Das sind doch die Fragen, die hier stehen. Warum gibt es hier nicht eine Ausbildungsumlage wie in anderen Bundesländern, damit die Kosten für die praktische Ausbildung gerecht verteilt werden?
Ja, meine Damen und Herren, wir haben bereits jetzt eine Zweiklassenpflege. Nicht jede und jeder kann bestimmte Wohnformen annehmen, wie zum Beispiel eine Senioren-WG, weil dort Zuzahlungen notwendig sind. Oder wir hören – gerade bei unserer Tour –, dass bestimmte Pflegeunternehmen es ablehnen, zu Pflegende in der ländlichen Region anzufahren.
Meine Damen und Herren, allein diese Beispiele, und viele andere, die ja in der Öffentlichkeit bekannt sind, zeigen, dass wir einen akuten Reformstau haben. Der ist in den letzten Jahren verursacht worden durch die aktuelle Politik in Bund und Land. Und dieser Reformstau muss aufgelöst werden. Sie wissen doch auch, dass wir diese Blockadesituation auf der einen Seite durch die Sozialpartner verursacht haben, auf der anderen Seite liegt ein Problem in der Pflegeversicherung, die einen Teilkaskocharakter hat. Wenn es uns nicht gelingt – so, wie es die SPD auch will und die Bündnisgrünen –, die solidarische Bürgerversicherung einzuführen, die Grundlage dafür ist, dass alle Bedürftigen eine gute Pflege bekommen und die Beschäftigten einen guten Lohn bekommen, dann werden wir uns auch noch in Zukunft
über einen Pflegenotstand in Mecklenburg-Vorpommern und Deutschland unterhalten. Und das ist aktuell, meine Damen und Herren! – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Pflege ist eine der zentralen sozial- und gesellschaftspolitischen Aufgaben unseres Landes. Mit höherem Alter, meist ab über 80 Jahren, steigt das Risiko einer Pflegebedürftigkeit deutlich. Nach den Bevölkerungsprognosen für unser Land wird der Anteil der über 80-Jährigen bis zum Jahr 2020 um 9 Prozent anwachsen. Der Anteil der an Demenz Erkrankten wird sich sogar bis zum Jahr 2030 verdoppeln. Wir haben bereits jetzt 60.000 Pflegebedürftige im Land, über 60.000, die unterstützt werden unter anderem in 263 Altenpflegeheimen mit 17.000 Plätzen, in 64 Tagespflegeeinrichtungen mit 1.000 Plätzen. 424 Pflegedienste sind in unserem Land unterwegs, die ambulante und stationäre Pflegeleistungen erbringen. Das sind 18.000 Pflegekräfte, die hier in unserem Land Dienst am Menschen machen, und denen gelten unser Dank und unsere Anerkennung für diese Leistung.
Der größte Pflegedienst aber ist immer noch die Familie. Wer Angehörige hat und nicht alleinstehend ist, wünscht sich zumeist eine Pflege im Familienkreis,
im häuslichen Umfeld. Die Menschen wollen zu Hause alt werden und von denen betreut werden, die ihnen vertraut sind, und auf der anderen Seite wollen die allermeisten für ihre Eltern, Lebenspartnerinnen und -partner oder Freundinnen und Freunde sorgen. Sie brauchen aber hierfür verlässliche, kompetente und vor allem bezahlbare Hilfen. Pflegen und gepflegt werden sind Teile des Lebensweges. Und weil pflegen und gepflegt werden Teile eines ganz normalen Lebensweges sind, braucht es mehr Licht auf dieses Thema und braucht es mehr Anerkennung für Pflege. Pflege muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen und gestaltet werden, bei der die Akteure mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen gemeinsam agieren. Und weil immer noch die Familien das größte Rückgrat beim Thema Pflege sind, gilt auch ihnen Dank und Anerkennung für diese Leistung, aber haben gerade sie zurecht neben den Fachkräften die Erwartung, dass Politik Rahmenbedingungen schafft, dass die große Aufgabe Pflege in Zukunft gestemmt werden kann.
Und ja, ganz Deutschland ist noch nicht genügend auf den Pflegebedarf vorbereitet und es gibt eine ganze Menge zu tun. Wir müssen den demografischen und fachlichen Herausforderungen natürlich gerecht werden. Gleichzeitig steigen die Erwartungen und die Zahlen durch die demografische Entwicklung und auf der anderen Seite gehen familiäre Unterstützungspotenziale zurück. Wir haben einen Geburtenrückgang, wir haben
zunehmend die Entfernung der jüngeren Menschen der Familie von den älteren. Eltern und Kinder wohnen nicht mehr zwangsläufig an einem Ort. Deshalb ist es wichtig, dass wir zu neuen Modellen kommen. Und mir ist es auch wichtig, deutlich zu machen, dass wir ja gerade die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wollen, und dass wir auch gerade wollen, dass auch Frauen eine höhere Erwerbstätigkeit haben und dass Frauen nicht mehr die Pflegekräfte der Nation sind. Deshalb müssen wir uns gleichzeitig etwas einfallen lassen, wie wir den Aufgaben, die für die Pflege und Betreuung auf immer weniger Schultern lasten, wie wir diesen Aufgaben gerecht werden können.
Dazu kommt die zunehmende Anzahl hochaltriger dementer Personen, die auch das Hilfesystem vor fachliche und neue Aufgaben stellt und auch Lücken offenbart. Das Hilfesystem offenbart auch Lücken in den gesetzlichen Grundlagen und im Leistungssystem des SGB XI, die geschlossen werden müssen.
Deshalb ist das Thema Pflege schon sehr, sehr lange Thema auf den Gesundheitsministerkonferenzen, den Sozialministerkonferenzen, wo es eine große Übereinstimmung, vielleicht nicht immer bei der Frage der Finanzierung, aber bei den Herausforderungen gibt, auch über Ländergrenzen und Parteigrenzen hinweg. Deshalb hat auch die Koalition in ihrem Vertrag das Thema Pflege sehr stark gemacht, vor allem mit dem Blick darauf, neben den stationären Angeboten zukünftig mehr Angebote zu unterstützen, die genau dem gerecht werden, was sich viele wünschen: so lange wie möglich zu Hause zu bleiben.
Deshalb ist es richtig und wichtig, immer wieder vor Ort zu sein, wie das sicherlich viele Abgeordnete der demokratischen Fraktionen tun. Aber einfach zu sagen, wir haben da mal im Sommer eine Pflegetour gemacht und wir wissen jetzt alles besser
Dennoch ist es immer wieder gut, wenn wir dieses Thema hier im Landtag haben, und es werden ja auch noch mehrere Anträge kommen, wo wir uns mit dem Thema Pflege beschäftigen.
Ich möchte sagen, diese großen Herausforderungen, die ich eben skizziert habe, deren Lösungen müssen sich an Grundsätzen orientieren, und mir wäre wichtig, dass man sich zunächst über Grundsätze verständigt. Für mich gibt es fünf Grundsätze:
Wir haben bei dem Thema „Pflege braucht Zeit“ eine große Baustelle. Alle, die sich seit Jahren um dieses Thema bemühen, wissen ganz genau, dass die Pflegefachkräfte und die Pflegekräfte und alle aus anderen Berufen, die diesen Bereich Pflege unterstützen, vor Ort massiv unter Druck stehen. Sie stehen unter Druck, weil ihnen die Zeit für die Qualität der Pflege fehlt und weil dann diese Zeit oft durch zu viel Bürokratie letztendlich noch geklaut wird.
In meinen Vor-Ort-Terminen habe ich erlebt, dass es Pflegefachkräfte gibt, die sich wieder als Pflegekräfte zurückstufen lassen haben, weil sie nicht mehr bereit waren, als Pflegefachkräfte 40 Prozent ihrer Zeit mit Dokumentation zu verbringen. Das zeigt ganz praktisch, wie hoch der Druck ist. Und die Pflegenden sagen mir immer: „Frau Schwesig, ich bin Pfleger geworden oder Pflegerin, weil ich bei den zu Pflegenden sein will und nicht am Computer sitzen will und so viel dokumentieren will.“ Deshalb finde ich, ist es ganz wichtig, dass wir zu mehr Bürokratieabbau kommen. Und ich fordere auch hier die Selbstverwaltung auf, Vorschläge zu machen. Sicherlich ist Transparenz wichtig, aber warum man dokumentieren muss, mit welcher Zahnpasta und welchem Duschbad jemand gepflegt wurde, erschließt sich mir nicht. Mir wäre es lieber, die Zeit ist dann wirklich für die Pflege da.
Ein zweiter Punkt: Wir brauchen einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff. Das ist auch schon seit Jahren großer Konsens. Es gab einen Pflegerat, der sich damit beschäftigt hat: Wie kommen wir denn zu mehr Zeit? Wir müssen weg von der Minutenpflege hin zu einer menschenwürdigen Pflege. Wie können wir das machen, dass wir besser berücksichtigen, was jemand braucht? Wenn man danebensteht und guckt, was kann derjenige, dann kann man bei einem Dementen feststellen, er kann sich waschen, er kann sich auch Zähne putzen, er hat also gar keinen Pflegebedarf. Das ist ein Trugschluss, denn er kann das noch alles und soll das auch machen, um aktiv zu bleiben, um selbstbestimmt zu bleiben, aber er braucht wegen der Demenz oft jemanden, der danebensteht. Und genau das muss in einem solchen Pflegebedürftigkeitsbegriff berücksichtigt werden.
Das sind zwei praktische Beispiele, die zeigen, dass wir weg von den drei Pflegestufen müssen, hin zu einem Pflegebedürftigkeitsbegriff nach fünf Stufen, der der Pflege mehr Zeit und Qualität gibt. Dieser Pflegebedürftigkeitsbegriff ist schon längst, 2009, vorgelegt worden vom Pflegerat, in dem übrigens Pflegeverbände, Pflegekassen, Länder, Kommunen, alle möglichen Akteure der Pflege sitzen. Und es grenzt fast an ein Wunder, dass diese Akteure, die oft so verschiedene Blickwinkel haben, sich geeinigt haben auf diesen Pflegebedürftigkeitsbegriff.
Umso mehr ist es nicht zu verstehen und umso mehr Frust herrscht vor Ort bei denjenigen, die mit Pflege zu tun haben, warum dieser Pflegebedürftigkeitsbegriff nicht umgesetzt wird. Ja, er kostet Geld. Aber wer Qualität in der Pflege will, wer dem Anspruch der Pflege gerecht
werden will, der muss bereit sein, den Menschen zu sagen, Pflege wird in Zukunft mehr Geld kosten und daran müssen wir uns gemeinsam solidarisch beteiligen.
Deshalb finde ich auch, dass es wichtig wäre, dass der Reformstau beim Pflegebedürftigkeitsbegriff aufgelöst wird. Und es ist enttäuschend – und da bin ich ja auch nicht alleine –, dass Herr Bahr eben nicht diese Reform mit diesem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff vorgelegt hat. Auf den Länderkonferenzen haben wir das auch gerade wieder kritisiert. Wir werden natürlich an diesem Thema dranbleiben, aber dieser Landtag kann diesen Begriff nicht umsetzen. Das muss man auch realistisch sagen.
Zweites wichtiges Thema neben „Pflege braucht Zeit“ ist natürlich das Thema „Pflegeberuf“. Der muss attraktiver werden. Deshalb braucht Pflege Anerkennung durch Qualität und bessere Löhne – dazu komme ich gleich –, aber wir müssen auch den Pflegeberuf attraktiver gestalten, um ausreichend Nachwuchs zu bekommen. Dazu muss sich das Image der Pflege ändern. Ich werbe dafür, dass nicht mehr gedacht wird, Pflege ist nur Füttern und Hintern abwischen – so wird oft geredet –, sondern dass jeder weiß, dass Pflege viel mehr ist, dass Pflege ein anspruchsvoller Job ist und dass wir diesen Pflegeberuf besser anerkennen müssen.
Und deshalb haben sich auch die Länder gemeinsam auf den Weg gemacht, dem drohenden Personalmangel entgegenzuwirken. Es gibt Positionspapiere, das müssten Sie auch wissen, sehr geehrte Abgeordnete der Linkspartei, denn gerade die A-Länder, da gibt es ja auch eine Gesundheitsministerin Ihrer Partei, haben gemeinsame Positionen erarbeitet.
Was aber ganz wichtig ist, dass sich gerade vor einigen Monaten alle Länder, unabhängig von Partei- und regionaler Zugehörigkeit, darauf geeinigt haben mit dem Bund – und das ist sehr gut –, dass wir zu einer einheitlichen Ausbildung im Bereich der Pflege kommen wollen und dass diese einheitliche Ausbildung dann natürlich auch einheitlich finanziert werden muss. Deshalb macht es zurzeit gar keinen Sinn, einen eigenen Weg zu gehen im Land, sondern wir beteiligen uns daran, dass wir zu einer einheitlichen Pflegeausbildung in Deutschland kommen, die einheitlich finanziert wird. Und selbstverständlich, wenn man die Ausbildung attraktiv machen will, dann kann man auf Dauer nicht zu den Leuten sagen, bringt noch Geld mit, sondern muss es unterstützen. Aber ich werbe dafür, dass wir bundesweit diesen gemeinsamen Weg gehen, wo auch dazugehören muss, dass man auf die Ausbildung aufdocken kann,
dass man Zukunft hat in der Pflege, wenn man da 20 Jahre ist, dass man auch noch in andere Bereiche wechseln kann.
Und dass das Land sich nicht engagiert bei der Ausbildung, stimmt schlicht nicht, das wissen Sie. Wir haben staatliche Ausbildungsplätze und wir finanzieren seit Jahren das dritte Jahr der Umschulung aus dem Europäischen Sozialfonds und haben gerade diese Plätze wieder aufgestockt, weil ich es wichtig finde, dass, wenn wir hier einen Fachkräftebedarf haben, die Menschen, die in ihrer Haltung und mit ihren Vorkenntnissen für diesen Beruf geeignet sind und jetzt noch arbeitslos sind, eine
Chance bekommen, in diesem Beruf zukünftig zu arbeiten. Ich bin sehr froh, dass alle Partner, die den ESF mit begleiten, unterstützen, dass wir das dritte Jahr der Umschulung finanzieren. Wir haben uns gerade mit der Bundesagentur für Arbeit geeinigt, dass wir diese Plätze aufstocken, und es gibt sogar positive Signale der Bundesregierung, dass dort wieder ins dritte Jahr eingestiegen wird, was gut ist. Aber noch mal, wir zahlen, genau wie Niedersachsen zum Beispiel, das dritte Jahr selbst.
Ein wichtiger Punkt, diesen Beruf attraktiv zu machen, ist natürlich die Lohnfrage. Das ist kein Thema, dass dies das allerwichtigste ist. Und das ist schon seit Jahren ein Thema: Wie können die Löhne in der Pflege besser werden? Dazu will ich erklären, dazu braucht es gute Pflegesätze. Und um es noch mal deutlich zu machen, diese Pflegesätze bestimmt die Landesregierung nicht, die kann auch der Landtag nicht bestimmen.