Protokoll der Sitzung vom 11.03.2015

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion DIE LINKE der Fraktionsvorsitzende Herr Holter.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin enttäuscht. Ich bin nicht enttäuscht, weil Frau Justizministerin Frau Kuder noch mal begründet hat, warum aus ihrer Sicht diese Gerichtsstrukturreform notwendig ist und Herr Müller das noch mal unterstützt hat, das ehrt Sie, dass Sie zu Ihrer Auffassung stehen, ich bin enttäuscht, dass Sie nicht mit einem Wort gewürdigt haben, dass die Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern, und zwar die direkte Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern, einen Sieg errungen hat.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Über 120.000 Menschen haben mit ihrer Unterschrift, mit der Angabe ihres Geburtsdatums, mit ihrer Adresse bekundet, wir sind mit dem, was diese Regierung und diese Koalition auf den Weg gebracht hat in Bezug auf die Gerichte, nicht einverstanden.

Sie haben ihr Recht auf freie Meinungsäußerung – und das haben sie dokumentiert mit ihrer Adresse, mit ihrem Geburtsdatum – wahrgenommen und gesagt, so geht es nicht, wir wollen eine andere Politik. Und ich meine, das sollte man doch als Erstes in diesem Hohen Haus würdigen, unabhängig von den Inhalten. Über 120.000, sogar über 140.000 Menschen waren bereit, an diesem Volksbegehren teilzunehmen und zu unterschreiben. Wenn wir weitergemacht hätten, die Initiatoren weitergemacht hätten, wären es sicherlich noch bedeutend mehr geworden. Und das, meine ich, gehört an den Anfang dieser Debatte, das zu würdigen und das herauszustellen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In dem Sinne ist es in der Tat ein historisches Datum, denn bisher gab es kein Volksbegehren in MecklenburgVorpommern. Und enttäuscht, um nicht zu sagen richtig

wütend bin ich, Herr Müller und auch Frau Kuder, darüber, dass Sie jetzt schon ankündigen, egal, was da 120.000 und mehr Menschen in Mecklenburg-Vorpom- mern für eine Auffassung haben, wir bleiben bei unserem Gesetz und wir können hier ein parlamentarisches Verfahren durchführen, am Ende bleibt es bei dem, was wir hier als Koalition verabredet haben und per Gesetz auf den Weg gebracht haben.

(Heinz Müller, SPD: Dann sagen Sie mal was zu meiner Begründung!)

Das nenne ich ignorant und arrogant, Herr Müller.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Und jetzt müssen Sie sich mal beide einig werden, CDU und SPD. Herr Nieszery und Herr Kokert haben ja, und Sie jetzt auch noch mal, Herr Müller, angekündigt, wie das Verfahren sein wird. Da gibt es ein vorgeschriebenes Verfahren, ganz klar, das werden Sie durchziehen, und dann sagen Sie, im September soll ein Volksentscheid stattfinden. Herr Kokert – so habe ich das heute in der Zeitung gelesen – sagte, im Oktober oder November. Also nach der Sommerpause im Herbst wird es einen Volksentscheid geben.

Damit sind Sie aber nicht ergebnisoffen und damit nehmen Sie das Volksbegehren und damit nehmen Sie über 120.000 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern nicht ernst, denn Sie haben heute hier von diesem Pult aus bekundet, uns interessiert gar nicht, was ihr hier erzählt, sondern wir ziehen unser Ding durch. Genau das ist Ihr Stil hier in Mecklenburg-Vorpommern. Gehen Sie doch offen in die Debatte! Warum greifen Sie dem Ergebnis vor? Vielleicht gibt es ja in der Anhörung noch Argumente, die Sie eines Besseren belehren. Nein, Sie sind eigentlich taub, Sie wollen gar keine Argumente hören, um hier zu einer Veränderung zu kommen. Und das ist hier deutlich geworden, dass Sie nichts anderes wollen. Deswegen sind Sie respektlos und es ist beschämend, wie Sie mit diesem Volksbegehren und mit der Meinung von 120.000 Menschen umgehen.

Und, Frau Justizministerin, Sie werden ja nicht müde, darauf hinzuweisen, dass 120.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner 8,5 Prozent der Wahlberechtigten in Mecklenburg-Vorpommern ausmachen.

(Ministerin Heike Polzin: Genau.)

Das ist erst mal rechnerisch richtig, genau. Unsere Finanzministerin rechnet gleich im Kopf mit, das ist erst mal rechnerisch richtig. Sie haben aber eins vergessen zu sagen: nur 8,5 Prozent! Warum eigentlich? Weil ich finde, das ist eine Abwertung, wenn man von 8,5 Prozent redet, denn es geht auf der einen Seite nicht um eine repräsentative Umfrage, sondern es geht um 8,5 Prozent, die per Unterschrift zugestimmt haben. Das heißt doch aber nicht, dass 91,5 Prozent gesagt haben, lasst uns mit diesem Volksbegehren in Ruhe, das mit den Gerichten geht schon in Ordnung.

Genau diesen Schluss dürfen Sie nicht ziehen. Die Initiatoren und diejenigen, die fleißig Unterschriften gesammelt haben, auch ich gehörte dazu, wir haben immer wieder gehört und erfahren, jede und jeder, der angesprochen wurde, war bereit zu unterschreiben, oder es war ein Urlauber, der hier keinen Wohnsitz hat, dann

konnte er natürlich nicht unterschreiben. Und deswegen bin ich der Überzeugung, die Zustimmungswerte zu dem Volksbegehren liegen weit über dem, was tatsächlich an Unterschriften geleistet wurde,

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Genau.)

was die Stimmung, Herr Suhr, und die Auffassung in der Bevölkerung tatsächlich betrifft.

Zweitens, will ich sagen, sind 8,5 Prozent der Wert, den auch der Verfassungsgeber gewollt hat, diese 120.000 stehen in unserer Landesverfassung, und deswegen, glaube ich, sollte man das nicht herabwürdigen. Die direkte Demokratie sollte genau über dieses Quorum eine Chance erhalten und die Menschen haben diese Chance genutzt, das habe ich ja gerade gesagt. Wenn wir weiter gesammelt hätten, wären es vielleicht nicht 8,5, vielleicht wären es 12, 15, vielleicht sogar 20 Prozent der Bevölkerung oder der Wahlberechtigten hier in Mecklenburg-Vorpommern geworden.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Deswegen meine ich, man sollte nicht versuchen, dieses Ergebnis zu relativieren.

Und wenn wir uns die Struktur unseres Landes anschauen, dann sind wir ländlich geprägt. 120.000 gültige Unterschriften sind aus meiner Sicht, aus Sicht meiner Fraktion eine bemerkenswerte Zahl. Wir machen keinen Hehl daraus, dass wir insgesamt, wenn wir dann über solche Quoren sprechen, diese Zahl für zu hoch halten. Da gibt es ja eine Diskussion, die leider auch nicht vorankommt. Das will ich bloß mal hier anmerken. Umso erfreulicher ist es, dass die erforderliche Anzahl dennoch erreicht wurde.

Man darf aber auch nicht vergessen, meine Damen und Herren, dass dieses Volksbegehren nicht ohne Widerstände, ohne, dass den Initiatoren Steine in den Weg gelegt wurden, über die Bühne gegangen ist. Ich denke da etwa an das Verbot durch die Justizministerin, Unterschriftenlisten in den Gerichtsgebäuden auslegen zu lassen. Ja, das Volksabstimmungsgesetz sieht vor, dass Volksbegehren zu unterstützen sind, etwa durch Ämter und Landkreise.

Nun kann man das im engeren Sinne sicherlich nicht auf Gerichte beziehen, aber hier geht es um einen Gegenstand, der die Gerichte unmittelbar betrifft, und ich meine schon, wo werden denn Menschen sensibilisiert für so ein Thema, wenn nicht in einem Gericht. Und deswegen, wenn ich im Koalitionsvertrag von SPD und CDU lese, dass die Bürgerbeteiligung im Land gestärkt werden soll, frage ich mich: Warum wurden diese Listen denn eben nicht in den Gerichtsgebäuden ausgelegt? Wenn denn die Justizministerin seinerzeit meinte, so ein Volksbegehren sei eine Privatangelegenheit und würde die Neutralitätspflicht der Justiz beeinträchtigen, na ja, also privat ist ein auf Erlass eines Gesetzes gerichtetes Volksbegehren sicherlich nicht.

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

Und wie es mit der Neutralität der Richter steht, wage ich auch zu bezweifeln, in diesem Zusammenhang natürlich. Also wie soll es denn zu einer Parteilichkeit in dem dem Richter zugewiesenen Verfahren führen, wenn er sich mit

dem Volksbegehren auseinandersetzt? Das müssen Sie mir mal erklären, das ist einfach nicht klar.

Sehr suspekt war auch das Verbot für die nach dem Gesetz eigentlich unabhängigen Richter, sich öffentlich zu diesen Fragen zu äußern. Das hat sich das Justizministerium vorbehalten.

Nein, werte Kolleginnen und Kollegen, entgegen aller Bekenntnisse zur Bürgerbeteiligung, zur direkten Demokratie wurde dieses Volksbegehren eben nicht nur unterstützt, es wurde auch bekämpft, es wurde auch behindert. Und das möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich unterstreichen.

Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, mit nur etwas selbstkritischer Reflexion sollten Sie äußerst sensibel mit diesem Volksbegehren, den Initiatorinnen und Initiatoren und denen, die unterschrieben haben, umgehen, denn es handelt sich hier nicht um ein klassisches Volksbegehren, in dem Menschen einen politischen Wunsch artikuliert und in den Landtag eingebracht haben, also über die normalen Wege, versteht sich, sondern es ist ein erfolgreiches Volksbegehren, das erste in Mecklenburg-Vorpommern, das ein konkretes, noch nicht vollständig umgesetztes Vorhaben der Regierung wieder rückgängig machen soll. Heute geht es um ein Volksbegehren gegen die konkrete Regierungspolitik. Das Volksbegehren, um das es heute geht, ist eine ganz klare Ohrfeige für die Politik dieser Landesregierung, und dies nicht nur in Bezug auf die Gerichte. Ich meine, das ist eine Ohrfeige für die gesamte, nicht durchdachte und konzeptionslose Reformpolitik der Landesregierung.

Natürlich, Herr Müller, sind Reformen manchmal unerlässlich. Das haben wir übrigens auch im Zusammenhang mit der Gerichtsstrukturreform nie infrage gestellt. Also die verschiedenen Reden, die Kollegin Barbara Borchardt hier gehalten hat, sprechen ja dafür. Auch haben übrigens die Initiatoren, soweit ich mich erinnere, von einem Reformbedarf gesprochen.

(Heinz Müller, SPD: Richtig.)

Aber bitte schön, Reformen müssen doch in einem Gesamtrahmen diskutiert werden und auch strukturiert durchgeführt werden, wie beispielsweise in dem Abschlussbericht der Enquetekommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“, wie das damals auch unter der Leitung von Kollegin Martina Tegtmeier hier stattgefunden hat. Dieser Gesamtrahmen ist bei Ihrer Politik aber in Ansätzen nicht zu erkennen.

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

So bin ich mir sicher, dass etwa die Empfehlung der Fachleute aus strukturpolitischer Sicht zu einer Kreisgebietsreform eine ganz andere gewesen wäre, wenn man bereits damals gewusst hätte, dass noch eine Polizeireform, eine Gerichtsstrukturreform, eine Theaterreform, ja, bis hin zu den Finanzämtern, wie wir es eben noch mal gehört haben, tatsächlich stattgefunden hätte. Heute ist es so, dass erst den Städten der Kreisstadtstatus genommen wurde. Man hat diesen damals gesagt, ist nicht weiter schlimm, ihr behaltet ja die Amtsgerichte und auch sonst werden Städte, die den Kreissitz verlieren, durch Zuzug anderer Behörden entsprechend aufgebaut werden. Das ist heute alles nicht mehr wahr. Heute nimmt man diesen Städten die Amtsgerichte mit der

Begründung, ihr seid ja keine Kreisstadt mehr. Hier wird eine Reform mit der vorherigen begründet, aber vorher haben Sie den Menschen etwas vorgegaukelt.

(Heinz Müller, SPD: Nein, das trifft nicht zu, Herr Holter, und das wissen Sie auch.)

Na selbstverständlich, Herr Müller. Sie haben den Menschen etwas vorgegaukelt und Sie haben ihnen nicht die volle Wahrheit gesagt, das ist so. Und ich warte nur darauf, dass die nächste Polizeireform mit Revierschließungen vorgeschlagen wird, mit der Begründung, wir haben ja jetzt schließlich auch weniger Amtsgerichte und brauchen deshalb weniger Polizeireviere.

Meine Damen und Herren, diese Art von Reformpolitik sind die Menschen einfach leid und ich appelliere an jeden Einzelnen von Ihnen: Ignorieren Sie nicht die in dem Volksbegehren tausendfach geäußerten Sorgen der Menschen! Gehen Sie in den Ausschüssen sorgfältig mit dem Volksbegehren um! Gehen Sie sorgfältig mit den Kritiken und mit den Vorschlägen um und lassen Sie sich nicht von vorgefassten Meinungen und Ergebnissen beeinflussen! Denn dann treten Sie die direkte Demokratie mit Füßen und Sie beschmutzen das, was 120.000 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern zum Ausdruck gebracht haben mit ihrer Unterschrift zu diesem Volksbegehren. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Fraktionsvorsitzende Herr Suhr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Kollege Holter, ich bin Ihnen sehr dankbar,

(Manfred Dachner, SPD: Na logisch, das wussten wir doch.)

dass Sie das getan haben, worauf die Ministerin, aber auch die Koalitionsfraktionen verzichtet haben, nämlich die Bedeutung des heutigen Tages einmal hervorzuheben.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Genau.)

Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes Mecklenburg-Vorpommern reden wir über ein erfolgreiches Volksbegehren. Zum ersten Mal ist es gelungen, deutlich mehr als 120.000 Unterschriften zu sammeln, zum ersten Mal setzt sich dieser Landtag damit auseinander. Auch wenn sich das in den letzten Wochen und Monaten schon angedeutet hat, dass dies erfolgreich sein könnte, dann ist heute der Tag, an dem wir uns damit befassen müssen, ich sage, dürfen, und ich finde, es ist ein gutes Zeichen, weil es ein positives Zeichen ist für diese Demokratie. Die Menschen in diesem Land mischen sich ein in einer relevanten Frage, und ich kann dies ausdrücklich nur begrüßen, auch wenn es der Regierung möglicherweise wehtun mag, sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Torsten Renz, CDU)