Protokoll der Sitzung vom 30.01.2014

Der Blick, den wir heute haben, ist häufig einer, der sehr stark auf die Jugendlichen abzielt. Denn es gibt auch andere Süchte – oder man streitet sich ja immer noch darum, ob es nicht vielleicht doch eine psychosomatische Erkrankung ist –, beispielsweise die der Essstörung. Ich denke, das sind alles Bereiche, von denen wir für das Alter überhaupt noch gar nicht wissen, wie weit verbreitet das ist. Ich denke, das sind viele Dinge und Suchtakzente, wo wir am Anfang stehen, und da habe ich die Hoffnung, dass wir uns in der Enquetekommission dieser Themen auch noch mal annehmen. Denn wie sind die Zugänge zu den Beratungsstellen und wie sind die Zugänge, wenn ich isolierte Beratungsstellen habe, die sich dann eben spezialisieren, oder gibt es bestimmte Verbundsysteme? Ich kann nur appellieren, diese zielgerichteten Kooperationen, die jetzt in den Bereichen Rostock und Greifswald erfolgreich umgesetzt wurden, nicht so lange auszusetzen, dass diese Arbeit, die dort geleistet wurde, wieder von vorne angefangen werden muss, denn das haben wir doch immer.

Es wurde wieder genannt, es gibt die und die und die Projekte. Ja, die sind alle gut gemeint, aber die Frage ist doch die der Nachhaltigkeit. Wie werden sie weiter- geführt, ohne wieder neue Kräfte aufzuwenden? Das einmal Dagewesene mit den gut ausgebildeten und vernetzten Frauen und Männern, das darf man dabei nicht vergessen, und auch nicht, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter letztendlich zu ermutigen, dass ihr Projekt wichtig war. Nicht wie in vielen anderen Bereichen: abgehakt, dann gibts das nächste Projekt.

Ich denke, das sollten wir ernst nehmen. So war unser Antrag gemeint und vielleicht kriegen wir das perspektivisch hin im Sozialausschuss und in der Enquetekommission, uns dem Thema „Sucht und Prävention im Alter“ zu stellen. Ich denke, heute war die Möglichkeit, dieses Thema in den Landtag zu bringen, dafür zu sensibilisieren und hier auch noch mal die kommunale Familie aufzufordern, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Ich werbe dennoch für die Unterstützung unseres Antrages und danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 6/2613. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

auf Drucksache 6/2613 mit den Stimmen von SPD, CDU und NPD abgelehnt, bei Zustimmung der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 24: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Arbeitsmarktpolitische Spielräume gewinnen – Haushalte der Jobcenter bedarfsgerecht ausstatten, Drucksache 6/2623. Hier- zu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 6/2659 vor.

Antrag der Fraktion DIE LINKE Arbeitsmarktpolitische Spielräume gewinnen – Haushalte der Jobcenter bedarfsgerecht ausstatten – Drucksache 6/2623 –

Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 6/2659 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Foerster von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Er ist heute schon angesprochen worden, der aktuelle Arbeitsmarktbericht. Und naturgemäß werden die Zahlen auch unterschiedlich interpretiert.

Ich sage, der enthält Licht und Schatten, und Schatten insbesondere mit Blick auf den heutigen Antrag, den wir deshalb zur Diskussion stellen, weil die Zahl der Langzeitarbeitslosen erneut um 2.900 zugenommen hat. Und auch vor diesem Hintergrund machen wir mit dem heutigen Antrag noch einmal deutlich, dass die unter Ziffer 241 Ihres Koalitionsvertrages dokumentierte Hoffnung, für diejenigen, die trotz Vermittlungs- und Qualifizierungsmaßnahmen nicht auf Dauer in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden können, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mithilfe des Bundes schaffen zu wollen, sich wohl nicht erfüllen wird, jedenfalls nicht ohne entsprechende Aktivitäten Ihrerseits, die wir unter anderem mit dem heutigen Antrag erneut einfordern. Denn im Grunde war dieses Schielen nach Berlin und das Abschieben der Verantwortung auf die Jobcenter von Anfang an zum Scheitern verurteilt, da der Bundestag im Jahr 2011 gerade eine Instrumentenreform verabschiedet hatte, mit der die Möglichkeiten der Jobcenter, sinnvolle Beschäftigungsangebote zu unterbreiten, erheblich reduziert wurden.

Hinzu kommt, das habe ich hier schon häufiger gesagt, die völlig unverhältnismäßige Kürzung der Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik durch die alte Bundesregierung. Die aktuellen Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen auch, dass die Dauer der Arbeitslosigkeit im Land 2013 in beiden Rechtskreisen gestiegen ist –

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

und das sind keine Unkenrufe, sondern das ist Statistik, Herr Kollege Renz –, im ALG-I-Bezug von 37,5 Wochen im Jahr 2011 auf 38,9 Wochen,

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

im Jahr 2013 und in der Grundsicherung von 51,7 auf 62,3 Wochen. Und auch der Anteil der Langzeitarbeits- losen stieg 2013 von 31,5 auf 40,1 Prozent.

Fakt ist, dass der Bezug von Leistungen des SGB II für viele Betroffene leider keinen vorübergehenden Charakter hat. Statt überbrückender Hilfe in der Not beziehen große Teile diese Leistungen über Jahre. Insbesondere die Langzeitarbeitslosen sind eine sehr heterogene Gruppe. Die Instrumente, um ihnen eine berufliche Perspektive zu eröffnen, müssen folglich genauso vielfältig sein wie die Probleme, die ihrer Situation zugrunde liegen. Für die Jobcenter bedeutet das, dass sie mehr tun müssen, als die Entwicklung als Megathema anzuerkennen. Denn wenn zuweilen vier von fünf Leistungsbeziehern eines Jobcenters langzeitarbeitslos sind, dann braucht es für ihre erfolgreiche Integration zunächst einmal die notwendige finanzielle Basis.

Und genau da beginnen die Probleme. Denn dass diese Basis immer dünner wird, das zeichnet das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufs- hilfe – kurz BIAJ – in einem Papier vom 15. Januar nach. Demnach wurde für das Jahr 2005 noch ein Eingliederungsbudget von 1.971 Euro pro erwerbsfähigem Erwachsenen festgelegt bei einem Verwaltungsauf- wand von damals 1.007 Euro. Zehn Jahre später stehen jetzt für 2014 noch ganze 767 Euro an Eingliederungsmitteln pro erwerbsfähigem Erwachsenen zur Verfügung. Rechnet man die Sonderprogramme wie Bürgerarbeit oder den Beschäftigungspakt für Ältere dazu, sind es 882 Euro. Und mit Blick auf unser Land bewegen wir uns zwischen 700 Euro in Bad Doberan und 910 Euro in Greifswald, für den Personal- und Verwaltungsaufwand bald 1.070 Euro.

Ich darf also feststellen: Die Problemlagen in dieser Zielgruppe nehmen zu und obwohl dies auch die Bundes- agentur für Arbeit einräumt, wenn sie von der Zunahme multipler Vermittlungshemmnisse und fehlenden Qualifikationen spricht, gehen die Eingliederungsmittel stetig zurück. Trendwende in 2014? Fehlanzeige!

Erschwerend kommt dazu, dass die Eingliederungsmittel seit Jahren durch Umschichtungen in die Verwaltungshaushalte der Jobcenter belastet werden, weil diese nicht auskömmlich finanziert werden.

(Torsten Renz, CDU: Aber erst seit zwei Jahren, nicht drei.)

Außerdem müssen bisher Mittel, die nicht gebunden wurden, am Jahresende an den Bund zurückgegeben werden.

Schaut man sich jetzt den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD im Bund unter genau diesen Gesichtspunkten an, dann stellt man zunächst fest, dass er die Umschichtungen zulasten des Eingliederungstitels überhaupt nicht thematisiert. Das ist deshalb proble- matisch, weil durch diese Praxis noch weniger Geld für die Fortbildung und Qualifikation der Betroffenen zur Verfügung steht als ohnehin schon infolge der Mittelkürzungen.

(Torsten Renz, CDU: Das ist eine Vermutung, das ist eine Vermutung, die nicht...)

Herr Renz, die Jobcenter lösen durch diese Praxis ganz einfach ihre Finanzierungsprobleme,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

weil sie Kosten für Personal, für Miete, für die Qualifizierung der Mitarbeiter oder Strom mit Geldern bestreiten, die eigentlich für die Integration von Arbeitslosen vorgesehen waren.

Schaut man dann weiter in den Koalitionsvertrag auf Bundesebene, den übrigens auch Fachleute jenseits meiner Partei als Dokument des arbeitsmarktpolitischen Stillstands bezeichnen, stolpert man über die Ankündigung zur Anhebung des Eingliederungstitels um 1,4 Milliarden Euro. Da sage ich, klingt gut. Experten, zum Beispiel aus der BAG Arbeit, hatten ja eine Aufstockung um circa 2 Milliarden Euro pro Jahr gefordert. Gesetzt den Fall, es gäbe die 1,4 Milliarden Euro tatsächlich mehr on top pro Jahr, dann hätte sich Punkt 2b unseres Antrages für heute erledigt. Allerdings ist dem leider nicht so,

(Torsten Renz, CDU: Doch.)

denn bei näherem Hinsehen

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

entpuppt sich das Ganze als Ente.

Dies zeigt auch ein Briefwechsel zwischen dem bayerischen und dem Bundesarbeitsministerium, aus dem das BIAJ zitiert. Dort heißt es: „Die Anhebung des Budgets im Bundeshaushalt dient ausschließlich dazu, die wirksame Übertragbarkeit der Restmittel im SGB II zu gewährleisten.“ Da auch diese übertragenen Restmittel aber haushaltsrechtlich von Finanzminister Schäuble wieder einkassiert werden und in der Konsequenz das Bundesarbeitsministerium diese Mittel aus dem eigenen Haushalt finanzieren müsste, hebt man den Eingliederungstitel also einfach um 1,4 Milliarden Euro an. Und das Ende vom Lied ist, es gibt also gar nichts on top für die Jobcenter im Lande.

(Torsten Renz, CDU: Oha!)

Das ist schlecht für die Betroffenen, denn bei näherer Betrachtung des letzten Arbeitsmarktberichtes stellt man neben dem Anstieg der Dauer der Arbeitslosigkeit und der Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit fest, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit der schwächste seit 2008 war und die Arbeitslosigkeit in bestimmten Zielgruppen weiter steigt, so bei den Über-55-Jährigen seit 16 Monaten, bei den Unter-20-Jährigen seit 4 Monaten und bei den Langzeitarbeitslosen seit 5 Monaten. Und nicht zuletzt die Verteilung der Arbeitslosen über die Rechtskreise unterstreicht noch einmal deutlich, wo der größte Handlungsbedarf hierzulande liegt.

Von den im Januar 2014 offiziell 111.615 Arbeitslosen bezogen 38.533 oder 34,5 Prozent ALG I und 73.082 oder 65,5 Prozent Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Deshalb brauchen wir fünf Dinge:

Wir brauchen eine bedarfsgerechte Ausstattung der

Verwaltungshaushalte der Jobcenter.

Wir brauchen mehr Transparenz in der öffentlichen

Darstellung des Gesamtbudgets.

Wir brauchen eine tatsächliche Aufstockung des

Eingliederungstitels.

Wir brauchen mehr Flexibilität bei der Umsetzung

arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen.

Und wir brauchen passgenaue Instrumente, ein

schließlich einer intensiveren Betreuung bei der Integration.

Bundesweit wurden nach Angaben des BIAJ 2013 von den damals 304 gemeinsam durch BA und Kommunen betriebenen Jobcentern von den vom Bund zugewiesenen 2,511 Milliarden Euro für Eingliederungsleistungen mehr als 327 Millionen Euro in die Verwaltungskostenbudgets umgeschichtet. Das sind satte 13 Prozent, die wiederum für die Finanzierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen fehlen. Und 2014 rechnet das BIAJ sogar mit Umbuchungen in Höhe von bis zu 450 Millionen Euro.

In Mecklenburg-Vorpommern wurden 2013 etwa 10,5 Mil- lionen Euro, also rund 10 Prozent, des Eingliederungs- budgets der gemeinsamen Einrichtungen umgeschichtet. Und deshalb wollen wir von der Landesregierung wissen, wie sich diese Entwicklung seit 2011 hierzulande darstellt, und fordern Sie daher auf, als Beitrag zu mehr Transparenz in der Sache das Parlament zu den unter Punkt II.1. angeführten Sachverhalten zu informieren.