Auch wenn im Vergleich der Jahre 2005 und 2010 die Zahl der in Hartz IV lebenden Kinder leicht zurückgegangen ist, sage ich Ihnen, das geht mir zu langsam. Jedes Kind in Armut ist eines zu viel.
Und die Auswirkungen von Kinderarmut liegen auf der Hand, sie sind seit Jahren sichtbar und verstärken ebenfalls seit Jahren die Negativeffekte für unser Land. Wir haben seit Jahren bundesweit den höchsten Anteil an Jugendlichen ohne Schul- und Ausbildungsabschluss. Wir haben seit Jahren, trotz guter Belegungsquote in den Kitas – das ist ja gestern noch mal deutlich geworden –, den höchsten Anteil auffälliger Kinder im Vorschulalter. Seit Jahren verlassen junge, gut ausgebildete Menschen unser schönes Bundesland und seit Jahren arbeiten Zehntausende Beschäftigte außerhalb unseres Landes, pendeln also Tag für Tag und Woche für Woche, um ihre Familien über die – in Anführungsstrichen – „Runden zu bringen“.
Nach sechs Jahren Großer Koalition hier im Land ist immer noch mehr als ein Fünftel der Bevölkerung direkt von Armut betroffen. Meine Fraktion wird nicht müde werden,
auf diesen politischen Skandal von Armut, insbesondere Kinderarmut, in einem der reichsten Länder aufmerksam zu machen.
Meine Fraktion hat auch dieses Thema mehrfach schon hier im Landtag aufgerufen und wir machen nicht nur darauf aufmerksam, wir fordern Abhilfe – und das sofort! Meine Fraktion fordert deshalb die Landesregierung mit diesem Antrag auf, sich mit externen Fachleuten über Maßnahmen zu verständigen, mit denen wirksam Armut von Familien beendet werden kann.
Wichtigste Aufgaben sind die Sicherung armutsfester Einkommen und die Einkommensverbesserung für Familien und Alleinerziehende. Der Bericht zur sozialen Lage von Familien und Kindern, ein von Ihnen in Auftrag ge
gebener Bericht, Frau Sozialministerin, sprach als wichtigste Handlungsempfehlung aus, dass Kinder in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen aufwachsen sollen, unabhängig von Transferleistungen. Doch wo ist die Umsetzung dieser Empfehlung aus dem Jahr 2007? Sicherlich werden Sie uns entgegenhalten: „Wir wollen doch einen Mindestlohn einführen.“ Zum Ersten ist da festzustellen, dass nur ein geringer Teil der Beschäftigten in Mecklenburg-Vorpommern von diesem Mindestlohn profitieren wird, da er nur bei Auftragsvergaben seitens des Landes gilt. Und zum Zweiten frage ich nur: Wann? In fünf Jahren? Weitere fünf Jahre, wo diese Empfehlung nicht umgesetzt wird?
Und wo wir beim Geld sind: Es ist nun mal Realität, dass wir es gegenwärtig leider nicht schaffen, alle Menschen in Arbeit, Armut – Entschuldigung –, in Arbeit zu bringen. Leider sind viele auf Hartz IV angewiesen, was Sie, meine Damen und Herren, zu verantworten haben. Ja, ich weiß, davon wollen viele nichts wissen.
Aber nicht nur Hartz IV, sondern auch die Höhe der Regelsätze ist menschenunwürdig, das sagen nicht nur Studien und meine Fraktion seit Jahren. Erst im Dezember 2011 hatten wir hier im Landtag die Forderung nach einer Normenkontrollklage erhoben, die von Ihnen leider mit – wie wir finden – lapidaren Ausreden abgelehnt wurde. Und gestern hat es erstmals in diesem Land nun auch ein Gericht in Berlin bestätigt: Die Berechnungsweise der Hartz-IV-Regelsätze ist grundgesetzwidrig!
Wenn die Landesregierung die Courage hätte, dann würde sie jetzt handeln. Sie würde ihren Anteil an der Verantwortung übernehmen und eine Normenkontrollklage einleiten, damit die betroffenen hilfebedürftigen Familien so schnell wie möglich grundgesetzkonforme und bedarfsdeckende Regelsätze erhalten. Alles andere ist eine gegen die Betroffenen gerichtete Politik. Deshalb wiederholen wir auch gerade mit Blick auf die Regelsätze der Kinder: Legen Sie Klage gegen diese Regelsätze ein! Überlassen Sie das nicht den Betroffenen, die Jahre für ein Urteil bräuchten!
Was wir weiterhin für unsere Kinder brauchen, sind der freie Zugang zu medizinischen Leistungen und eine gute Gesundheitsversorgung, die nicht vom Einkommen abhängig ist. Auch hier ist der bekannte Bericht sehr aufschlussreich. Danach gibt es in den Regionen Mecklenburg-Vorpommerns zum Teil erhebliche Unterschiede bei der kinderärztlichen Betreuung. Durchschnittlich kamen in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2007 insgesamt 1.316 Kinder unter 15 Jahre auf einen Kinderarzt. Das Bild ist zum Teil verheerend, wenn man sich die einzelnen Regionen konkret anschaut. Beispielsweise im damaligen Uecker-Randow-Kreis kamen 3.846 Kinder auf einen Kinderarzt, in Nordwestmecklenburg kamen 3.704 Kinder auf einen Kinderarzt und die Spitze bildete der damalige Landkreis Mecklenburg-Strelitz, wo 4.348 Kinder unter 15 Jahre auf einen Kinderarzt kamen. Das war 2007, aber 2012 bestehen diese Probleme im Grunde weiterhin.
Hier ist doch die Landesregierung gehalten, sich mit der Kassenärztlichen Vereinigung an einen Tisch zu setzen und Maßnahmen für eine gute Gesundheitsversorgung unserer Kinder, unabhängig vom Einkommen der Eltern,
zu ergreifen. Denn was nützen alle Vorsorgeuntersuchungen für unsere Kinder, wenn die Kinderärzte, die diese durchführen, unerreichbar oder sehr schlecht erreichbar sind?
Zum Schluss kann ich nur sagen: Handeln Sie endlich, anstatt vom Kinderland Mecklenburg-Vorpommern lediglich zu reden! Stimmen Sie unserem Antrag zu! – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich will zunächst eingehen auf den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der mir vorliegt, weil ich den im Inhalt zielgerichteter finde. Dieser Änderungsantrag sagt: „Die Beseitigung von Kinderarmut ist eine Kernaufgabe der Landesregierung. Dazu bedarf es keines Aktionsplanes. Gefragt ist vielmehr rasches, strukturiertes und engagiertes Handeln“, so die Begründung.
Und der Text: „Die Landesregierung wird aufgefordert, im Zusammenwirken mit Akteuren der Kinder-, Jugend- und Gesundheitshilfe, dem Sozial-, Bildungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktbereich, den kommunalen Spitzenverbänden, der Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, dem Landesjugendring und anderen relevanten Vertretern, Maßnahmen zur effektiven und nachhaltigen Bekämpfung der Ursachen und der Folgen der Armut von Kindern und Jugendlichen zu ergreifen.“
Ich greife diesen Antrag auf, weil ich deutlich machen will, dass wir die Ansätze auch – nicht nur aus den Regierungsfraktionen, sondern auch aus der Opposition, gerade, wenn es um Bekämpfung von Kinderarmut geht – sehr ernst nehmen, denn es ist richtig, die Bekämpfung der Kinderarmut ist eine der wichtigsten sozialpolitischen Aufgaben.
Und der Antrag der GRÜNEN greift einen Gedanken auf, den ich für richtig und wichtig halte, und der sich gerade in der neuen Konstellation der Landesregierung wiederfindet, und zwar, dass wir verzahnter denken müssen, dass es nicht reicht, einfach nur zu sagen, man muss mehr Geld geben oder man muss noch dieses und jenes machen, sondern dass wir verzahnt denken müssen, von der Arbeits-, Sozial-, Gesundheits-, Familien- und Bildungspolitik her, und dass es am Ende sogar auch ein Thema der Wirtschaftspolitik ist, dass man deshalb auch verzahnt mit den Partnern sprechen muss. Also das ist alles richtig, das Einzige ist nur, hier wird gesagt, wir müssen das, sollen das so machen. Ich kann nur sagen: Wir machen es schon längst so!
Ich will Herrn Koplin sagen, dass ich der Abgeordneten Frau Bernhardt gute Besserung wünsche und dass ich sie bisher erlebt habe als jemand, der sich auch diesem Thema sehr widmet, und dass ich, wenn sie das vorgetragen hätte, auch vielleicht hätte mehr verstehen können, als, Herr Koplin, wenn Sie es sagen. Weil, wenn Sie diesen Satz bringen: „Handeln Sie endlich!“, dann muss ich sagen, Herr Koplin, Sie wissen ganz genau, dass wir in den letzten Jahren sehr viel zu diesem Thema auf den Weg gebracht haben. Ich bin offen dafür, dass es noch mehr sein kann, weil ich finde, solange nur ein Kind in unserem Land in Kinderarmut aufwächst, lohnt es sich immer wieder, darüber zu diskutieren. Aber Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass in 2006 – Bilanz Sozialministerin Frau Dr. Linke – noch 56.500 Kinder in Kinderarmut aufgewachsen sind. Heute sind es 10.500 Kinder weniger, aber immer noch 46.000. Ich will damit sagen, dass sich in diesem Bereich etwas positiv bewegt, sage aber zugleich, dass 46.000 Kinder auch noch viel zu viel sind.
(Peter Ritter, DIE LINKE: Frau Dr. Linke kann man nun wirklich viel in die Schuhe schieben, aber dass sie für die Kinderarmut verantwortlich ist, ist ja wohl ein Witz.)
In dieser Altersgruppe haben die Kinder prozentual die Sachen …, also in dieser Altersgruppe sind die Kinder sozusagen prozentual ja eigentlich sogar weniger geworden. Das ist nicht der Grund, warum es sich ausgleicht.
Fakt ist, es leben weniger Kinder in Kinderarmut, aber es sind noch zu viele, das ist gar keine Frage. Ich störe mich bloß daran, dass die Linkspartei immer so tut, als ob hier gar nichts getan wird. Und wenn man einfach die Bilanz zieht 2006 – 2011, muss man feststellen, dass wir weniger Kinder in Kinderarmut haben und dass wir heute viel mehr Leistungen für diese Kinder ausgeben, als damals passiert ist.
Ich will auf einzelne Punkte eingehen. Nach meiner festen Überzeugung bedarf es einem Mix zur Bekämpfung der Kinderarmut, einem Mix aus guter Arbeit für die Eltern, guter Infrastrukturangebote, zu denen alle Kinder einen Zugang haben – vor dem Hintergrund der Chancengleichheit –, und natürlich auch materieller Unterstützung als dritter Punkt.
Ich will den ersten Punkt aufgreifen: Gute Armut – Armut der Kinder ist auch immer die Armut der Eltern. Gute Arbeit, Entschuldigung. Armut der Kinder ist auch immer die Armut der Eltern und die Armut der Eltern schlägt sich nieder, wenn Eltern entweder keine Arbeit haben oder Arbeit haben, und davon nicht existieren können. Und deswegen ist die Frage – die wir heute ausführlich ja auch debattiert haben – von guter Arbeit, von Mindestlöhnen, von Eindämmung von prekärer Beschäftigung, die zentrale Frage, um auch Kinderarmut zu verhindern. Sie wissen, dass wir da auf dem Weg sind mit der Frage eines gesetzlichen Mindestlohnes, aber auch mit der Frage: Wie können wir gerade Eltern von Kindern in Arbeit bringen? Und hier will ich darauf aufmerksam machen, dass ich gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit hier noch mal Extraprogramme aufgelegt habe, gerade Alleinerziehende besser in den Arbeitsmarkt zu
vermitteln. Und wir wollen einen Schwerpunkt setzen für die Vermittlung von Eltern, also von Eltern von Kindern, weil wir sagen, es kann nicht sein, dass die Eltern von Kindern in Dauerarbeitslosigkeit bleiben.
Zum Thema Infrastruktur – und hier können wir ja ganz konkret als Land noch viel mehr tun – will ich darauf hinweisen, dass wir dafür gesorgt haben, dass seit 2006 13.000 Kinder mehr unsere Kitas besuchen. Und unsere Kitas sind Bildungseinrichtungen. Wir haben also dafür gesorgt, dass 13.000 Kinder mehr als 2006 den Zugang zu dieser Bildungseinrichtung haben. Wir haben in der Großen Koalition dafür gesorgt, dass es ein kostenfreies Mittagessen für arme Kinder gibt. Wir haben dafür gesorgt, dass es zusätzliche Sozialpädagogen gibt. Wir haben dafür gesorgt, dass wir den Personalschlüssel kleiner machen,
um gerade die individuelle Förderung zu verbessern. Und wir werden genau daran anknüpfen: Wir werden die individuelle Förderung noch mehr verbessern durch kleinere Gruppen. Wir werden die Krippenbeiträge absenken, um gerade den Eltern, die ein paar Hundert Euro mehr als Hartz IV haben, entgegenzukommen und gerade hier den Einstieg in die Arbeitswelt auch zu erleichtern. Und, ich will noch mal darauf hinweisen, ein zentrales Kernstück der letzten KiföG-Novelle war, dass wir sagen, wir wollen insbesondere da, wo sich die soziale Benachteiligung richtig zuspitzt, in den sozialen Brennpunkten, zusätzlich helfen. Und ich habe es mir selber angeguckt in den verschiedenen Kitas, die Sozialpädagogen sind dort ein Segen, nicht nur für die Kinder, sondern für deren Eltern.
Und ich darf daran erinnern, dass es die Fraktion DIE LINKE war, die weder der gesetzlichen Einführung des kostenfreien Mittagessens, der Elternentlastung, noch der sozialen Brennpunktförderung zugestimmt hat.
Und da frage ich mich: Wie glaubwürdig sind Sie eigentlich, wenn wir 40 Millionen Euro für Kinder in diesem Land auf den Weg bringen – mit keiner Zustimmung von Ihnen?
Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel nennen – Infrastruktur: Das Land fördert flächendeckend mit 500.000 Euro den Einsatz von Familienhebammen. Wir haben 21 Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen, fachspezifische Beratungsangebote, 40 Schwangerschafts- und Schwan
gerschaftskonfliktberatungsstellen. Wir fördern 12 Familienzentren. Hier wurden 2011 nicht nur die Strukturen mit 98.000 Euro, sondern auch Projekte mit 148.000 Euro gefördert. Es gibt die Stiftung „Hilfen für Frauen und Familien“, die mittlerweile über 60 Prozent der Schwangeren unterstützt. Beim Bereich Kinder- und Jugendpolitik unterstützen wir Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung mit der Förderung von insgesamt 313 Schulsozialarbeitern mit circa 5 Millionen Euro. Das Land fördert 5 Produktionsschulen. Dieses Angebot haben seither über 2.000 junge Menschen genutzt und damit ihre Ausbildungschancen deutlich verbessert. Bisher konnten 50 Prozent der Teilnehmer in Ausbildung oder Arbeit vermittelt werden.
Und da bin ich bei einem zweiten Punkt: Wenn es um die Bekämpfung der Kinderarmut geht, müssen wir heute schon dafür sorgen, dass Jugendliche einen Schul- und Berufsabschluss bekommen, dass sie als zukünftige Eltern auch die Chance haben, Arbeit zu haben. Das Land stellt allein dafür insgesamt 10 Millionen Euro aus ESF-Mitteln zur Verfügung. Wir haben für die Frage des Kinderschutzes eine dauerhafte Förderung eingerichtet für den Kinderschutzbund, die Kinderschutzhotline eingerichtet und das Bündnis für Kinderschutz M-V auf den Weg gebracht.