Ich habe in meiner Einbringung natürlich auf die bundespolitischen Vereinbarungen abgehoben. Warum? Das dürfte auch klar sein. Zum einen ist die Mittelausstattung ein bundespolitisches Thema und zum anderen gab und gibt es scheinbar weiterhin das landespolitische Dogma, Arbeitsmarktpolitik sei – zumindest das SGB II betreffend – alleinige Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit beziehungsweise der Jobcenter. Und das stimmt ja schon mit Blick auf das ESF-Ziel „Armutsbekämpfung“ nicht. Oder wollen Sie auch nach der heutigen Debatte zum Armutsbericht ernsthaft bestreiten, dass es einen Zusammenhang zwischen Armut und Arbeitslosigkeit gibt?
Seit 2007 hat sich die Koalition hierzulande, ich nenne es mal, einen schlanken Fuß gemacht. Der Tenor ist, läuft es am Arbeitsmarkt gut, dann ist es Ergebnis der eigenen guten Politik,
Und, Herr Renz, die Fachwelt beurteilt die im Koalitionsvertrag auf Bundesebene festgehaltenen Vorhaben da
ziemlich eindeutig. So schreibt der Evangelische Fachverband für Arbeit und soziale Integration in der letzten Ausgabe seines monatlich erscheinenden Informationsdienstes: „Also nix wird’s mit einem Aufbruch in Richtung Sozialer Arbeitsmarkt und auch sonst birgt die Vereinbarung der neuen Bundesregierung nicht gerade atemlos machendes Verbesserungspotential.“
Deutschland vier weitere Jahre verwaltet und das nicht einmal gut. Dabei sprechen die Zahlen der bundeseigenen Statistik eine klare Sprache. Im Vergleich zum Dezember 2012 hat die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten trotz … guter Arbeitsmarktkonjunktur um 97.000 Personen zugenommen.“
„Auch die Zahl derer, die bereits 4 Jahre und länger im Leistungsbezug stehen, ist um 35.000 gewachsen.“
Und warum man zu eben dieser Einschätzung gelangen kann, will ich Ihnen noch mal plastisch vor Augen führen:
Das bundesweite Eingliederungsbudget wurde seit 2010 von 6,6 Milliarden Euro auf nur noch 3,9 Milliarden Euro gekürzt. Die im Koalitionsvertrag enthaltene Aufstockung um 1,4 Milliarden Euro stellt keine Kehrtwende dar, sondern, ich sage es noch mal, sie dient, nach dem, was man bislang weiß, lediglich der Absicherung der – und das ist richtig – auch von uns geforderten, wirksamen Restmittelübertragung im SGB II. Die Übertragbarkeit hilft zwar bei der Planung von Maßnahmen, weil, das ist ja angeklungen, das angestrengte Heraushauen von Mitteln gerade im letzten Quartal verringert wird. Aber damit lösen Sie nicht das Problem der insgesamt zu geringen Mittelausstattung. Wir brauchen dennoch diesen Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in diesem Punkt nicht,
weil die Restmittelübertragung tatsächlich eines der ganz wenigen Themen ist, das sich im Koalitionsvertrag auf Bundesebene wiederfindet.
Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD im Bund kommt die aktive Arbeitsmarktpolitik aber ansonsten so gut wie nicht vor. Ganze zwei Seiten sind dem Thema gewidmet. Und wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU, Ihre Ankündigung aus dem Land ernst meinen und tatsächlich immer noch mithil- fe des Bundes sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse für Langzeitarbeitslose in Mecklenburg-Vorpommern schaffen wollen, dann müssten Sie sich jetzt endlich mit Nachdruck für eine echte Anhebung des Eingliederungstitels starkmachen,
Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit soll auf Bundesebene trotz der weiteren Kürzungen einen Schwerpunkt bilden. Da sage ich: Klingt gut, ist aber ohne entsprechende finanzielle Untersetzung eine Luftbuchung.
Was steht noch drin? Langzeitarbeitslose sollen verstärkt in existenzsichernde Arbeit vermittelt werden. Dazu soll ein neues Bundes-ESF-Programm aufgelegt werden. Auch das ist eine Nebelkerze. Der Ansatz „Perspektiven in Betrieben“ wurde bereits modellhaft erprobt und hat sich als nur bedingt tauglich erwiesen. Das Operationelle Programm, geschrieben von der schwarz-gelben Vorgängerregierung und mit den Ländern bereits abgegrenzt, liegt schon in Brüssel. Faktisch wird es also gar kein neues ESF-Bundesprogramm geben können.
Der Langzeitleistungsbezug soll verringert und vermieden werden. In Ordnung. Aber die Frage lautet: Wie machen wir denn das? Wer schon seit Jahren arbeitslos ist, der steckt im SGB II fest. Vermieden werden könnte der Langzeitleistungsbezug bestenfalls durch rechtzeitige Qualifizierung und Weitervermittlung für noch im Arbeitsleben stehende Personen oder durch Verlängerung des Arbeitslosengeldbezuges, zum Beispiel für ältere Arbeitslose. Davon steht aber nichts im Koalitionsvertrag.
Ein sozialer Arbeitsmarkt, wie von der SPD versprochen, findet sich ebenfalls dort nicht. Als meine Fraktion gemeinsam mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Dezember 2012 die Initiative für ein Modellprojekt im Land ergriffen hat, wurde dies von der damals noch amtierenden Arbeitsministerin als teurer Luxus und Tropfen auf den heißen Stein abgekanzelt. Stattdessen verwies Ministerin Schwesig auf den Bund. Dort werde es die große Lösung geben, von der dann auch MecklenburgVorpommern profitieren werde, tönte sie damals. Und was ist passiert? Sie ahnen es bereits – nix!
Die Möglichkeit, Umschichtungen zwischen Eingliederungstitel und Verwaltungshaushalt vorzunehmen, ist nicht das eigentliche Problem. Es kann immer Schwankungen im Rahmen der Haushaltsbewirtschaftung geben. Problematisch ist aber, dass diese Umschichtungen zum Prinzip erhoben werden und dass sie vor allen Dingen eine Einbahnstraße sind, nämlich immer zulasten des Eingliederungstitels und immer zugunsten des Verwaltungshaushaltes. Und die Leidtragenden dieser Politik sind neben den betroffenen Arbeitslosen mit ihren Kindern vor allem die Kommunen, denn diese kranken daran, dass sie in ihren regionalen Arbeitsmarktprogrammen keine Antwort darauf geben können, wie sie beispielsweise die allein hier im Land wegfallenden mehr als 1.600 Bürgerarbeitsplätze ersetzen sollen.
Ich hatte Sie in meiner Einbringungsrede auf den Umstand hingewiesen, dass auch in Mecklenburg-Vorpommern im vergangenen Jahr 10,5 Millionen Euro aus dem Einglie- derungsbudget in die Verwaltungskostenbudgets der Jobcenter umgebucht worden sind. Nun kann man sich natürlich hinstellen und kann sagen: Was ist das schon, gerade auch im Vergleich zu den Bundeszahlen? Ich denke dagegen, Sie sollten diese Praxis bezogen auf die vergangenen Jahre endlich einmal genauer analysieren
und die Summe auch richtig einordnen. Denn nehmen wir zum Vergleich die Integrationsprojekte als das herausragende arbeitsmarktpolitische Angebot auf Lan- desebene. Diese sollen aus ESF-Mitteln mit 19,5 Millionen Euro ausgestattet werden, aber das eben nicht etwa für ein Jahr, sondern für die nächsten sieben Jahre! Erstellen Sie also den von uns mit dem Antrag geforderten Bericht und beteiligen Sie den zuständigen Arbeitsausschuss! Bewerten Sie das Ganze! Thematisieren Sie das Problem in Ihren Gesprächen mit der Regionaldirektion der Bundesagentur und der Agenturzentrale in Nürnberg! Engagieren Sie sich weiterhin nachhaltig in der ASMK und an geeigneter Stelle für eine bessere Finanzausstattung der Jobcenter! Es kann doch nicht sein, dass diese Unterfinanzierung einfach hingenommen wird und man gleichzeitig beklagt, dass eine intensive Betreuung und Beratung der Betroffenen schon aufgrund personeller Engpässe gar nicht mehr zu leisten ist.
Sprechen Sie auch mit den Unternehmerverbänden über Fragen von Wettbewerbsneutralität und Zusätzlichkeit. Sie wissen, wir waren nie ein Freund der Arbeitsgelegenheiten, aber selbst diese werden nicht nur weniger, sondern sind seit 2011 auch immer schwieriger noch sinnvoll zu konzipieren und personell zu besetzen. Regional verbreitete Positiv-Negativ-Listen können helfen, sie dürfen jedoch nicht zu starr ausgelegt werden. Ein Beispiel: Wenn schon Rasen mähen oder Unkraut jäten auf Hauptwegen von Friedhöfen als Wettbewerbsverzerrung gilt, dann muss man sich doch nicht wundern, dass es immer schwieriger wird, Langzeitarbeitslose zu motivieren und auf den Wiedereinstieg in die echte Arbeitswelt vorzubereiten. Es muss also wieder stärker darauf geachtet werden, dass beispielsweise Arbeitsgelegenheiten in der Praxis auch tatsächlich mit Maßnahmen wie der beruflichen Qualifizierung verbunden werden. Das ist seit 2011 ja nur noch durch die Kombination mit Maßnahmen der Aktivierung und Eingliederung möglich.
Zum Abschluss meiner Rede möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es offensichtlich einen eklatanten Widerspruch zwischen Ihrer Wahrnehmung und der Lebenswirklichkeit der von Langzeitarbeitslosigkeit betroffenen Menschen gibt. Und um auch das noch einmal klarzustellen: Ich bestreite überhaupt nicht, dass es in der Summe weniger Arbeitslose gibt als 2006.
Na, selbstverständlich, jedenfalls dann, wenn sie in existenzsichernde Arbeit vermittelt worden sind, Herr Renz.
und ihren gesamtgesellschaftlichen Wirkungen haben sich bis auf den heutigen Tag auch die Herausforderungen geändert, denen wir uns stellen müssen. Und ich will nur am Rande daran erinnern, dass wir uns momentan in Deutschland in einer längeren Konjunkturphase befinden, also es geht uns vergleichsweise gut. Was passiert
eigentlich, wenn wir jetzt nichts gegen Langzeitarbeitslosigkeit unternehmen, in Phasen, wo das mal anders aussieht?
Die Wirklichkeit erschöpft sich eben nicht in sinkenden Arbeitslosenzahlen, wie ich eingangs schon deutlich gemacht habe. Der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes klang heute schon an. Er zeigt, dass die Lebenswirklichkeit von mehr als 300.000 Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern in Mecklenburg-Vorpommern auch von Armut geprägt ist. Wir haben die zweithöchste Armutsgefährdungsquote und das hat natürlich auch etwas mit der Arbeitslosigkeit und insbesondere mit der sich verfestigenden Langzeitarbeitslosigkeit zu tun.
Ich habe das verschiedentlich mit Blick auf die Landesarbeitsmarktpolitik kritisiert, dass wir hier in MecklenburgVorpommern Mittel des ESF durchleiten. Das Land Thüringen, bekanntermaßen auch nicht von der LINKEN regiert, das kann sich gegebenenfalls jetzt ändern bei der nächsten Landtagswahl, setzt jährlich mehrere Millionen Euro zusätzlich zu den ESF-Mitteln für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ein. Es gibt ein Landesarbeitsmarktprogramm „Arbeit für Thüringen“ und zwischen 6 und 7,5 Millionen Euro werden zusätzlich zu ESFMitteln investiert. Und insofern bleibt es dabei: Stellen Sie sich Ihrer Verantwortung, stimmen Sie unserem Antrag zu, nehmen Sie Geld in die Hand und schaffen Sie Perspektiven! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ja, sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich hatte ich gar nicht vor, noch mal ans Mikrofon zu treten, aber zum einen habe ich noch ganz, ganz viel Zeit übrig,
weil ich mich vorhin ganz kurzgefasst habe, zum anderen habe ich aber auch noch mal das dringende Bedürfnis, auf zwei Dinge einzugehen:
Zum einen, Herr Foerster, herzlichen Dank, dass Sie hier noch mal zu dem Inhalt der Koalitionsvereinbarung referiert haben, was hier im Bereich Arbeitsmarktpolitik niedergeschrieben ist, obwohl ich dem geneigten Zuhörer ja nur empfehlen kann, sich Ihre Bewertung nicht zu eigen zu machen. Unsere ist da eine ganz andere Bewertung.
(Henning Foerster, DIE LINKE: Das war notwendig, weil Sie gesagt haben, es ist alles klar, es ist alles geregelt.)
Und zum Zweiten möchte ich nur noch mal den Punkt „Seriosität“ ansprechen. Wenn man Arbeitslosenzahlen vergleicht, kann man das nicht seriös machen, ohne