anschließenden Depots in der Schweriner Stellingstraße, wir haben es von Frau Berger gehört, wird voraussichtlich kommendes Jahr starten und für die Dauer von circa zehn Jahren anhalten. Bis zur Fertigstellung werden für sämtliche Lagerungs- und Restaurierungsaufgaben die bereits landesweit vorhandenen Depots sowie das Klimadepot in Wiligrad genutzt. Einzelne Depots, von denen eine akute Gefährdung für

das dort gelagerte Kulturgut ausgeht, sind bereits aufgelöst worden.

Sie sprechen dann weiter an, Frau Berger, oder Sie fordern, die Studienrichtung Ur- und Frühgeschichte an der Universität Greifswald wieder in Form eines eigenständigen Studienganges umzuwandeln. Mit dieser Fachrichtung werden ur- und frühgeschichtliche Themen in der Lehre und Forschung eingebracht. Deshalb ist dies ausdrücklich in der Zielvereinbarung vom 12.01.2011 zwischen der Universität Greifswald und dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur festgehalten.