Protokoll der Sitzung vom 13.11.2014

Wir hatten vorhin das Thema Willy Brandt. Das will ich ausdrücklich betonen: Dieses schwierige vorgetragene Modell von ihm „Wandel durch Annäherung“, stieß ja auf große Kritik innerhalb der Bundesrepublik Deutschland – nicht nur dort –, weil die Menschen natürlich auch das Gefühl hatten, ehrt er jetzt nicht in irgendeiner Form einen Staat, den man nur zutiefst ablehnen kann.

Ich will ich auch an den KSZE-Prozess 1973 erinnern.

(Rudolf Borchert, SPD: Genau. – Thomas Krüger, SPD: Richtig.)

Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der letztendlich 1989 zur Gewaltlosigkeit einen wesentlichen Beitrag geleistet hat. Dieser KSZE-Prozess bedeutete, dass die DDR zum ersten Mal erklärte – übrigens damals gemeinsam mit Helmut Schmidt unterschrieben –, dass sie sich zu bestimmten Grundrechten, Menschenrechten bekennen will. Dass sie sich am Ende daran nicht gehalten hat, ist eine andere Geschichte. Aber sie hatte den Anspruch und dieser Anspruch ist meiner Meinung nach wesentlich dafür, dass es 1989 friedlich geblieben ist.

Ich will versuchen, es kurz zu erklären, warum ich das glaube. Gewaltlosigkeit setzt aus meiner Sicht voraus, dass derjenige, der die Waffen und die Macht hat, Angst hat, ein Gesicht zu verlieren, vor wem auch immer. Die DDR hatte das, denn sie hatte den Anspruch, von der internationalen Öffentlichkeit anerkannt zu werden und für bestimmte Ideale zu stehen. Hätte sie das nicht getan, wäre es ein schlimmes nationalsozialistisches System gewesen, wie zum Beispiel der Aufstand im Warschauer Getto. Dort gäbe es keine Chance auf gewaltlosen Widerstand, weil es völlig klar ist, die Ermordung der vor einem Stehenden ist Ziel der ganzen Aktion.

Deswegen ist es so wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass es diese Ideale in der DDR gegeben hat und dass es Menschen in der DDR gegeben hat, die versucht haben, für diese Ideale zu kämpfen in den Oppositionsgruppen, in den Kirchen, aber – und das ist mir wichtig – auch innerhalb der SED, wo es solche Leute gegeben hat. Das sehen wir ganz augenscheinlich an den sechs Menschen, die damals am 09.10.1989 den Aufruf in Leipzig unterschrieben haben. Es befanden sich drei SED-Bezirkssekretäre darunter.

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

Ich will die jetzt nicht zuallererst nennen, weil zu den Menschen, die sich ändern mussten, die neue Erkenntnisse hatten, gehöre ich selbstverständlich auch.

(Udo Pastörs, NPD: Sie mussten an die Spitze der Bewegung oder weg.)

Ich will deswegen als Erstes die Menschen nennen, wo ich eine Haltung deutlich korrigieren musste, die ich 1989 hatte: Das sind die Ausreiseantragsteller. Wir fühlten uns in der Opposition massiv bedroht von den Menschen, die gegangen sind. Das lag daran, dass man nicht für irgendeine abstrakte Gesellschaft kämpft, sondern für Freunde, Verwandte, Bekannte. Wenn die gingen, war das selbstverständlich ein heftiger Schlag für die, die zurückblieben. Aber, und das muss ich anerkennen, diese Menschen haben einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet. Ohne die Menschen, die den Mut gehabt haben zu gehen, alles hinter sich zu lassen, wäre 1989 nicht denkbar gewesen. Das war das Signal bis in die Parteiführung hinein, so geht es nicht weiter, hier muss es eine Änderung geben.

Ich möchte auch an das Thema Asyl erinnern. Das spielt für mich in der Frage 1989 eine große Rolle oder später beim Nachdenken darüber. Wir waren als Bürger der DDR gleichzeitig Bürger der Bundesrepublik Deutschland und es ist in der Bundesrepublik Deutschland darüber diskutiert worden, ob man das nicht abschaffen sollte und die Zweistaatlichkeit endlich anerkennen sollte. Für uns, die blieben und das Land verändern wollten, war es immer eine ganz wichtige Rückfalllinie zu sagen, wenn alles schiefgeht, gibt es die Bundesrepublik, in der wir weiterleben können.

(Vincent Kokert, CDU: Das hat Helmut Kohl durchgetragen.)

Das ist auch ein Verdienst von Helmut Kohl, das ist ohne jede Frage so.

Aber das ist eine der Erkenntnisse, die vielleicht Auswirkungen auf die Demokratiebewegung weltweit hat. Unser Asylrecht gibt Leuten die Möglichkeit, sich in anderen Ländern zu engagieren, und deswegen sollten wir es verteidigen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja.)

Es gibt auch Sachen, wo mir mein Verstand sagt, dass es wahrscheinlich sinnvoll gewesen ist, aber mein Herz bis heute nicht hinterherkommt. Das ist zum Beispiel der NATO-Doppelbeschluss von 1983.

(Udo Pastörs, NPD: Der war richtig.)

Das will ich Ihnen niemals zugestehen, dass Sie das sagen können.

(Udo Pastörs, NPD: War sehr wichtig.)

Das will ich auch ganz deutlich sagen.

Aber Helmut Schmidt war beim Kirchentag in Rostock Ende der 80er-Jahre.

(Udo Pastörs, NPD: Richtige Entscheidung von Schmidt.)

Wir haben große Schwierigkeiten auch in der Opposition gehabt, damit klarzukommen, dass diese Waffen natürlich gegen den Ostblock gerichtet waren, aber uns getroffen hätten.

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

Das ist eine Sache, die mich heute noch bewegt. Das sind Sachen, die ich anerkennen muss.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Hier ist ein wichtiger Beitrag geleistet worden, der auch mit dafür verantwortlich ist, dass es so gelaufen ist, wie es gelaufen ist. Aber es ist für mich unerträglich, dass die Waffen auf mich gerichtet waren. So habe ich es empfunden.

(Vincent Kokert, CDU: Da haben Sie recht. – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Das habe ich auch deutlich gesagt. Wenn ich an die Leute erinnert habe,

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

die den Appell in Leipzig mit unterschrieben haben, dann weiß ich, dass es diese Menschen auch bei der Polizei gegeben hat. Wir hatten damals die Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei. Es gab die Scharfmacher innerhalb der Sicherheitsorgane und bei der SED, und es gab diejenigen, die begriffen hatten, dass jetzt der Dialog angesagt ist. Diesen Menschen, die das begriffen haben, bin ich dankbar.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und jetzt zur schwierigen Diskussion des Unrechtsstaates. Ich kenne Freunde von mir, die sagen, hör auf, das ist so eine schwierige Diskussion. Bringt es das? Es gibt keine Definition für den Unrechtsstaat. Es ist doch von allen betont worden, die DDR war kein Rechtsstaat.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Es gab schweres staatliches Unrecht. Können wir es dabei nicht einfach belassen? Warum müssen wir das jetzt alles in diesen Begriff hineingießen, ist es ein Unrechtsstaat gewesen, ja oder nein?

(Zuruf aus dem Plenum: Ja.)

Die Schwierigkeit besteht in zweierlei Hinsicht:

Erstens. Ich kann die Sorge verstehen, wenn jemand sagt, wenn ich die DDR einen Unrechtsstaat nenne, dann könnte es zu einer Gleichsetzung mit dem Nationalsozialismus kommen. Da möchte ich ganz deutlich betonen, niemals würde ich das gleichsetzen. Da sind wir uns alle einig, das ist ein wichtiger Punkt.

(Vincent Kokert, CDU: Sehr richtig. – Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Der Punkt, ob es die Lebensleistung der Menschen in der DDR herabwürdigt, wenn ich den DDR-Staat einen Unrechtsstaat nenne, ist der wirkliche Streitpunkt. Und da möchte ich deutlich sagen: Alle, die ich kenne, die diesen Begriff „Unrechtsstaat“ verwenden, würdigen die Lebensleistungen der Menschen in der DDR auf keinen Fall herab.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau. – Zuruf aus dem Plenum: Weil das eine mit dem anderen auch gar nichts zu tun hat.)

Das hat miteinander wirklich nichts zu tun.

Dabei ist unbenommen, dass es selbstverständlich auch in einem Unrechtsstaat wie der DDR rechtsstaatliches Handeln im Einzelfall geben konnte,

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

nämlich das Thema Straßenverkehrsordnung. Natürlich gab es da ein Gesetz und an das Gesetz hatte man sich zu halten. Aber niemand käme auf die Idee, deswegen zu sagen, weil es so was Ähnliches im Nationalsozialismus auch gegeben hat – eine Straßenverkehrsordnung –, seien Teile des Nationalsozialismus doch irgendwie rechtsstaatlich gewesen.

Den Begriff des Unrechtsstaates machen wir nicht an der Frage fest, ob es gute Gesetze gegeben hat. Die hat es gegeben, es hat gute Umweltgesetze in der DDR gegeben, keine Frage.

(Vincent Kokert, CDU: Tja, hat sich bloß keiner drum geschert.)

Aber erstens musste sich keiner daran halten und vor allem war es ein Akt der Willkür einer Parteiführung zu entscheiden, ob sich irgendjemand daran halten musste.

(Vincent Kokert, CDU: Ja.)

Und es ist ohne Frage so, dass auch in unserem Rechtsstaat Unrecht passiert. Damit sind wir nicht im Paradies, im Rechtsstaat.

(Udo Pastörs, NPD: Oh, das ist schon mal eine gute Erkenntnis.)