Protokoll der Sitzung vom 05.12.2012

Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 6/1336 zur federführenden Beratung an den Agrarausschuss und zur Mitberatung an den Innenausschuss zu überweisen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Die Gegenprobe. – Und Enthaltungen? – Damit ist der Überweisungsvorschlag einstimmig angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 12: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Mecklenburg-Vorpommern (Strafvollzugsgesetz Meck- lenburg-Vorpommern – StVollzG M-V), das ist die Drucksache 6/1337.

Gesetzentwurf der Landesregierung Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Mecklenburg-Vorpommern (Strafvollzugsgesetz Mecklenburg- Vorpommern – StVollzG M-V) (Erste Lesung) – Drucksache 6/1337 –

Das Wort zur Einbringung hat die Justizministerin Frau Kuder.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch den vorliegenden Gesetzentwurf sollen die noch be- stehenden bundesgesetzlichen Regelungen durch Landesrecht ersetzt werden. Das hängt mit der Föderalismusreform aus 2006 zusammen. Sie wissen, damals wurde die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länder vorgesehen. Dieser Gesetzentwurf, der Ihnen zur Beratung vorliegt, beruht auf einem gemeinsamen Musterentwurf von insgesamt zehn Ländern, bei dem Mecklenburg-Vorpommern mitgewirkt hat, so, wie wir es auch beim Jugendstrafvoll- zugs- und Untersuchungshaftvollzugsgesetz gemacht haben.

Im Mittelpunkt dieses Gesetzentwurfes steht die Sicherheit der Bevölkerung. Und das wollen wir natürlich dadurch erreichen, dass wir alle Möglichkeiten nutzen, das Rückfallrisiko der Inhaftierten nach ihrer Freilassung zu reduzieren, und ich meine, so werden wir am ehesten auch dem Gedanken des Opferschutzes gerecht, denn bei jedem, der aus der Haft entlassen wird und nicht

erneut ein weiteres Opfer produziert, ich glaube, da haben wir den besten Opferschutz, den man sich denken kann.

Besonders wichtig ist mir, dass in den Entwurf die guten und bundesweit anerkannten Erfahrungen unseres Justizvollzuges hier aus Mecklenburg-Vorpommern eingeflossen sind. So wird im Gesetz das in unserem Land bereits standardisierte Diagnoseverfahren ebenso festgeschrieben wie die enge Verzahnung von Strafvollzug und Bewährungshilfe.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf basiert auf zwei Grundpfeilern. Zum einen ist es der Blick zurück, der Blick auf die Straftat und deren Ursachen. Und der zweite Blick ist nach vorne gerichtet: Wie können wir Straftäter wieder in die Gesellschaft integrieren? Denn wir müssen uns darüber im Klaren sein, alle Strafgefangenen werden früher oder später wieder in die Freiheit entlassen.

Und ich will Ihnen das an einer Zahl verdeutlichen. Etwa die Hälfte aller Strafgefangenen wird bereits nach einem Jahr aus der Haft entlassen. Und nicht nur deshalb müssen wir uns frühzeitig die Frage stellen, was wir mit den Gefangenen nach der Entlassung machen. Denn eines steht fest, meine Damen und Herren, je stabiler die Entlassungssituation, umso unwahrscheinlicher ist ein Rückfall. Zwar bescheinigt eine bundesweite Untersuchung unserem Land bereits jetzt eine erfolgreiche Arbeit, denn demnach kehren bei uns nur 21 Prozent der Gefangenen nach der Entlassung wieder in den Strafvollzug zurück, aber auch wenn wir damit bereits unter dem Bundesdurchschnitt von 25 Prozent liegen, mir ist diese Zahl immer noch zu hoch.

Notwendig ist daher zum einen ein verstärkter Blick auf die Ursachen der Straftat und die Möglichkeiten, die individuellen Defizite zu beseitigen. Und ein wichtiger Baustein ist dabei die Sozialtherapie. Sie leistet einen maßgeblichen Beitrag zur Reduzierung der Gefährlichkeit der Gefangenen. Und aus diesem Grund wird die Sozialtherapie neu ausgerichtet. Dort werden künftig nicht nur Sexualstraftäter, sondern auch Gewaltstraftäter behandelt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, an wenigen Stellen sind wir jedoch von dem Musterentwurf der Länderarbeitsgruppe abgewichen. Entgegen vor allen Dingen – und das ist mir wichtig –, entgegen anders lautender Berichte in den Medien wird die Arbeitspflicht nicht abgeschafft. Fakt ist allerdings, dass ein Großteil der Gefangenen aufgrund persönlicher Defizite gar nicht in der Lage ist, einer Vollzeiterwerbsarbeit nachzugehen. Vielmehr müssen sie durch arbeitstherapeutische Maßnahmen und Arbeitstraining erst an die Anforderungen eines Arbeitslebens herangeführt werden. Es wird aber auch zukünftig kein einziger Gefangener weniger arbeiten als bisher. Darüber hinaus ist es nun individuelle Verpflichtung eines jeden Gefangenen, an der Erreichung des Vollzugszieles mitzuarbeiten. Tut er das nicht, können beispielsweise Vollzugslockerungen nicht gewährt oder gegebenenfalls auch wieder entzogen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die beste Vollzugsplanung nützt aber nichts, wenn nicht sichergestellt werden kann, dass der Übergang vom Vollzug in die Freiheit gelingen kann. Es ist ein heikler und durchaus

auch schwieriger Punkt. Deshalb setzt hier der zweite Grundpfeiler des Gesetzes an, nämlich die Entlassungsvorbereitung. Gefangenen muss schon während des Vollzuges die Möglichkeit gegeben werden, sich in Lockerungen zu erproben.

An einem Punkt haben wir aber zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel gelassen, selbst wenn Sie in den Medien etwas anderes gelesen haben sollten: In MecklenburgVorpommern wird es auch in Zukunft keine Fristverkürzung der Mindestverbüßungszeit von zehn auf fünf Jahre bei der Gewährung von Langzeitausgang für Gefangene mit lebenslanger Freiheitsstrafe geben. Unsere Erfahrung zeigt, dass lebenslänglich Verurteilte ohnehin nicht vor Ablauf von zehn Jahren in den Genuss von Vollzugslockerungen kommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Resozialisierung ist allerdings nicht allein Aufgabe der Justiz. Für eine erfolgreiche Resozialisierung müssen viele Institutionen mitwirken. Der Verzahnung des Vollzuges mit diesen Institutionen kommt daher eine entscheidende Bedeutung zu, denn das Rückfallrisiko minimiert sich, wenn der Gefangene nach der Entlassung eine Wohnung beziehen kann, über einen Arbeitsplatz verfügt oder eine begonnene Ausbildung oder Therapie beenden kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auf einen Punkt möchte ich noch besonders hinweisen. Mit seiner Entscheidung vom Mai 2011 hat das Bundesverfassungsgericht Vorgaben nicht nur zur Sicherungsverwahrung, sondern auch für den vorgelagerten Strafvollzug gemacht. Schon während der Strafhaft müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Gefährlichkeit der Gefangenen, für die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten ist, zu reduzieren. Insbesondere muss gewährleistet sein, dass erforderliche psychiatrische, psychotherapeutische oder sozialtherapeutische Behandlungen zeitig beginnen, mit der gebotenen hohen Intensität durchgeführt und möglichst vor Strafende abgeschlossen werden.

Für all das hat uns das Bundesverfassungsgericht eine Frist bis zum 31. Mai 2013 gesetzt. Für die Sicherungsverwahrten wird es darüber hinaus ein eigenständiges Vollzugsgesetz geben. Dieser Entwurf wird dem Landtag in Kürze zugeleitet werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor Ihnen liegt ein Gesetzentwurf, mit dem Mecklenburg-Vorpommern nach dem Jugendstrafvollzugsgesetz und dem Untersuchungshaftvollzugsgesetz nun auch ein modernes und an neuesten Erkenntnissen ausgerichtetes Erwachsenenstrafvollzugsgesetz erhält. Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen in den Ausschüssen. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Ja, danke.

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Borchardt von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vor uns liegende Gesetzentwurf resultiert aus den Festlegungen zur Föderalismusreform II. Mit dieser Reform wurde entschieden, dass zukünftig die Kompetenz in Sachen Strafvollzug den Ländern übertragen wird. Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen, dass meine Fraktion sich entschieden gegen diese Übertragung ausgesprochen hat. Dafür hatten wir gute Gründe.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Der Ministerpräsident damals auch.)

Mit unserer Position standen wir auch nicht allein. Richtig, der Ministerpräsident hat sich damals auch dagegen ausgesprochen.

(Heinz Müller, SPD: Ja. – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Aber nun ist die Kompetenz bei den Ländern und wir müssen gemeinsam ein vernünftiges Gesetz auf den Weg bringen. Dass wir allerdings wieder unter Zeitdruck den vorliegenden Gesetzentwurf diskutieren sollen, ist aus unserer Sicht nicht allzu hilfreich. Aber das kennen wir ja nun schon. Die Regierung lässt sich Zeit zur Erarbeitung der Gesetzentwürfe, der Landtag muss dann unter Zeitdruck arbeiten.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Was? Fünf Monate!)

Unter Zeitdruck unter dem Gesichtspunkt, Herr Dr. Nieszery, wenn Sie sich den Arbeitsplan beziehungsweise den Kalender für 2013 ansehen, dann werden Sie feststellen, dass wir wenige Ausschusssitzungen insgesamt haben,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Na Sondersitzungen!)

dass wir auf der anderen Seite aber auch noch weitere Gesetzentwürfe – und die Justizministerin hat es eben noch mal gesagt –, nämlich zur nachträglichen Sicherungsverwahrung auf den Tisch bekommen. Das bedeutet für den Landtag, für den zuständigen Ausschuss, verstärkt Anhörungen, schnelle Anhörungen durchzuführen und eine schnellere Auswertung.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Dafür werden wir bezahlt.)

Ich hoffe, meine Damen und Herren …

Ja, Herr Dr. Nieszery, wir werden dafür bezahlt, aber ich sage Ihnen auch, ich werde auch dafür bezahlt, ganz konkret zu hinterfragen, mir Zeit zu lassen,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist ja auch okay, völlig in Ordnung.)

mich bei den Experten zu informieren,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das wollen wir ja auch.)

damit wir dann hier vom Prinzip her ein ordentliches Gesetz gemeinsam verabschieden können,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das wollen wir auch.)

wofür wir auch gemeinsam stehen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Und das kriegen wir auch in der Zeit wunderbar hin.)

Und ich glaube, insbesondere beim Strafvollzugsgesetz sollten wir diese Chance auch gemeinsam nutzen.

Ich hoffe, und das sage ich Ihnen ganz deutlich, dass die Abgeordneten der Regierungskoalition sich diesbezüglich mal mit ihren Ministerinnen und Ministern verständigen, weil ich denke, es geht hier hauptsächlich um eine deutliche Missachtung des Parlamentes, und dafür sollten Sie aus meiner Sicht auch nicht stehen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Also fünf Monate Beratungszeit sind keine Missachtung des Parlaments.)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung …

Herr Dr. Nieszery, fangen Sie nicht wieder an zu bellen!

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat in der Begründung zum Gesetz hohe Ansprüche formuliert. An uns liegt es nun zu bewerten, ob diese Ansprüche im vorliegenden Entwurf dann auch realisiert werden können oder nicht. Im Vordergrund steht in der Begründung des Entwurfes die Resozialisierung von Straftätern als einer der wesentlichen Eckpunkte dieses Gesetzes.

Hier heißt es: „Den Anforderungen an einen humanen, an rechts- und sozialstaatlichen Erwägungen und konsequent am Gedanken der Resozialisierung und Eingliederung der Strafgefangenen in die Gesellschaft ausgerichteten Strafvollzug trägt der Gesetzentwurf insbesondere durch folgende Vorgaben Rechnung …“ Es folgen die einzelnen Vorgaben.

Diesen Ansatz begrüßen wir. Ich will aber auch gleich betonen, dass das für uns etwas Selbstverständliches ist. Denn bereits 1973 forderte das Bundesverfassungsgericht: „Dem Gefangenen sollen Fähigkeiten und Willen zur verantwortlichen Lebensführung vermittelt werden, er soll es lernen, sich unter Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen.“