Protokoll der Sitzung vom 11.03.2015

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Ich finde es auch deshalb, Herr Renz, sehr beachtlich, weil wir uns in den letzten Wochen ja darüber unterhalten haben, wie es mit der Ausgestaltung der direktdemokratischen Elemente in Mecklenburg-Vorpommern aussieht. Herr Holter hat das ebenfalls kurz angedeutet, wir sind da im Gespräch.

Ich möchte einmal auf drei Punkte hinweisen, von denen ich finde, dass sie in die Debatte gehören am heutigen Tage. Ich möchte mich dabei beziehen auf das Ranking, was „Mehr Demokratie e. V.“ für die Bundesländer angestellt hat, aus dem heraus deutlich wird, in diesem Bundesland gibt es immens hohe Hürden für direkte demokratische Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern. Wir reden darüber, diese herunterzunehmen, und das angesichts der Tatsache, dass „Mehr Demokratie e. V.“ zu dem Ergebnis kommt, wir liegen in Mecklenburg-Vor- pommern im Ländervergleich nur an Position 12, wenn es um die Regelung geht, welche Beteiligungsmöglichkeiten haben Menschen. Wenn man sich einmal die Analyse von „Mehr Demokratie e. V.“ zum Volksentscheid anschaut, dann sind wir ganz am Ende der Tabelle angesichts eines erforderlichen Zustimmungsquorums von 33 Prozent der Wahlberechtigten bei einem Volksentscheid. Und mit den 120.000 Unterschriften, die wir in unserer Verfassung haben, wenn es um Volksbegehren geht, liegen wir deutlich im unteren Teil der Möglichkeiten, sich hier direkt demokratisch zu beteiligen.

Trotzdem haben die Initiatoren die 120.000 Unterschriften, weit mehr als die 120.000 Unterschriften geschafft, um heute hier den Landtag erneut mit dieser Frage zu beschäftigen, und das ist doch ein Zeichen, das ernst, sehr, sehr ernst zu nehmen, sehr geehrte Damen und Herren. Das erwarte ich von diesem Landtag und auch deshalb finde ich es verfehlt, an dieser Stelle schon vorwegzunehmen, wie mit diesem Volksbegehren umgegangen werden soll.

Ich finde, und das muss man, glaube ich, deutlich machen, wir sind hier an dieser Stelle längst über den Punkt hinweg, schon seit Monaten längst über den Punkt hinweg, wo wir noch über den Sinn oder den Unsinn der Gerichtsstrukturreform streiten. Das tun wir längst.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Genau.)

Sondern die Debatte ist im Moment an einem Punkt angekommen, wo es in allererster Linie darum geht: Wie geht dieser Landtag, wie gehen die Regierungsfraktionen, wie geht die Landesregierung denn mit Demokratie um in diesem Land?

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Helmut Holter, DIE LINKE: Sehr richtig.)

Wie sie mit Demokratie in diesem Land umgeht, das steht im Mittelpunkt dieser Debatte.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Und ich möchte da einmal ein Zitat verlesen, was, wie ich finde, sehr gut in die Debatte hineinpasst. Ich zitiere: „Die Regierung kann in der Demokratie nur erfolgreich wirken, wenn sie getragen wird vom demokratischen Engagement der Bürger.“

(Torsten Renz, CDU: Wie bei „Stuttgart 21“.)

„Wir haben so wenig Bedarf an blinder Zustimmung, wie unser Volk Bedarf hat an gespreizter Würde und hoheitsvoller Distanz. Wir suchen keine Bewunderer; wir brauchen Menschen, die kritisch mitdenken, mitentscheiden und mitverantworten. Das Selbstbewußtsein dieser Regierung wird sich als Toleranz zu erkennen geben. Sie wird daher auch jene Solidarität zu schätzen wissen, die sich in Kritik äußert. Wir sind keine Erwählten; wir sind Gewählte.“

Dieses Zitat, sehr geehrte Damen und Herren, stammt, ich denke, insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion werden das gut wissen, vom Bundeskanzler a. D. Willy Brandt, der das in seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969, also vor mehr als vier Jahrzehnten, sagte. Es war eine der Reden, die in die Geschichtsbücher der Bundesrepublik Deutschland eingingen, und unter der Überschrift „Mehr Demokratie wagen“ zeichnete Willy Brandt als erster SPD-Bundes- kanzler der Bundesrepublik Deutschland das Bild für mehr Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern. Er forderte mehr Mut zum Einmischen, er kündigte an, zuhören zu wollen, die Menschen ernst zu nehmen. Und er begründete unter dem Leitspruch „Mehr Demokratie wagen“ den Begriff, den Beginn eines Jahrzehnts, das über zahlreiche innere Reformen zur Demokratisierung und Liberalisierung – und Sie kennen die schwierigen Rahmenbedingungen, die damals vorhanden waren – geprägt war.

Sehr geehrte Damen und Herren von der Regierungskoalition, wenn ich mir die Auseinandersetzung um die Gerichtsstrukturreform vor Augen führe, wenn ich mir den Umgang der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen mit der Volksinitiative und dem Volksbegehren ansehe, dann kann ich nur feststellen, mit dem, was Willy Brandt vor mehr als vier Jahrzehnten gewollt und gemeint hat, hat dies, hat Ihr Handeln, haben Ihre Reaktionen in der Tat nicht mehr viel zu tun. Ihnen fehlt der Mut, mehr Demokratie zu wagen, und ich will das an den Geschehnissen der letzten Monate einmal beispielhaft skizzieren.

Sie haben nichts unversucht gelassen, um Volksinitiative und Volksbegehren schlechtzureden. Da war von den Interessen von Richtern, Staatsanwälten, von Anwälten die Rede. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir nahezu 150.000 Anwälte, Richter oder Staatsanwälte hier haben. Und ich habe in der Tat die gleiche Erfahrung gemacht oder zumindest ähnliche Erfahrungen gemacht, wie Herr Holter sie gerade geschildert hat. Die Menschen waren hochsensibel, wenn wir auf sie zugegangen sind und darum geworben haben, das Volksbegehren zu unterstützen, und sie haben das auf einer Basis von umfassendem Wissen getan. In dem, was sie gesagt haben, versteckte sich auch eine Enttäuschung zu der Frage, wie werden wir von diesem Staat, wie werden wir von dieser Landesregierung behandelt, und wir wollen uns engagieren, dass es anders wird. Auch das ist etwas, bei dem ich nur darum werben kann, dass es ernst genommen wird.

Sie haben seinerzeit übrigens …

(Torsten Renz, CDU: Bei Windkraftanlagen ist es übrigens richtig, ne?)

Herr Renz, auch bei Windkraftanlagen, wo ich ja unverdächtig bin, da nicht Befürworter zu sein.

(Torsten Renz, CDU: Ach so?)

Es gehört dazu und ist sehr selbstverständlich, dass man sich in die Auseinandersetzung mit Bürgern und Bürgerinnen, die besorgt sind, hineinbegibt, dass man die Gründe sehr ernst nimmt, dass man zumindest, wenn man zu einer anderen Auffassung kommt, erklären kann, warum man zu einer anderen Auffassung kommt,

(Torsten Renz, CDU: Das ist korrekt.)

und dass man sich auch Entscheidungen auf kommunaler Ebene stellt,

(Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

aber ergebnisoffen, Herr Ringguth, bitte in die Prozesse hineingeht und nicht hier erklärt beim Einbringen, na ja, wir wissen schon,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

wie wir am Ende des Tages abstimmen werden, und dann kommt es irgendwann zum Volksentscheid. Das ist doch der zentrale Punkt.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Genauso ist es.)

Sie haben seinerzeit,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Sie haben seinerzeit die Volksinitiative sinnentstellt und gegen den Willen der Verfasser – ich will ausdrücklich daran erinnern – umgedeutet. Sie haben die Gerichtsstrukturreform auch dann noch ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen, als schon längst klar war, dass sie erfolgreich sein würde.

Sehr geehrte Damen und Herren, wie oft, ich gucke Frau Borchardt an, haben wir Ihnen gemeinsam mit der LINKEN die Möglichkeit gegeben, das Verfahren auszusetzen?! Das wäre ein Ernstnehmen von Bürgerwillen gewesen angesichts der Tatsache, dass schon vor Wochen, vor Monaten klar war, dieses Volksbegehren wird und kann erfolgreich sein.

Sie haben die Bürgermeister – und das droht ja jetzt wieder in der nächsten Runde im Rechtsausschuss – in einer Anhörung zu Wort kommen lassen, ohne auch nur ansatzweise deren Bedenken und Kritik zu berücksichtigen. Sie haben alle Reden und Einsprüche von Kreistagen, Bürgerschaften und Stadtvertretungen ignoriert, obwohl Sie wussten, wie groß der Widerstand vor allem auch von den Kommunalpolitikern, und da waren zahlreiche von CDU und SPD dabei, vor Ort war. Sie haben alle Anträge und Gesetzesentwürfe von LINKEN und GRÜNEN, wir haben Sie ja regelmäßig damit beschäftigt, zur Aussetzung der Reform abgelehnt mit irren Gründen –

(Torsten Renz, CDU: Das ist Ihre Auffassung. – Zuruf von Wolfgang Waldmüller, CDU)

das geht nicht, da haben wir einen Gesetzentwurf gemacht, dann ging es nicht dringlich und, und, und. Sie kennen die Geschichte aus den letzten Monaten, die wir

hier alle gemeinsam erlebt haben. Sie haben diese ab- gelehnt, obwohl Sie wussten, dass genügend Unterschriften zusammenkommen würden und dass Sie mit einer rücksichtslosen und unverzüglichen Umsetzung der Gerichtsstrukturreform selbstverständlich immer weiter vollendete Tatsachen schaffen würden.

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

Und auch das, Herr Müller, will ich ausdrücklich einräumen: Meine Einschätzung in der letzten Sitzung, die ich hier zum Ausdruck gebracht habe, war, Sie werden die Zeiträume ausschöpfen. Das tun Sie nicht,

(Heinz Müller, SPD: Nein.)

das finde ich gut, dass Sie das jetzt schnell machen, aber ich sage gleichzeitig: Angesichts der Tatsache, dass mit Hagenow beginnend am kommenden Freitag bis Anfang September weitere drei Amtsgerichte geschlossen werden, angesichts der Tatsache, dass Ende September die Schließung von Demmin als viertem Amtsgericht ansteht,

(Torsten Renz, CDU: Was würden Sie denn machen, was würden Sie denn machen, wenn Sie Minister wären?)

werden weiterhin vollendete Tatsachen geschaffen. Da kommt der Zwischenruf von Herrn Renz: „Was würden Sie denn machen?“.

(Torsten Renz, CDU: Genau. – Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Herr Renz, Sie haben die Gelegenheit,

(Unruhe vonseiten der Fraktion der CDU)

Sie haben die Gelegenheit, dem im Verfahren befindlichen Gesetzentwurf von GRÜNEN und LINKEN zur Aussetzung des Verfahrens im April Ihre Zustimmung zu geben.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Richtig.)

Der ist doch in der Ersten Lesung hier gewesen und wird kurzfristig in der Zweiten Lesung wieder auf dem Tisch liegen. Da bin ich mal gespannt, wie Sie sich dann an der Stelle verhalten werden.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Und, sehr geehrte Damen und Herren, auch jetzt, wo die ausreichende Anzahl von Unterschriften durch die Landeswahlleiterin bestätigt ist, setzen Sie Ihren Kurs fort, und Sie wissen ganz genau, wenn es selbst Anfang September zum Volksentscheid kommt, Herr Müller – ich begrüße, dass es jetzt so schnell geht, noch mal ausdrücklich –, dann wird ein Argument sein, was denn die Konsequenz aus dem Zurückdrehen der schon vollzo- genen Teile der Reform sein wird. Natürlich wird das diejenigen, die abstimmen, auch beeinflussen, weil es natürlich ein Argument ist. Genau deshalb haben wir sehr frühzeitig darauf gedrungen und gesagt: Lasst die Menschen bitte ernsthaft über dieses Verfahren entscheiden!

Ich will an dieser Stelle noch mal eins sagen, und das ist mir wichtig, weil hier immer der Eindruck erweckt wird, na ja, da sind diejenigen, die das Volksbegehren angestoßen haben oder die Volksinitiative seinerzeit angestoßen haben – auch das, Frau Kuder, gehört in die Zeitschiene, dass es da unterschiedliche Stufen gab –, die sind ja kompromisslos nur gegen die Reform. Sowohl die Opposition, sowohl die GRÜNEN, sowohl die LINKEN wie auch die Initiatoren des Volksbegehrens haben Ihnen mehrfach, haben Ihnen immer wieder angeboten, lassen Sie uns ins Gespräch gehen, lassen Sie uns gemeinsam über sinnvolle Reformschritte reden, aber wir beziehen uns nicht auf irgendetwas, was sich auf alte Gutachten bezieht, was unausgegoren ermittelt worden ist, ausermittelt worden ist, sondern wir wollen gemeinsam konstruktiv darüber beraten.