Protokoll der Sitzung vom 27.09.2012

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der „Frankfurter Rundschau“ vom 21. September kann man über den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung lesen, ich darf zitieren: „Wirklich neue Erkenntnisse liefert das Werk nicht. Aber es gibt einer bedenklichen Diagnose offiziellen Charakter. Dieses Land driftet auseinander. Trotz guter Konjunktur und wachsenden Reichtums werden die Gräben zwischen den Begünstigten und den Abgehängten immer tiefer.“ Ende des Zitats.

Ich teile diese Einschätzung und drücke diese Entwicklung wie folgt aus: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer.

Nach den Zahlen der Statistischen Ämter zur Armut und zum Armutsrisiko in der Bundesrepublik konnte Mecklenburg-Vorpommern erstmals die rote Laterne dieser beschämenden Statistik abgeben. Diese hat jetzt Bremen, wo im Jahr 2011 22,3 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner arm waren oder von Armut bedroht sind. Unmittelbar darauf folgt Mecklenburg-Vorpommern mit 22,2 Prozent. Das ist kein Ruhmesblatt für unser Land und schon gar nicht für die Landesregierung. Jeder fünfte Einwohner verfügt über weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens in der Bundesrepublik. Jeder fünfte Einwohner und jede fünfte Einwohnerin in Mecklenburg-Vorpommern ist nach der Definition der Europäischen Union arm.

Arm bedeutet, verzichten zu müssen. Arm bedeutet, weitgehend ausgeschlossen sein vom gesellschaftlichen Leben. Das Geld reicht schlicht nicht aus, um ins Theater zu gehen, ins Kino oder ins Museum oder auch eine Zeitung zu kaufen, ein Buch oder gar einen Film. Ja, es reicht oftmals nicht aus für ein anständiges Pausenbrot für die Kinder in den betroffenen Familien oder für eine warme Mahlzeit. Arme Familien, das wissen wir, haben es schwer, um über den Monat zu kommen, und sind auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. Die vielen Tafeln im Land, kostenloses Frühstück und Mittagessen für die Kinder, helfen, aber sie lösen das Problem nicht. Wer einmal arm ist, der kann sich fast nie aus eigener Kraft aus dieser Falle befreien. Wenig Lohn bedeutet auch wenig Rente und damit Armut im Alter.

Altersarmut in einem reichen Land, das haben die Bundesregierungen bislang immer geleugnet, das ist eben die neue Qualität an dem vorliegenden Armuts- und Reichtumsbericht. Ganz nach dem Motto: „Was es nicht geben darf, das gibt es auch nicht“, wird in allen Armutsberichten darauf verwiesen, dass es ja noch andere Einkünfte gäbe, die nicht erfasst seien. Gemeint sind beispielsweise betriebliche oder private Renten, mit denen die Rentnerinnen und Rentner ihre gesetzliche Rente doch aufbessern würden. In Mecklenburg-Vorpommern, meine Damen und Herren, gibt es aber kaum Menschen, die

ihre schmale Altersrente damit ergänzen könnten. Wie sollen die Beschäftigten bei den kargen Löhnen auch noch etwas auf die Seite legen?

Und auch das spricht eine deutliche Sprache: Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Alten, die sich mit einem Minijob ihre Rente aufbessern müssen, um 60 Prozent erhöht. Bundesweit arbeiten rund 120.000 Menschen, die älter als 75 Jahre sind, in einem 400-Euro-Job.

Meine Partei und Fraktion warnen seit Langem vor der sich ausbreitenden Armut, insbesondere der Altersarmut. Wir haben in den vergangenen Legislaturperioden zahlreiche Anträge eingebracht, in denen wir entschlossen den Kampf gegen Armut in all ihren Facetten eingefordert haben. Das haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, stets abgelehnt. Im April dieses Jahres haben wir die überfällige Angleichung der Rentenberechnung Ost an die Rentenberechnung West gefordert, um Altersarmut in den neuen Bundesländern zu verhindern. Auch das haben Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wiederum abgelehnt.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Weil der Ministerpräsident da sehr aktiv ist, Herr Holter. Das wissen Sie ganz genau.)

Zwar konnten wir den Ministerpräsidenten am Folgetag – wie auch heute, Herr Nieszery – genau mit dieser Forderung in der Öffentlichkeit hören.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja.)

Wo sind aber die konkreten Aktivitäten?

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wenn das so einfach wäre, Herr Holter, dann müssten wir nicht so viel darüber reden.)

Wenn wir Sie hier auffordern, im Landtag, im Bundesrat dementsprechend aktiv zu werden, lehnt die Koalition unsere Anträge ab.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wir werden auch ohne diese Aufforderung aktiv, das wissen Sie doch. Erzählen Sie den Menschen doch nicht so was, nicht den ganzen Tag.)

Das haben wir ja eben bei einem anderen Thema schon gehabt, wo wir zugestimmt haben, und deswegen, meine Damen und Herren, helfen hier schöne Worte überhaupt nicht weiter. Handeln ist angesagt,

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

und zwar von den Regierungsfraktionen und von der Landesregierung. Und da müssen Sie nicht nur tönen,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, ja.)

sondern Sie müssen endlich was für die armutsfeste Rente in Deutschland tun.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das machen wir doch, Herr Holter.)

In Mecklenburg-Vorpommern ist Altersarmut längst Realität. Schon im Jahre 2007, das sind die letzten Daten, die uns zur Verfügung stehen, erhielten mehr als

15.600 Menschen im Land Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Das waren 4,3 Prozent der Altersrentnerinnen und -rentner.

(Vizepräsidentin Regine Lück übernimmt den Vorsitz.)

Und wir müssen davon ausgehen, dass dieser Anteil weiter gestiegen ist und noch weiter rasant steigen wird. Vor allem in Ostdeutschland, rechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vor, sei mit einem drastischen Rückgang der Rentenzahlungen zu rechnen. Männer, die zwischen 1967 und 1971 geboren wurden, werden im Durchschnitt nur noch eine Rente von 600 Euro, Frauen von weniger als 500 Euro erhalten. Wie wir heute in einer Zeitung lesen konnten, beträgt die Durchschnittsrente in Mecklenburg-Vorpommern für Männer 1.000 Euro und für Frauen 652 Euro. Der Rückgang ist hier schon vorprogrammiert.

Mit den Vorschlägen zu einer Zuschussrente aus dem Hause von der Leyen oder auch mit der Solidarrente der SPD lassen sich die mutwillig gerissenen Löcher in der gesetzlichen Rentenkasse nicht stopfen. Damit die Menschen im Alter eine auskömmliche Rente zum Leben haben, muss das Rentenniveau von derzeit 51 Prozent auf 53 Prozent des Durchschnittseinkommens angehoben werden.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ah ja!)

Das Niveau darf nicht bei 43 Prozent landen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Und wer zahlt das am Ende, Herr Holter?)

Und genau das ist ja die Frage, vor der die SPD steht.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sie auch, Herr Holter.)

Wir können es in der Zeitung lesen.

Wir auch, ja natürlich. Und deswegen habe ich ja gesagt, meine Position ist, wir müssen zurück zu den 53 Prozent, ansonsten ist Altersarmut vorprogrammiert.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, und wer zahlt das jetzt?)

Zudem muss in der Rentenversicherung das Prinzip der Solidarität gestärkt werden. Wer ein Leben lang arbeitet, soll im Alter über dem Existenzminimum leben. Deshalb fordern wir eine armutsfeste Rente von mindestens 1.050 Euro. Das ist finanzierbar, wenn die Rentenversicherung konsequent solidarisch ausgerichtet wird und wenn alle Einkommensarten zur Finanzierung herangezogen werden. Und 1.050 Euro Mindestrente ist in der Bundesrepublik möglich, wenn gute Arbeit endlich gut entlohnt wird.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Nach 22 Jahren Deutsche Einheit, meine Damen und Herren, muss nun endlich Schluss sein mit der Ungleichbehandlung der ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner. Die Lebensleistungen im Osten sind doch nicht weniger wert als die der Frauen und Männer im Westen, und deshalb muss endlich die stufenweise Angleichung an das Westniveau kommen.

Und auch hier sage ich: Reden Sie nicht nur, Herr Sellering, tun Sie etwas, handeln Sie! Zum Beispiel fordern Sie einen Rentengipfel Ost, um zu erreichen, dass die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder mit einer Stimme reden, denn der Bundesinnenminister – er ist zuständig für Ostdeutschland – erklärt gegenüber der „Ostsee-Zeitung“, „die Angleichung“ der Ostrenten „wäre sofort möglich, wenn“ denn die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder mit einer Stimme reden würden.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Hört, hört!)

Also hier ist doch wohl wirklich Handeln angesagt, um hier einen Konsens zu erzielen, und genau darum geht es.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Der Vorwurf richtet sich aber nicht gegen unseren Ministerpräsidenten, Herr Holter.)

Und es geht auch darum, dass die Rente mit 67 wieder vom Tisch kommt, denn das ist nichts anderes, als den Rentnerinnen und Rentnern in die Tasche zu greifen. Das ist ein großer Diebstahl an den Rentnerinnen und Rentnern.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das unterstellen Sie aber nicht uns.)

Ich werde meine Position – Herr Nieszery, vielleicht noch mal zum Mitschreiben für Sie –

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Nee, brauche ich nicht. Nein, das brauche ich nicht, Herr Holter.)

wie folgt zusammenfassen: Arbeitsmarkt-, Lohn-, Sozial- und Rentenpolitik gehören unmittelbar zusammen. Wer heute eine armutsfeste Rente fordert, muss für den gesetzlichen Mindestlohn und die Tarifgebundenheit kämpfen, denn die gute Rente von morgen kann nur mit einer gut entlohnten Arbeit von heute erreicht werden. Wer heute eine armutsfeste Rente fordert, muss für eine solidarische Rentenversicherung eintreten. Alle müssen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, die Beitragsbemessungsgrenzen erst angehoben werden und dann zukünftig ganz entfallen.

Und wer heute eine armutsfeste Rente fordert, darf nicht dem sinkenden Rentenniveau zustimmen. Die solidarische Mindestrente ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht auf die Menschen in Form privater Vorsorge abgewälzt werden darf. Der Staat entzieht sich seiner Verantwortung und stellt die Menschen in die Verantwortung. Das kann einfach nicht sein, das ist zumindest nicht die Position der LINKEN.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, da gibt es nicht mal Beifall von Ihren Leuten, Herr Holter.)

Und wer heute über die Renten spricht, kann und darf sich nicht mit der Rentenungleichheit in Ost und West abfinden. Das ist eine Frage der Generationengerechtigkeit und nach 22 Jahren Einheit ein Gebot der Stunde. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Es ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten