Diesen Ansatz begrüßen wir. Ich will aber auch gleich betonen, dass das für uns etwas Selbstverständliches ist. Denn bereits 1973 forderte das Bundesverfassungsgericht: „Dem Gefangenen sollen Fähigkeiten und Willen zur verantwortlichen Lebensführung vermittelt werden, er soll es lernen, sich unter Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen.“
Zur Begründung führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Vom Täter aus gesehen erwächst dieses Interesse der Resozialisierung aus seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 … in Verbindung mit Art. 1 GG … Von der Gemeinschaft aus betrachtet verlangt das Sozialstaatsprinzip staatliche Vor- und Fürsorge für Gruppen der Gesellschaft, die aufgrund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind; dazu gehören auch die Gefangenen und Entlassenen. Nicht zuletzt dient die Resozialisierung dem Schutz der Gemeinschaft selbst; diese hat ein unmittelbares Interesse daran, dass der Täter nicht wieder rückfällig wird und erneut seine Mitbürger oder die Gemeinschaft schädigt …“ Zitatende.
Hieraus hat das Gericht später sogar einen Anspruch auf Resozialisierung abgeleitet. Ich betone das an dieser Stelle noch einmal, weil leider oft vergessen wird, dass Resozialisierungsmaßnahmen keine Wohltaten gegenüber dem Strafgefangenen sind. Es ist ein Dienst im Sinne der Allgemeinheit.
Meine Damen und Herren, die Frage ist nun, inwieweit die Resozialisierung mit dem Gesetzentwurf auch tatsächlich umgesetzt werden kann. Ich greife an dieser Stelle einfach mal gewisse Punkte exemplarisch raus. Da wäre zunächst die neue Besuchsregelung für Kinder. Unabhängig von sonstigen Besuchszeiten sollen Kinder unter 14 Jahren ihre inhaftierten Eltern zwei Stunden monatlich besuchen können. Diesen Ansatz begrüßen wir ausdrücklich.
Allerdings stellt sich für uns die Frage, warum dieses Besuchsrecht nicht noch weiter ausgedehnt werden kann. Zwei Stunden monatlich ist nicht viel und man darf nicht vergessen, dass zum einen nicht die Kinder diejenigen sind, die bestraft werden sollen, und zum Zweiten die Entfremdung von den eigenen Kindern sich möglicherweise kontraproduktiv auf die Resozialisierung auswirken könnte.
Die Unterbringung von Müttern mit Kindern oder die Förderung von Ausbildung und Qualifikation sind ebenfalls Punkte, die zu begrüßen sind, das ist gar keine Frage. Die einzige Frage drängt sich bei solchen Maßnahmen nach der praktischen Umsetzung und vor allem der Finanzierung auf. Zusätzliche Mittel für die neuen Regelungen im Strafvollzug wurden im Haushalt nämlich nicht bereitgestellt.
Im Gesetzentwurf heißt es hierzu, dass der Entwurf nach gegenwärtigem Erkenntnisstand „kostenneutral“ ist. „Kostenneutral“ heißt bei dieser Regierung aber in der Regel, dass von allen Beteiligten mehr zu leisten ist, ohne dass gleichzeitig mehr Geld bereitgestellt wird. Das bedeutet mehr Arbeit für die Vollzugsbeamten.
Wenn ich mir aber die Situation in den Justizvollzugsanstalten ansehe, dann frage ich mich ernsthaft: Wie soll das praktisch umgesetzt werden? Vergessen wir nicht das Problem des nach wie vor enormen Krankenstandes der Mitarbeiter in den Justizvollzugsanstalten. Derzeit beträgt die Quote der Krankentage etwa 12 Prozent. Damit ist jeder Mitarbeiter in den JVAs jährlich durchschnittlich 33 Tage krank. Spitzenreiter ist hier die JVA Neubrandenburg mit durchschnittlich 45 Krankentagen pro Jahr. Und wenn man sich dann die Entwicklung der letzten Jahre anschaut, wird sich das auch in Zukunft nicht ändern.
Auch hier, denke ich, müssen wir gemeinsam darüber nachdenken, wie diese Situation verbessert werden kann, denn auch die Frage der Bereitschaft der Justizvollzugsbeamten beziehungsweise der Belastung der Justizvollzugsbeamten ist ein deutlicher Beitrag für die Resozialisierung.
Meine Damen und Herren, ich will auch nicht verhehlen, dass der Regierung mit diesem Gesetzentwurf der Mut fehlt, neue Wege zu gehen. Dabei meine ich ganz kon- kret die Frage der Haftlockerungen bei Schwerverbrechern. Dieses Thema wurde vor einiger Zeit öffentlich diskutiert und aus meiner Sicht völlig falsch dargestellt. Deshalb an dieser Stelle ein paar längere Ausführungen.
Im alten Strafgesetzbuch des Bundes sollten Gefangene mit lebenslangen Haftstrafen erstmalig nach zehn Jahren in den Genuss von Haftlockerungen kommen dürfen. Einige Justizminister sprachen sich nun öffentlich für die Einführung von Haftlockerungen nach fünf Jahren aus. In Hamburg zum Beispiel gibt es diesbezüglich gar keine Regelungen. Hier können die Strafgefangenen gleich nach dem ersten Tag einen Antrag stellen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Selbstverständlich soll die Möglichkeit einer Haftlockerung eine Kannbestimmung sein und in einer Einzelfallprüfung unter Einbeziehung von Experten erfolgen. Die Ministerin hat ja auf die Erfolge unseres Justizvollzuges hingewiesen, was die sozial-/psychotherapeutische Betreuung betrifft, und ich denke, da wäre auch ein Ansatz, hier mit den Experten über Einzelfälle ganz konkret zu reden.
Es geht hierbei nicht darum, dass Schwerverbrecher nach fünf Jahren wieder auf die Menschheit losgelassen werden. So wird es ja ganz populistisch dargestellt. Es geht darum, dass es auch Straftäter schwerster Verbrechen gibt, bei denen eine Wiederholungsgefahr praktisch ausgeschlossen ist, so zum Beispiel ein angenommener Fall, den die Justizministerin vor Kurzem im Rechtsausschuss im Zusammenhang mit der FoKuS-Datei sehr anschaulich vorbrachte, und zwar das der über Jahre misshandelten Ehefrau, die sich nicht anders zu helfen weiß, als ihren Ehemann nachts im Schlaf mit der Bratpfanne zu erschlagen. Diese Frau hat heimtückisch,
Ein schweres Verbrechen, ohne Frage. Aber warum soll diese Frau nicht die Möglichkeit von Haftlockerungen bekommen? Die Möglichkeit einer Einzelfallprüfung muss schon nach fünf Jahren gegeben sein, denn in diesem Fall ist wohl davon auszugehen, dass die Frau keine Wiederholungstäterin wird.
Zumindest wenn man es mit dem Resozialisierungsgedanken ernst meint, und davon gehe ich aus, dann müssen wir neue Wege gehen und, meine Damen und Herren, wir dürfen nicht zulassen, dass Opfer und Täter gegeneinander ausgespielt werden.
Nein, im Gegenteil. Der beste Opferschutz war schon immer Prävention, der beste Opferschutz ist eine erfolgsorientierte Resozialisierung. Ich bin mir bewusst, dass man mit dieser Position kaum Wählerstimmen ge
Ein weiterer Punkt, der mir ebenfalls sofort ins Auge fiel, war der neu verankerte Grundsatz zur Einzelunterbringung. Einzelunterbringungen sind wichtig. In letzter Zeit sind deutschlandweit viele Übergriffe unter Strafgefangenen durch die Medien gegangen, bis hin zum Mord an einem Jugendlichen durch Mitgefangene. Vollzugsexperten sehen als eine der wesentlichen Ursachen für derartige Taten die Gemeinschaftsunterbringung in den Haftanstalten.
Aus der Antwort auf meine Kleine Anfrage zur Insassensituation der Justizvollzugsanstalten antwortete die Landesregierung, dass derzeit 1.300 Gefangene in 1.135 Hafträumen untergebracht sind. Wir haben also im Optimalfall 165 Hafträume zu wenig. Tatsächlich sind sogar 180 Hafträume mit mehreren Insassen belegt. Allein in Bützow sind 47 Hafträume mit 3 oder gar 4 Ge- fangenen belegt. Wir hätten also Schwierigkeiten, die Einzelunterbringung tatsächlich zu gewährleisten. Und auch mit dem neuen Gebäude in der JVA Bützow sind Raumprobleme nicht auszuschließen. Wie soll also dieser Resozialisierungsanspruch beziehungsweise
Wenn ich in Paragraf 11 Absatz 2 lese, dass Gemeinschaftsunterbringung unter gewissen Umständen auch gegen den Willen der Gefangenen möglich sein soll und Absatz 3 eine Gemeinschaftsunterbringung vorübergehend und aus zwingenden Gründen ohnehin erlaubt, frage ich mich, was am Ende vom Grundsatz Einzelunterbringung in der Praxis übrigbleiben wird. Nicht allzu viel, befürchte ich.
Ähnliche Probleme sehe ich bezüglich der Arbeitspflicht in Paragraf 22. Hier bekennt sich der Gesetzentwurf zu dieser. Dass ich persönlich die Arbeitspflicht für falsch halte, will ich an dieser Stelle nur ganz beiläufig bekanntgeben. Zum einen wurde auf meine Kleine Anfrage – und ich komme zum Schluss – in Bezug auf die Arbeitssituation ganz klar eingeräumt, dass hier mindestens 320 Arbeitsplätze in unserem Land fehlen. Und ich denke, auch hier müssen wir gemeinsam Wege suchen, wie auch dem Anspruch des Gesetzentwurfes diesbezüglich Rechnung getragen werden kann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Mecklenburg-Vorpommern soll ein eigenständiges Landesgesetz das gegenwärtig noch für Mecklenburg-Vorpommern geltende Strafvollzugsgesetz des Bundes ersetzen.
Die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug liegt seit September 2006 bei den Ländern. Mecklenburg
Vorpommern hat bereits durch Schaffung eines eigenen Jugendstrafvollzugsgesetzes und eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes davon Gebrauch gemacht. Im allgemeinen Strafvollzug gilt nach dem Grundgesetz bis zum Erlass einer landesrechtlichen Regelung weiterhin das Strafvollzugsgesetz des Bundes. Zwar könnte der Erwachsenenstrafvollzug nach geltender Rechtslage auf Grundlage des bis zum Erlass einer landesrechtlichen Regelung voll fortgeltenden Strafvollzugsgesetzes des Bundes geführt werden, dieses trägt jedoch den Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts über die Sicherungsverwahrung vom 4. Mai 2011 für den an einer Unterbringung in Sicherungsverwahrung angegebenen Voraussetzungen des Vollzugs hier nicht Rechnung.
In diesem Urteil werden für diejenigen Verurteilten, für die Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, dahin gehende Vorgaben gemacht, dass schon während des Strafvollzugs alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, um die Gefährlichkeit der Verurteilten zu reduzieren. So ist insbesondere zu gewährleisten, dass etwa erforderliche psychiatrische, psycho- und sozialtherapeutische Behandlungen zeitig beginnen können und möglichst vor dem Strafende abgeschlossen werden. Um diese Vorgaben umzusetzen, sind in Bezug auf Gefangene mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung konkrete Regelungen bereits im Strafvollzugsgesetz erforderlich. Die Regelungen des Strafvollzugsgesetzes des Bundes werden diesen Vorgaben jedoch nicht gerecht.
Daher soll das bestehende Strafvollzugsgesetz des Bundes mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf ersetzt werden. Das begrüßen wir und werden uns, Frau Borchardt, auch genügend Zeit für Fragen in der Anhörung nehmen, möglicherweise auch in Sondersitzungen. Der Gesetzentwurf trägt den Anforderungen an einen an rechts- und sozialstaatlichen Erwägungen ausgerichteten Strafvollzug Rechnung, der sich am Gedanken der Resozialisierung und Eingliederung der Strafgefangenen in die Gesellschaft orientiert und so auch die Gesamtgesellschaft schützt. Die SPD-Fraktion wird der Überweisung des Gesetzentwurfes zustimmen. – Vielen Dank.