Protokoll der Sitzung vom 20.03.2013

Da ist zum Beispiel das Amtsgericht Ettenheim im Schwarzwald. Das ist ein erstinstanzliches Gericht in Zivil- und Strafsachen und Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Für Familien- und Schöffengerichts- sachen ist das Amtsgericht Emmendingen zuständig, 28 Kilometer weit weg. Jugendschöffensachen sind am Amtsgericht in Freiburg konzentriert. Freiburg ist von Ettenheim übrigens 43 Kilometer entfernt.

(Vincent Kokert, CDU: So, so.)

Und für Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungssachen ist das Amtsgericht Lahr zuständig, während zentrales Mahngericht das Amtsgericht Stuttgart ist. Der Ettenheimer muss also unter fünf verschiedenen Amtsgerichten das finden, das für ihn je nach Rechtsproblem zuständig ist.

(Vincent Kokert, CDU: Toll!)

Oder nehmen Sie das Amtsgericht Leutkirch im Allgäu. Für Familien- und Schöffensachen müssen die Leut- kirchener nach Wangen fahren, das sind 24 Kilometer. Geht es um Zwangsversteigerungssachen, müssen sie ins Amtsgericht Ravensburg, einfache Entfernung 44 Kilometer. Also auch hier drei verschiedene Amtsge

richte je nach Rechtsproblem. Und diese Liste ließe sich beliebig weit fortsetzen.

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Es gibt Amtsgerichte in Baden-Württemberg mit viel klei- neren Zuständigkeitsbereichen als für Zweigstellen, die wir zukünftig gesetzlich verankern wollen. Und auch, wenn nicht nur Sie, sehr geehrte Frau Borchardt, sondern auch der eine oder andere Rechtsanwalt oder Richter noch so oft behaupten, Zweigstellen seien Augenwischerei und würden über kurz oder lang geschlossen werden, das stimmt einfach nicht.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Der eine oder andere!)

Gesetze kann nur der Landtag ändern. Nach Ihrer Logik wäre ja jede Gesetzesregelung ein Sterben auf Raten. Das ist polemische und fatale Angstmacherei und sonst nichts.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Und auch Ihr Vergleich mit der Reform von 1998 hinkt. Damals wurden die Zweigstellen gerade mit dem Ziel errichtet, sie zu gegebener Zeit zu schließen. Das war auch von Anfang an klar und deshalb wurde ihr Bestand auch nicht gesetzlich geregelt. Unser Ansatz ist aber heute ein ganz anderer. Die jetzt vorgesehenen Zweigstellen sollen und werden auf Dauer erhalten bleiben.

Und nun frage ich Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, was ist wichtiger für die Rechtsuchenden in unserem Land: Ist es das Gerichtsgebäude vor Ort, an dem ein Schild an der Tür hängt: „Wegen Krankheit bis auf Weiteres geschlossen“? Nein, ich glaube, die Bürger in unserem Land erwarten, dass die Gerichte funktionieren. Sie erwarten, dass die Gerichte ihrer Aufgabe, Recht zu sprechen, in guter Qualität und vor allem zeitnah nachkommen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine funktionierende Justiz ist Grundpfeiler unserer Demokratie. Die Zukunft unserer Justiz liegt jetzt auch in Ihren Händen, deshalb appelliere ich an Sie alle: Es geht nicht um Nostalgie, es geht um die Zukunft. Lassen Sie die Rechtsuchenden von morgen nicht vor verschlossenen Türen stehen, stellen Sie die Weichen für die Zukunft! – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Danke, Frau Ministerin.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorgesehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst für die Fraktion DIE LINKE der Fraktionsvorsitzende Herr Holter.

(Vincent Kokert, CDU: Frau Borchardt ist gestutzt worden.)

Ja, das ist Chefsache.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist Ihnen sicherlich wie mir aufgefallen, das Bild, welches wir eben erleben konnten, ist doch bezeichnend. Die Justizministerin steht am Rednerpult und hinter ihr sitzen der Ministerpräsident und die Finanzministerin.

(Torsten Renz, CDU: Das ist immer so, das ist nichts Neues.)

Die anderen Minister fehlen,

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

aber der Ausgangspunkt für die Reform, über die wir jetzt reden,

(Torsten Renz, CDU: Herr Glawe ist ja da.)

ist genau dort zu suchen.

(Torsten Renz, CDU: Da sitzt er.)

Das ist es nämlich, was die Ursache und der Ausgangspunkt für diese Gerichtsreform ist.

(Vincent Kokert, CDU: Jetzt fangen Sie auch noch mit dem Märchen an!)

Doch, doch, Herr Kokert.

(Vincent Kokert, CDU: Jetzt fangen Sie auch noch mit dem Märchen an! – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Und ich will Ihnen deutlich sagen, die Koalition leistet mit dieser Gerichtsstrukturreform

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Gute Arbeit, gute Arbeit.)

der Demokratie und dem Rechtsstaat einen Bärendienst.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Nicht nur gefühlt, sondern real zieht sich der Staat aus der Fläche zurück.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, ja, ja.)

Die Regierung schlägt den Menschen im Allgemeinen und der Justiz im Besonderen ins Gesicht,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Und dann kommen die bösen Nazis und machen alles platt.)

und das, meine Damen und Herren, sowohl mit der Reform als solches als auch mit dem bisherigen Verfahren.

Und, sehr geehrte Frau Justizministerin Kuder, Lehren aus vorangegangenen Gerichtsstrukturreformen oder auch aus der leidigen Kreisgebietsreform hat die Koalition nun wahrlich nicht gezogen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Doch.)

Ich will das im Einzelnen jetzt auch belegen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Aber wir haben den Mut zur Zukunft, der Ihnen fehlt.)

Anfang Mai vergangenen Jahres haben wir als Fraktion und damit auch ich von Ihnen, Frau Justizministerin, den ersten Arbeitsentwurf eines Konzeptes für eine Gerichtsstrukturreform in Mecklenburg-Vorpommern erhalten. Dieser Entwurf sah damals die Schließung von elf Amtsgerichten vor und die Errichtung von vier Zweigstellen. Sie baten damals um Stellungnahmen der Fachverbände, der Landtagsfraktionen und vieler anderer Beteiligter mehr. Sie betonten damals, dass alles noch offen und nichts entschieden sei. Die Stellungnahmen würden in den Prozess einfließen und auch berücksichtigt werden.

(Vincent Kokert, CDU: Das ist ja auch passiert.)

Nur zur Erinnerung: Es geht hier nicht um eine x-be- liebige Verwaltungsreform, es geht um eine Reform, die die dritte Gewalt im Staat betrifft. Und unsere Aufgabe als Abgeordnete ist es, in Anerkennung der richterlichen Unabhängigkeit die materiellen und finanziellen Grundlagen für eine funktionierende Justiz im Flächenland Mecklenburg-Vorpommern sicherzustellen

(Vincent Kokert, CDU: Das tun wir ja.)

und den Rechtsgewährungsanspruch der Bürgerinnen und Bürger durchzusetzen. Genau an diesen Grundsätzen muss sich die Reform messen lassen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Kann Sie ja auch.)