Sie alle wissen, unser Land befindet sich in einer weitreichenden Umbruchphase und davon sind alle gesellschaftlichen Bereiche betroffen. Das kann man nun gut finden oder nicht, nur eines kann man nicht: die Augen davor verschließen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie den Demografiebericht der Landesregierung vom Januar 2011 gelesen haben, dann sollte Ihnen eines deutlich geworden sein: Es ist nach wie vor Aufgabe der Landesregierung, aber auch Ihre Aufgabe, die Infrastruktur unseres Landes zukunftsfähig zu gestalten. Die Prognose der demografischen Entwicklung stellt uns alle, und das nicht erst seit heute, vor gewaltige Herausforderungen.
In den vergangenen Jahren hat es bereits viele, zum Teil schmerzhafte Einschnitte gegeben, zum Beispiel in der Schullandschaft, bei der Polizei oder bei den kommunalen Strukturen. Und natürlich muss sich auch die Justiz den neuen Zeiten anpassen. Auch die Justiz muss auf ein langfristig tragfähiges Fundament gestellt werden, ein Fundament, auf das auch nächste Generationen aufbauen können. Und da kann es doch für niemanden wirklich überraschend gewesen sein, dass sich das Thema Gerichtsstruktur im Koalitionsvertrag der Landesregierung wiederfindet, denn das zeigt, dass die Koalition in unserem Land nicht rückwärtsgewandt ist, sondern die Zukunft fest im Blick hat.
Kernanliegen der Reform ist, dass unsere Gerichte nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen effi
zient, bedarfsgerecht und in hoher Qualität arbeiten können. Dafür muss die Landesregierung sorgen und dafür wird die Landesregierung auch sorgen. Wir können nicht einfach abwarten und die Hände in den Schoß legen. Das wäre rückwärtsgewandte Politik, die Ihnen, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, vielleicht gefällt, aber bedenken Sie,
(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ich habe gerade gelesen, die CDU fordert Aufschub... – Vincent Kokert, CDU: Ach Gott, ach Gott, ach Gott!)
Sehr geehrten Damen und Herren, wir sind hier bei der Einbringung eines Gesetzes, das für uns alle offensichtlich wichtig ist. Von daher würde ich bitten, doch so diszipliniert zu sein, dass die Ministerin dieses Gesetz auch einbringen kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Handlungsbedarf liegt auf der Hand, er lässt sich weder kleinreden noch gänzlich leugnen. Tatsache ist, dass in 20 Jahren in unserem Land fast 200.000 Menschen weniger leben werden als heute. Davon sind natürlich manche Regionen stärker betroffen als andere, und diese Entwicklung werden die Gerichte auch spüren. Dort werden die Eingangszahlen tendenziell weiter zurückgehen, und das ist der eine Faktor. Der andere Faktor ist, dass die Finanzmittel, die zur Erfüllung aller Aufgaben in unserem Land zur Verfügung stehen, weiter zurückgehen. Und darauf müssen wir uns alle einstellen. Da gibt es keine Ausnahme, auch nicht für die Justiz.
Das bedeutet, dass wir uns auch personell optimal aufstellen müssen, denn wir werden im Jahr 2020 nicht mehr den gleichen Personalbestand haben wie heute. In Zeiten knapper Ressourcen bedeutet aber jede Richter- oder Rechtspflegerstelle, die an einer Stelle zu viel ist, eine Lücke an einer anderen Stelle, und das können wir uns schlicht nicht mehr leisten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich frage Sie: Wie soll in kleinen Einheiten künftig die Vertretung geregelt werden, wenn keiner mehr da ist, der überhaupt noch vertreten kann? Wie soll eine sinnvolle Spezialisierung möglich sein? In unserer immer komplexer werdenden Welt werden auch die Rechtsfragen immer komplexer. Nicht ohne Grund spezialisieren sich im Übrigen auch die Anwälte. Sollen da die Richter nicht mithalten? Und ohne fachlichen Austausch geht heute gar nichts mehr.
Führen Sie sich doch mal die amtsrichterlichen Tätigkeiten vor Augen: Mietsachen, Vertragssachen, Familiensachen, Strafsachen, Nachlasssachen, Zwangsvollstreckungssachen oder Betreuungssachen. Und das sind noch längst nicht alle. Bei dieser Vielfalt ist es ausge
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach dieser Bestandsaufnahme muss jedem, dem die Justiz in diesem Land etwas bedeutet, klar sein, dass gehandelt werden muss. Ein „Einfach weiter so“ können und dürfen wir uns angesichts der prognostizierten Entwicklungen nicht leisten.
Ich habe großes Verständnis dafür, dass diese Entwicklung bei einigen auch Ängste auslöst, aber wir können uns auch nicht aus Angst vor einer ungewissen Zukunft an die bekannte Vergangenheit klammern. Das bringt uns nicht weiter.
Klar ist, dass Veränderungen an der einen oder anderen Stelle auch mit Einschnitten verbunden sind, und es ist auch richtig, dass es an der einen oder anderen Stelle wehtun wird. Deswegen habe ich auch Verständnis dafür, wenn einige die notwendigen Reformmaßnahmen gerne noch aufschieben würden. Wann aber, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, ist der richtige Moment anzufangen? Dürfen wir erst dann beginnen, wenn bereits das erste Gericht die weiße Fahne hisst?
Vielleicht ist es ja so wie mit dem kleinen Loch im Zahn. Man weiß, das Loch muss weg, und zwar möglichst schnell. Man weiß auch, dass das wehtun wird. Sie wollen aber auch in Zukunft kraftvoll zubeißen und deshalb gehen Sie zum Zahnarzt und lassen sich behandeln.
Oder gehören Sie vielleicht zu denen, die aus lauter Angst den Zahnarzt meiden und dafür in Kauf nehmen, dass der Zahn dann fault, den einen oder anderen Zahn noch mit in Mitleidenschaft zieht und anschließend ganz herausfällt?
Die Landesregierung jedenfalls gehört nicht dazu und deshalb wird sie es auch bei der Gerichtsstruktur in unserem Land nicht so weit kommen lassen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes haben wir einen neuen Weg eingeschlagen. Wir haben das Vorhaben von Anfang an als offenen Prozess gestaltet. Wir haben schon sehr früh und weit vor den sonst üblichen Beteiligungsschritten mit den Beteiligten diskutiert. Wir haben ein Internetforum eingerichtet, dort hatten alle die Möglichkeit, mit uns in den Dialog zu treten.
Nur ganz nebenbei: Ich freue mich, dass Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete von BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN, die Idee, sich über das Internet an der Entstehung eines Gesetzentwurfes zu beteiligen, nun auch aufgegriffen haben.
(Vincent Kokert, CDU: Das wollen wir kraftvoll unterstützen. – Zuruf von Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Hinweise und Anregungen, die wir erhalten haben, haben wir geprüft und abgewogen – sowohl zu den Fragen, welche Auswirkungen die Reform auf die Funktionsfähigkeit und Qualität der Justiz haben könnte, welche sie auf die Rechtsuchenden hat, als auch zu den finanzwirtschaftlichen Fragen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine im Laufe des Diskussionsprozesses immer wieder erhobene Forderung ist die nach einem sogenannten Expertengremium. Aber wen oder was meinen Sie eigentlich damit? Man könnte fast den Eindruck haben, dass Sie glauben, hier wären Leute tätig gewesen, die von Justiz nichts verstehen.
Ich wiederhole noch einmal: An der Gesetzreform haben vor allem Richterinnen und Richter gearbeitet, die entweder an das Justizministerium extra dafür abgeordnet wurden oder die mittlerweile an das Justizministerium versetzt wurden, auch ehemalige Amtsrichter. Die Mitarbeiter des Betriebes für Bau und Liegenschaften sind Profis auf dem Gebiet Bau, Bauunterhaltung und Betrieb. Die Planungen und Wirtschaftlichkeitsberechnungen erfolgten in enger Zusammenarbeit mit diesen Experten. Ich frage Sie: Welches zusätzliche Wissen kann ein Experte denn noch haben?
Geben Sie es doch zu, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie rufen doch nur deshalb nach einem Expertengremium, weil Ihnen die Schlussfolgerungen nicht passen, die wir aus den Umfragen und Beteiligungen gezogen haben.
Wie soll es nun in Zukunft aussehen? Die Landesregierung ist fest davon überzeugt, dass der jetzt vorliegende Gesetzentwurf eine gute Grundlage ist, um unsere Justiz für die Zukunft fit zu machen.
Auch wenn Sie, sehr geehrte Frau Borchardt, noch weiter, sie ist jetzt gar nicht da, aber noch weiter beharrlich behaupten,
die Justiz zieht sich aus der Fläche zurück, bezogen auf die Amtsgerichte werden wir nach unserem Entwurf noch 16 Standorte im Land haben, an denen amtsgerichtliche Aufgaben wahrgenommen werden.
Sie sehen, richtig wird dieser Vorwurf, der immer wieder gerne erhoben wird, dadurch noch lange nicht.
Also, wir werden zukünftig zehn Haupt- und sechs Zweigstellen haben, so jedenfalls unser Entwurf. Durch die Zweigstellenregelung ist zum einen gewährleistet, dass für den Vertretungsfall innerhalb dieses Gerichtsbe
zirks schnell und unkompliziert Abhilfe geschaffen werden kann. Ein weiterer Vorteil der Zweigstellenregelung ist, dass die Rechtsbereiche, die einen stärkeren Kontakt zum Bürger erfordern, auch weiterhin vor Ort bleiben. Das ist Bürgerfreundlichkeit. Von einem unangemessen erschwerten Zugang zu den Gerichten kann also nicht die Rede sein – im Gegenteil, in einigen Bezirken werden sich die Wege für den Bürger zu seinem Amtsgericht sogar verkürzen.
Und nur nebenbei bemerkt: Es gibt keine Maximalentfernung zwischen Bürger und Gericht, die nicht überschritten werden darf. Das können Sie in der Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2011 zum Kreisstrukturgesetz nachlesen.
Und noch eines: Es gibt in Zukunft 16 Orte mit amtsgerichtlicher Tätigkeit, aber weiterhin im Vergleich dazu nur vier Sozialgerichte im Land. An den Sozialgerichten werden Sozialleistungen, Renten- oder Krankenkassenangelegenheiten oder Hartz-IV-Sachen verhandelt. Diese Kläger haben noch nie behauptet, ihren Anspruch wegen der weiten Wege nicht geltend machen zu können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der jetzt zur Beratung vorliegende Gesetzentwurf gewährleistet, dass die Bürger das für sie zuständige Amtsgericht in angemessener Zeit erreichen können.
Ich will aber die Gelegenheit nutzen, mit einem weiteren Argument aufzuräumen, das hier immer wieder vor- getragen wird. Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, führen ja so gerne BadenWürttemberg als leuchtendes Beispiel an.
Dort gäbe es ja so viele kleine Amtsgerichte und das würde ja alles so toll funktionieren. Aber haben Sie auch mal genauer hingeschaut? Haben Sie sich mal angeschaut, wie dort die Zuständigkeiten verteilt sind? Ich glaube, eher nicht.
Da ist zum Beispiel das Amtsgericht Ettenheim im Schwarzwald. Das ist ein erstinstanzliches Gericht in Zivil- und Strafsachen und Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Für Familien- und Schöffengerichts- sachen ist das Amtsgericht Emmendingen zuständig, 28 Kilometer weit weg. Jugendschöffensachen sind am Amtsgericht in Freiburg konzentriert. Freiburg ist von Ettenheim übrigens 43 Kilometer entfernt.