Protokoll der Sitzung vom 20.03.2013

Dann sind noch die Mehrausgaben für Verfahrenskosten, die bei der neuen Gerichtsstruktur entstehen, also alles, was Prozesskostenhilfe, Verfahrenskostenhilfe und Ähnliches betrifft, zu berücksichtigen. Die werden wegen der längeren Fahrwege sicherlich steigen. Die Gesetzbegründung hält sich hier zurück und geht von geschätzten 250.000 Euro pro Jahr aus. Da fragt man sich doch, welche Zahlen dieser Schätzung zugrunde gelegt wurden. Mitgeteilt wird das zumindest nirgends.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dieses Mal diesbezüglich einmal schätzen oder besser gesagt hochrechnen, denn wir legen unseren Schätzungen zumindest konkrete Zahlen zugrunde. Die Rechtsanwaltskammer hatte 20 Kollegen gebeten, so zu tun, als sei die Reform bereits 2011 umgesetzt worden, und zu berechnen, welche Mehrkosten denn entstanden seien. Die 20 Rechtsanwälte berechneten Mehrkosten von 26.000 Euro, 26.000 Euro bei 20 Anwälten. Es gibt aber in Mecklenburg-Vorpommern so round about 1.600 Anwälte und damit lande ich bei hochgerechnet 2,08 Millionen Euro jährlich – nur bei den Anwälten.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Ich gehe davon aus, dass Fahrkosten für Zeugen in Strafprozessen und bestimmte andere Kosten hier noch nicht enthalten sind. Abzüglich der von der Regierung bereits veranschlagten 250.000 Euro ergeben sich nach

meiner Hochrechnung dann 1,83 Millionen jährlich zusätzlich.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Damit allein sind die von der Regierung anvisierten 1,36 Millionen Einsparung nicht nur weg, sondern Sie müssten noch eine halbe Million hinzupacken. Und wie gesagt, die Verfahrenszahlen werden nicht sinken, das wird auch zukünftig so bleiben.

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Ja, irgendwie sind Sie ganz still geworden, weil Sie diese Rechnung wohl sicherlich nachvollziehen können.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ach, das ist doch eine Milchmädchenrechnung.)

Meine Damen und Herren, diese Gerichtsstrukturre- form

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

zielt einzig auf den Rückzug des Rechtsstaates aus der Fläche ab.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ach, Herr Holter, da bin ich sprachlos über diese Arglosigkeit.)

Hier wird eine Reform präsentiert, die einzig und allein auf eine Schließung von Gerichten ausgerichtet ist.

Und genau zu der Frage, die Frau Kuder hier zu Anfang aufgeworfen hat, warum es so viel Widerstand gegen diese Gerichtsstrukturreform gibt: Warum haben Sie nie Alternativen diskutiert? Warum haben Sie keine Reform geplant, die ganz zielgerichtet den Erhalt der Gerichte im Fokus hat? Warum versuchten Sie nicht, über die Neuordnung der Amtsgerichtsbezirke oder eine andere Aufgabenverteilung zu sprechen, um kleine Gerichte zu stärken,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Da hätten Sie der Ministerin mal zuhören müssen.)

um diese dann auch wirklich zukunftsfähig zu machen?

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Nicht zu Unrecht fordert Ihre Kreis-CDU aus dem Landkreis Rostock einen Aufschub. Ich bin der Überzeugung, dass diese Reform niemandem nutzt, nicht den Menschen, nicht den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Justiz und auch nicht der Staatskasse. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Heinz Müller.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung legt uns zur Ersten Lesung einen Gesetzentwurf zur Erneuerung unserer Gerichtsstruktur vor und ich darf zunächst mal feststellen, dass Teile dieses Gesetzentwurfes ganz

offenkundig in der Öffentlichkeit relativ unstrittig sind, weil sie, wenn man die Medien verfolgt, dort eigentlich gar keine Rolle spielen.

Und auch in Ihrer Rede, Herr Holter, habe ich kein einziges Wort gehört zur Frage der Arbeitsgerichte, zur Frage der Sozialgerichte. Sie sind ja Vorsitzender einer Fraktion, die gern für sich in Anspruch nimmt, dass sie die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besonders ernst nimmt

(Peter Ritter, DIE LINKE: Dann lesen Sie mal, was der Oberbürgermeister Krüger zu diesen Plänen gesagt hat, Herr Müller!)

und die Interessen der sozial Benachteiligten, für die diese Gerichtszweige natürlich von besonderer Bedeutung sind.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Gut erkannt.)

Ich darf daraus schließen, dass Sie mit diesen Teilen des Gesetzentwurfes durchaus einverstanden sind, und würde dies gerne zunächst einmal so festhalten.

Strittig, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist natürlich die Frage der Zukunft unserer Amtsgerichte. Wer die Medien verfolgt, der weiß dies.

Zunächst einmal, meine sehr verehrten Damen und Herren, nach meiner Einschätzung hat die Ministerin in ihrer Einbringung den Reformbedarf sinnvoll und nachvollziehbar begründet. Und nun sagt uns Herr Holter: Was macht ihr denn mit den vielen Stellungnahmen? Wo bleiben denn die Stellungnahmen?

Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mir die Mühe gemacht, diese Stellungnahmen durch- zulesen, und ich möchte gerne eine Stellungnahme beispielhaft für eine Reihe weiterer hier zitieren, weil sie aus meiner Sicht das Problem genau trifft. Es handelt sich um die Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer zu Rostock. Da heißt es, ich darf zitieren, Frau Präsidentin: „Die Industrie- und Handelskammer zu Rostock teilt den Grundsatz der Reform, dass angesichts des demografischen Wandels und der prognostischen Geschäftsentwicklung bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften sowie angesichts der weiter abnehmenden Finanzausstattung des Landes Mecklenburg-Vorpom- mern Reformbedarf auch bei der Gerichtsstruktur besteht.“ Zitatende.

Herr Holter, da bleiben die Stellungnahmen. Sie sagen uns sehr deutlich, es gibt einen Reformbedarf.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Den bestreiten wir doch auch nicht.)

Den bestreiten Sie auch nicht. Vielen Dank für diesen Zwischenruf, dann sind wir uns an der Ecke wenigstens einig.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Dass es Reformbedarf gibt, ja.)

Aber lassen Sie uns weiterschauen!

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!)

Wenn ich in die öffentliche Debatte schaue, dann habe ich den Eindruck, dass hier gelegentlich das SanktFlorians-Prinzip in abgewandelter Form Anwendung findet. Der Reformbedarf wird insgesamt durchaus bejaht,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Und die Stellungnahmen?)

aber das eigene Gericht,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Welche Stellungnahmen haben Sie denn gelesen?)

das mag unangetastet bleiben.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Niemals.)

Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin kommunalpolitischer Sprecher meiner Fraktion und ich weiß, wenn ein Bürgermeister für seine Stadt so argumentiert, dann habe ich dafür sehr viel Verständnis.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, ich auch.)

Ich glaube aber, dass wir als Landtag, auch Sie als Oppositionsfraktion, natürlich die Aufgabe haben, die Interessen des Landes insgesamt im Blick zu haben

(Helmut Holter, DIE LINKE: Ja, genau das machen wir. – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

und für das Land insgesamt zu argumentieren.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Genau das machen wir.)

Ich glaube, dann darf man einer solchen Sankt-FloriansLogik nicht folgen.