Protokoll der Sitzung vom 13.12.2013

Also die Katastrophe, die Schiffskatastrophe vor Lampedusa hat natürlich die Medien aufgescheucht, hat weithin für Entsetzen gesorgt, aber bereits acht Tage später versank vor der italienischen Insel wieder ein Schiff und wieder waren über 250 Menschen betroffen. Dieses Mal kamen sie allerdings nicht aus Afrika, sondern in der Hauptsache aus Syrien. Also wieder über 250 Menschen, die hier ihr Leben verloren. Das wurde in der Öffentlichkeit schon viel weniger wahrgenommen und auch medial viel weniger bewegt. Erschütternd ist dabei ganz besonders, dass die Recherchen eines italienischen Journalisten belegen, dass die Opfer dieser zweiten Katastrophe eigentlich hätten vermieden werden können. Was ist der Grund? Die Zuständigkeiten waren nicht klar und Italien schob die Zuständigkeiten einfach an Malta ab. Durch diesen Zeitablauf trat der Beginn der Hilfsaktion erst wesentliche Stunden später ein, als es eigentlich hätte sein können. Somit kam es, dass vielen Menschen halt nicht mehr zu helfen war.

Das Mittelmeer ist mittlerweile fast zu einem Massengrab geworden, weil in den vergangenen 25 Jahren Schät

zungen zufolge schon 17.000 bis 20.000 Flüchtlinge hier ihr Leben gelassen haben, in der Regel Menschen aus Afrika bei dem Versuch, die europäische Küste zu erreichen.

Die öffentliche Empörung nach dem Unglück von Lampedusa im Oktober aber war so groß, dass sogar von einer Schande Europas die Rede war und der Papst sich hier mit scharfen Worten einmischte. Daraus resultierte, dass eine EU-Expertengruppe eingesetzt wurde. Das Ziel dieser sogenannten „Arbeitsgruppe für das Mittelmeer“, die aus Experten aller EU-Länder und der zuständigen EU-Behörden besteht, war oder ist, die richtigen Lehren aus Lampedusa zu ziehen. Und wenn man sich das anguckt: Welche Lehren zieht die EU nun? Als Reaktion auf die anhaltende Flüchtlingstragödie schlägt die EU eine Reihe von konkreten Maßnahmen vor, das kann man nicht leugnen. Schaut man sich diese aber genauer an, erhält man eigentlich unweigerlich den Eindruck, dass es dabei vor allem um den Schutz der Grenzen geht, weniger um den der Flüchtlinge – Patrouillen von Zypern bis Spanien, Speicherung von Fingerabdrücken und mehr Geld für Europol.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das sind die Lehren?!)

Insbesondere die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat übrigens ausführlich Bericht erstattet und viele Erkenntnisse, die ich hier zum Besten gebe – oder zum Schlechten eigentlich, weil die Tragödie hier so grundlegende Menschenrechte betrifft –, sind aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Die Pressekonferenz, auf der die EU-Kommissarin für Innenpolitik, Cecilia Malmström, den Bericht dieser Gruppe in Brüssel vorstellte, dauerte nur eine halbe Stunde. Sie sprach dabei immer wieder von gemeinsamer Verantwortung der europäischen Länder, einem Gefühl der Solidarität, auch von einer echten gemeinsamen europäischen Asylpolitik war die Rede. Die nun ausgearbeiteten Vorschläge seien eine wirkliche europäische Antwort, die einen Unterschied machen könne, und natürlich müsse man auch etwas gegen die Ursachen der massenhaften Flucht aus Afrika nach Europa tun. Hier allerdings blieb die Kommissarin vage. Konkreter wurde sie aber, als es um den weiteren Schutz und Abschottungsmaßnahmen für die europäischen Grenzen ging. So schlägt sie einen verstärkten und großflächigen Einsatz von Patrouillen vor. Ihre Begründung: Bootsflüchtlinge könnten damit im Mittelmeer besser aus Seenot gerettet werden. Die EUGrenzbehörde Frontex habe bereits Details dazu ausgearbeitet. Zu Frontex komme ich später noch mal.

14 Millionen Euro will man in die Hand nehmen, um ein europäisches Patrouillennetzwerk aus nationalen Grenzschützern zu installieren, das die am häufigsten genutzten Migrationsrouten im Seegebiet zwischen Spanien und Zypern überwachen soll. Durch das frühe Aufspüren von beispielsweise Bootsflüchtlingen soll ein schnelles Eingreifen möglich sein. So weit, so gut. Die Mittelmeerstaaten, in denen besonders viele Flüchtlinge ankommen, sollen außerdem bei der Aufnahme und Versorgung stärker unterstützt werden. Dafür stellt die EUKommission 50 Millionen Euro bereit, von denen Italien 30 Millionen für Grenzüberwachungsaktionen erhält. Der Kampf gegen Schleuserbanden wird durch eine größere Rolle und mehr Ressourcen für die europäische Polizeibehörde Europol verschärft. Zudem sollen die Staaten

in Nordafrika und den Herkunftsländern in die Lage versetzt werden, Menschenschmuggel und -handel zu bekämpfen.

Die EU-Länder ihrerseits sollen mehr schutzbedürftige Menschen aufnehmen. Das ist eine gute Ansage, wie ich finde. Die EU-Kommission will als Anreiz 6.000 Euro für jeden angesiedelten Flüchtling zahlen, kann man weiterhin lesen. Die EU-Kommissarin Malmström sprach auch davon, dass sie bereit sei, die Möglichkeit zu prüfen, Asyl schon von außerhalb der EU zu beantragen, damit sich Menschen gar nicht erst auf die gefährliche Überfahrt Richtung Europa machen. Sie will auch prüfen lassen, wie sich mehr schutzbedürftige Flüchtlinge gefahrlos nach Europa bringen lassen, und sie wirbt sogar dafür, legale Arbeitsmigration zu erleichtern. Dies könne zum Beispiel durch die schnelle Verabschiedung einer geplanten EU-Richtlinie für Saisonarbeitskräfte geschehen. So weit, so gut.

Viele gute Ansätze drin, das kann man nicht anders sagen, aber trotz dieser guten Vorsätze, denn von mehr kann erst einmal nicht die Rede sein, wird in Europa weiter an der Abschreckung gearbeitet. Ein wichtiges Instrument, was dazu vorgestellt wurde, nennt sich Eurosur. Ein neues Grenzüberwachungssystem, das vor allem den Luftraum über dem Mittelmeer beispielsweise mit Satelliten überwacht. Außerdem wird ein zentrales elektronisches Grenzregister diskutiert. Die Datenschützer freuen sich schon richtig darüber.

Aber nun noch einmal zu Frontex. Für die Rettung aus Seenot ist Frontex nämlich primär nicht zuständig, aber im Notfall muss sie natürlich, wie jeder Fischkutter, jedes Frachtschiff, jedes Ausflugsboot, Schiffbrüchigen Hilfe leisten. Der Vorwurf, der Frontex gemacht wird, ist auch nicht, dass sie bei Not nicht hilft, sondern dass sie wegschaut, wenn Flüchtlinge in ihrem Operationsgebiet von Grenzpolizisten in Not gebracht werden, die sogenannte Pushbackaktion. Pushback, das bedeutet zurückstoßen. Vor allem im Grenzgebiet in der Ägäis wurden vermutlich weit mehr als 1.000 Flüchtlinge von griechischen Polizeibeamten, die in der Regel Gesichtsmasken trugen, gewaltsam abgedrängt. Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl berichtet von zahlreichen Fällen, in denen Flüchtlingen Benzin und Ruder weggenommen wurden, bevor man sie in türkischen Hoheitsgewässern praktisch aussetzte.

Es gibt aus dem Jahr 2010 sogar eine Verordnung, in der steht, wie beim sogenannten Pushback vorzugehen ist. Dass das Pushback gegen internationales Recht verstößt, hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Februar 2012 festgestellt. Er gab damit der Beschwerde von 24 Flüchtlingen aus Eritrea und Somalia recht, die drei Jahre zuvor auf hoher See von der italienischen Grenzpolizei gestoppt und nach Libyen verfrachtet worden waren. Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention hat jeder Flüchtling aber ein Recht, angehört zu werden und einen Asylantrag zu stellen. Kollektivausweisungen sind nach Artikel 19 der EU-Grundrechtecharta verboten. Das Pushback in der Ägäis verstößt gleich mehrfach gegen diese Genfer Flüchtlingskonvention.

Eine neue Verordnung, die gerade vom Europäischen Parlament und dem Rat debattiert wird, soll Klarheit schaffen, unter welchen Voraussetzungen Pushback mit internationalem Recht vereinbar ist. Also das ist schon ein ganz schön starkes Stück.

Nun noch zu Eurosur. Das Kürzel steht für European border surveillance system – Europäisches Grenzüberwachungssystem. Es wird die EU von 2014 bis 2020 insgesamt 244 Millionen Euro kosten. Es geht darum, Informationen von Hafenbehörden, Polizei, Grenzschutz und Küstenwache international zu vernetzen und auch Daten von Satelliten und Drohnen in dieses Verbundsystem einzuspeisen. Vorrangiges Ziel ist die Abwehr von Flüchtlingen. Die Rettung aus Seenot ist allenfalls ein Kollateralnutzen. So soll verhindert werden, dass Flüchtlinge überhaupt an die Festung Europa anklopfen. Drittstaaten sollen dazu verpflichtet werden, Flüchtlingen den Weg nach Europa zu versperren. In diesem Zusammenhang bietet die EU diesen Drittstaaten Grenzüberwachungshilfe an, genannt EUBAM. Aber die Übersetzung ins Englische erspare ich Ihnen jetzt bei meiner schlechten englischen Aussprache. Hier handelt es sich um eine europäische Mission, wenn ich das mal übersetze, und diese Mission hat der Rat der EU im Mai für Libyen beschlossen.

Libyen ist übrigens der Genfer Flüchtlingskonvention nicht beigetreten und Mitte 2012 bis Mitte 2013 sind laut Amnesty International 20.000 bis 25.000 Flüchtlinge von dort abgeschoben worden, vor allem nach Niger, Tschad und in den Sudan. Ziel der 100 Personen starken Mission, die ich nenne, an der sich auch Deutschland mit bis zu 20 Polizisten aus Bund und Ländern beteiligt, ist laut Bundespolizei, die libyschen Behörden dabei zu unterstützen, kurzfristig die Kapazitäten zu verstärken, die Sicherung der Land-, See- und Luftgren- zen Libyens auszubauen und kurzfristig eine umfassende Strategie für integriertes Grenzmanagement aus- zuarbeiten. Hierfür steht die Mission den libyschen Grenzbehörden durch Ausbildung, Mentoring und Beratung zur Seite. Eine solche Zusammenarbeit, das hatte der Frontex-Chef Laitinen schon 2011 verkündet, sei der Schlüssel zum Erfolg eines europäischen Grenzmanagements.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das sind ja militärstrategische Überlegungen.)

Ende November ist Eurosur für alle Mittelmeeranrainerstaaten in Kraft getreten.

Das sind meiner Meinung nach viele Einzelpunkte, denen man wahrscheinlich noch sehr viele hinzufügen kann, die doch Anlass zur Kritik an der EU-Asylpolitik geben. Und wenn ich mir anschaue, hier steht es in Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung – und damit will ich jetzt hier auch abschließen – der Menschenrechte, die von der UNVollversammlung 1948 beschlossen wurde: „Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen …“, da müsste man heute anfügen, aber das Recht, irgendwo anzukommen, das hat er anscheinend nicht. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dr. André Brie, DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Tegtmeier.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Al-Sabty für die Fraktion DIE LINKE.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich erst mal meine Bestürzung über die Abwesenheit unserer Kolleginnen und Kollegen hier im Parlament zum Ausdruck bringen.

(Stefan Köster, NPD: Das hat Sie nicht zu interessieren, Herr Al-Sabty.)

Ich glaube, das Thema scheint viele hier leider nicht zu interessieren.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Leere Sitze.)

In den vergangenen Jahren kamen rund 20.000 Menschen auf der Flucht nach Europa ums Leben. Die Liste der Tragödien lässt sich auch zukünftig weiterführen, wenn nicht heute, dann in einigen Wochen und Monaten. Die Bedingungen für Flüchtlinge, unversehrt in die Festung Europa zu gelangen, sind denkbar schlecht. Die EU-Flüchtlingspolitik treibt die Menschen sehenden Auges von einem Unglück ins nächste.

Die Menschen haben triftige Gründe, aus ihren Herkunftsländern zu fliehen. Und das haben wir hier oft besprochen, aber es scheint offenbar nicht allen bewusst zu sein. Papst Franziskus wies wenige Tage nach der Katastrophe von Lampedusa darauf hin, dass die Flüchtlinge keine Wirtschaftsflüchtlinge sind, sondern Menschen, die diskriminiert und unterdrückt werden. Sie fliehen vor Hunger und Sklaverei, die Europagleichgültigkeit sei hier ganz und gar unchristlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und das sind die Worte von Ihrem Papst.

Die Flüchtlinge von Lampedusa waren hauptsächlich Syrer und Schwarzafrikaner.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Herr Andrejewski, Sie sind hier fehl am Platze. Die- ses Thema ist nicht Ihr Thema. Lassen Sie mich aus- reden!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und wenn ich fertig bin, dann können Sie Ihren Unfug hier reden.

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Die Flüchtlinge von Lampedusa waren hauptsächlich Syrer und Schwarzafrikaner. Sie stammen aus Mali, Tschad, Mauretanien, Tunesien.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Sie waren Gastarbeiter in Libyen und haben in Libyen mit ihren Familien gelebt.

Einen Moment, Herr Dr. Al-Sabty.

Erst einmal erteile ich Herrn Andrejewski einen Ordnungsruf wegen Störung der Landtagssitzung. Sie wissen, dass Sie hier im Landtag Ihre Mobiltelefone auszuschalten haben. Und dann verwarne ich die gesamte NPD-Landtagsfraktion wegen der Art und Weise der

Äußerungen gegenüber Herrn Al-Sabty. Es ist unglaublich, dass Sie sich das …

(Michael Andrejewski, NPD: Aber er ist nett zu uns.)

Herr Andrejewski, ich erteile Ihnen den zweiten Ordnungsruf. Sie haben sich hier überhaupt nicht einzumischen.

(Stefan Köster, NPD: Sie wollen doch nicht widersprechen, dass Deutschland das Land der Deutschen ist!)

Herr Köster, Sie bekommen den nächsten Ordnungsruf. Damit ist die Sache, denke ich, geklärt. Sie haben sich überhaupt nicht dazu zu äußern, wenn ich hier vorn irgendetwas in Bezug auf die Verhaltensweisen und die Einhaltung der Hausordnung und der Geschäftsordnung anmerke.

(David Petereit, NPD: Das provozieren Sie aber mit Ihren Äußerungen.)

Herr Petereit, auch Sie erhalten einen Ordnungsruf. Ich habe hier den Eindruck, dass Sie es regelrecht darauf anlegen, das muss ich Ihnen jetzt an dieser Stelle mal so deutlich sagen.

(Stefan Köster, NPD: Oh!)

Und ich ermahne Sie jetzt zum letzten Mal.

(Stefan Köster, NPD: Oh!)

Sollten die Abgeordneten Andrejewski und Petereit, der Herr Petereit hat den ersten, aber wenn Herr Andrejewski sich noch mal in entsprechender Weise hier verhält, dann entziehe ich Ihnen das Wort, und ich drohe Ihnen auch an, dass Sie dann unter Umständen bei weiteren Ordnungsverstößen mit aller Härte der Geschäftsordnung zu rechnen haben.

(Gelächter vonseiten der Fraktion der NPD)