(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wie gedenken Sie der Opfer? – Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das gilt ganz besonders heute für die vielen Wendehälse aus DDR-Zeiten, die ihre Karrieren ebenso naht- wie skrupellos in der BRD fortgesetzt haben und sich nun als Hohepriester Sophie Scholls aufspielen, mit der sie rein gar nichts gemein haben. Sie sind das genaue Gegenteil, insbesondere diejenigen DDR-Lehrer, die 1990 in atemberaubender Geschwindigkeit von „Rotlichtbestrahlung“ auf „Grundgesetzjubel“ umschalteten – das hat die Glaubwürdigkeit des pädagogischen Sektors auf dem Gebiet der ehemaligen DDR tief greifend und nachhaltig beschädigt, nicht nur bei der damaligen Schülergene- ration, die Zeuge dieses atemberaubenden Manövers wurde – ohne Netz und doppelten Boden und ohne Karrierelücke zwischen den Systemen.
Es entgeht den Menschen auch nicht, was beim NSGedenken an Posten und Geldern abzustauben ist. Gerade eben – Herr Holter hat es erwähnt – fanden Antisemitismusforscher heraus, dass der latente Antisemitismus in Deutschland immer noch in alarmierendem Ausmaß vorhanden sei. Das war keine Überraschung. Wer auf einem weichen Bürostuhl in einem Institut zur Erforschung des Antisemitismus sitzt, in einem schicken Büro, mit einem schönen Gehalt
und einem Dienstwagen, einer Sekretärin und einem großzügig bemessenen Spesenkonto, der wird wohl kaum herausfinden, dass der Antisemitismus zurückgegangen sei oder gar verschwunden wäre. Der geht nie zurück, denn dann würde ja das Budget gekürzt.
Selbstverständlich wird es immer schlimmer mit dem Antisemitismus. Noch mehr politische Bildung ist nötig und noch mehr Mittel und noch mehr Posten und Planstellen und Tagungen und Dienstreisen.
Eine ganze Branche lebt mittlerweile vom Kampf gegen rechts auf dem moralischen Niveau der alten Katholischen Kirche, über deren Priester man damals gesagt hat, sie tragen ihr Kreuz, indem sie Wildbret und Wurst kreuzweise auf das dickbeschmierte Butterbrot legen.
(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mein Gott, jetzt reichts hier aber!)
Die Quittung war die Reformation. Machen Sie ruhig so weiter wie jetzt! Machen Sie so weiter, wie Herr Dr. Nieszery es dargestellt hat! Dann werden Sie auch das letzte Fünkchen Interesse an diesem Gedenkkult noch gekillt haben. Wir brauchen nur zuzusehen und mehr Mühe ist die ganze Sache auch nicht wert.
(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sechs Millionen Opfer, was haben Sie dazu zu sagen?)
Herr Andrejewski, Sie verleugnen, Sie lenken ab, Sie denunzieren und Sie entziehen sich der Verantwortung vor der Geschichte. Dieser Landtag wird Ihnen das nicht durchgehen lassen.
(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von Stefan Köster, NPD, und Udo Pastörs, NPD)
Sehr geehrte Damen und Herren, Auschwitz gilt als Symbol für die unfassbare Vernichtung von Millionen von Menschen durch das NS-Regime. Wir Demokraten haben vor ein paar Tagen zum 67. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz der weit mehr als einhundert Millionen gedacht,
es ist richtig und bedeutend, dass der Landtag ebenfalls mit einem gemeinsamen Antrag der demokratischen Fraktionen daran erinnert. Wir Deutschen haben tiefe Schuld auf uns geladen.
Dies bedeutet auch, dass wir über viele Generationen hinweg, Herr Pastörs, Verantwortung tragen. Denn derartige Verbrechen und das damit verbundene unmenschliche Handeln dürfen sich niemals wiederholen. Wir müssen uns immer wieder dabei aktiv erinnern und uns der Lehren aus dieser schmerzlichen Historie immer wieder bewusst werden.
(Udo Pastörs, NPD: Und auch was kosten lassen vor allen Dingen. – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wenn es sein muss.)
Sehr geehrte Damen und Herren, auch ich möchte an die Rede Erich Karys erinnern. Und die Tatsache, dass
die Kollegen aus den demokratischen Fraktionen dies in all ihren Redebeiträgen vorher getan haben, zeigt ja, glaube ich, wie bewegend und beeindruckend diese Rede war. Erich Kary hat uns am vergangenen Freitag erinnert
und er hat erneut die Kraft aufgebracht, von den abscheulichen Handlungen zu erzählen, die Deutsche ihm antaten – ein Mann, der sich in bewundernswerter Weise verpflichtet fühlt, seine Erlebnisse vor allem an junge Menschen, an Schülerinnen und Schüler weiterzugeben.
Er tut dies, obwohl er damit immer wieder an seine Grenzen gerät, bei jeder Erzählung mit seinen schrecklichen Erinnerungen konfrontiert wird und sich dennoch der Verantwortung stellt, jungen Menschen von den schrecklichen Geschehnissen zu berichten und dazu beizutragen, dass nicht vergessen wird.
Ich bin kürzlich auf ein Interview gestoßen, das Erich Kary vor Kurzem gegeben hat, und ich möchte eine kurze Passage verlesen aus einem längeren Interview, weil dies ausdrückt, welche Verantwortung wir auf uns geladen haben. In diesem Interview gibt es eine kurze Passage, in der Erich Kary zu seiner erstmaligen Ankunft in Auschwitz befragt wird. Er ist am Freitag auch darauf eingegangen. Die Frage lautet: „War Ihnen bei der Ankunft in Auschwitz bewusst, was Sie erwartete?“ Und er antwortete darauf, ich zitiere: „Bei der Abfahrt wussten wir noch nicht, wohin unsere ,Reise‘ führt. Vielleicht nach Osten, um dort irgendwo zu arbeiten. Als wir aber in Auschwitz ankamen, wurde uns klar: Das ist das Ende! Man trieb uns mit Knüppeln aus dem Waggon. Mutter und ich haben uns angeschaut, schweigend. Diese letzten Blicke werde ich nicht los. Von diesen Erinnerungen gibt es keine Befreiung.“ Auch als er in diesem Moment am Freitag hier im Landtag im Festsaal, als er diesen Moment beschrieb, den Moment, in dem er an der sogenannten Rampe in Auschwitz zum letzten Mal seine Mutter sah, kamen ihm, meine Vorredner sind schon darauf eingegangen, die Tränen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, nicht nur mich hat dies sehr berührt. Ich habe tiefe Achtung vor Menschen wie Erich Kary, weil sie uns nicht vergessen lassen und weil sie uns an unsere Verantwortung erinnern. Wir dürfen nicht aufhören, ohne Kompromisse für die unantastbare Würde jedes einzelnen Menschen und für die Menschenrechte einzutreten und uns dafür zu engagieren. Wir dürfen nicht aufhören zu mahnen, denn heute sitzen in deutschen Parlamenten – auch hier – wieder Rechtsextreme, die den Holocaust relativieren. Es ist die Pflicht aller Demokraten …
Es ist die Pflicht aller Demokraten, dagegen Widerstand zu leisten, es nicht hinzunehmen, dass in Deutschland Jüdinnen, Migrantinnen, Behinderte, Obdachlose oder Homosexuelle wieder Angst vor Übergriffen haben müssen.
(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Köster, NPD: Oder Deutsche.)
Sehr geehrte Damen und Herren, wer dies beschwichtigt oder glaubt, das Problem durch Stillhalten lösen zu können, hat aus der deutschen Geschichte nichts gelernt. Da, wo es notwendig ist, muss den Neonazis und den Rechtsextremen mit allen demokratischen Mitteln entgegenge- treten werden. Rechte Straftaten, dazu gehört auch die Leugnung und Relativierung der Naziverbrechen, müssen konsequent aufgeklärt und geahndet werden.
Doch die Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten kann nicht alleine mit rechtlichen Mitteln gewonnen werden. Wichtig ist das gesamtgesellschaftliche Engagement, mit dem deutlich wird,
Gerade an diesem Gedenktag wird vor dem Hintergrund der Mordserie der nationalsozialistischen Terrorgruppe in den vergangenen Jahren deutlich, wie notwendig es ist, sich immer wieder mit aller Entschiedenheit gegen Intoleranz und Unmenschlichkeit zu stellen. Dabei sind alle Menschen, die sich zur Demokratie bekennen, gefragt, Zivilcourage zu leben und zu vermitteln. Dies, sehr geehrte Damen und Herren, sind wir Erich Kary schuldig und den vielen Millionen Menschen, denen die Nazis unendliches Leid zugefügt haben.